BFH Beschluss v. - III B 30/08

Verfassungsmäßigkeit des Familienleistungsausgleichs

Gesetze: EStG § 31, EStG § 32, GG Art. 3

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurde in den Streitjahren 1997 bis 2000 mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Er ist Beamter und hat vier Kinder. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte bei der Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer für die Streitjahre keine Kinderfreibeträge, da die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums der Kinder bereits durch ausgezahltes Kindergeld bewirkt worden sei.

Das Finanzgericht (FG) wies die vom Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, mit der er die Herabsetzung der Einkommensteuer auf jeweils 0 DM beantragte, ab.

Mit seiner hiergegen gerichteten Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Der Familienleistungsausgleich sei verfassungswidrig. Er genüge nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Unzureichend berücksichtigt würden insbesondere die Belastung der Mehrkinderfamilien mit indirekten Steuern, die Verpflichtung zu einem angemessenen Unterhalt sowie die hohen Vorsorgeaufwendungen.

Die Belastung mit indirekten Steuern sei bei der Ermittlung des Existenzminimums nicht ausreichend berücksichtigt; die Beschlüsse des (BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174) und 2 BvR 1057/91 u.a. (BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182) enthielten zum Anteil der indirekten Steuern im Existenzminimum keine Aussagen. Der (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2000, 44) differenziere nicht hinreichend zwischen indirekter Steuer und Umsatzsteuer und insbesondere nicht nach der Anzahl der Kinder.

Mit Urteil vom 2 BvL 7/00 (BVerfGE 112, 268, BFH/NV 2005, Beilage 4, 356) habe das BVerfG ferner ausgeführt, dass die Mittel für den unerlässlich notwendigen Unterhalt von Kindern nicht ohne Weiteres zur Disposition des Gesetzgebers stünden. Diese Mittel seien —so der Kläger— nicht gleichzusetzen mit dem Existenzminimum des Kindes, sondern mindestens mit dem durchschnittlichen Konsumverbrauch nach EVS Statistisches Bundesamt. Das Steuerrecht müsse daher diesen geschuldeten angemessenen Unterhalt für Kinder und den versorgungspflichtigen Ehepartner berücksichtigen; dieser sei gerade bei höheren zu versteuernden Einkommen nicht gleichzusetzen mit dem Existenzminimum.

Verfassungswidrig sei, wie das (BVerfGE 120, 125, BFH/NV 2008, Beilage 3, 228) bestätigt habe, auch die unzureichende Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen insbesondere bei Mehrkinderfamilien.

Auch wenn das BVerfG in seinem Beschluss in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182 für den Haushaltsfreibetrag bis Ende 1999 eine befristete Weitergeltungsanordnung vorsehe, gelte der Gleichheitssatz der horizontalen Besteuerung für die Streitjahre uneingeschränkt. Werde, wie hier, der Nachweis eines frei verfügbaren Einkommens unterhalb des Existenzminimums geführt, dürfe die Weitergeltungsanordnung für noch offene Veranlagungszeiträume nicht angewendet werden.

In seiner Vergleichsberechnung habe er die Vorgaben des BVerfG berücksichtigt, d.h. einen angemessenen Unterhaltsbedarf, den er entsprechend den Ausführungen des BVerfG in dessen Beschluss vom 2 BvL 1/86 (BVerfGE 81, 363) mit 15 % über dem Existenzminimum angesetzt habe, den Betreuungs- und Erziehungsaufwand, einen kompensierenden Faktor von 20 % über dem Existenzminimum für die Belastung mit indirekten Steuern, sowie Vorsorgeaufwendungen in tatsächlich entstandener Höhe. Danach stehe einem Single jedes Jahr ein Betrag zwischen 21 000 und 31 000 € mehr zur freien Verfügung, während die Mehrkinderfamilie durchgehend unter dem notwendigen sozialhilferechtlichen Existenzminimum liege und von der Substanz leben müsse.

Das BVerfG habe freigestellt, mit einer Berechnung nachzuweisen, dass das Existenzminimum nicht ausreichend sei; diesen Nachweis habe er durch seine Vergleichsberechnung erbracht.

II. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO).

Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO kommt nur in Betracht, wenn es sich um eine klärungsbedürftige Rechtsfrage handelt. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich geklärt oder aus anderen Gründen eindeutig ist und der Beteiligte für seine widersprechende Auffassung keine neuen Argumente vorbringt (z.B. Senatsbeschluss vom III B 179/04, BFH/NV 2006, 1646).

b) Geklärt ist ferner, dass die indirekte Besteuerung Familien, die wegen ihres höheren Bedarfs mehr indirekt besteuerte Güter und Leistungen erwerben müssen, mehr belastet als Kinderlose, dass diese Belastung aber im Binnensystem der indirekten Steuern unvermeidlich und gesetzessystematisch folgerichtig ist, allerdings eine diesen Belastungsfaktor kompensierende Entlastung bei der direkten Besteuerung, d.h. bei der Einkommensteuer zur Folge haben muss und der Steuergesetzgeber deshalb stets darauf zu achten hat, dass eine Erhöhung indirekter Steuern und Abgaben den Lebensbedarf vermehrt und die existenzsichernden Abzüge diesem erhöhten Bedarf anzupassen sind. Da das sozialhilferechtlich definierte Existenzminimum, das die untere Grenze des einkommensteuerlichen Existenzminimums bildet, verbrauchsbezogen ermittelt wird, berücksichtigt es den existenznotwendigen Mindestbedarf, der auch die in die Verbraucherpreise eingegangene Umsatzsteuer umfasst (vgl. Beschlüsse des BVerfG in HFR 2000, 44, und vom 1 BvR 2129/07, BFH/NV 2008, Beilage 2, 166). Dass danach das Existenzminimum in den Streitjahren verfassungsrechtlich unzureichend berücksichtigt worden ist, hat der Kläger nicht schlüssig dargelegt.

c) Es ist ferner geklärt, dass der Kläger die Nichtberücksichtigung der Minderung seiner Leistungsfähigkeit durch Aufwendungen für den Erziehungsbedarf in allen Streitjahren und durch Aufwendungen für den Betreuungsbedarf in den Streitjahren 1997 bis 1999 hinzunehmen hat, weil nach den auch den BFH nach § 31 Abs. 1 des Gesetzes des Bundesverfassungsgerichts bindenden Vorgaben des BVerfG die für verfassungswidrig erklärten Vorschriften insoweit bis zum Inkrafttreten der jeweiligen Neuregelungen weiter anwendbar bleiben (z.B. Senatsbeschluss in BFH/NV 2006, 1646).

d) Die Frage, ob eine Mehrkinderfamilie gegenüber einem Single hinsichtlich der Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen in nicht gerechtfertigter Weise ungleich behandelt wird, ist im Streitfall schon nicht klärbar. Das FG hat sein Urteil insoweit damit begründet, dass dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis fehle, da die angegriffenen Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre hinsichtlich der beschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen nach § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung vorläufig ergangen seien. Diese Auffassung des FG hat der Kläger nicht mit zulässigen Rügen angegriffen.

Abgesehen davon hat das BVerfG mit Beschluss in BVerfGE 120, 125 zwar entschieden, dass die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 10 Abs. 3 EStG u.a. in der für die im vorliegenden Fall streitigen Jahre 1997 bis 2000 mit Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar ist, soweit die Beiträge zu einer privaten Krankheitskostenversicherung (Vollversicherung) und einer privaten Pflegepflichtversicherung, die dem Umfang nach erforderlich sind, um dem Steuerpflichtigen und seiner Familie eine sozialhilfegleiche Kranken- und Pflegeversorgung zu gewährleisten, nicht ausreichend erfasst werden. Es hat aber zugleich eine Fortgeltung der angegriffenen Vorschriften bis zum angeordnet. In der Rechtsprechung des BFH ist bereits geklärt, dass diese Fortgeltung auch von den Gerichten zu beachten ist (z.B. BFH-Beschlüsse vom X R 20/04, BFH/NV 2009, 382, und vom X B 179/08, BFH/NV 2009, 573).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1637 Nr. 10
RAAAD-27357