BGH Beschluss v. - 1 StR 206/09

Leitsatz

[1] Die Einhaltung der für Ausfuhrlieferungen im Sinne von § 6 UStG vorgesehenen Nachweispflichten (§§ 8 ff. UStDV) ist keine materiellrechtliche Voraussetzung der Umsatzsteuerbefreiung (Aufgabe von BGHSt 31, 248 ).

Gesetze: UStG § 6; UStDV § 8; UStDV § 17a; StGB § 283 Abs. 6; StGB § 283b Abs. 3

Instanzenzug: LG Mannheim, vom

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten G. C. wegen Steuerhinterziehung in 33 Fällen, vorsätzlicher Verletzung der Buchführungspflicht in 14 Fällen und vorsätzlicher falscher Versicherung an Eides Statt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und die Angeklagte I. C. wegen Steuerhinterziehung in 33 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die Vollstreckung der gegen die Angeklagte I. C. verhängten Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Die Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügen, haben den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

1.

Das Landgericht hat die Angeklagten in den Fällen II.C. 15 bis 29 der Urteilsgründe wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer verurteilt, da in diesen Fällen innergemeinschaftliche Lieferungen bzw. Ausfuhrlieferungen zwar vereinbart und durchgeführt wurden, diese Lieferungen jedoch wegen Verschleierungshandlungen nicht eindeutig und leicht nachprüfbar gewesen seien. Die Voraussetzungen der Steuerbefreiung hätten daher gefehlt.

Aufgrund des fehlenden materiellrechtlichen Charakters der Nachweispflichten sind indes sowohl innergemeinschaftliche Lieferungen (vgl. insoweit BFHE 219, 422 und 469, siehe auch BGHSt 53, 45) als auch Ausfuhrlieferungen im Sinne von § 6 UStG (vgl. insoweit BFH DStR 2009, 1636) trotz Nichterfüllung der Nachweispflichten grundsätzlich steuerfrei, wenn aufgrund der objektiven Beweislage feststeht, dass die Voraussetzungen von Ausfuhrlieferungen vorliegen. Danach kann eine Verurteilung wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer nicht allein darauf gestützt werden, dass der Unternehmer den ihm obliegenden Nachweispflichten nach §§ 8 ff. UStDV bzw. §§ 17a ff. UStDV nicht entsprochen hat (vgl. hinsichtlich §§ 17a ff. UStDV bereits BGHSt 53, 45).

Soweit in der bisherigen Rechtsprechung im Anschluss an die damalige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFHE 130, 118; BFH/NV 1996, 184; BFH BStBl II 1995, 515; BFH/NV 2001, 212) bei Ausfuhrlieferungen im Sinne von § 6 UStG auch in steuerstrafrechtlicher Hinsicht von anderen Grundsätzen ausgegangen wurde (BGHSt 31, 248 , BGH wistra 1989, 190), hält der Senat in Übereinstimmung mit der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs daran nicht mehr fest.

Auch die Tatsache, dass die Zwischenschaltung der ausländischen Domizilgesellschaft einen Gestaltungsmissbrauch darstellte und allein erfolgte, um inländische Ertragsteuern zu hinterziehen, führt nicht dazu, dass die Umsatzsteuerbefreiung zu versagen ist.

Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift insoweit ausgeführt:

"Ein Ausschluss der Steuerbefreiung in diesen Konstellationen wäre bereits mit den Vorgaben der zur Tatzeit geltenden 6. Richtlinie (und nachfolgend der Mehrwertsteuersystemrichtlinie) nicht vereinbar. Die Berücksichtigung umsatzsteuerrechtlicher Begünstigungstatbestände ist nämlich nur dann ausgeschlossen, wenn 'die fraglichen Umsätze trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der ... Richtlinie und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung den mit diesen Bestimmungen verfolgten Zielen zuwiderliefe' (, Halifax; vgl. auch Senat Urteil vom - 1 StR 342/08). Dies ist nicht der Fall, wenn allein die Hinterziehung von Ertragsteuern beabsichtigt ist, Veräußerer oder Erwerber also nicht (zumindest auch) Vorteile hinsichtlich einer Umsatzbesteuerung erzielten, erzielen wollten oder auch nur hätten erzielen können und damit jegliche Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens ausgeschlossen war (vgl. , Kittel). Die Mehrwertsteuerrichtlinien und das zu ihrer Umsetzung erlassene nationale Recht dienen ausschließlich der Erhebung der Umsatzsteuer und der Verhinderung ihrer Hinterziehung. Den Schutz nationaler Ertragsteuern bezwecken sie dagegen nicht. Daher ist eine sich lediglich auf die Nachweispflichten auswirkende Verschleierung für sich genommen umsatzsteuerrechtlich ohne Relevanz (, Collée; Senat Beschluss vom - 1 StR 354/08 Rn. 13: 'Anderes gilt, wenn die Verschleierungsmaßnahme anderen Zwecken dient.')".

Dem schließt sich der Senat an.

2.

In den Fällen II.C. 15 bis 29 ist die Verurteilung daher aufzuheben. Diese Taten haben allein die Hinterziehung von Umsatzsteuer im Zusammenhang mit Ausfuhrlieferungen zum Gegenstand. Der Wegfall der Verurteilung wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer führt vorliegend nicht zur Aufhebung der in diesem Zusammenhang getroffenen Feststellungen, da diese auch für die Verurteilung wegen Hinterziehung von Ertragssteuern von Bedeutung sind.

Die Voraussetzungen für eine eigene Sachentscheidung des Senats nach § 354 Abs. 1 StPO sind nicht gegeben. Zwar ist eher fern liegend, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die zum Ausschluss der Umsatzsteuerbefreiung führen könnten. Indes kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Umsatzsteuervoranmeldungen im Tatzeitraum, die die Angeklagten für die von ihnen geführte Gesellschaft abgaben, aus anderen Gründen unrichtig waren.

3.

Soweit sich der aufgezeigte Rechtsfehler auch auf die Taten II.C. 12 und 14 auswirkt, bleibt der Schuldspruch davon unberührt. Denn die Umsatzsteuerjahreserklärungen der Jahre 2000 und 2001, die diese Taten zum Gegenstand haben, waren auch deshalb unrichtig, weil dort unberechtigt Vorsteuerabzug für privat veranlassten Aufwand der Angeklagten geltend gemacht wurde. Insoweit sind lediglich die Einzelstrafaussprüche aufzuheben, da der Schuldumfang unzutreffend bestimmt wurde.

II.

Hinsichtlich der Fälle II.C. 1 und 2, 7 und 8, 11 und 12 sowie 13 und 14 ist der Schuldspruch zu ändern. Die Strafkammer hat insoweit jeweils tatmehrheitliche Begehung zwischen der Hinterziehung von Körperschaft- und Gewerbesteuer sowie Solidaritätszuschlag einerseits und der Hinterziehung von Umsatzsteuer andererseits angenommen. Nach den Feststellungen wurden indes sämtliche Erklärungen, die den identischen Veranlagungszeitraum betrafen, jeweils am selben Tag und daher im Zweifel gleichzeitig beim Finanzamt eingereicht. Die jeweiligen Erklärungen waren zudem teilweise inhaltsgleich. Dies führt hinsichtlich der Fälle II.C. 1 und 2 (Veranlagungszeitraum 1997 betreffend die M. P. GmbH), II.C. 7 und 8 (Veranlagungszeitraum 1997 betreffend die M. V. GmbH & Co. KG), II.C. 11 und 12 (Veranlagungszeitraum 2000 betreffend die M. V. GmbH & Co. KG) sowie II.C. 13 und 14 (Veranlagungszeitraum 2001 betreffend die M. V. GmbH & Co. KG) jeweils zur Tateinheit (vgl. BGH wistra 2005, 56 m.w.N.).

III.

In den verbleibenden Fällen der Steuerhinterziehung tragen die Feststellungen zwar den Schuldspruch. Die Feststellungen, aus denen sich der Umfang der verkürzten Steuern ergibt, sind indes lückenhaft. Die Besteuerungsgrundlagen werden nur unvollständig mitgeteilt. Dem Senat ist daher nicht möglich, auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen sicher auszuschließen, dass die Steuerberechnung die Angeklagten in Bezug auf den Schuldumfang beschwert. Das Urteil beruht somit auch auf den Darstellungsmängeln (vgl. Senat , Urt. vom - 1 StR 718/08).

IV.

Die Aufhebung der Verurteilung in den Fällen II.C. 15 bis 29 der Urteilsgründe, die Änderung der Konkurrenzverhältnisse sowie die den Schuldumfang betreffenden Darlegungsmängel bedingen die Aufhebung sämtlicher Einzelstrafen, die die Strafkammer hinsichtlich der jeweils 14 Fälle der Steuerhinterziehung verhängt hat. Dies führt auch zur Aufhebung der Gesamtstrafe. Bei der Neufestsetzung der entfallenen Einzelstrafen wird zu berücksichtigen sein, dass der Schuldspruch geändert wurde (vgl. oben II.). Insoweit darf die Höhe der bisherigen Einzelstrafen überschritten werden. Das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) steht dem nicht entgegen. Es ist bei dieser Sachlage lediglich geboten, dass jeweils die Summe der bisherigen Einzelstrafen bei der Bemessung der neu festzusetzenden Einzelstrafe nicht überschritten wird (vgl. BGH wistra 2008, 217; BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 12).

V.

Soweit der Angeklagte G. C. in den Fällen II.E. 1 bis 14 der Urteilsgründe wegen vorsätzlicher Verletzung der Buchführungspflicht verurteilt wurde, tragen die getroffenen Feststellungen die Verurteilung. Insbesondere bedurfte es keiner weitergehenden Ausführungen zu einem tatsächlichen Zusammenhang zwischen den Pflichtverletzungen und der eingetretenen objektiven Bedingung der Strafbarkeit im Sinne von § 283b Abs. 3, § 283 Abs. 6 StGB. Denn der nach der bisherigen Rechtsprechung erforderliche tatsächliche Zusammenhang (vgl. BGHSt 28, 231; BGH wistra 2007, 463 m.w.N.) ist in der Regel gegeben.

Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift insoweit ausgeführt:

"Er (Anm.: der tatsächliche Zusammenhang) fehlt nur in ganz wenigen, atypischen Fallkonstellationen. Einer ausdrücklichen Erörterung dieses Gesichtspunktes bedarf es daher grundsätzlich nicht. Ausführungen dazu sind nur veranlasst, wenn greifbare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass durch die Pflichtverletzung ausnahmsweise keine Gefahr begründet oder gesteigert werden konnte."

Der Senat schließt sich dem an und kann daher offenlassen, ob daran festzuhalten ist, dass es auch im Rahmen des § 283b StGB eines tatsächlichen Zusammenhangs zwischen der Pflichtverletzungen und der eingetretenen objektiven Bedingung der Strafbarkeit bedarf, wogegen beachtenswerte Argumente sprechen (vgl. Bittmann Insolvenzstrafrecht § 13 Rdn. 7; Schäfer wistra 1990, 81, 86 ff.).

Fundstelle(n):
BB 2009 S. 2283 Nr. 43
BFH/NV 2009 S. 2125 Nr. 12
HFR 2010 S. 79 Nr. 1
NJW 2009 S. 3383 Nr. 46
NWB-Eilnachricht Nr. 42/2009 S. 3244
wistra 2009 S. 475 Nr. 12
XAAAD-29552

1Nachschlagewerk: ja; BGHR: ja