BFH Urteil v. - VII R 40/08

Begründung eines Einfuhrabgabenbescheids für vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbrachte Waren

Leitsatz

Bei einem auf Art. 202 ZK gestützten Einfuhrabgabenbescheid wegen vorschriftswidriger Verbringung von Waren in das Zollgebiet der Gemeinschaft ist in der Begründung des Bescheids die Erfüllung des Tatbestands der Vorschrift darzulegen. Auch im Fall der Steuerhinterziehung bedarf der Steuerbescheid gegenüber anderen "klassischen" Steuerbescheiden keiner besonderen oder eingehenderen Begründung.
Es ist nicht Aufgabe der von § 121 Abs. 1 AO geforderten Begründung des Verwaltungsakts, den Betroffenen über alle Erkenntnisquellen der Finanzbehörde, deren Auswertung zur Feststellung der Besteuerungsgrundlagen geführt hat, zu unterrichten und bereits mit der Begründung die der Abgabenfestsetzung zugrunde gelegten Tatsachen nachzuweisen. Diese Quellen und Nachweise muss die Finanzbehörde ggf. im Rechtsmittelverfahren beibringen.
Mängel bei der Begründung führen nicht zur Nichtigkeit, sondern allenfalls zur Anfechtbarkeit eines Verwaltungsakts.

Gesetze: ZK Art. 6 Abs. 3, ZK Art. 202, AO § 121 Abs. 1, AO § 125, AO § 162, AO § 370

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf)

Gründe

I. Gegen den in Polen lebenden Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden mit Steuer- und Zinsbescheid des Beklagten und Revisionsklägers (Hauptzollamt —HZA—) vom Einfuhrabgaben (Zoll, Tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer) nebst Zinsen in Höhe von mehr als . Mio. € festgesetzt. In der Begründung des Bescheids heißt es, dass sich der Kläger nach den Ermittlungen des Zollfahndungsamts (ZFA) der gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Steuerhinterziehung in mindestens 60 Fällen in der Zeit vom bis schuldig gemacht habe, indem er gemeinschaftlich mit weiteren, gesondert verfolgten Personen handelnd unverzollte und unversteuerte Zigaretten aus Polen in das Zollgebiet der Gemeinschaft geschmuggelt habe, um diese über Deutschland nach Großbritannien weiterzutransportieren und dort abzusetzen. Bei jedem vorschriftswidrigen Verbringen während dieses Zeitraums seien mindestens 14 000 Stangen (2 800 000 Stück) Zigaretten eingeschmuggelt worden; außerdem hätten nach diesem Zeitraum weitere Schmuggeltransporte nachgewiesen werden können, die sich aus der Abgabenberechnung ergäben. Durch das vorschriftswidrige Verbringen sei die Abgabenschuld entstanden und der Kläger sei Schuldner der Einfuhrabgaben, weil er an dem Verbringen beteiligt gewesen sei, obwohl er gewusst habe, dass er vorschriftswidrig handele. Als Einfuhrzeitpunkte seien die jeweils vom ZFA ermittelten Daten angenommen worden; soweit das vorschriftswidrige Verbringen der Zigaretten keinem konkreten Zeitpunkt habe zugeordnet werden können, sei für die Abgaben- und Zinsberechnung der als mittlerer Tatzeitpunkt des o.a. Zeitraums zugrunde gelegt worden. Im Übrigen enthält der Bescheid über mehrere Seiten eine auf die verschiedenen Zeitpunkte des o.a. Zeitraums bezogene Abgaben- und Zinsberechnung.

Gegen den ihm am durch die polnischen Finanzbehörden bekannt gegebenen Steuer- und Zinsbescheid erhob der Kläger am Einspruch, den das HZA mit Einspruchsentscheidung vom , zugestellt am , wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig verwarf. Der Kläger erhob hiergegen zunächst keine Klage. Erst am erhob er eine auf Feststellung der Nichtigkeit des Steuer- und Zinsbescheids gerichtete Klage, der das Finanzgericht (FG) stattgab.

Das FG urteilte, dass der Steuer- und Zinsbescheid unzureichend begründet sei. Der Bescheid lasse nicht erkennen, auf welche tatsächlichen Feststellungen sich die Inanspruchnahme des Klägers stütze. Welche Ermittlungsergebnisse des ZFA zugrunde lägen, könne dem Bescheid nicht entnommen werden; auch sei nicht dargelegt, auf welchen Grundlagen die Schätzung, dass bei jedem vorschriftswidrigen Verbringen mindestens 14 000 Stangen Zigaretten eingeschmuggelt worden seien, beruhten. Die Begründungsmängel seien besonders schwerwiegend, weshalb der Verwaltungsakt als nichtig anzusehen sei. An die Begründung eines Bescheids im Zusammenhang mit einer Steuerhinterziehung seien deutlich höhere Anforderungen zu stellen als bei einem klassischen Steuer- oder Haftungsbescheid. Demjenigen, der als Steuerschuldner in Anspruch genommen werde, weil er Steuern hinterzogen haben soll, müsse in besonderer Weise anhand der Begründung des Bescheids eine Rechtsverteidigung möglich sein. Darüber hinaus sei eine von der Finanzbehörde vorgenommene Schätzung nichtig, wenn sie sich nicht an den wahrscheinlichen Besteuerungsgrundlagen orientiere, sondern wenn bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt werde, oder wenn das Schätzungsergebnis trotz vorhandener Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären, krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abweiche, wenn also ein objektiv willkürlicher Hoheitsakt vorliege. Fällen dieser Art sei der Streitfall gleichzustellen, in dem der Bescheid nicht erkennen lasse, dass überhaupt und welche Schätzungserwägungen angestellt worden seien.

Mit seiner Revision wendet sich das HZA gegen die Auffassung des FG, dass an die Begründung eines auf einer Steuerhinterziehung beruhenden Abgabenbescheids höhere Anforderungen zu stellen seien, und macht außerdem geltend, dass die Schätzung der eingeschmuggelten Zigarettenmengen entgegen der vom FG vertretenen Ansicht nicht willkürlich sei, sondern auf den Ermittlungsergebnissen des ZFA aufgrund von Telefonüberwachungsmaßnahmen sowie auf später durchgeführten Hochrechnungen beruhe.

Das HZA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er schließt sich im Wesentlichen der Rechtsauffassung des FG an.

II. Die Revision des HZA ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Die Feststellung der Nichtigkeit des Steuer- und Zinsbescheids durch das FG verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Abgesehen von den in § 125 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geregelten, im Streitfall nicht vorliegenden Fällen ist ein Verwaltungsakt gemäß § 125 Abs. 1 AO nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Hinsichtlich des Steuer- und Zinsbescheids des HZA vom sind diese Voraussetzungen nicht gegeben. Der Bescheid leidet, soweit er überhaupt als fehlerhaft anzusehen ist, jedenfalls nicht an einem besonders schwerwiegenden Fehler.

Nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 des Zollkodex (ZK) i.V.m. § 121 Abs. 1 AO ist ein schriftlicher Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen, soweit dies zu seinem Verständnis erforderlich ist. Der Bescheid des HZA vom enthält eine solche Begründung.

1. Der Ansicht des FG, dass an die Begründung eines Bescheids im Zusammenhang mit einer Steuerhinterziehung deutlich höhere Anforderungen zu stellen seien, ist nicht zu folgen.

Auch in Fällen von Steuerhinterziehung ist der Grund für die Entstehung des Steueranspruchs nicht etwa die Hinterziehungshandlung, sondern die Verwirklichung eines bestimmten steuerrechtlichen Tatbestands, an den das Gesetz eine Leistungspflicht knüpft (§ 38 AO). Dass eine Steuerhinterziehung mit Strafe bedroht ist, ändert nichts an der rechtlichen Qualifizierung des damit zusammenhängenden Steueranspruchs (Senatsurteil vom VII R 6/07, BFHE 222, 199, BStBl II 2008, 947). In der Begründung des Steuerbescheids hat die Finanzbehörde somit diejenigen Angaben zu machen, aus denen sich ergibt, dass der jeweilige Steuertatbestand verwirklicht worden ist. Ob in der Person des Steuerpflichtigen darüber hinaus die Voraussetzungen des § 370 AO erfüllt sind, hat für die Steuerfestsetzung grundsätzlich keine Bedeutung. Deshalb bedarf ein solcher Steuerbescheid gegenüber anderen „klassischen” Steuerbescheiden keiner besonderen oder eingehenderen Begründung; vielmehr handelt es sich auch in solchen Fällen —und somit auch im Streitfall— um einen „klassischen” Steuerbescheid.

Für den im Streitfall auf Art. 202 ZK gestützten Abgabenbescheid hatte daher das HZA in der Begründung des Bescheids darzulegen, dass hinsichtlich der unversteuerten Zigaretten eine Einfuhrabgabenschuld entstanden war, weil diese vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht worden waren (Art. 202 Abs. 1 Buchst. a ZK), und dass der Kläger Schuldner dieser Abgaben ist, weil er an dem vorschriftswidrigen Verbringen beteiligt war, obwohl er wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er damit vorschriftswidrig handelte (Art. 202 Abs. 3 Anstrich 2 ZK). Diesen Begründungsanforderungen genügt der Bescheid. Dass der Kläger nach der Begründung des HZA nicht nur hätte wissen müssen, sondern sogar wusste, dass er vorschriftswidrig handelte, und dass dies zugleich den Vorwurf der Steuerhinterziehung begründete, ist für die Begründung der Abgabenfestsetzung unerheblich.

Der Ansicht des FG, dass dem in Anspruch genommenen Abgabenschuldner in Fällen dieser Art eine Rechtsverteidigung in besonderer Weise anhand der Begründung des Bescheids möglich sein müsse, ist zum einen nicht zu folgen, weil sich der Betreffende gegen den strafrechtlichen Vorwurf der Steuerhinterziehung im Strafverfahren zur Wehr setzen kann, ohne dass das abgabenrechtliche Festsetzungsverfahren insoweit vorgreiflich ist. Zum anderen trifft es nicht zu, dass —wie das FG offenbar meint— die Rechtsverteidigung gegen den vorliegenden Steuer- und Zinsbescheid in Anbetracht seiner Begründung nicht möglich war. In der Begründung des Bescheids werden über mehrere Seiten hinweg die Zeitpunkte, zu denen Zigaretten in das Zollgebiet der Gemeinschaft vorschriftswidrig verbracht worden sein sollen, mit genauen Daten aufgeführt. Bei fristgerecht eingelegtem Rechtsmittel wäre es deshalb dem Kläger ohne weiteres möglich gewesen, zu jedem genannten Datum Stellung zu nehmen und ggf. zu bestreiten, (z.B.) an dem behaupteten vorschriftswidrigen Verbringen beteiligt gewesen zu sein, an dem betreffenden Tag überhaupt vor Ort gewesen zu sein bzw. die als weitere Tatbeteiligte in der Begründung aufgeführten Personen zu kennen. Es wäre dann Sache des HZA gewesen, die jeweiligen Zigarettenschmuggel und die Beteiligung des Klägers hieran nachzuweisen.

Mit den über viele Seiten hinweg aufgelisteten Daten der verschiedenen vorschriftswidrigen Einfuhren und den für jeden dieser Zeitpunkte aufgelisteten Zigarettenmengen sowie mit der Angabe der anzuwendenden Rechtsvorschriften ist der Bescheid vom —wie es § 121 Abs. 1 AO vorschreibt— mit einer Begründung versehen worden, wie sie zu seinem Verständnis erforderlich ist. Es ist nicht Aufgabe der von § 121 Abs. 1 AO geforderten Begründung des Verwaltungsakts, den Betroffenen über alle Erkenntnisquellen der Finanzbehörde, deren Auswertung zur Feststellung der Besteuerungsgrundlagen geführt hat, zu unterrichten und bereits mit der Begründung die der Abgabenfestsetzung zugrunde gelegten Tatsachen nachzuweisen. Diese Quellen und Nachweise muss die Finanzbehörde ggf. im Rechtsmittelverfahren beibringen. Das FG verwechselt die Frage, ob ein Steuerbescheid ausreichend begründet ist, mit der Frage, ob die Begründung für den Bescheidempfänger auch plausibel bzw. überzeugend ist.

2. Der Bescheid vom leidet auch nicht an einem schwerwiegenden Begründungsfehler, soweit bei der Abgabenfestsetzung eine —gemäß § 162 AO zulässige— Schätzung vorgenommen und davon ausgegangen worden ist, dass bei jedem vorschriftswidrigen Verbringen mindestens 14 000 Stangen Zigaretten eingeschmuggelt worden sind.

Ein nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Nichtigkeit der Schätzung führender Fall, in dem sich die Finanzbehörde nicht an den wahrscheinlichen Besteuerungsgrundlagen orientiert, sondern bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt hat (vgl. , BFHE 194, 1, BStBl II 2001, 381; vom X R 33/99, BFH/NV 2002, 1415), ist der Streitfall jedenfalls nicht; entsprechende Feststellungen des FG, die eine solche Annahme rechtfertigen könnten, fehlen.

Der Ansicht des FG, solchen Fällen der willkürlichen Schätzung sei der Fall gleichzustellen, in dem der Bescheid nicht erkennen lasse, dass überhaupt und welche Schätzungserwägungen angestellt worden seien, ist nicht zu folgen. Zum einen ist der Begründung des Bescheids vom sowie dem Vorbringen des HZA im finanzgerichtlichen Verfahren (vgl. § 126 Abs. 2 AO) fraglos zu entnehmen, dass Schätzungserwägungen auf der Grundlage der Ermittlungsergebnisse des ZFA angestellt worden sind, wenngleich diese Erwägungen sowie die Schätzungsgrundlagen nicht näher bezeichnet werden. Zum anderen wird es unterschiedlich beurteilt und mag von den Umständen des Einzelfalls abhängen, welche Begründungsanforderungen an einen Schätzungsbescheid zu stellen sind, (vgl. , BFHE 188, 10, BStBl II 1999, 382). So dürfte es im Streitfall zweifelhaft sein, ob die Erkenntnisse aus den Telefonüberwachungsmaßnahmen des ZFA, auf denen die Schätzungen nach den Angaben des HZA beruhen, bereits in die Begründung der Abgabenfestsetzung aufzunehmen waren oder ob es nicht vielmehr ausgereicht hätte, sie im Rechtsmittelverfahren auf Verlangen offenzulegen. Jedenfalls kann es aber offenbleiben, ob das Fehlen näherer Ausführungen zu den Schätzungsgrundlagen ein Begründungsmangel ist, da Mängel bei der Begründung nicht zur Nichtigkeit, sondern allenfalls zur Anfechtbarkeit eines Verwaltungsakts führen (, BFHE 160, 207, BStBl II 1990, 612).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1287 Nr. 8
BFH/PR 2009 S. 310 Nr. 8
HFR 2009 S. 858 Nr. 9
DAAAD-23335