BGH Beschluss v. - XI ZB 21/08

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: EGZPO § 26; GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 520 Abs. 3; ZPO § 577 Abs. 4

Instanzenzug: OLG München, 19 U 3317/08 vom LG München I, 22 O 10055/07 vom

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die beklagte Bank im Zusammenhang mit Wertpapiergeschäften auf Schadensersatz in Anspruch.

Der Kläger, der "C. Zertifikate" mehrfach zu Kursen zwischen 0,66 EUR und 0,88 EUR gehandelt hatte, erteilte der Beklagten am über das Internet im sogenannten "Sekundenhandel" den Auftrag, aus seinem Depot 10.000 dieser Zertifikate zu verkaufen. Nach der Ausführung des Auftrages wurde dem Kläger aufgrund eines bei der Inbetriebnahme eines neuen Orderportals der Beklagten aufgetretenen Fehlers der Verkaufskurs mit 88 EUR statt 0,88 EUR angezeigt und ein unzutreffender Verkaufserlös in Höhe von 880.000 EUR ausgewiesen. Tatsächlich wies das Verrechnungskonto des Klägers nur ein Guthaben in Höhe von 8.800,11 EUR (8.800 EUR tatsächlicher Erlös zuzüglich 0,11 EUR vorheriges Guthaben) auf. Da die Kunden der Beklagten bereits vor der Gutschrift eines Verkaufserlöses über den ihnen angezeigten Betrag verfügen können, erwarb der Kläger am im Online-Banking verschiedene Wertpapiere und überzog sein Verrechnungskonto um 845.536,89 EUR. Die Beklagte, die das Risiko eines Kursverfalls der ohne Deckung erworbenen Wertpapiere nicht tragen wollte und den Kläger telefonisch nicht erreichen konnte, führte am eine Zwangsverwertung der Wertpapiere im Depot des Klägers durch. Danach wies das Verrechnungskonto noch einen Debetsaldo von 1.726,56 EUR auf. Einen geringen Teil der Wertpapiere beließ die Beklagte im Depot des Klägers.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch und hat vor dem Landgericht die Erstattung von 11.653,29 EUR nebst Zinsen begehrt. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus Materialkosten und einer Entschädigung für Zeitaufwand in Höhe von insgesamt 3.556,83 EUR, der Kontoüberziehung in Höhe von 1.726,56 EUR, den Kosten eines Vorprozesses, in dem der Kläger die Klage zurückgenommen hat, in Höhe von 6.269,90 EUR und einer sogenannten Sollzinsdifferenz in Höhe von 100 EUR.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Dem Kläger stehe ein Schadensersatzanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Die Beklagte sei gemäß Nrn. 14 und 17 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen berechtigt gewesen, die vom Kläger am erworbenen Wertpapiere zwangsweise zu verwerten. Der Verwertungsfall sei eingetreten, weil das Verrechnungskonto des Klägers um 845.536,89 EUR überzogen und der Kläger nicht erreichbar gewesen sei. Zudem habe der Kläger den Fehler bei der Anzeige eines Verkaufskurses von 88 EUR erkannt. Er sei außerdem gemäß Nr. 11 Abs. 4 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten verpflichtet gewesen, die Anzeige über die Ausführung seiner Aufträge unverzüglich auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen und gegebenenfalls Einwände zu erheben. Dies habe er nicht getan. Hinzu komme, dass er nicht dargetan habe, dass zwischen den Ereignissen vom 18. und und den geltend gemachten Materialkosten ein Zusammenhang bestehe. Kostenbelege habe er nicht vorgelegt. Ein Anspruch auf Entschädigung für seinen Zeitaufwand stehe ihm nicht zu. Der Debetsaldo von 1.726,56 EUR beruhe letztlich auf den von ihm ohne Deckung getätigten Wertpapierkäufen. Ob ihm durch die Zwangsverwertung ein Vermögensnachteil entstanden sei, sei zweifelhaft, weil am 128 in seinem Depot belassene U. -Aktien zum Kurs von 66,55 EUR auf ein Depot des Klägers bei einer anderen Bank übertragen worden seien. Die Kosten des Vorprozesses seien dem Kläger zu Recht gemäß § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO auferlegt worden. Dass die Beklagte das Konto des Klägers mit einer Sollzinsdifferenz belastet habe, habe der Kläger nicht substantiiert behauptet.

Mit seiner Berufung gegen dieses Urteil nimmt der Kläger die Beklagte nur noch auf Zahlung von 5.383,39 EUR nebst Zinsen in Anspruch; den Anspruch auf Erstattung der Kosten des Vorprozesses verfolgt er nicht weiter.

Mit Beschluss vom hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen, weil die Berufungsbegründung nicht den Erfordernissen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO genüge. Sie zeige keinen Fehler des angefochtenen Urteils auf, sondern streife die Entscheidungsgründe allenfalls am äußersten Rand. Der Berufungsbegründung sei nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen dem Kläger gegen die Beklagte entgegen der Auffassung des Landgerichts ein Schadensersatzanspruch in der geltend gemachten Höhe zustehen solle.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

1.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Dem steht nicht entgegen, dass die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO nicht erreicht ist ( , NJW-RR 2003, 1580 m.w.N.).

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich, weil die angefochtene Entscheidung die Verfahrensgrundrechte des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs ( Art. 103 Abs. 1 GG) und wirkungsvollen Rechtsschutzes ( Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt und darauf beruht (vgl. BGHZ 154, 288, 296 ; 159, 135, 139 f. zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat aus den im Folgenden dargelegten Gründen überspannte Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit der Berufungsbegründung gestellt.

2.

Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a)

Nach § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche Gründe er ihnen entgegensetzt ( , NJW 1998, 3126 , vom - IX ZR 228/02, NJW 2003, 3345 und vom - II ZR 16/04, NJW-RR 2005, 499, 500). Die Darstellung muss auf den Streitfall zugeschnitten sein (Senat , Beschluss vom - XI ZB 41/06, WM 2008, 1810, 1811, Tz. 11; , NJW-RR 2007, 1363). Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage hinsichtlich eines prozessualen Anspruchs auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung das Urteil in allen diesen Punkten angreifen und für jede der mehreren Erwägungen darlegen, warum sie die Entscheidung nicht trägt (BGHZ 143, 169, 171 ; , NJW-RR 2006, 285). Besondere formale Anforderungen werden nicht gestellt; für die Zulässigkeit der Berufung ist insbesondere ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind ( , NJW-RR 2003, 1580 m.w.N.).

b)

Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründungsschrift des Klägers. Sie legt Umstände dar, die die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils aus der Sicht des Klägers in Frage stellen sollen. Soweit das Landgericht seine Entscheidung auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt hat, indem es sowohl eine Pflichtverletzung der Beklagten verneint als auch die geltend gemachten Schadenspositionen als nicht ersatzfähig angesehen hat, führt der Kläger in der Berufungsbegründung - wie erforderlich - für jede dieser Erwägungen aus, aus welchen Gründen sie die Entscheidung seines Erachtens nicht trägt.

aa)

Das Landgericht führt zunächst aus, ein Schadensersatzanspruch sei unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gegeben. Insbesondere die zwangsweise Verwertung der Wertpapiere durch die Beklagte sei rechtmäßig gewesen. In diesem Zusammenhang wendet der Kläger gegen das Argument des Landgerichts, der Beklagten sei wegen des Kursverfallrisikos ein weiteres Abwarten nicht zumutbar gewesen, ein, ein solches Risiko habe nicht bestanden; vielmehr sei von einem "Wachstum" der erworbenen Wertpapiere auszugehen. Außerdem vertritt er in der Berufungsbegründung wiederholt die Auffassung, dass der Beklagten mit der fehlerhaften Anzeige des Verkaufskurses und -erlöses ein Fehler unterlaufen sei und dass eine Bank die Beweislast dafür trage, dass Buchungsfehler keine Folgefehler bei ihren Kunden verursacht hätten. Damit macht der Kläger neben der zwangsweisen Verwertung der Wertpapiere die unzutreffende Anzeige des Verkaufskurses und -erlöses als weiteren Gesichtspunkt geltend, unter dem ihm ein Schadensersatzanspruch zustehen soll. Dabei räumt der Kläger zwar ein, erkannt zu haben, dass der angezeigte Verkaufserlös ihm nicht zustand. Er macht aber geltend, nicht gewusst zu haben, ob die Anzeige durch eine Hacker-Attacke oder die Fehlleitung des Geldes eines Dritten verursacht worden sei, und meint, er habe den angezeigten Betrag zur Sicherstellung in mehreren Teilbeträgen in Wertpapieren anlegen dürfen.

bb)

Auch die Ausführungen des Landgerichts zu den einzelnen Schadenspositionen hat der Kläger in einer für eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung ausreichenden Weise angegriffen.

(1)

Die Teilforderung von 3.556,83 EUR (Zeitaufwand und Materialkosten) hält das Landgericht für unbegründet, weil der Kläger einen Zusammenhang zwischen den Ereignissen vom 18. und und seinen Aufwendungen nicht konkret dargelegt und keine Kostenbelege vorgelegt habe; außerdem sei keine Rechtsgrundlage für die Entschädigung des persönlichen Zeitaufwandes ersichtlich. Der Kläger vertritt hingegen, wie dargelegt, die Auffassung, die Beklagte trage die Beweislast dafür, dass ihr Buchungsfehler, d.h. die fehlerhafte Anzeige des Verkaufskurses und -erlöses, keine weiteren Fehler bei ihm als Kunden verursacht habe. Außerdem macht der Kläger geltend, dass die Aufwendungen, die er ersetzt verlangt, durch den Buchungsfehler, die Aufklärung dieses Fehlers, seine Verteidigung gegen die Kündigung der Geschäftsbeziehung, eine Strafanzeige und damit im Zusammenhang stehende Korrespondenz verursacht worden seien. Er verweist insoweit auf tabellarische Aufstellungen seines Kosten- und Zeitaufwandes.

(2)

Die weitere Teilforderung von 1.726,56 EUR (Kontoüberziehung) hat das Landgericht mit der Begründung abgelehnt, der negative Kontosaldo beruhe letztlich auf den ohne Deckung getätigten Wertpapierkäufen des Klägers. Dass und aus welchen Gründen der Kläger diese die Kausalität betreffende Begründung für unrichtig hält, ergibt sich ebenfalls daraus, dass seines Erachtens die Beklagte die Beweislast dafür trägt, dass ihr Buchungsfehler keinen weiteren Fehler des Kunden verursacht hat. Außerdem behauptet der Kläger in diesem Zusammenhang, die Beklagte habe sein Konto mit überteuerten Provisionen belastet.

(3)

Zu der letzten Schadensposition von 100 EUR behauptet der Kläger in der Berufungsbegründung, die Beklagte habe die ihm zustehenden Habenzinsen in einer den Betrag von 100 EUR übersteigenden Höhe unterschlagen. Konkreter Vortrag zur Höhe der Zinsen sei ihm nicht möglich, weil die Beklagte ihm die dazu benötigten Informationen vorenthalte. Deshalb hält er eine Schätzung für gerechtfertigt und verweist auf vom Landgericht angeblich nicht ausgewertete Unterlagen und nicht erhobene Beweise.

cc)

Insgesamt stellen sich die Ausführungen des Klägers als eine den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO genügende Berufungsbegründung dar; auf die Schlüssigkeit und rechtliche Vertretbarkeit der Auffassungen des Klägers kommt es hierfür, wie ausgeführt, nicht an.

III.

Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen ( § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Fundstelle(n):
LAAAD-23730

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein