Leitsatz
[1] Die Stundung der Kosten des Verfahrens kann nicht deshalb aufgehoben werden, weil der beschäftigungslose Schuldner sich nicht um eine Beschäftigung bemüht, wenn er nicht in der Lage ist, Einkünfte oberhalb der Pfändungsfreigrenze zu erzielen, und die Befriedigung der Insolvenzgläubiger somit nicht beeinträchtigt ist.
Gesetze: InsO § 4c
Instanzenzug: LG Hagen, 3 T 711/08 vom AG Hagen, 101 IK 227/07 vom
Gründe
I.
Die Schuldnerin ist seit ihrem 18. Lebensjahr mit ihrem - mittlerweile gleichfalls insolventen - Mann verheiratet. Bei beiden handelt es sich um Migranten. Die Schuldnerin hat weder einen Beruf erlernt noch einen solchen jemals ausgeübt. Von ihrem Ehemann erhält sie aus dessen Nettoeinkommen von rund 2.100 EUR ebenso Unterhalt wie die drei gemeinsamen Kinder im Alter von (mittlerweile) 18, 14 und 12 Jahren. Auf Aufforderung des Insolvenzgerichts zur Auskunft über ihre Bemühungen um eine angemessene Erwerbstätigkeit ließ die Schuldnerin mitteilen, dass sie ihre drei Kinder betreue, daher nicht arbeite und als ungelernte, der deutschen Sprache nur unzureichend mächtige Kraft ohnehin kein pfändbares Einkommen erzielen könne.
Das Insolvenzgericht hat die der Schuldnerin zunächst gewährte Verfahrenskostenstundung wegen Verweigerung der Auskunft gemäß § 4c Nr. 4, § 296 Abs. 2 Satz 3 InsO widerrufen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das Landgericht mit der Begründung zurückgewiesen, die Schuldnerin könne bei gehöriger Organisation des Alltags zumindest vormittags arbeiten. Auf die Erzielbarkeit pfändbaren Einkommens komme es nicht an; vielmehr müsse ein Schuldner zur Rechtfertigung des Einsatzes öffentlicher Mittel erhebliche Anstrengungen unternehmen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin.
II.
Der Schuldnerin ist wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§§ 233, 234 Abs. 2, § 575 ZPO).
Die Fristversäumung ist unverschuldet (§ 233 ZPO), weil die Schuldnerin wegen ihrer Mittellosigkeit außerstande war, durch die Beauftragung eines beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts die Einlegungs- und Begründungsfrist einzuhalten. Die Wiedereinsetzungsfrist ist gewahrt: Nach Zustellung des Senatsbeschlusses über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe am hat die Schuldnerin die Rechtsbeschwerde, verbunden mit einem Wiedereinsetzungsantrag, innerhalb der gemäß § 236 Abs. 2 S. 2, § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO einmonatigen Frist am eingelegt und am begründet.
Der Wiedereinsetzung steht nicht entgegen, dass die Schuldnerin den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe erst einen Tag nach Ablauf der ursprünglichen Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gestellt hatte. Zwar muss ein bedürftiger Verfahrensbeteiligter wenigstens den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Rechtsmittel innerhalb der Rechtsmittelfrist stellen (, NJW 1998, 1230, 1231; v. - XII ZB 116/05, NJW-RR 2006, 140, 141). Die auf Mittellosigkeit beruhende Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist aber auch dann noch als unverschuldet im Sinne des § 233 ZPO anzusehen, wenn der bedürftige Beteiligte einen zur Ermöglichung des Rechtsmittels gestellten Prozesskostenhilfeantrag schuldlos verspätet und zumindest innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO nachgeholt hat (, NJW 2002, 2180; v. aaO; zustimmend Stein/Jonas/Roth, ZPO 22. Aufl. § 234 Rn. 8; Musielak/Grandel, ZPO, 7. Aufl. § 233 Rn. 30; Hk-ZPO/Saenger, 3. Aufl. § 233 Rn. 24).
Die Schuldnerin hat glaubhaft gemacht, dass die Versäumung der Frist zur Einreichung des Prozesskostenhilfeantrags unverschuldet war. Sie selbst hat in der Angelegenheit nicht gehandelt, sondern sich der Hilfe ihrer Instanzanwälte bedient. Ein der Schuldnerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO, § 4 InsO zuzurechnendes Verschulden dieser Rechtsanwälte liegt nicht vor. Die Anwälte haben die Frist von ihrer Büroleiterin zunächst richtig berechnen lassen und sodann noch selbst nachgeprüft. Der Fehler ist erst geschehen, als die - im Übrigen stets sorgfältig arbeitende und erfahrene - Büroleiterin die auf der Abschrift des Landgerichtsbeschlusses noch zutreffend notierte Frist im Fristenbuch der Kanzlei versehentlich auf der für den nachfolgenden Tag bestimmten Doppelseite eintrug. Diesen Geschehensablauf hat die Schuldnerin mit Hilfe einer eidesstattlichen Versicherung der Büroleiterin vom und von Ablichtungen sowohl des Kalenderblattes als auch einer Ausfertigung des angefochtenen Beschlusses, auf dem der zutreffende Fristablauf notiert ist, glaubhaft gemacht. Ein solches Versehen ist einem Rechtsanwalt und folglich auch der von ihm vertretenen Partei nicht zuzurechnen. Ein Rechtsanwalt darf eine bisher sorgfältig arbeitende und geschulte Kanzleikraft mit der Führung des Fristenkalenders betrauen, ohne ihre Eintragungen im Einzelfall überprüfen zu müssen. Kommt es dennoch einmal zu einer Fehleintragung, beruht eine daraus resultierende Fristversäumnis nicht auf einem schuldhaften Handeln des Rechtsanwalts (, NJW 2001, 1578, 1579).
III.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, §§ 7, 6 Abs. 1, § 4d Abs. 1 InsO statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) ist begründet.
Das Insolvenzgericht hat die der Schuldnerin gewährte Verfahrenskostenstundung zu Unrecht wieder aufgehoben. Der - einzig in Betracht kommende - Aufhebungsgrund gemäß § 4c Nr. 4 InsO liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann das Insolvenzgericht die zuvor nach § 4a InsO gewährte Stundung der Kosten des Insolvenzverfahrens aufheben, wenn der Schuldner keine angemessene Erwerbstätigkeit ausübt und, wenn er ohne Beschäftigung ist, sich nicht um eine solche bemüht oder eine zumutbare Tätigkeit ablehnt. Infolge des gesetzlichen Verweises auf § 296 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO ist die Stundung außerdem aufzuheben, wenn der Schuldner über die Erfüllung dieser Obliegenheit auch nach Fristsetzung keine Auskunft erteilt. Unter beiden Gesichtspunkten ist die Aufhebung nicht gerechtfertigt.
1.
Der Auskunftspflicht hat die Schuldnerin entgegen der Meinung des Insolvenzgerichts genügt. Sie hat unmißverständlich erklärt, sich nicht zur Aufnahme irgendeiner Erwerbstätigkeit oder auch nur zum Bemühen um eine solche Beschäftigung verpflichtet zu fühlen. Eine weitergehende Erklärung war von ihr nicht zu verlangen.
2.
Die Stundung kann auch nicht wegen der Weigerung der Schuldnerin aufgehoben werden, eine Erwerbstätigkeit auszuüben bzw. sich darum zu bemühen. Zwar besteht die Erwerbsobliegenheit nach § 4c Nr. 4 InsO - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - bereits ab dem Zeitpunkt der Stundungsbewilligung (BT-Drucks. 14/5680, S. 23; vgl. ferner LG Berlin ZInsO 2002, 680, 681; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 4c Rn. 36; MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl. § 4c Rn. 11; Jaeger/Eckardt, InsO § 4c Rn. 57; HK-InsO/Kirchhof, 5. Aufl. § 4c Rn. 21). Eine Aufhebung der Stundung wegen einer Verletzung der Obliegenheit zu angemessener Erwerbstätigkeit setzt jedoch voraus, dass der Schuldner die Befriedigung seiner Gläubiger durch die Weigerung beeinträchtigt. Daran fehlt es im vorliegenden Fall.
a)
Die Versagung der Restschuldbefreiung wegen Verletzung der in § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO bestimmten Erwerbsobliegenheit setzt voraus, dass hierdurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt worden ist (§ 296 Abs. 1 S. 1 InsO). Hierfür genügt nicht eine abstrakte Gefährdung der Befriedigungsinteressen der Gläubiger, sondern nur eine messbare tatsächliche Beeinträchtigung (, NZI 2006, 413). Im Rahmen einer Vergleichsrechnung ist die Differenz zwischen der Tilgung der Verbindlichkeiten mit und ohne Obliegenheitsverletzung zu ermitteln (FK-InsO/Ahrens, 5. Aufl. § 296 Rn. 11; Graf-Schlicker/Kexel, InsO § 296 Rn. 2; Wenzel, aaO § 296 Rn. 5; MünchKomm-InsO/Stephan, aaO § 296 Rn. 15; Uhlenbruck/Vallender, InsO 12. Aufl. § 296 Rn. 18). Nach Abzug aller vorrangig zu befriedigenden Verbindlichkeiten muss eine pfändbare Summe verblieben und dieser an die Insolvenzgläubiger zu verteilende Betrag durch die Obliegenheitsverletzung verkürzt worden sein (AG Göttingen ZInsO 2006, 384, 385; FK-InsO/Ahrens, aaO § 296 Rn. 13). Gibt der Schuldner eine Erwerbstätigkeit auf, die keine pfändbaren Beträge erbracht hat, oder lehnt er eine solche Beschäftigung ab oder zeigt er die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht an, die ihm insgesamt nur unpfändbare Einkünfte verschafft, kann darin zwar eine Obliegenheitsverletzung zu sehen sein, doch führt sie zu keiner Gläubigerbeeinträchtigung (LG Landshut ZinsO 2007, 615, 616; AG Düsseldorf ZVI 2007, 482, 483; FK-InsO/Ahrens, aaO; MünchKomm-InsO/Stephan, aaO; HK-InsO/Landfermann, aaO § 296 Rn. 3; Bindemann, Handbuch Verbraucherkonkurs 3. Aufl. Rn. 252; Schmerbach ZVI 2003, 256, 264).
b)
Der Tatbestand des § 4c Nr. 4 InsO enthält für die Aufhebung einer Stundungsbewilligung wegen Verstoßes gegen die auch insoweit geltende Erwerbsobliegenheit weder eine dem § 296 Abs. 1 S. 1 InsO entsprechende Regelung noch einen Verweis darauf. Sie ist jedoch entsprechend anzuwenden (so auch Jaeger/Eckardt, aaO § 4c Rn. 53; HK-InsO/Kirchhof, aaO § 4c Rn. 21; MünchKomm-InsO/Ganter, aaO § 4c Rn. 21).
aa)
Die Vorschriften über die Stundung der Verfahrenskosten sind mit dem Insolvenzänderungsgesetz vom (BGBl. I S. 2710) eingeführt worden. Sie sollen mittellosen Schuldnern den Zugang zur Restschuldbefreiung erleichtern bzw. überhaupt erst ermöglichen (BT-Drucks. 14/5680, S. 11 f). Deswegen wäre es ein Wertungswiderspruch, würde dieses Mittel zum Zweck an Voraussetzungen geknüpft, die weiter gehen als die Voraussetzungen des Zwecks, nämlich der Restschuldbefreiung. Der Gesetzgeber hat die Voraussetzungen der Restschuldbefreiung einerseits und der Stundung andererseits einander angeglichen, um ein Auseinanderfallen der Entscheidungen über beide Belange zu vermeiden. Wegen der im Zeitpunkt des Stundungsantrags, das heißt bei Verfahrensbeginn, zunächst beschränkten Möglichkeiten zur Überprüfung dieser Voraussetzungen hat der Gesetzgeber insofern eine nachgelagerte Überprüfung vorgesehen, indem er die Nichterfüllung der Voraussetzungen in § 4c InsO als Aufhebungsgrund ausgestaltet hat (vgl. BT-Drucks. 14/5680, S. 12 re. Sp., S. 22 f). Gerade der im vorliegenden Fall in Frage stehende Aufhebungsgrund des § 4c Nr. 4 InsO ist der Regelung des § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO bewusst nachgebildet. Ein weiterer Wertungswiderspruch ergäbe sich, wenn das Unterlassen der Erzielung unpfändbarer Einkünfte vor dem und während des Insolvenzverfahrens sanktioniert wäre, in der Wohlverhaltensphase, die dem Schuldner doch gewiss nicht weniger an Wohlverhalten abverlangt, aber nicht mehr.
bb)
Einem weitergehenden selbstständigen Ziel dient der Aufhebungstatbestand des § 4c Nr. 4 InsO nicht (BT-Drucks. 14/5680, S. 12). Zwar fordert die Entwurfsbegründung (BT-Drucks. 14/5680, S. 13 und 23) erhebliche eigene Anstrengungen des Schuldners, um den Einsatz öffentlicher Mittel zu rechtfertigen. Es soll der Kritik entgegengewirkt werden, dem Schuldner werde eine Restschuldbefreiung "zum Nulltarif" eröffnet. Diese Anstrengungen werden dem Schuldner jedoch nicht als gleichsam erzieherischer Selbstzweck abverlangt, sondern ausschließlich im Hinblick auf die erstrebte Restschuldbefreiung. Wenn absehbar ist, dass das Unterlassen eigener Anstrengungen keine Bedeutung für die Erlangung der Restschuldbefreiung haben wird, weil die Erwerbsmöglichkeiten des Schuldners so dürftig sind, dass er ohnehin keinen Beitrag zur Befriedigung seiner Gläubiger erbringen kann, hat das Unterlassen für die Verfahrenskostenstundung gleichfalls keine Bedeutung. Weder aus dem Gesetz selbst noch der Entwurfsbegründung ergibt sich, dass der Schuldner für den Erhalt der einmal gewährten Stundung einen zusätzlichen Einsatz zeigen muss, der über dasjenige Engagement hinaus reicht, dass von ihm zur Rechtfertigung der Restschuldbefreiung erwartet wird. Eine solche Forderung wäre auch sachlich nicht begründbar. Wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, Einkünfte jenseits der Pfändungsfreigrenzen zu erzielen, nützt ein etwaiger Zwang, dennoch einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, keinem Verfahrensbeteiligten. Die bloße Hoffnung, die Aufnahme einer zunächst gering vergüteten Tätigkeit könnte dem Schuldner womöglich als Wiedereinstieg in die Arbeitswelt dienen, ihm langfristig einmal zu einer besser vergüteten Stellung verhelfen und ihn somit in die Lage versetzen, sodann seine Gläubiger mit einem Teil seines Einkommens zu befriedigen (vgl. Uhlenbruck/Vallender, aaO), hat dem Gesetzgeber keine Veranlassung gegeben, von der in § 296 Abs. 1 S. 1 InsO bestimmten Einschränkung abzusehen. Die vom Gesetzgeber zu § 4c Nr. 4 InsO angestellten Erwägungen geben keinen Raum für die Annahme, dass dieser Aussicht im Bereich der Verfahrenskostenstundung eine größere Bedeutung zuzumessen ist.
c)
Im vorliegenden Fall sind die Befriedigungsaussichten der Gläubiger durch die Weigerung der Schuldnerin, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, nicht beeinträchtigt worden. Sie ist - jedenfalls zur Zeit - ersichtlich nicht in der Lage, Einkünfte jenseits der Pfändungsfreigrenze zu erzielen. Sie würde als ungelernte, der deutschen Sprache nur unzureichend mächtige Kraft mittleren Alters bestenfalls eine schlecht bezahlte Aushilfstätigkeit antreten können. Auf bloß theoretische, tatsächlich aber unrealistische Möglichkeiten, einen angemessenen Arbeitsplatz zu erlangen, darf ein Schuldner nicht verwiesen werden (vgl. , NZI 2009, 482, 483; Münch-Komm-InsO/Ehricke, aaO § 295 Rn. 38; FK-InsO/Ahrens, aaO § 295 Rn. 29; ebenso für den Bereich des Unterhaltsrechts IVb ZR 45/85, NJW 1986, 3080, 3081 f; v. - IVb ZR 133/86, NJW 1987, 2739, 2740).
IV.
Da die Aufhebung der instanzgerichtlichen Entscheidungen lediglich wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden und die angefochtenen Entscheidungen ersatzlos aufheben (§ 577 Abs. 5 ZPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
WM 2009 S. 2328 Nr. 49
HAAAD-31798
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja