BGH Beschluss v. - 5 StR 363/09

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SächsVerf Art. 16 Abs. 1; EMRK Art. 5 Abs. 3; EMRK Art. 5 Abs. 5; EMRK Art. 34; StGB § 51 Abs. 1

Instanzenzug: LG Dresden, vom

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Es hat ferner in Spanien erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis von 1:2 angerechnet. Die Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1.

Der geständige Angeklagte vermittelte vom bis gegen Belohnung den Verkauf von Haschisch und Kokain in Berlin und Frankfurt/Main, das - außer im Fall II.4 - letztlich nach Dresden gelangte. Das Landgericht hat die Strafen jeweils dem Regelstrafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG entnommen und diese im Wesentlichen nach Art und Menge der gehandelten Betäubungsmittel bestimmt (UA S. 28 f.).

2.

Die Bemessung der Strafen hält in den Fällen II.5 bis 7 der Urteilsgründe der eingeschränkten sachlichrechtlichen Prüfung (vgl. BGHSt 3, 179 ; 24, 268) nicht stand.

a)

Der vom Landgericht in diesen Fällen verwendete Maßstab widerspricht zum Nachteil des Angeklagten demjenigen, den das Landgericht in den Fällen II.1 bis 4 der Urteilsgründe herangezogen hat (vgl. BGH StraFO 2009, 163).

Das Landgericht hat im Fall II.1 für 100 g Kokain ausgezeichneter Qualität auf zwei Jahre Freiheitsstrafe und im Fall II.2 bei 290 g - indes sichergestellten - Kokains hervorragender Qualität auf die Einsatzstrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe erkannt. In den Haschisch betreffenden Fällen II.3 (2,3 kg) und II.4 (9,8 kg) hat es Freiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten sowie zwei Jahren und sechs Monaten festgesetzt. Von dem hieraus zu erkennenden Maßstab ist das Landgericht in den Fällen II.5 bis 7 ohne Begründung zum Nachteil des Angeklagten abgewichen. Es hat im Fall II.5 bei bloßen 20 g Kokain, wenn auch guter Qualität, und 1 kg Haschisch genauso auf zwei Jahre Freiheitsstrafe erkannt wie im Fall II.6, in dem zwar 100 g Kokain bestellt, aber nur 50 g durchschnittlicher Qualität übergeben worden waren. Im Fall II.7 hat das Landgericht schließlich für 100 g Kokain unterdurchschnittlicher Qualität sogar auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten erkannt. Für einen etwa gesteigerten Grad krimineller Energie in diesen Fällen fehlt jeder Hinweis.

b)

Die Strafen sind demnach in den Fällen II.5 bis 7 aufzuheben und neu zu bestimmen. Damit kann auch die Gesamtfreiheitsstrafe nicht bestehen bleiben. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei dem hier vorliegenden bloßen Wertungsfehler nicht. Das neu berufene Tatgericht wird die Strafen auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen zu bestimmen haben, die um solche ergänzt werden dürfen, die zu den getroffenen Feststellungen nicht in Widerspruch treten.

3.

Nach Festsetzung einer neuen Gesamtstrafe wird das neue Tatgericht den berechtigten Einwand der Revision zu beachten haben, die rügt, das Landgericht habe es unterlassen, rechtsstaatswidrig erlittene Untersuchungshaft zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen.

a)

Der Angeklagte befand sich seit seiner Festnahme am bis zur Aufhebung der die Haft anordnenden Entscheidungen durch Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden am ohne Unterbrechung in Haft; der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hat durch Beschluss vom entschieden, dass der Haftfortdauerbeschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom den Angeklagten in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 16 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf verletzt hatte. Dem lag zugrunde, dass das am beim Landgericht anhängig gemachte Verfahren wegen Überlastung des zuständigen Spruchkörpers erst durch eine ab Beginn des Jahres 2009 amtierende zusätzliche Strafkammer am eröffnet und am verhandelt werden konnte. Das Landgericht hat hierin eine Verletzung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK gesehen (vgl. EGMR StV 2006, 474, 477) , das Erfordernis einer Kompensation nach den Maßstäben von BGHSt (GS) 52, 124 im Hinblick auf die Anrechnung der Untersuchungshaft gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB und den sich aus Art. 5 Abs. 5 MRK ergebenden Schadensersatzanspruch indes verneint.

b)

Zwar stellt die Rechtsansicht des Landgerichts, die Kombination aus einer Anrechnung der konventionswidrigen Untersuchungshaft auf die Strafe und der möglichen Verfolgung des vor Zivilgerichten geltend zu machenden unmittelbaren Schadensersatzanspruches aus Art. 5 Abs. 5 MRK (vgl. BGHZ 45, 30, 34 ; 46),der auch einen Schmerzensgeldanspruch erfassen kann (vgl. BGHZ 122, 268), sei geeignet, die Opfereigenschaft des Angeklagten im Sinne des Art. 34 MRK entfallen zu lassen, eine im Ansatz taugliche Lösung dar (vgl. BGHSt [GS] 52, 124, 137, 139 f.; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. MRK Art. 5 Rdn. 136; Schätzler/Kunz, StrEG 3. Aufl. Einleitung Rdn. 75). Indes ist bei der Auslegung der Gewährleistungen der MRK auch das Verständnis zu berücksichtigen, das sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gefunden haben (BGHSt aaO S. 136).

c)

Hiernach sind die - gegen Deutschland ergangenen - Urteile des EGMR vom (NJW 2005, 3125 ) und (StV 2006, 474) heranzuziehen. Sie gebieten es, eine Verletzung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK neben einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 MRK - wie es das Landgericht im Ansatz getan hat - gesondert zu erwägen (EGMR NJW 2005, 3125, 3126 f. ; StV 2006, 474, 476 bis 478; vgl. auch BGHSt [GS] 52, 124, 143; BGH StV 2008, 633, 634; Schädler in KK 6. Aufl. MRK Art. 5 Rdn. 22); ferner ist in den Fällen noch möglicher Anrechnung konventionswidriger Untersuchungshaft der in der Sache postulierte Vorrang der Naturalrestitution vor einer Verweisung eines Betroffenen auf den Schadensersatzanspruch des Art. 5 Abs. 5 MRK zu beachten (EGMR StV 2006, 474, 478) . Die Verletzung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK ist demnach - wie bei einer solchen des Art. 6 Abs. 1 MRK - "durch eindeutige und messbare Minderung der Strafe" (EGMR aaO m.w.N.) über die zwingende Anrechnung nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB hinaus (vgl. EGMR aaO und NJW 2005, 3125, 3128 ; BGHSt aaO S. 143; Pauly StV 2006, 480, 481) wiedergutzumachen. Dies hat nach den offensichtlich auch hierfür maßgeblichen Erwägungen von BGHSt (GS) 52, 124, 143 entsprechend der dort vorgegebenen Vollstreckungslösung zu erfolgen. Einer von der Revision angeregten analogen Anwendung der Vorschrift des § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB bedarf es nicht.

Bei minder schweren Verstößen kommt freilich vor dem Hintergrund vollständiger Anrechnung des lediglich zur Unzeit erlittenen Freiheitsentzuges die bloße Feststellung des Konventionsverstoßes als ausreichende Kompensation in Betracht (vgl. EGMR NJW 2005, 3125, 3128 ; BGHSt [GS] 52, 124, 146; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. MRK Art. 5 Rdn. 136 m.w.N.). Ob dies der Fall ist, wird von der Dauer der rechtsstaatswidrig erlittenen Untersuchungshaft und ihrer Wirkung auf den später Verurteilten abhängen. Bei etwaiger weitergehender gegen Art. 6 Abs. 1 MRK verstoßender Verfahrensverzögerung wird eine einheitliche Kompensation auszusprechen sein (vgl. auch , Rdn. 49).

d)

Das neu berufene Tatgericht wird demnach den Umfang der gegen Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK verstoßenden Untersuchungshaft zu bestimmen und zu entscheiden haben, ob eine ausdrückliche Feststellung des Konventionsverstoßes als Kompensation genügt. Widrigenfalls wird nach den Maßstäben von BGHSt (GS) 52, 124, 146 f. ein Teil der neu zu bildenden Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt zu erklären sein.

Fundstelle(n):
XAAAD-30922

1Nachschlagewerk: nein