Verletzung des rechtlichen Gehörs; Postzustellungsurkunde als öffentliche Urkunde
Gesetze: FGO § 96 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 116 Abs. 6, FGO § 119 Nr. 3, GG Art. 103 Abs. 1
Instanzenzug:
Gründe
I. Der gemeinsam mit seiner Ehefrau zusammen veranlagte Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erzielte im Streitjahr 2003 —ebenso wie seine Ehefrau— u.a. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie Vermietung und Verpachtung. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) ließ eine Kürzung des vom Arbeitgeber des Klägers gemäß § 8 Abs. 2 Sätze 2 und 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) pauschal ermittelten Arbeitslohns für den dem Kläger überlassenen Firmen-PKW auf Privatfahrten und auf Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht zu, weil der Kläger kein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch eingereicht habe. Zudem wurden Aufwendungen in Höhe von 1 032 € bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung mangels Nachweises nicht als Werbungskosten anerkannt.
Nach insoweit erfolglosem Einspruch wies das Finanzgericht (FG) die Klage aufgrund mündlicher Verhandlung am als unbegründet ab: Das vorgelegte Fahrtenbuch sei nicht ordnungsgemäß; auch bei den übrigen Aufwendungen fehle es am Nachweis.
Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, mit der ausschließlich die Versagung rechtlichen Gehörs wegen Nichtladung zur mündlichen Verhandlung vor dem FG gerügt wird. Die Zustellung der betreffenden Ladung sei nicht in der in der Postzustellungsurkunde dokumentierten Form erfolgt; weder sei versucht worden, die Ladung persönlich zu übergeben, noch sei die Ladung in den Briefkasten des Prozessbevollmächtigten des Klägers (Pb) eingeworfen worden. Für den fehlenden Übergabeversuch benenne er zwei Mitarbeiterinnen des Pb als Zeuginnen. Im Briefkasten, dessen Leerung allein der Pb vornehme, habe sich die Ladung ebenfalls nicht befunden. Entsprechend sei auch keine Benachrichtigung an den Kläger erfolgt, wie das Postausgangsbuch des Pb belege.
Demgegenüber beruft sich das FA auf die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde.
Nach der Postzustellungsurkunde wurde die betreffende Ladung an den Pb zu übergeben versucht und, weil das nicht möglich war, das Schriftstück in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten eingelegt. Entsprechend hatte das FG in der mündlichen Verhandlung die ordnungsgemäße Ladung des nicht erschienen Klägers festgestellt und ohne ihn verhandelt.
Der erkennende Senat hat auf seinen Beschluss vom hin Beweis erhoben über die Umstände der Zustellung durch Vernehmung der Postzustellerin und der vom Pb benannten Zeuginnen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom Bezug genommen.
II. Die Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das angefochtene Urteil beruht auf einem Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO; es verletzt den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör.
1. Die Pflicht des Gerichts zur Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO, § 119 Nr. 3 FGO) erfordert es u.a., den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern und ihre für wesentlich gehaltenen Rechtsansichten vorzutragen (vgl. , BFH/NV 2008, 242). Daran fehlt es, wenn der Kläger zur vom FG angesetzten mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen worden ist, wie das Vorbringen des Pb und insbesondere die Beweisaufnahme ergeben haben.
a) Die Postzustellungsurkunde als öffentliche Urkunde i.S. von § 418 Abs. 1 i.V.m. § 182 Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) liefert zwar regelmäßig den Beweis für den in ihr dokumentierten Zustellungsvorgang. Daher kann dieser nicht durch die bloße Behauptung, bis zur Urteilszustellung hätte der Kläger keine Kenntnis von der Zustellung der Ladung erlangt, entkräftet werden (, BFH/NV 2003, 176). Hierzu ist vielmehr erforderlich, einen anderen Geschehensablauf substantiiert darzulegen und zu beweisen. Das kann insbesondere dadurch geschehen, dass der Kläger Umstände darlegt, die geeignet sind, ein Fehlverhalten des Zustellers bei der Zustellung und damit eine unzutreffende Beurkundung in der Postzustellungsurkunde zu belegen (vgl. , BFH/NV 2003, 1207). Indes dürfen an den Gegenbeweis i.S. des § 418 Abs. 2 ZPO keine überspannten Anforderungen gestellt werden (ständige Rechtsprechung, z.B. , Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 2007, 603, unter II.1.), insbesondere wenn ein Nullum (hier: Nichterhalt der Ladung) über Indizien bewiesen werden soll. Auch ein Zeugen-Gegenbeweis ist möglich (vgl. , Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2005, 75). Im Fall des Nichterhalts der Ladung kann der Zustellungsmangel auch nicht nach § 189 ZPO geheilt werden.
b) Den Gegenbeweis (§ 418 Abs. 2 ZPO) hat der Pb des Klägers vorliegend erbracht.
Zwar bestätigte die Zeugin M als Zustellerin, die keine konkrete Erinnerung mehr an die betreffende Zustellung am , 12.00 Uhr, hatte, die Postzustellungsurkunde ausgefüllt und unterschrieben zu haben und auch in der von ihr dokumentierten Weise verfahren zu sein. Unglaubhaft ist indes ihre Aussage, dass der jeweilige Versuch der persönlichen Zustellung regelmäßig ca. fünf Minuten gedauert haben soll. Die Zeuginnen S und K —damals als Steuerfachangestellte im Büro des Pb mit Bürozeiten vormittags von 8.00 Uhr bis 13.00 Uhr tätig— hatten ebenso keine konkrete Erinnerung an bestimmte Vorgänge Anfang Juli 2007. S sagte indes glaubhaft aus —sinngemäß bestätigt durch K—, dass man ein evtl. Klingeln von jedem Raum des Büros des Pb hätte hören können. Auch erklärten beide Zeuginnen, dass ihnen von einem Defekt der Klingel oder der Klingelanlage zum fraglichen Zeitraum nichts bekannt war.
Zudem erfolgte ausweislich des Postausgangsbuchs im fraglichen Zeitraum keine Benachrichtigung über einen Termin oder Weiterleitung eines Schriftstücks an den Kläger durch den Pb, der damals nur dessen Zustellungsbevollmächtigter war.
Danach ist zur Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass zumindest ein ordnungsgemäßer Zustellungsversuch unterblieben ist und die Postzustellungsurkunde insoweit eine unzutreffende Aussage enthält.
2. Der Senat hält es für sachgerecht, das angefochtene Urteil gemäß § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und den Rechtsstreit zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Fundstelle(n):
RAAAD-23339