BFH Beschluss v. - VI R 24/07

Anforderung an die Einzelanweisung eines Prozessbevollmächtigten zur Fristenerfassung bei Wiedereinsetzung

Gesetze: FGO § 56 Abs. 1, FGO § 116, FGO § 120 Abs. 2

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Streitig ist, ob die Differenz zwischen Ausgabekurs und Einlösungskurs einer vom Arbeitgeber des Steuerpflichtigen ausgegebenen Beteiligung (sog. „EVA-Anteile”) als steuerpflichtiger Lohn zu erfassen ist.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), Eheleute, wurden für das Streitjahr (2001) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Die bestandskräftige Einkommensteuerfestsetzung der Kläger änderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) mit Einkommensteuerbescheid vom gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung nach einer beim Arbeitgeber des Klägers (GmbH) durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung. Nach deren unstreitigen Feststellungen hatte der Kläger im Jahre 1998 sog. „EVA-Anteile” für umgerechnet . € erworben und im Streitjahr zu einem Kurs von . € zurückgegeben.

Das FA behandelte den aus Erwerbspreis und Rückgabewert ermittelten Differenzbetrag als steuerpflichtigen Arbeitslohn.

Die Kläger wandten sich im Ergebnis erfolglos mit Einspruch und Klage gegen die einkommensteuerliche Erfassung des Differenzbetrages als Lohn.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1510 veröffentlichten Gründen ab und ließ die Revision nicht zu.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger ließ der Senat mit Beschluss vom die Revision zu. Dieser Beschluss wurde der Prozessbevollmächtigten der Kläger am zugestellt.

Die Begründung der Revision ging am ein. Gleichzeitig beantragten die Kläger für die versäumte Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO), weil weder die Kläger noch deren Prozessbevollmächtigte ein Verschulden an der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist treffe. Die Versäumung beruhe auf einem entschuldbaren Büroversehen. Grundsätzlich werde zur Fristerfassung die Eingangspost von geschulten Sekretärinnen gesichtet. Gesetzliche Fristen würden sie in ein Fristenkontrollbuch und in den elektronischen Kalender des jeweiligen Sachbearbeiters eintragen, ebenso eine einwöchige Vorfrist. Der Fristablauf werde anschließend mit Fristenkontrollstempel auf dem Eingangsdokument selbst erfasst, dem mandatsverantwortlichen Berufsträger vorgelegt, der die Frist zu prüfen und gegenzuzeichnen habe. Gemäß den eingetragenen Vorfristen erfolgte eine automatische Wiedervorlage der Akten an den zuständigen Sachbearbeiter.

Der für das Revisionsverfahren zuständige Rechtsanwalt habe im Streitfall angesichts der Bedeutung des Verfahrens als Musterverfahren neben dem schon anhängigen Revisionsverfahren VI R 69/06 seinem Sekretariat die Anweisung erteilt, Eingangspost zu diesem Verfahren zunächst ihm vorzulegen, damit er eigenhändig die Fristberechnung vornehmen könne. Dies sei auch mit dem Beschluss über die Revisionszulassung geschehen. Der Rechtsanwalt habe den Fristablauf richtigerweise auf den datiert. Er habe die Sekretärin (Frau X) mündlich angewiesen, diese Frist nebst Vorfrist im Fristenkontrollbuch einzutragen. Weiterhin sei ihm erinnerlich, dass er gleichzeitig darum gebeten habe, eine zusätzliche Monatsfrist einzutragen, da möglicherweise angesichts der bevorstehenden Urlaubszeit eine Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist beantragt werden sollte. Frau X habe jedoch statt der einmonatigen Frist die bis zum eingetragen und als Vorfrist den vermerkt. Nicht nachvollziehbar sei, warum Frau X die mündliche Anweisung zur Fristerfassung nicht beachtet habe. Es habe sich offensichtlich um ein Missverständnis gehandelt. Die Anweisung sei falsch verstanden worden. Frau X sei eine sehr erfahrene, sorgfältige und zuverlässige Mitarbeiterin, die bei Beurteilungen der im Steuerbüro beschäftigten Sekretärinnen stets in den oberen Rängen einzuordnen gewesen sei. In vergleichbaren Fällen, in denen konkrete Einzelanweisungen erteilt worden seien, habe der Bundesfinanzhof (BFH) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Einzelanweisung des Rechtsanwalts sei klar und unmissverständlich gewesen. Der Umstand, dass Frau X subjektiv einem Fehlverständnis erlegen sei, sei zwar unstreitig. Daraus könne jedoch nicht geschlossen werden, dass die Anweisung selbst objektiv missverständlich gewesen sei. Das Missverständnis von Frau X sei nicht mit der Missverständlichkeit der Anweisung gleichzustellen. Eine nochmalige Rückversicherung oder Überprüfung des Eintrags in das Fristenkontrollbuch durch den Rechtsanwalt sei nicht erforderlich gewesen. Frau X habe bisher stets unter Beweis gestellt, dass sie über entsprechende Kompetenz in solchen Angelegenheiten verfüge.

Der Rechtsanwalt legt zur Glaubhaftmachung des vorgetragenen Sachverhalts eidesstattliche Versicherungen von ihm sowie von Frau X vor.

Die Kläger beantragen,

das sowie den Bescheid des FA vom über Einkommensteuer 2001 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unzulässig. Sie ist daher zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO). Die Kläger haben es versäumt, die Revision innerhalb der nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO zu beachtenden Frist zu begründen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen unverschuldeter Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kommt im Streitfall nicht in Betracht.

1. Die Frist zur Begründung der Revision ist versäumt worden. Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO beträgt die Frist zur Begründung einer Revision, die aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde vom BFH zugelassen worden ist, einen Monat. Der Fristlauf beginnt nach § 116 Abs. 7 Satz 2 FGO mit der Zustellung der Entscheidung über die Zulassung.

Nachdem der Revisionszulassungsbeschluss vom den Klägern am zugestellt worden war, lief die Frist zur Begründung ihrer Revision über den hinaus, einem Samstag, bis zum , einem Montag; die am eingegangene Begründung wahrte die Begründungsfrist nicht.

2. Den Klägern ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

a) Nach § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dabei müssen sich die Verfahrensbeteiligten ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten nach § 85 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 FGO zurechnen lassen.

b) Die Kläger waren nicht unverschuldet verhindert, die Frist zur Begründung der Revision einzuhalten. Denn es ist nicht auszuschließen, dass durch ein Verschulden des prozessbevollmächtigten Rechtsanwalts der Kläger die Frist zur Begründung der Revision falsch notiert worden war. In diesem Fall kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden (vgl. , BFH/NV 1999, 73; Beschlüsse des Bundesgerichtshofs —BGH— vom I ZB 15/95, Versicherungsrecht 1996, 256; vom I ZB 12/91, Neue Juristische Wochenschrift 1992, 574).

Grundsätzlich kann ein Prozessbevollmächtigter darauf vertrauen, dass eine bisher zuverlässige Büroangestellte konkreten Einzelanweisungen Folge leistet (vgl. BGH-Beschlüsse vom XII ZB 190/07, Familie und Recht 2008, 344; vom VI ZB 10/04, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2004, 1711; , BFHE 205, 9, BStBl II 2004, 564; jeweils m.w.N.). Diese Einzelanweisung muss allerdings auch klar, präzise und unmissverständlich sein. Weicht der Prozessbevollmächtigte vom üblichen Procedere der Fristensicherung und Fristenerfassung ab, indem er eine Frist nur mündlich verfügt, muss er dafür Sorge tragen, dass diese Einzelanweisung einen für den betreffenden Empfänger in jeder Hinsicht unmissverständlichen Wortlaut hat.

Im Streitfall ist indessen nicht dargetan, dass der bevollmächtigte Rechtsanwalt eine solche hinreichend präzise Einzelanweisung erteilte. Weder aus dem Wiedereinsetzungsantrag noch aus den dazu eingereichten eidesstattlichen Versicherungen des Rechtsanwalts und der Bürokraft lässt sich hinreichend sicher entnehmen, dass der Rechtsanwalt die Einzelanweisung aus Empfängersicht wirklich unmissverständlich erteilte und der Fehler des Missverstehens tatsächlich bei der Bürokraft liegt. Denn der Rechtsanwalt hatte jeweils mündlich nicht nur die Eintragung der einmonatigen Frist, sondern gleichzeitig auch die einer weiteren Frist von einem Monat zwecks Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist verfügt. Angesichts dessen liegt es nahe, dass der Rechtsanwalt selbst die Ursache dafür gesetzt hat, dass es auf Seiten der angewiesenen Bürokraft zu dem (Miss-)Verständnis kommen konnte. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Prozessrecht —wie in § 120 Abs. 2 Satz 1 erster und zweiter Halbsatz FGO der Fall— sowohl eine einmonatige als auch eine zweimonatige Frist zur Begründung der Revision kennt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BAAAD-27371