Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug
Gesetze: UStG § 14, UStG § 15 Abs. 1, UStG § 16, UStG § 18
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Streitig ist der Vorsteuerabzug der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) im Streitjahr 2003 aus Rechnungen der V-GmbH in Gründung (i.Gr.) und der M-GmbH.
Die Klägerin ist eine GmbH und lieferte und verlegte Baustahl und Baustahlmatten. Während des Revisionsverfahrens wurde sie wegen Vermögenslosigkeit gemäß § 141a des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit von Amts wegen aus dem Handelsregister gelöscht.
Die V-GmbH i.Gr. war durch notariellen Vertrag vom errichtet worden. Einzige Gesellschafterin und Geschäftsführerin war die in den Niederlanden wohnhafte X, später verheiratete Y-X. Der Antrag auf Anmeldung beim Handelsregister wurde durch Beschluss des Amtsgerichts W vom zurückgewiesen. Zur Begründung heißt es, die Handwerkskammer habe ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen können, da die Beteiligten die Vorlage der notwendigen Unterlagen und die Erteilung der erforderlichen Auskünfte verweigert hätten.
Nach dem Vortrag der Klägerin kannte der Geschäftsführer der Klägerin den ebenfalls in den Niederlanden wohnenden Ehemann von Y-X, Y, seit „1994/1995”. In 1996 habe der Geschäftsführer der Klägerin die Gesellschaftsanteile einer ihm gehörenden Gesellschaft an Y veräußert. Nachdem dieses Unternehmen Insolvenz habe anmelden müssen, habe sich Y erneut mit dem Geschäftsführer der Klägerin in Verbindung gesetzt und gefragt, ob er mit einem neu gegründeten Unternehmen für ihn tätig sein könne. Auf diese Weise sei der Geschäftskontakt zur V-GmbH i.Gr. zustande gekommen. Y sei später auch für andere Unternehmen gegenüber der Klägerin tätig geworden.
Bereits im Jahr 2001 stellte die V-GmbH i.Gr. als „V-GmbH” unter der Adresse A der Klägerin Rechnungen für Leistungen aus, die mit „Tagelohn; Lama schneiden; Baustahl 500S; Lima” bezeichnet wurden. Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung versagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) den Vorsteuerabzug aus diesen Rechnungen, da die V-GmbH nicht im Handelsregister eingetragen und somit rechtlich nicht existent sei. Den Einspruch gegen den entsprechenden Bescheid hat die Klägerin zurückgenommen.
In der (berichtigten) Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Monat August 2003 machte die Klägerin den Vorsteuerabzug für die nämlichen Leistungen aus dem Jahr 2001 mit neuen, am ausgestellten Rechnungen geltend. Diese gaben als Leistenden nunmehr die „V-GmbH i.Gr.” unter der Adresse A an. Das FA ließ den Vorsteuerabzug auch aus diesen Rechnungen nicht zu. Den Einspruch gegen den entsprechenden Bescheid hat die Klägerin zurückgenommen.
In der Unmsatzsteuer-Voranmeldung für den Monat Dezember 2003 begehrte die Klägerin erneut den Vorsteuerabzug für die erstmals in den Rechnungen des Jahres 2001 berechneten Leistungen in Höhe von 136 925 €. Sie legte nunmehr Rechnungen der „V-GmbH i.Gr.” vom Dezember 2003 vor, die als Anschrift der Leistenden nunmehr Adresse B angaben.
Im Dezember 2003 hat der Geschäftssitz der V-GmbH i.Gr. unter der in den Rechnungen vom Dezember 2003 angegebenen Adresse B nicht bestanden.
Darüber hinaus machte die Klägerin in der Umsatzsteuer-Voranmeldung für Dezember 2003 den Vorsteuerabzug aus Rechnungen der M-GmbH in Höhe von 15 746 € geltend; als deren Geschäftsadresse war Adresse C und als Geschäftsführer L angegeben. In diesen Rechnungen wurde „Tagelohn” sowie die Lieferung von einer jeweils nach Tonnen bemessenen Menge von „Lagermatten” abgerechnet.
Beamte des FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung H haben laut dem Aktenvermerk vom November 2003 festgestellt, dass die Büroräume an der Adresse C leer standen.
Die Klägerin legte folgende Unterlagen vor:
- Eine Bescheinigung der Bau-Berufsgenossenschaft . vom , wonach der M-GmbH unter der Adresse D bescheinigt worden ist, dass sie sich bei der Berufsgenossenschaft gemeldet hat.
- Die Anzeige der M-GmbH vom bei der Stadt H, dass sie von Adresse D nach Adresse C umgezogen sei.
- Eine „Bescheinigung in Steuersachen” des FA . vom , wonach die M-GmbH unter der Adresse C beim FA geführt ist.
- Eine Freistellungsbescheinigung des FA . vom für die Zeit vom bis ; dieses Schreiben ist an die M-GmbH unter der Adresse D gerichtet; danach ist der Empfänger von Bauleistungen von der Pflicht zum Steuerabzug nach § 48 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) befreit.
Das Finanzgericht (FG) hat als wahr unterstellt, die Klägerin habe im September 2003 vom FA . telefonisch die Auskunft erhalten, dass sich der Sitz der M-GmbH an der Adresse C befinde.
Das FA versagte mit Bescheid vom den in der Vorsteuer-Anmeldung für Dezember 2003 geltend gemachten Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der V-GmbH i.Gr. und der M-GmbH.
Während des Einspruchsverfahrens gegen den Vorauszahlungsbescheid erließ das FA am den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2003 und schätzte dabei die Besteuerungsgrundlagen (§ 162 der Abgabenordnung —AO—). Nach Eingang der Umsatzsteuererklärung änderte das FA mit Bescheid vom die Festsetzung, die streitigen Vorsteuerbeträge blieben weiterhin unberücksichtigt. Das FA behandelte den Steuerbescheid für 2003 als Gegenstand des laufenden Rechtsbehelfsverfahrens gemäß § 365 Abs. 3 AO und wies den Einspruch als unbegründet zurück.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Zur Begründung führte das FG in seinem in „Entscheidungen der Finanzgerichte” (EFG) 2007, 1734 veröffentlichten Urteil aus, die Rechnungen der V-GmbH i.Gr. und der M-GmbH enthielten nicht die für den Vorsteuerabzug erforderlichen Angaben.
Der in der Rechnung angegebene Sitz eines Unternehmens müsse bei Ausführung der Leistung und bei Rechnungsstellung bestehen.
Ob die V-GmbH i.Gr. bei Ausführung der Leistung im Jahr 2001 ihren Sitz an der in den Rechnungen vom angegebenen Adresse B gehabt habe, sei unerheblich, da zumindest bei Rechnungsstellung im Dezember 2003 der Sitz an dieser Adresse nicht bestanden habe. Demnach sei im Streitfall ebenfalls ohne Bedeutung, ob die V-GmbH i.Gr. oder —wie das FA meine— deren Geschäftsführerin Y-X Leistende gewesen sei.
Auch der Sitz der M-GmbH habe sich jedenfalls bei Rechnungsstellung im Dezember 2003 nicht an der angegebenen Adresse C befunden.
Zudem sei der Klägerin kein Vertrauensschutz hinsichtlich der Rechnungsangaben der M-GmbH zu gewähren. Denn § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG 1999) sehe keinen Vertrauensschutz vor; dieser ergebe sich auch nicht aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom Rs. C-439/04 und C-440/04, Kittel und Recolta (Slg. 2006, I-6161, BFH/NV Beilage 2006, 454).
Zweifelhaft sei ferner, wer im Streitfall für die M-GmbH gehandelt habe. Dies könne indessen offenbleiben.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Sie ist der Auffassung, ihr stehe der Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der V-GmbH i.Gr. zu, weil der in einer Rechnung angegebene Sitz des Leistenden nur bei Ausführung der Leistung bestanden haben müsse. Das FG überspanne jedenfalls die Anforderungen an die Rechnung, wenn es —insbesondere im Falle einer Rechnungsberichtigung nach gut zwei Jahren— nunmehr auch noch den Ausweis des Unternehmenssitzes im Zeitpunkt der Rechnungserstellung fordere. Zum Zeitpunkt der Rechnungserstellung hätten die V-GmbH i.Gr. und ihre Gesellschafter-Geschäftsführerin keinerlei unternehmerische Tätigkeit in Deutschland mehr ausgeübt. Ein Unternehmenssitz sei zum Zeitpunkt der Rechnungserstellung im Dezember 2003 „schlichtweg nicht mehr vorhanden” gewesen. Daher stelle sich die Frage, welcher Sitz dann in der Rechnung hätte ausgewiesen werden sollen.
Darüber hinaus meint die Klägerin, ihr sei auch der Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der M-GmbH zu gewähren. Zu Unrecht sei das FG davon ausgegangen, dass sich der Sitz der M-GmbH im Dezember 2003 nicht an der Adresse C befunden habe. Jedenfalls sei sie, die Klägerin, hinsichtlich der Rechnungsangaben gutgläubig gewesen. Daher sei ihr aufgrund des EuGH-Urteils Kittel und Recolta in Slg. 2006, I-6161, BFH/NV Beilage 2006, 454 Vertrauensschutz zu gewähren. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe sich in seinem Urteil vom V R 48/04 (BFHE 217, 194, BFH/NV 2007, 2035) dieser Rechtsprechung angeschlossen.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die geltend gemachten Vorsteuerbeträge in Höhe von insgesamt 152 671 € zu berücksichtigen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist trotz Löschung der GmbH zulässig. Ist —wie im Streitfall— eine wegen Vermögenslosigkeit gelöschte GmbH im Klageverfahren durch einen vor der Löschung bevollmächtigten Prozessbevollmächtigten vertreten, kann in der Sache entschieden werden. In diesem Fall ist die GmbH noch beteiligungsfähig und das Verfahren nicht unterbrochen (, BFHE 191, 494, BStBl II 2000, 500, unter III.; vom III R 41/07, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2001, 597; BFH-Beschlüsse vom V B 188/05, BFH/NV 2006, 2107; vom I B 115/06, BFH/NV 2007, 1674).
Steuerrechtlich wird eine gelöschte GmbH nämlich als fortbestehend angesehen, solange sie noch steuerrechtliche Pflichten zu erfüllen hat oder —wie im Streitfall— gegen sie ergangene Steuerbescheide oder Haftungsbescheide angreift (BFH-Urteil in BFHE 191, 494, BStBl II 2000, 500, unter III.; BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 2107).
Die Revision der Klägerin ist aber unbegründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass der geltend gemachte Vorsteuerabzug gemäß § 15 UStG 1999 nicht möglich ist, weil die in den Rechnungen der V-GmbH i.Gr. und der M-GmbH angegebenen Geschäftsadressen im Zeitpunkt der Rechnungsstellung unzutreffend waren. Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes können im Festsetzungsverfahren nicht berücksichtigt werden.
1. Ein Unternehmer kann nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1999 die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1999 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen.
Gemeinschaftsrechtliche Grundlage dieser Vorschriften sind Art. 17, 18 und 22 der im Streitjahr geltenden Fassung der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG ist der Steuerpflichtige befugt, „die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen” abzuziehen, „die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden”, „soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden”. Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG lautet: „Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muß der Steuerpflichtige a) über die nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a) abziehbare Steuer eine nach Artikel 22 Absatz 3 ausgestellte Rechnung besitzen...”. Gemäß Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG muss die Rechnung „getrennt den Preis ohne Steuer und den auf die einzelnen Steuersätze entfallenden Steuerbetrag sowie gegebenenfalls die Steuerbefreiung ausweisen”. Nach Art. 22 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG legen die Mitgliedstaaten „die Kriterien fest, nach denen ein Dokument als Rechnung betrachtet werden kann”.
a) Eine ordnungsgemäße Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis gehört zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug (ständige Rechtsprechung, zuletzt , BFH/NV 2008, 416, m.w.N.; , BFHE 206, 463, BStBl II 2004, 861, unter II.2.).
b) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats müssen die Angaben im Abrechnungspapier eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung des leistenden Unternehmers ermöglichen. Rechnungsaussteller und leistender Unternehmer müssen grundsätzlich identisch sein (, BFHE 169, 540, BStBl II 1993, 205, unter II.2.b; , BFHE 198, 208, BStBl II 2004, 622, m.w.N.).
Hierfür ist die Angabe der im Zeitpunkt der Rechnungserstellung zutreffenden Anschrift in der Rechnung erforderlich (, BFHE 221, 55, BStBl II 2008, 695, unter II.3.). Denn diese ermöglicht der Finanzverwaltung zu überprüfen, ob tatsächlich der abrechnende Unternehmer den in der Rechnung ausgewiesenen Umsatz ausgeführt hat. Dies gilt auch dann, wenn die Rechnung —wie im Streitfall nach mehreren Änderungen— erst lange Zeit nach der Ausführung der Leistung erstellt worden ist. In diesen Fällen ist die Finanzverwaltung zur leichten und eindeutigen Feststellung des leistenden Unternehmers auf eine aktuelle Adresse angewiesen.
Ob der Leistende bei einer abweichenden Adresse zum Zeitpunkt der Ausführung der Leistung auch noch diese anzugeben hat, braucht der Senat nicht zu entscheiden.
c) Dies entspricht den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben.
aa) Art. 22 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG in der im Streitjahr geltenden Fassung der Rechtsprechung legen die Mitgliedstaaten die Kriterien fest, unter denen ein Dokument als Rechnung betrachtet werden kann. Hierzu hat der EuGH entschieden: Die Mitgliedstaaten sind befugt, über die Angaben nach Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG hinaus zusätzliche Angaben in der Rechnung zu verlangen, um die genaue Erhebung der Mehrwertsteuer zu sichern und Steuerhinterziehungen zu verhindern. Diese Anforderungen dürfen aber nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Erhebung der Mehrwertsteuer und ihre Überprüfung durch die Finanzverwaltung zu sichern. Außerdem dürfen solche Angaben nicht durch ihre Zahl oder ihre technische Kompliziertheit die Ausübung des Rechts zum Vorsteuerabzug praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren ( 123/87 und 330/07, Jeunehomme u.a., Slg. 1988, I-4517, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 1989, 381 Rdnrn. 16, 18; vom Rs. C-25/03, HE, Slg. 2005, I-3123, BFH/NV Beilage 2005, 196 Rdnrn. 78, 80, m.w.N.).
bb) Das Erfordernis, dass für den Vorsteuerabzug die Rechnung die vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers enthalten muss, entspricht diesen Anforderungen, wie die Regelungen in Art. 22 Abs. 3 Buchst. b 5. Spiegelstrich der Richtlinie 77/388/EWG in der Fassung der Richtlinie 2001/115/EG des Rates vom zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG mit dem Ziel der Vereinfachung, Modernisierung und Harmonisierung der mehrwertsteuerlichen Anforderungen an die Rechnungsstellung (sog. Rechnungsrichtlinie) und Art. 226 Nr. 5 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem bestätigen. Danach müssen die Rechnungen „für Mehrwertsteuerzwecke” —d.h. auch und gerade für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug— den vollständigen Namen und die vollständige Adresse des Steuerpflichtigen und seines Kunden enthalten.
cc) Mit dem Gemeinschaftsrecht ist außerdem —entgegen der Ansicht der Klägerin— vereinbar, dass der Leistende jedenfalls dann die bei Rechnungsstellung zutreffende Adresse angeben muss, wenn die Rechnung —wie hier— lange Zeit nach der Ausführung der Leistung erstellt worden ist. Denn dies dient —wie unter II.1.c ausgeführt— dazu, die genaue Erhebung der Mehrwertsteuer zu sichern und Steuerhinterziehungen zu verhindern.
d) Demnach ist der Vorsteuerabzug weder aus den Rechnungen der V-GmbH i.Gr. vom Dezember 2003 noch aus den Rechnungen der M-GmbH möglich.
aa) Rechnungen der „V-GmbH i.Gr.” vom Dezember 2003:
Nach den nicht mit zulässigen und begründeten angegriffenen Feststellungen des FG bestand der in den Rechnungen der V-GmbH i.Gr. angegebene Sitz unter der Adresse B zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung (Dezember 2003) nicht.
(1) Soweit die Klägerin vorträgt, die V-GmbH i.Gr. habe zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung „keinerlei” unternehmerische Tätigkeit in Deutschland ausgeübt und ein Unternehmenssitz sei „schlichtweg nicht mehr vorhanden” gewesen, ist dieser Sachverhalt vom FG nicht festgestellt worden und kann daher im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden (vgl. § 118 Abs. 2 FGO).
Selbst wenn in Deutschland kein Unternehmenssitz bestanden haben sollte, so hätte in den Rechnungen auch die Angabe eines ausländischen Sitzes genügt.
(2) Ohne Erfolg rügt die Klägerin, das FG habe verfahrensfehlerhaft die von der Klägerin beantragte Vernehmung der ausländischen Zeugen Y und Y-X abgelehnt (§ 76 FGO).
Die Klägerin hat diesen Verfahrensfehler bereits nicht hinreichend dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Zur Darlegung der Rüge der mangelnden Sachaufklärung (§ 76 FGO) gehört u.a. der Vortrag, welche Tatsachen sich bei weiterer Aufklärung oder Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten (BFH-Beschlüsse vom V B 35/06, BFH/NV 2008, 1001; vom V B 173/07, BFH/NV 2008, 1690). Das Vorbringen der Klägerin hierzu ist indessen widersprüchlich: Einerseits trägt die Klägerin auf S. 13 unter C.IV. ihrer Revisionsbegründung vor, es habe „zumindest die Möglichkeit” bestanden, „dass die Zeugen den angegebenen Unternehmenssitz auch noch für den Dezember 2003” bestätigt hätten. Andererseits behauptet sie auf S. 9 unter C.II.4. ihrer Revisionsbegründung, dass „ein Unternehmenssitz…im Zeitpunkt der Rechnungserstellung schlichtweg nicht mehr vorhanden” gewesen sei.
Darüber hinaus liegt der vorgetragene Verfahrensverstoß auch nicht vor. Denn die Klägerin hat in ihrer Klagebegründung vom lediglich beantragt, Y und Y-X über den Geschäftsbesitz der V-GmbH i.Gr. zum Zeitpunkt der Ausführung der Leistungen zu vernehmen. Eine Beweiserhebung über den Sitz der V-GmbH i.Gr. zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung im Dezember 2003 hat die Klägerin hingegen nicht beantragt. Weshalb sich dem FG die Vernehmung der Zeugen insoweit hätte aufdrängen müssen, hat die Klägerin nicht dargelegt.
Da das FG Y und Y-X nicht vernehmen musste, hat es —entgegen der Auffassung der Klägerin— auch nicht den Hinweis erteilen müssen, „dass eine entsprechende eigene Ladung nicht beabsichtigt gewesen” sei.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 126 Abs. 6 FGO ab.
bb) Rechnungen der M-GmbH:
Nach den bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen des FG hatte die M-GmbH im Dezember 2003 ihren Sitz nicht an der in den Rechnungen angegebenen Adresse C. Beamte des FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung H hätten laut dem Aktenvermerk vom November 2003 festgestellt, dass die Büroräume an dieser Adresse leer standen. Diesen Sachverhalt haben die Beamten nach den Ausführungen des FG als Zeugen übereinstimmend und glaubhaft bestätigt.
2. Die von der Klägerin geltend gemachten Vorsteuerbeträge sind auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Vertrauensschutzes zu gewähren.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sieht § 15 UStG 1999 den Schutz des guten Glaubens an die Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen nicht vor (, BFHE 155, 427, BStBl II 1989, 250, unter II.2.; vom V R 6/00, BFH/NV 2001, 941, unter II.2.c, m.w.N.; BFH-Beschlüsse vom V B 92/01, BFH/NV 2002, 381; vom XI B 202/06, BFH/NV 2008, 1216; vom XI B 180/07, BFH/NV 2008, 1169; vom XI B 206/06, BFH/NV 2008, 1212).
Hieran hält der Senat fest.
b) Zu Unrecht stützt sich die Klägerin für die gegenteilige Auffassung auf die Entscheidung des EuGH in der Rs. Kittel und Recolte in Slg. 2006, I-6161, BFH/NV Beilage 2006, 454. Diese Entscheidung betrifft nicht —wie vorliegend— den Fall, dass die objektiven Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nicht vorliegen und der Steuerpflichtige unter Hinweis auf die Grundsätze von Treu und Glauben gleichwohl den Vorsteuerabzug entspricht. Vielmehr ist nach dieser Entscheidung der Vorsteuerabzug selbst dann zu verweigern, wenn die objektiven Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorliegen, wenn aber aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (Rdnr. 59). Diese Rechtsprechung, der sich der Senat im Urteil in BFHE 217, 194, BFH/NV 2007, 2035, unter II.C.2. angeschlossen hat, erweitert danach nicht das Recht auf Vorsteuerabzug hinsichtlich des Vertrauensschutzes, sondern begrenzt es, weil eine „betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht…nicht erlaubt ist (Rdnr. 54).
3. Allerdings haben die Mitgliedstaaten bei der Ausübung der Befugnisse, die ihnen die Gemeinschaftsrichtlinien übertragen, die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind, zu beachten. Hierzu zählen insbesondere die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes (, Netto-Supermarkt, UR 2008, 508 Rdnr. 18; vom Rs. C-181/04 bis 183/04, Elmeka, UR 2007, 268 Rdnr. 31; vom Rs. C-384/04, FTI, UR 2006, 410 Rdnr. 29; vom Rs. C-286/94, C-340/95, C-401/95, C-47/96, Molenheide, UR 1998, 470 Rdnrn. 45 ff.). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es dabei, dass die Mitgliedstaaten Mittel einsetzen, die es zwar erlauben, das vom innerstaatlichen Recht verfolgte Ziel zu erreichen, die jedoch die Ziele und Grundsätze des einschlägigen Gemeinschaftsrechts möglichst wenig beeinträchtigen (EuGH-Urteile Netto-Supermarkt in UR 2008, 508 Rdnr. 19; vom Rs. C-409/04, Teleos, BFH/NV Beilage 2008, 25, UR 2007, 774 Rdnr. 52; Moldenheide in UR 1998, 470 Rdnr. 46). Demnach ist es zwar legitim, dass die Maßnahmen der Mitgliedstaaten darauf abzielen, die Ansprüche der Staatskasse möglichst wirksam zu schützen; sie dürfen aber nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist. Soweit die einschlägigen Regelungen auch dem Ziel dienen, der Steuerhinterziehung vorzubeugen, rechtfertigt dies mitunter hohe Anforderungen an den Steuerpflichtigen (EuGH-Urteil Netto-Supermarkt in UR 2008, 508 Rdnr. 22).
a) Gesichtspunkte wie die Berücksichtigung des Vertrauensschutzes aufgrund der besonderen Verhältnisse des Einzelfalles können nach nationalem Recht aber grundsätzlich nicht bei der Steuerfestsetzung nach den gesetzlichen Vorschriften des UStG, sondern nur im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme gemäß §§ 163, 227 AO Berücksichtigung finden.
Dem steht das Gemeinschaftsrecht nicht entgegen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind mangels einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung die Verfahrensmodalitäten, die den Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats (, Reemtsma, UR 2007, 343 Rdnr. 40, m.w.N.; vgl. auch , Schmeink & Cofreth und Strobel, UR 2000, 470 Rdnrn. 65, 66, Leitsatz 2 zur Berichtigung von zu Unrecht in Rechnung gestellter Mehrwertsteuer).
b) Die Entscheidung nach § 163 AO ist zwar grundsätzlich eine Ermessensentscheidung (Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603 zu § 131 der Reichsabgabenordnung; , BFHE 183, 304, BStBl II 1997, 781), die im finanzgerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt überprüfbar ist (§ 102 FGO). Erfordern aber gemeinschaftsrechtliche Regelungen eine Billigkeitsmaßnahme, ist das in § 163 AO eingeräumte Ermessen des FA auf Null reduziert (vgl. , BFHE 194, 517, BStBl II 2004, 373, unter II.5.). Macht der Steuerpflichtige —wie hier— Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes im Festsetzungsverfahren geltend, wird die Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme gemäß § 163 Satz 3 AO regelmäßig mit der Steuerfestsetzung zu verbinden sein.
4. Liegen die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nach § 15 UStG 1999 wegen unzutreffenden Rechnungsangaben nicht vor, kann im Billigkeitsverfahren gleichwohl ausnahmsweise aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz des Vertrauensschutzes ein Vorsteuerabzug nach den Vorgaben des EuGH in den Urteilen Teleos in BFH/NV Beilage 2008, 25, UR 2007, 774, und Netto-Supermarkt in UR 2008, 508 in Betracht kommen, wenn der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer gutgläubig war und alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sich von der Richtigkeit der Angaben in der Rechnung zu überzeugen und seine Beteiligung an einem Betrug ausgeschlossen ist.
5. Hierfür hat der Senat, wie dargelegt, im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden. Für den Fall eines anschließenden Rechtsstreits über eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO wird Folgendes zu beachten sein:
a) Hinsichtlich der Rechnungsangaben der V-GmbH i.Gr. hat sich die Klägerin selbst nicht auf —nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt nicht naheliegenden— Vertrauensschutz berufen.
b) In Bezug auf die Rechnungen der M-GmbH wird zu beachten sein, dass eine Billigkeitsmaßnahme ausgeschlossen ist, wenn der Vorsteuerabzug auch deswegen ausscheidet, weil die Angaben in der Rechnung nicht ausreichen, um die Leistung zu identifizieren, über die abgerechnet worden ist (vgl. , BFHE 176, 472, BStBl II 1995, 395, unter II.2.; , BFH/NV 2003, 518, m.w.N.). Ob dies hier der Fall ist, muss das FG ggf. noch aufklären. Darüber hinaus wird zu berücksichtigen sein, wer für die M-GmbH gehandelt hat. Das FG hat dies —in diesem Verfahren zu Recht— offen gelassen.
Hingegen stünde einer Billigkeitsmaßnahme allein der Umstand nicht entgegen, dass die vorgelegten Bescheinigungen und die vom FG als wahr unterstellte Auskunft des FA…die in den Rechnungen angegebene Adresse der M-GmbH nur bis September 2003 bestätigen, die Rechnungen aber im Dezember 2003 ausgestellt wurden. Denn die Klägerin musste die Angaben nicht innerhalb von zwei Monaten erneut überprüfen, sofern hierfür keine Veranlassung bestand.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1473 Nr. 9
RAAAD-25199