BFH Beschluss v. - VII B 43/09

Entscheidung über eine Verfahrensaussetzung obliegt dem Ermessen des Gerichts

Gesetze: FGO § 74

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Milcherzeuger. Er wendet sich mit seiner Klage gegen die Festsetzung von Milchabgaben für Überlieferungen, welche über Erzeugernummern von Milcherzeugern in den neuen Bundesländern abgerechnet worden sind. Er macht (u.a.) geltend, dass auf der Molkereiebene Überlieferungen zu Unrecht nicht mit Unterlieferungen von Milcherzeugern aus den neuen Bundesländern saldiert worden seien.

Auf Antrag der Beteiligten hat das Finanzgericht (FG) zunächst das Ruhen des Verfahrens bis zum Ergehen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die Verfassungsbeschwerde 1 BvR 2372/03 angeordnet. Nach Beendigung jenes Verfahrens und Anhörung der Beteiligten hat das FG das Verfahren wieder aufgerufen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Klägers, mit der er geltend macht, dass weiterhin ein Grund für die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorliege. Beim BVerfG seien zwei weitere Verfassungsbeschwerden über ähnlich gelagerte Fälle von Milchbauern anhängig.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für ein weiteres Ruhen des Verfahrens liegen nicht vor, weil der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt) den Fortgang des Verfahrens beantragt hat (§ 155 FGO i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung). Eine Aussetzung des Verfahrens (§ 74 FGO) kommt ebenfalls nicht in Betracht.

Die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens steht, wenn die Voraussetzungen des § 74 FGO vorliegen, im Ermessen des Gerichts, wobei das Interesse an der zügigen Verfahrensdurchführung gegen das Interesse an einer einheitlichen Sachentscheidung abzuwägen ist (vgl. , BFH/NV 2006, 1109). Zwar kann in Fällen, in denen hinsichtlich einer im jeweiligen Streitfall maßgebenden Rechtsfrage ein Musterverfahren vor dem BVerfG anhängig ist, das Ermessen auf Null reduziert sein (vgl. die Nachweise bei Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 74 Rz 12). Es ist jedoch nicht ermessensfehlerhaft, ein gerichtliches Verfahren trotz Anhängigkeit eines solchen Musterverfahrens fortzusetzen, wenn von der Entscheidung in diesem Verfahren keine neue entscheidungserhebliche Rechtserkenntnis zu erwarten ist.

So spricht im Streitfall nichts dafür, dass die Verfassungsbeschwerden 1 BvR 497/08 und 1 BvR 539/08, auf die sich die Beschwerde beruft und mit denen —wie dem Beteiligtenvorbringen zu entnehmen ist— die Unvereinbarkeit der nationalen Milchabgabevorschriften mit den Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geltend gemacht wird, überhaupt zur Entscheidung angenommen werden.

Der beschließende Senat hat zur Milch-Garantiemengen-Verordnung bereits entschieden, dass insoweit § 8 Abs. 1 Satz 1 und § 12 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen ausreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlagen i.S. des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG sind und dass die in jenen Vorschriften enthaltene dynamische Verweisung auf das Gemeinschaftsrecht verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 309/02, BFHE 203, 243, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern —ZfZ— 2004, 17, m.w.N.). Zum einen ist der Gesetzgeber befugt, mit einer Verweisung auf Gemeinschaftsrecht Inhalt, Zweck und Ausmaß einer gesetzlichen Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen näher zu bestimmen. Zum anderen sind die für die Erhebung der Milchabgabe maßgeblichen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften auch ausreichend bestimmt. Des Weiteren hat sich der Senat in dem Beschluss in BFHE 203, 243, ZfZ 2004, 17 der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) angeschlossen, dass ein Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG nicht darin zu sehen ist, dass in einer Rechtsverordnung lediglich das zugrunde liegende einzelstaatliche förmliche Parlamentsgesetz, nicht jedoch auch die gemeinschaftsrechtliche Rechtsgrundlage angegeben ist (vgl.   3 C 10.02, BVerwGE 118, 70). Das BVerfG hat die gegen diesen Senatsbeschluss gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Daher gibt allein der Umstand, dass zu vorgenannten Rechtsfragen gegenwärtig noch weitere Verfassungsbeschwerden anhängig sind, keinen ausreichenden Anlass, Milchabgabenerhebung betreffende Klageverfahren auszusetzen; dem Interesse an einer zügigen Verfahrensdurchführung ist der Vorzug zu geben (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 66/08, BFH/NV 2009, 1679).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
PAAAD-31898