Leitsatz
1. Die Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen, der ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzt, kann wegen der drohenden Gefahr erneuter schwerer Wirtschaftsstraftaten gerechtfertigt sein.
2. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 steht der Ausgestaltung der Ausweisung als behördlicher Ermessensentscheidung im nationalen Recht nicht entgegen.
3. Ob die Wirkungen einer Ausweisung schon zum Zeitpunkt der Ausweisung oder erst später zu befristen sind, ist eine Frage des Einzelfalls. Sie hängt unter anderem vom Ausmaß der von dem Ausländer ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, der Vorhersehbarkeit der zukünftigen Entwicklung dieser Gefahr sowie den schutzwürdigen Belangen des Betroffenen und seiner Angehörigen ab.
4. Die Ausweisung eines Ausländers, der die Staatsangehörigkeit seines Ursprungslands behalten hat, verletzt nicht Art. 12 Abs. 4 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte - IPBPR -.
Gesetze: ARB 1/80 Art. 6; ARB 1/80 Art. 7; ARB 1/80 Art. 14 Abs. 1; AufenthG § 7 Abs. 1; AufenthG § 11 Abs. 1; AufenthG § 37 Abs. 1; AufenthG § 37 Abs. 2; AufenthG § 55; AufenthG § 56 Abs. 1; EMRK Art. 8; ENA Art. 3 Abs. 3; GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 6; GG Art. 101 Abs. 1; EG Art. 234 Abs. 3; IPBPR Art. 12 Abs. 4; VwGO § 114
Instanzenzug: OVG Nordrhein-Westfalen, 18 A 2369/08 vom VG Düsseldorf, 22 K 4179/05 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein
Gründe
I
Der im Januar 1955 geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland.
Er reiste nach Vollendung des 16. Lebensjahres im November 1971 zu seiner Familie in das Bundesgebiet ein und lebte bei seinen Eltern. Nach der Einreise wurde ihm eine befristete Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung erteilt. Im Januar 1976 verließ der Kläger das Bundesgebiet, um in der Türkei seinen Wehrdienst abzuleisten. Nach seiner Wiedereinreise im April 1978 erhielt er zunächst befristete Aufenthaltserlaubnisse und im Mai 1983 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis; im Dezember 1984 wurde ihm eine Aufenthaltsberechtigung erteilt. Der zuerst abhängig beschäftigte Kläger betrieb ab 1985 eine Bausparagentur, die 1997 in Konkurs fiel.
Aus der am eingegangenen Ehe mit einer türkischen Staatsangehörigen sind fünf mittlerweile volljährige Kinder hervorgegangen. Die Eheleute lebten seit März 1996 getrennt und die Ehe wurde im Jahr 2002 geschieden.
Der Kläger ist strafrechtlich wie folgt aufgefallen:
Am verurteilte ihn das Amtsgericht Dortmund wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen und wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs infolge Trunkenheit und unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen. Wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in vier Fällen wurde er am zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Am wurde der Kläger wegen Betrugs mit einem Schaden von 171 500 DM zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Das Landgericht Duisburg verurteilte den Kläger am wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Nach den Feststellungen im Strafurteil entschloss sich der Kläger nach dem Konkurs seiner Bausparagentur, ein neues Unternehmen für hoch spekulative Anlagengeschäfte im Immobilienbereich zu gründen. Er ließ insbesondere bei türkischen Landsleuten ohne Hinweis auf Risiken Geld durch Beteiligung als stille Gesellschafter mit hohen Renditeversprechen anwerben, über das er seinen Lebensunterhalt finanzierte. Als Vorstand leitete er die Gesellschaft alleine; Sitzungen des Aufsichtsrats fanden nicht statt. Um eine ordnungse Buchführung und Sicherung der Gelder bemühte sich der Kläger nicht. Die Einnahmen von mindestens drei Millionen DM wurden für laufende Kosten ausgegeben; der Kläger bezog ein monatliches Gehalt von 4 000 DM und fuhr Fahrzeuge der Luxusklasse. Die Gesellschaft nahm nur ein Immobilienprojekt in Angriff; die Zahlung des Kaufpreises für das entsprechende Grundstück wurde jedoch nicht veranlasst. Als der Geschäftsbetrieb der Firma im Frühjahr 2002 endete, waren die Konten abgeräumt. Die meisten der rund eintausend geschädigten Anleger verloren sämtliche Einlagen, die zum Teil ihr gesamtes Vermögen darstellten. Die Strafzumessung beruhte u.a. darauf, dass der Kläger zu Beginn des Tatzeitraums noch unter laufender Bewährung stand und mit großer krimineller Energie vorgegangen ist.
Nach Gelegenheit zur Äußerung wurde der Kläger mit Bescheid vom ausgewiesen und ihm wurde die Abschiebung in die Türkei angedroht. Den Widerspruch des Klägers wies die Bezirksregierung Düsseldorf mit Bescheid vom zurück. Sie stützte den Bescheid darauf, dass der Kläger aufgrund des ARB 1/80 nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden könne. Es liege ein besonders schwerer Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung vor. Die Gefahr neuer Straftaten bestehe, da der Kläger bereits zuvor wegen Betrugs verurteilt worden sei und sich dadurch nicht habe beeindrucken lassen. Trotz des langjährigen Aufenthalts und der Trennung von seiner Familie sei die Ausweisung angesichts der vom Kläger ausgehenden Gefahr verhältnismäßig.
Mit Beschluss vom setzte das Oberlandesgericht Düsseldorf die Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung aus. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, dass bei erstmaliger Verbüßung einer Freiheitsstrafe im Regelfall davon auszugehen sei, dass die Strafe ihre spezialpräventive Wirkung entfalte. Aufgrund der an sich positiven Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt sei die Aussetzung der Vollstreckung vertretbar. Nachdem ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes keinen Erfolg hatte, hat der Kläger das Bundesgebiet im März 2008 verlassen.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom ab. Es begründete seine Entscheidung wie folgt: Der Kläger besitze ein Aufenthaltsrecht gem. Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, das er durch die Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht in der Türkei nicht verloren habe. Demzufolge komme nur eine Ermessensausweisung nach § 55 AufenthG in Betracht, die den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 entsprechen müsse. Das sei der Fall. Es bestehe aufgrund der wiederholten Straftaten und ihres Unrechtsgehalts, der Art und Höhe der verhängten Strafen sowie des Verhaltens des Klägers mit Blick auf seine Gesamtpersönlichkeit die konkrete Gefahr, dass er erneut vergleichbare Taten begehen werde. Der Kläger habe sich durch die erste Verurteilung wegen Betrugs nicht beeindrucken lassen, sondern noch während der laufenden Bewährungszeit weitere Straftaten begangen und sei dabei mit großer krimineller Energie vorgegangen. Umstände für eine davon abweichende günstigere Prognose seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Auch der lasse keine individuelle, auf die Person des Klägers abstellende positive Sozialprognose erkennen. Erschwerend sei zu berücksichtigen, dass sich an den beengten finanziellen Verhältnissen des Klägers nichts geändert habe. Private Interessen stünden der Ausweisung nicht entgegen. Das Gericht verkenne zwar nicht, dass der im Alter von 17 Jahren in die Bundesrepublik eingereiste Kläger sich hier rund 36 Jahre aufgehalten habe. Dennoch sei es ihm nicht gelungen, sich wirtschaftlich zu integrieren. Die Verbindung zu den mittlerweile volljährigen Kindern genieße nur geringeres Gewicht. Es sei nicht erkennbar, dass dem Kläger der Aufbau einer Existenz in der Türkei und eine Integration in die dortige Gesellschaft nicht zugemutet werden könne. Die Ausweisung verstoße auch nicht gegen Art. 8 EMRK. Der Kläger könne sich als nach dem ARB 1/80 aufenthaltsberechtigter türkischer Staatsangehöriger nicht auf Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG berufen. Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung sei die Klage unzulässig, denn infolge der freiwilligen Ausreise sei die Abschiebungsandrohung gegenstandslos geworden und das Rechtsschutzinteresse entfallen.
Die Berufung hat das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Ausweisung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht rechtswidrig sei. Hinsichtlich der § 55 Abs. 1 AufenthG erfolgten Ausweisung gehe der Senat mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass im Rahmen der gemäß Art. 14 ARB 1/80 zu stellenden Gefahrenprognose gegenwärtig die konkrete Gefahr bestehe, dass der Kläger erneut schwere Straftaten begehen werde. Private Interessen, die seinen Verbleib in Deutschland trotz der bestehenden Wiederholungsgefahr erforderten, stünden ihm nicht in beachtlichem Umfang zur Seite. Die Ausweisung verstoße weder gegen § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG noch gegen Art. 8 EMRK und die von der Bezirksregierung im Widerspruchsbescheid getroffene Ermessensentscheidung sei nicht zu beanstanden. Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sei auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nicht anzuwenden. Angesichts der Zulassung der Revision sei das Berufungsgericht nicht zur Anrufung des Europäischen Gerichtshofs wegen dieser Frage verpflichtet.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers begründet die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision im Wesentlichen damit, dass § 56 AufenthG die Ausweisung nicht rechtfertigen könne, weil Art. 14 ARB 1/80 zwingende Gründe verlange. Darüber hinaus gehe das Berufungsgericht auch zu Unrecht davon aus, eine Ermessensentscheidung über die Ausweisung des nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 aufenthaltsberechtigten Klägers treffen zu dürfen. Wie bei der Feststellungsentscheidung zum Verlust des Freizügigkeitsrechts gegenüber Unionsbürgern sei der Behörde auch bei der Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger kein Ermessen eingeräumt. Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sei auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige anzuwenden und das Berufungsgericht habe das Recht des Klägers auf den gesetzlichen Richter verletzt, weil es diese Frage nicht dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt habe. Schließlich verstoße das Berufungsgericht gegen Art. 12 Abs. 4 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, demzufolge niemandem willkürlich das Recht entzogen werden dürfe, in sein eigenes Land einzureisen. Aufgrund des langen Aufenthalts sei Deutschland für den Kläger sein eigenes Land.
Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt die Entscheidung des Berufungsgerichts.
II
Die Revision des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die angefochtene Ausweisung revisibles Recht nicht verletzt (1.). Die Verfahrensrüge greift nicht durch (2.).
1.
a)
Prüfungsmaßstab für die angefochtene Ausweisung ist § 55 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG - Türkei über die Entwicklung der Assoziation - ARB 1/80. Denn der Kläger besitzt eine Rechtsposition nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, da er 1971 als Minderjähriger zur Familienzusammenführung in das Bundesgebiet eingereist ist und zu diesem Zweck eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hat. Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass er während der für die Mindestaufenthaltszeiten des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erforderlichen Zeiträume bei seinen Eltern gelebt und sein Vater dem regulären Arbeitsmarkt angehört hat.
b)
Demzufolge kann der Kläger nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen darf eine strafrechtliche Verurteilung nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt und auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeutet; aufenthaltsbeendende Maßnahmen dürfen daher nicht automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung zum Zweck der Generalprävention angeordnet werden ( - Polat - NVwZ 2008, 59 Rn. 28 ff. m.w.N.). Diese Schwelle wird hier erreicht, so dass im Übrigen auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG und des Art. 3 Abs. 3 ENA (vgl. BVerwG 1 C 17.94 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 10 S. 36 <49>) gegeben sind.
Der Betrug zum Nachteil der geschädigten Anleger, den das Landgericht als besonders schweren Fall eingestuft hat, bildet einen Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht. Das im Strafurteil vom geahndete Verhalten des Klägers begründet eine - über die mit jedem Rechtsverstoß verbundene Störung der öffentlichen Ordnung hinausgehende - tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Dieser spezifische Rechtsgüterschutz (vgl. BVerwG 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <304 f.>) erfasst auch das Eigentum und das Vermögen, wenn von dem Betreffenden Wirtschaftsstraftaten drohen, die - wie hier - zu beträchtlichen Schäden für eine Vielzahl von Personen führen können. In dem vorliegenden Fall kommt hinzu, dass das betrügerische Verhalten des Klägers bis hin zur wirtschaftlichen Existenzvernichtung einzelner Geschädigter geführt hat, die ihr gesamtes Vermögen verloren haben.
Die Beurteilung, ob eine hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, erfordert darüber hinaus eine tatrichterliche Prognose, die sich auf das persönliche Verhalten des Betroffenen stützt. Für die Feststellung der Wiederholungsgefahr gilt ein differenzierender, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (vgl. BVerwG 1 C 30.02 - a.a.O. S. 305 f.). Diesem Erfordernis genügt die von den Vorinstanzen gestellte Prognose einer konkreten Wiederholungsgefahr beim Kläger. Diese haben die bereits vorangegangene Verurteilung wegen Betrugs, die Tatumstände, die erneute Straffälligkeit während der noch laufenden Bewährungszeit, die in der Zahl der Geschädigten und dem Schadensausmaß zum Ausdruck kommende kriminelle Energie des Klägers sowie dessen durch fehlende Einsicht gekennzeichnete Persönlichkeit umfassend gewürdigt. Auf der Grundlage dieser den Senat bindenden tatrichterlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) ist nicht zu erkennen, dass das Berufungsgericht seiner Prognose zulasten des Klägers einen unzutreffenden, zu niedrigen Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde gelegt hat.
Der Annahme einer Wiederholungsgefahr steht auch nicht entgegen, dass das die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt hat. Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte haben eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen und sind an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden (zu § 56 StGB: BVerwG 1 C 17.94 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 10 S. 36 <41>). Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 Abs. 1 StGB stellen bei der Prognose zwar ein wesentliches Indiz dar, aber eine Vermutung für das Fehlen einer Rückfallgefahr im Sinne einer Beweiserleichterung begründen sie nicht. Voneinander abweichende Prognoseentscheidungen können gerade bei einer Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach § 57 Abs. 1 StGB u.a. wegen des unterschiedlichen zeitlichen Prognosehorizonts in Betracht kommen (dazu ausführlich BVerwG 9 C 6.00 - BVerwGE 112, 185 <193 m.w.N.>). Das Berufungsgericht hat sich mit der Entscheidung des Oberlandesgerichts auseinandergesetzt und nachvollziehbar dargelegt, warum es dessen Annahme nicht zu folgen vermag. Das ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
Die ausführliche Würdigung der Persönlichkeit des Klägers und die konkrete Ableitung der Wiederholungsgefahr belegen, dass jedenfalls die Widerspruchsbehörde nicht allein die strafrechtliche Verurteilung zum Anlass für die ausschließlich spezialpräventiv motivierte Ausweisung genommen, sondern die zukünftig von seiner Person ausgehende Gefahr in den Blick genommen hat.
c)
Da der Kläger ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzt, darf er nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Bei deren gerichtlicher Überprüfung ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ( BVerwG 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <320 f.> ).
Die vom Kläger unter Berufung auf Renner (ZAR 2005, 295 <298> ) vertretene Auffassung, der Aufenthalt von türkischen Staatsangehörigen, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen, könne nur im Wege einer Feststellungs- und nicht einer Ermessensentscheidung beendet werden, teilt der Senat nicht. Nach bisherigem Verständnis wird durch Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 die behördliche Entscheidung über die Aufenthaltsbeendigung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit im nationalen Recht nicht als feststellender Verwaltungsakt vorgezeichnet. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ergibt sich, dass Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zum einen Anforderungen an die Tatbestandsvoraussetzungen der Aufenthaltsbeendigung in Form der unter b) genannten Schwelle stellt. Demzufolge muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die aus dem persönlichen Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist und die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Zum anderen muss die Ausweisung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren ( - Derin - Slg. 2007, I-6495 Rn. 74 mit Verweis auf Urteil vom - Rs. C-100/01 - Olazabal - Slg. 2002, I-10981 Rn. 43 f.). Des Weiteren gelten die Verfahrensgarantien des Art. 8 und Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG, die eine erschöpfende Prüfung aller tatsächlichen Umstände sowie der Zweckmäßigkeit der Maßnahme durch eine andere behördliche Stelle sichern ( - Dörr und Ünal - Slg. 2005, I-4759 Rn. 55 und 65 ff.). Diese gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben stehen der Ausgestaltung der Ausweisung von nach dem ARB 1/80 privilegierten türkischen Staatsangehörigen als behördlicher Ermessensentscheidung nicht entgegen, zumal das deutsche Recht nur in diesem Entscheidungsmodus Raum für die Berücksichtigung von Zweckmäßigkeitserwägungen bietet. Dabei unterliegt die Ausweisung hinsichtlich der qualifizierten Gefahrenschwelle und des Verhältnismäßigkeitsprinzips voller gerichtlicher Kontrolle.
Die Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde erfordert eine sachgerechte Abwägung der gegenläufigen öffentlichen Interessen an der Ausreise des Ausländers mit dessen privaten Interessen an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet. Dabei darf sich die Ausländerbehörde in ihrer Abwägung auch an den in §§ 53 bis 55 AufenthG aufgeführten Ausweisungsgründen als - weder abschließenden noch zwingenden - Wertungen des Gesetzgebers orientieren. Die darin normierten Tatbestände dürfen allerdings nicht im Sinne einer Regelvermutung oder einer sonstigen schematisierenden Entscheidungsdirektive angewendet werden, die auch nur den Anschein eines Automatismus begründet. Vielmehr ist stets auf die Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles abzustellen ( BVerwG 1 C 30.02 - a.a.O. S. 307). Zugunsten des Ausländers sind die Gründe für einen besonderen Ausweisungsschutz (§ 56 AufenthG) sowie die Dauer seines rechtmäßigen Aufenthalts und seine schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Außerdem sind die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, in die Abwägung einzustellen (§ 55 Abs. 3 AufenthG). Die von Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK geschützten Belange auf Achtung des Privat- und Familienlebens sind dabei entsprechend ihrem Gewicht und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere bei im Bundesgebiet geborenen und hier aufgewachsenen Ausländern, zumal wenn diese über keine Bindungen an das Land ihrer Staatsangehörigkeit verfügen.
Im Hinblick auf diese Vorgaben ist die Ermessensausübung im Widerspruchsbescheid nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht ist entgegen der Annahme des Klägers nicht davon ausgegangen, selbst eine Ermessensentscheidung über die Ausweisung treffen zu dürfen. Es hat vielmehr die von der Bezirksregierung im Widerspruchsbescheid getroffene Ermessensentscheidung gemäß § 114 Satz 1 VwGO gerichtlich überprüft.
Die gesetzlichen Grenzen des Ermessens werden angesichts der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr der Begehung neuer Wirtschaftsstraftaten erheblichen Ausmaßes nicht überschritten. Es begegnet keinen Bedenken, dass der Beklagte das durch den Rechtsgüterschutz begründete öffentliche Interesse an einer Ausreise des Klägers aus dem Bundesgebiet höher gewichtet hat als dessen Interesse am Verbleib. Zwar schlagen sein ca. vierunddreißigjähriger rechtmäßiger Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und die während dieser Zeit geknüpften sozialen Bindungen erheblich zu seinen Gunsten zu Buche. Dennoch ist zu berücksichtigen, dass der erst kurz vor Vollendung des 17. Lebensjahres in das Bundesgebiet eingereiste Kläger seine frühkindliche Prägung und Sozialisation bis ins Jugendalter in der Türkei erfahren hat. Zudem hat er die Zeit der Wehrdienstableistung wiederum in der Türkei verbracht. Er verfügt über ausreichende persönliche Bindungen in die Türkei, so dass ihm die Ausreise dahin nicht unzumutbar ist. Der Schutz des Familienlebens genießt mit Blick darauf, dass die Kinder des geschiedenen Klägers volljährig sind, kein überragendes Gewicht. Die Kontakte zu seiner Familie lassen sich auch von der Türkei durch Kommunikationsmittel wie Telefon, Internet und Briefverkehr sowie gelegentliche Besuche aufrechterhalten. In der Gesamtschau aller Umstände des vorliegenden Falles erscheint die Ausweisung daher nicht unverhältnismäßig.
Dem steht auch nicht entgegen, dass die Ausweisung "unbefristet" erfolgte (Nr. 2 des Bescheids vom ). Aus der Begründung des Bescheids wird deutlich, dass der Beklagte mit dieser missverständlichen Formulierung nur auf die Möglichkeit der nachträglichen Befristung der Wirkungen der Ausweisung (nunmehr: § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG) verweisen wollte. Zudem kann die Ausländerbehörde ihre durch einen entsprechenden Befristungsantrag ausgelöste Prüfungs- und Entscheidungsverpflichtung und das damit korrespondierende subjektive Recht des Antragstellers nicht im Vorhinein ausschließen. Die Wirkungen der Ausweisung mussten nicht bereits bei Erlass des streitgegenständlichen Bescheids befristet werden. Nach der Rechtsprechung des Senats hängt es von den gesamten Umständen des Einzelfalls, insbesondere dem Ausmaß der von dem Ausländer ausgehenden Gefahr, der Vorhersehbarkeit der zukünftigen Entwicklung dieser Gefahr und den schutzwürdigen Belangen des Betroffenen und seiner Angehörigen ab, ob eine Befristung schon bei der Ausweisung von Amts wegen geboten ist oder eine nachträgliche Befristung auf Antrag § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ausreicht ( BVerwG 1 C 2.04 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 42 und vom - BVerwG 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 <371 Rn. 18> sowie BVerwG 1 B 13.09 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Wegen der Wiederholungsgefahr und der damit vom Kläger ausgehenden, auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts noch nicht kalkulierbaren Risiken brauchten die Wirkungen der spezialpräventiv motivierten Ausweisung im vorliegenden Fall nicht bereits mit Erlass befristet zu werden. Vielmehr ist der Kläger angesichts der negativen Prognose trotz seiner persönlichen Bindungen an das Bundesgebiet auf das Befristungsverfahren § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zu verweisen. Der in dieser Vorschrift niedergelegte Regelanspruch auf nachträgliche Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach Wegfall der gefahrbegründenden Umstände erweist sich für ihn jedenfalls im Hinblick auf die Ermöglichung von Besuchsaufenthalten im Bundesgebiet auch als praktisch wirksam.
Ob nach einer Befristung die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen für eine zukünftige dauerhafte Rückkehr nach Deutschland vorliegen, kann im vorliegenden Fall für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung auch mit Blick auf die von Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 8 EMRK gebotene Achtung des Privatlebens dahinstehen. Denn der Kläger ist weder im Bundesgebiet geboren noch hier aufgewachsen, sondern erst kurz vor Vollendung des 17. Lebensjahres eingereist. Zudem hat er seinen Wehrdienst in der Türkei abgeleistet, so dass er sich erst seit seinem 23. Lebensjahr durchgehend in Deutschland aufgehalten hat. Damit sind weder Umstände dafür vorgetragen noch ersichtlich, dass ein Fall einer tiefgreifenden Verwurzelung in Deutschland und gleichzeitiger Entwurzelung vom Herkunftsland vorliegt, in dem ggf. das Übermaßverbot einer Ausweisung entgegenstehen oder aber Anlass dazu geben könnte, dem Betroffenen nach Ablauf der Frist einen Anknüpfungspunkt für die Neubegründung eines Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet - möglicherweise § 37 Abs. 1 und 2 oder § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG - einzuräumen.
d)
Die weiteren Rügen der Revision sind unbegründet.
Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG, der gemäß Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie bis zum umzusetzen war, ist schon aus Gründen intertemporaler Rechtsgeltung auf die hier streitgegenständliche, im Juli 2004 verfügte und im September 2005 mit der Klage angegriffene Ausweisung nicht anwendbar (vgl. BVerwG 1 C 35.07 - NVwZ 2009, 326 Rn. 10 f. und - Polat - a.a.O. Rn. 26 f.). Die Ausweisung des Klägers ist daher unter keinen Umständen an den Regelungen der Unionsbürgerrichtlinie zu messen. Deshalb stellt sich im vorliegenden Verfahren auch nicht die von den Beteiligten sowie in Rechtsprechung und Literatur kontrovers beurteilte gemeinschaftsrechtliche Zweifelsfrage, ob und inwieweit Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG auf assoziationsrechtlich aufenthaltsberechtigte türkische Staatsangehörige Anwendung findet (vgl. dazu das Vorabentscheidungsersuchen des Senats, BVerwG 1 C 25.08 - m.w.N.).
Die Ausweisung verletzt auch nicht Art. 12 Abs. 4 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom (BGBl. II 1973 S. 1534 und 1976, S. 1068) - IPBPR. Danach darf niemandem willkürlich das Recht entzogen werden, in sein eigenes Land einzureisen. Der Kläger ist der Ansicht, Deutschland sei für ihn wegen seiner langen Aufenthaltszeit "sein eigenes Land".
Der Revision ist einzuräumen, dass der Ausschuss für Menschenrechte, der u.a. im Individualbeschwerdeverfahren nach dem Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte angerufen werden kann, in neuerer Zeit davon ausgeht, dass sich nicht nur Staatsangehörige des jeweiligen Landes auf Art. 12 Abs. 4 IPBPR berufen können (zur Entwicklung vgl. M. Nowak, U.N. Covenant on Civil and Political Rights - CCPR Commentary, 2nd edition, 2005, Art. 12 CCPR Rn. 52 ff.). Nach Auffassung des Ausschusses erfasst der Schutzbereich der Vorschrift auch Personen, die wegen ihrer speziellen Bindungen zu einem vorgegebenen Land dort nicht als bloße Fremde gelten könnten. Als Beispiel wurde auf Staatenlose abgestellt, denen ihre Staatsangehörigkeit auf völkerrechtswidrige Weise entzogen worden ist oder deren Staat in einen anderen Staat einverleibt wurde, welcher ihnen die Staatsangehörigkeit verweigert. Darüber hinaus hat der Ausschuss staatenlose Personen in den Blick genommen, denen willkürlich das Recht vorenthalten wird, die Staatsangehörigkeit des Landes ihres Wohnsitzes zu erwerben. Behält jemand allerdings die Staatsangehörigkeit seines Ursprungslandes und erwirbt nicht die des Wohnsitzlandes, obwohl ihm dies nicht willkürlich verwehrt wird, wird das Land der Einwanderung nicht sein eigenes Land i.S.d. Art. 12 Abs. 4 IPBPR. Dabei werden Einbürgerungshindernisse aufgrund strafgerichtlicher Verurteilungen vom Ausschuss nicht als unvernünftige Schranken angesehen (Auffassung vom - Case Nr. 538/1993 - Stewart v. Canada - U.N. Doc. CCPR/C/58/D/538/1993 (1996) Nr. 12.2 bis 12.9, zit. nach: http://humanrights.law.monash.edu.au/undocs/538-1993.html; wiederholt in der Auffassung vom - Case Nr. 558/1993 - Canepa v. Canada - U.N. Doc. CCPR/C/59/D/558/1993 (1997) Nr. 11.3, zit. nach: http://humanrights.law.monash.edu.au/undocs/558-1993.html). Demzufolge kann sich der Kläger schon wegen seiner fortbestehenden türkischen Staatsangehörigkeit nicht auf Art. 12 Abs. 4 IPBPR berufen. Unabhängig davon könnte die Ausweisung im vorliegenden Fall nicht als willkürlicher Entzug des Einreiserechts angesehen werden.
2.
Der Kläger rügt eine Verletzung seines Rechts auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Berufungsgericht habe dem Europäischen Gerichtshof nicht Art. 234 Abs. 3 EG die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG auf türkische Staatsangehörige anzuwenden sei, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 genießen. Diese Verfahrensrüge greift nicht durch. Das Berufungsgericht war nicht zur Vorlage gem. Art. 234 Abs. 3 EG verpflichtet, weil es nicht letztinstanzlich tätig geworden ist. Im Übrigen ist die Unionsbürgerrichtlinie bereits aus intertemporalen Gründen auf die streitgegenständliche Ausweisung nicht anzuwenden (s.o.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Beschluss:
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 EUR festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
IAAAD-31186