BFH Urteil v. - IX R 76/07

Vertragsauslegung obliegt dem FG als Tatsacheninstanz

Leitsatz

1. Bei einer Personengesellschaft mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, bei der die Einkünfte zunächst auf der Ebene der Gesellschaft zu ermitteln und sodann auf die Gesellschafter zu verteilen sind, muss die Überschusserzielungsabsicht sowohl auf der Ebene der Gesellschaft als auch auf der Ebene des einzelnen Gesellschafters gegeben sein. Ist auf der Ebene der Gesellschaft die Einkünfteerzielungsabsicht gegeben, kann sie gleichwohl bei einem Gesellschafter zweifelhaft erscheinen, z.B. wenn sich der Gesellschafter nur kurzfristig zur Verlustmitnahme an einer Gesellschaft beteiligt hat.
2. Zur Auslegung eines Gesellschaftsvertrags, in dem den im Laufe eines Geschäftsjahres beitretenden Gesellschaftern unabhängig vom jeweiligen Aufnahmedatum in diesem Jahr "ein gleich hoher Anteil" am Verlust bzw. Gewinn zugewiesen wird.

Gesetze: AO § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a, AO § 180 Abs. 3, FGO § 118 Abs. 2, FGO § 133, FGO § 157

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) zu 3 und 4 gründeten . 1998 die beiden Gesellschaften bürgerlichen Rechts GbR S 30 links und GbR S 30 rechts; Zweck der Gesellschaften waren der Erwerb und die Verwertung von Wohnungen im Haus S 30 durch langfristige Nutzung und Vermietung. An den Gesellschaften waren die Gründungsgesellschafter vor Eintritt weiterer Gesellschafter jeweils zu 50 % beteiligt. Die Beteiligung eines aufgenommenen Gesellschafters sollte sich lt. Gesellschaftsvertrag aus dem Verhältnis seines Eigenkapitalanteils zum gesamten Eigenkapital der Gesellschaft ergeben. Mit Aufnahme weiterer Gesellschafter reduzierten sich die Anteile der Gründungsgesellschafter entsprechend (§ 3 Abs. 1, 3 und 4 des jeweiligen Gesellschaftsvertrages). Die Gründungsgesellschafter waren zur alleinigen Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft bestellt, neu eintretende Gesellschafter hiervon ausgeschlossen (§ 7 Abs. 1 des jeweiligen Gesellschaftsvertrages).

Die Beteiligung der Gesellschafter am Vermögen sowie am Gewinn und Verlust der Gesellschaften war in § 10 des jeweiligen Gesellschaftsvertrages wie folgt geregelt:

"1. Am Vermögen sowie - vorbehaltlich der nachstehenden Regelungen - am Gewinn und Verlust der Gesellschaft sind die Gesellschafter im Verhältnis ihrer Gesellschaftsanteile beteiligt. Die Summe der jeweiligen Beteiligungen der Gesellschafter an dem Jahresergebnis gem. Satz 1 soll jedoch - unabhängig vom Zeitpunkt ihres Beitritts - bis zum nach Maßgabe der folgenden Regelungen jeweils ihrem Anteil am Gesellschaftsvermögen entsprechen.

2. Den im Laufe eines Geschäftsjahres - gegenüber der GbR unmittelbar, also 'durch Aufnahme' - beitretenden Gesellschaftern wird unabhängig vom jeweiligen Aufnahmedatum, soweit ein Verlustausgleich dies ermöglicht, in diesem Jahr ein gleich hoher Anteil am Verlust bzw. Gewinn zugewiesen; hierbei muss die Summe der Anteile sämtlicher Gesellschafter zum Jahresende 100 % entsprechen. Im Ergebnis entscheidet also für die Zuweisung die Beteiligung am 31.12. eines Kalenderjahres. Abs. 1 und 3 bleiben unberührt.

3. Etwaige erhöhte Verlustzuweisungen bis zum für einzelne Gesellschafter (kraft Aufnahme) sind in einem Kalenderjahr durch entsprechend geringe Zuweisungen im anderen Kalenderjahr auszugleichen (Verlustausgleich), so daß spätestens bis zum die Verlustbeteiligung aller Gesellschafter - unabhängig vom Aufnahme- und Leistungsdatum - ihrem Anteil am Gesellschaftsvermögen entsprechen. ...”

Mit notariellen Verträgen ebenfalls vom…1998 kauften die beiden Gesellschaften je eine Eigentumswohnung im Haus S 30 zum Preis von 828 596 DM (links) bzw. 830 480 DM (rechts). Am…1998 wurde der jeweilige Kaufpreis bezahlt.

Mit Urkunden vom…1999 boten die Kläger zu 1 und 2 den Klägern zu 3 und 4 an, unter Übernahme einer Gesellschafterbareinlage jeweils in Höhe des vollständigen Gesellschaftsanteils den bestehenden Gesellschaften als weitere Gesellschafter beizutreten. Zugleich erteilten die Kläger zu 1 und 2 den Klägern zu 3 und 4 für den Fall der Annahme des Beitrittsangebots Vollmacht, die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich umfassend und allein zu vertreten. Die Kläger zu 3 und 4 nahmen die Angebote in denselben Urkunden an.

Für das Streitjahr 1999 machten die Kläger in ihrer Feststellungserklärung für beide Gesellschaften einen Gesamtverlust beider Gesellschaften aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 320 964,16 DM geltend, zusammengesetzt aus Werbungskosten von ./. 158 164,89 DM, Sonderabschreibungen nach dem Fördergebietsgesetz in Höhe von ./. 139 444,85 DM, Sonderwerbungskosten der Kläger zu 1 und 2 in Höhe von ./. 106 302,42 DM sowie Sondereinnahmen der Kläger zu 3 und 4 in Höhe von 82 948 DM. Die Sonderwerbungskosten sowie Sondereinnahmen betrafen insbesondere die Initiatorenvergütung für die Kläger zu 3 und 4. Von diesem Verlust sollten jeweils ./. 14 982 DM auf die Altgesellschafter und insgesamt ./. 291 000 DM auf die beitretenden Gesellschafter entfallen. Dabei verteilten die Kläger gemäß §§ 722 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) die Werbungskosten zeitanteilig auf die Gesellschafter und wiesen die Sonderabschreibungen vollständig den beigetretenen Klägern zu 1 und 2 zu.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) lehnte die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sowohl für den Zeitraum vom 1. Januar bis 16. September als auch vom 17. September bis ab. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) nahm einen Fall geringer Bedeutung i.S. von § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordung (AO) an, da an den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung der Wohnungen S 30 links und rechts lediglich die verheirateten Kläger zu 1 und 2 beteiligt seien, zwischen denen die Aufteilung feststehe, während die Kläger zu 3 und 4, obzwar weiterhin Gesellschafter der beiden Gesellschaften, mangels Überschusserzielungsabsicht im Streitjahr keine Einkünfte i.S. von § 21 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes durch die beabsichtigte Vermietung der Wohneinheiten im Haus S 30 erzielt hätten (Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1958).

Hiergegen wendet sich die Revision der Kläger, mit der sie die gegen Denkgesetze verstoßende Auslegung des § 10 Abs. 2 der Gesellschaftsverträge rügen sowie eine unzutreffende Anwendung von § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

das Urteil des FG aufzuheben und das FA unter Aufhebung der Bescheide vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom zu verpflichten, einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die GbR S 30 links und die GbR S 30 rechts mit der Maßgabe zu erlassen, dass für das Jahr 1999 ein Verlust aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 226 313,58 DM für die GbR S 30 links und in Höhe von 86 724,18 DM für die GbR S 30 rechts festgestellt und auf die Gesellschafter erklärungsgemäß verteilt wird.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Das FG hat § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO verletzt, indem es in revisionsrechtlich zu beanstandender Weise § 10 Abs. 2 der streitbefangenen Gesellschaftsverträge eine Verteilung von Gewinn und Verlust nach Kopfteilen entnommen, auf dieser Grundlage die Einkünfteerzielungsabsicht der Kläger zu 3 und 4 verneint und eine einheitliche und gesonderte Feststellung für nicht geboten erachtet hat.

1. Bei einer Personengesellschaft mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, bei der die Einkünfte zunächst auf der Ebene der Gesellschaft zu ermitteln und sodann auf die Gesellschafter zu verteilen sind, muss nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die Überschusserzielungsabsicht sowohl auf der Ebene der Gesellschaft als auch auf der Ebene des einzelnen Gesellschafters gegeben sein (, BFHE 187, 512, BStBl II 1999, 468; vom IX R 2/96, BFHE 193, 460, BStBl II 2001, 789). Ist auf der Ebene der Gesellschaft die Einkünfteerzielungsabsicht gegeben, kann sie gleichwohl bei einem Gesellschafter zweifelhaft erscheinen. Dies hat der BFH beispielsweise angenommen, wenn sich der Gesellschafter nur kurzfristig zur Verlustmitnahme an einer Gesellschaft beteiligt hat (, BFHE 192, 559, BStBl II 2000, 676).

Danach war auch im Streitfall die Einkünfteerzielungsabsicht der Kläger zu 3 und 4 zu prüfen. Maßgeblich hierfür war insbesondere deren Beteiligung an Gewinn und Verlust im Streitjahr.

2. Das FG hat in einer gegen allgemeine Auslegungsgrundsätze verstoßenden Weise § 10 Abs. 2 der Gesellschaftsverträge dahin ausgelegt, dass mit Eintritt der Kläger zu 1 und 2 im Streitjahr eine Verteilung von Gewinn und Verlust nach Kopfteilen vereinbart sei.

Zwar obliegt die Vertragsauslegung dem FG als Tatsacheninstanz; wenn sie den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt, d.h. jedenfalls möglich ist, bindet sie den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO (ständige Rechtsprechung, , BFH/NV 2007, 1836, m.w.N.). Im Streitfall ist die Auslegung des FG jedoch nicht möglich. Hierin liegt ein Rechtsfehler, der zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führt.

Gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1  1. Halbsatz der Gesellschaftsverträge wird den im Laufe eines Geschäftsjahres beitretenden Gesellschaftern unabhängig vom jeweiligen Aufnahmedatum in diesem Jahr ein gleich hoher Anteil am Verlust bzw. Gewinn zugewiesen. Dabei ist der Vertragswortlaut hinsichtlich der Formulierung „ein gleich hoher Anteil” auslegungsbedürftig, da dieser Halbsatz kein Vergleichskriterium für die gleiche Höhe des Anteils nennt. Konkretisiert wird diese Formulierung durch Satz 2 des 2. Absatzes, wonach für die Zuweisung die Beteiligung am 31. Dezember eines Kalenderjahres entscheidet. Maßstab für die hier genannte Beteiligung ist ein prozentualer Gesellschaftsanteil. Sie erschließt sich aus dem Verweis auf § 10 Abs. 1 der Gesellschaftsverträge in Abs. 2 Satz 3 („Abs. 1 und 3 bleiben unberührt.”), den das FG unberücksichtigt lässt. Danach ist § 10 Abs. 2 der Gesellschaftsverträge zwingend so zu verstehen, dass der Zeitpunkt des Eintritts in die Gesellschaft im Laufe eines Kalenderjahres für die Zuweisung des Anteils am Jahresergebnis der Gesellschaft gemäß § 10 Abs. 1 ohne Bedeutung ist. Die Formulierung „gleich hoher Anteil” zielt in diesem Sinne darauf, dass es für die Höhe des Anteils am Gewinn und Verlust unerheblich sein soll, ob der Gesellschafter im Laufe eines Jahres in die Gesellschaft eintritt oder schon zu Beginn des Jahres.

Demgegenüber bleibt das FG mit der Annahme einer Gewinnverteilung nach Kopfteilen beim bloßen Wortlaut „gleich hoher Anteil” stehen, ohne den Gesamtzusammenhang der vertraglichen Regelungen in seine Auslegung einzubeziehen.

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird im zweiten Rechtsgang ausgehend von einer korrigierten Auslegung der vereinbarten Verteilung von Gewinn und Verlust gemäß § 10 der Gesellschaftsverträge im oben genannten Sinne die Einkünfteerzielungsabsicht der Kläger zu 3 und 4 erneut zu prüfen und § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO anzuwenden haben.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1268 Nr. 8
QAAAD-24090