BSG Beschluss v. - B 8 SO 36/08 B

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SGG § 160 Abs 2 Nr 3

Instanzenzug: LSG Berlin-Brandenburg, L 15 SO 295/07 vom SG Berlin, S 47 SO 2244/07

Gründe

I

Im Streit sind höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII), insbesondere wegen kostenaufwendiger Ernährung.

Die gegen den Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin abgewiesen (Gerichtsbescheid vom , zugestellt am ). Der Kläger hat am Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, sein Prozessbevollmächtigter habe ihn mit Schreiben vom auf den Fristbeginn und die dabei zu beachtende Fristdauer hingewiesen. Dieses Schreiben habe er nicht erhalten, so dass er keine Kenntnis über den Fristablauf gehabt habe. Mit weiterem Schreiben vom , das er am erhalten habe, sei er gefragt worden, ob er Berufung einzulegen beabsichtige. In diesem Schreiben sei nicht erneut auf die einzuhaltende Frist hingewiesen worden, weil sein Prozessbevollmächtigter davon ausgegangen sei, dass das Schreiben vom ihn tatsächlich erreicht habe. Noch am habe er seinem Prozessbevollmächtigten, den er telefonisch nicht persönlich erreicht habe, einen Auftrag zur Einlegung der Berufung auf der T-Box hinterlassen. Über die hinterlassene Nachricht sei sein Prozessbevollmächtigter nicht - wie bislang stets - benachrichtigt worden. Erst im Rahmen eines Telefonats am habe dieser davon erfahren.

Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat die Berufung als unzulässig verworfen (Beschluss vom ). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die einmonatige Berufungsfrist sei zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung auf Grund des Verschuldens des Klägers nicht eingehalten worden. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist lägen nicht vor. Der Kläger hätte aus dem am erhaltenen Schreiben, in dem unter Verwendung des Superlativs "baldmöglichst" um Rückäußerung bis Mittwoch () gebeten worden sei, und dem dort enthaltenen Hinweis, die Berufungsfrist ende "demnächst", erkennen können, dass die Frist innerhalb allerkürzester Zeit ablaufe. Angesichts der vor Fristablauf erhöhten Sorgfaltspflicht hätte es der Kläger nicht bei der auf der Nachrichtenbox hinterlassenen Auftragserteilung belassen dürfen, sondern sich noch am selben Tag wegen der für ihn erkennbaren außerordentlichen Dringlichkeit um einen persönlichen Kontakt mit seinem Anwalt oder dessen Bediensteten bemühen müssen, um zumindest in Erfahrung zu bringen, ob seine Nachricht zur Kenntnis genommen worden sei.

Mit der Beschwerde rügt der Kläger einen Verfahrensmangel. Das LSG hätte ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligen müssen mit der Folge, dass die gegen den Gerichtsbescheid eingelegte Berufung nicht als unzulässig hätte verworfen werden dürfen.

II

Ob die Beschwerde zulässig ist, kann offen bleiben. Der geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung des LSG beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), liegt jedenfalls nicht vor.

Letztlich bedarf die Frage der Zulässigkeit keiner abschließenden Entscheidung. Denn das LSG hat zu Recht eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist abgelehnt; insoweit wird auf die zutreffenden Gründe der Entscheidung des LSG verwiesen. Der Kläger konnte anhand des Schreibens vom , das ihn noch vor Ablauf der Berufungsfrist erreicht hatte, ohne weiteres erkennen, dass die Berufungsfrist abzulaufen drohte, auch wenn er das genaue Fristende nicht kannte (dazu unten). Er hätte sich deshalb unter Berücksichtigung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht darauf verlassen dürfen, dass seine Nachricht, die er auf dem Anrufbeantworter der Kanzlei hinterlassen hatte, seinen Prozessbevollmächtigten rechtzeitig erreichen würde, sondern hätte sich angesichts der kurz vor Ablauf der Frist erhöhten Sorgfaltspflicht ( B 9a V 46/05 B; Urteil vom - 13 RJ 11/94) bemühen müssen, sich rückzuversichern.

Zudem liegt hinsichtlich der Unkenntnis des Klägers, wann die Berufungsfrist endet, ein Anwaltsverschulden vor, das einem Verschulden des Klägers gleichsteht (§ 73 Abs 4 SGG iVm § 85 Abs 2 Zivilprozessordnung). Die Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts verlangen grundsätzlich, den Mandanten vom Inhalt einer gegen ihn ergangenen Entscheidung sowie über die Möglichkeiten, gegen sie Rechtsbehelfe zu ergreifen und über die dabei einzuhaltenden Fristen zu unterrichten (; Beschluss vom II - ZR 102/86; ). Hierzu gehört es auch, den Ablauf der Berufungsfrist konkret zu berechnen und dem Mandanten das Datum des Fristablaufs, also den letzten Tag der Frist, mitzuteilen, damit dieser erkennen kann, wie viel Zeit ihm bleibt, sich über die Einlegung eines Rechtsbehelfs schlüssig zu werden. In dem Schreiben vom hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nur darauf hingewiesen, dass die Berufungsfrist "demnächst" ende. Der Kläger musste sich im Hinblick hierauf zwar darüber im Klaren sein, dass Eile geboten ist (siehe dazu oben), konnte aber nicht überblicken, ob und welche Überlegungsfrist ihm bleibt.

Soweit nach den Angaben des Prozessbevollmächtigten des Klägers in dem Schreiben vom "ein weiterer Hinweis auf die dabei einzuhaltende Frist" unterblieben ist, weil der Kläger hierüber bereits mit Schreiben vom unterrichtet worden sei, dieses Schreiben den Kläger zwar nicht erreicht habe, er hiervon aber keine Kenntnis haben konnte, übersieht er, dass in diesem Schreiben nur darauf hingewiesen wurde, die Berufung sei "innerhalb eines Monats ab Zustellung" einzulegen. Eine konkrete Fristenberechnung fehlte. Da noch nicht einmal das Zustellungsdatum mitgeteilt wurde, wurde der Kläger auch nicht in die Lage versetzt, das Fristende selbst zu berechnen, was ohnehin nicht seine Aufgabe war. Deshalb wäre der Klägervertreter - gerade wenn er davon ausgehen konnte, dass das Schreiben vom seinen Mandanten erreicht hat - kurz vor Ablauf der Berufungsfrist gehalten gewesen, den zunächst unterlassenen Hinweis auf das genaue Ende der Frist nachzuholen. Ob darüber hinaus ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten auch darin zu sehen ist, dass er die T-Box der Kanzlei nicht täglich abhört, sondern sich darauf verlässt, dass er über eingegangene Anrufe informiert wird, kann hier dahinstehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Fundstelle(n):
OAAAD-26214