EuGH Urteil v. - C-250/95

Leitsatz

1. Es verstösst nicht gegen Artikel 52 des Vertrages, wenn ein Mitgliedstaat den Verlustvortrag aus früheren Jahren bei einem Steuerpflichtigen, der in seinem Gebiet eine Zweigniederlassung, nicht aber seinen Sitz hat, davon abhängig macht, daß die Verluste in wirtschaftlichem Zusammenhang mit Einkünften stehen, die der Steuerpflichtige in diesem Staat erzielt hat, sofern Steuerinländer nicht besser behandelt werden.

2. Es verstösst gegen Artikel 52 des Vertrages, wenn ein Mitgliedstaat den Verlustvortrag aus früheren Jahren bei einem Steuerpflichtigen, der in seinem Gebiet eine Zweigniederlassung, nicht aber seinen Sitz hat, davon abhängig macht, daß der Steuerpflichtige während des Geschäftsjahres, in dessen Verlauf die Verluste entstanden sind, in diesem Staat entsprechend dem einschlägigen nationalen Recht Bücher über seine dortigen Tätigkeiten geführt und aufbewahrt hat.

Gesetze: EG Art. 52

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Entscheidungsgründe

1 Der luxemburgische Conseil d’Etat hat mit Urteil vom , beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung des Artikels 52 EWG-Vertrag (nunmehr EG-Vertrag) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich im Rahmen einer Klage der Futura Participations SA (Klägerin zu 1), Paris, und ihrer luxemburgischen Zweigniederlassung Singer (Klägerin zu 2) gegen die Steuerverwaltung wegen der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die von der Klägerin zu 2 im Kalenderjahr 1986 zu zahlende Einkommensteuer.

3 Das Abkommen zwischen Frankreich und dem Großherzogtum Luxemburg vom zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und über gegenseitige Amtshilfe auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Doppelbesteuerungsabkommen) sieht in Artikel 4 Absatz 2 vor, daß die beiden Vertragsstaaten, wenn ein Unternehmen in beiden eine Betriebstätte hat, jeweils nur die Einkünfte besteuern, die aus der Tätigkeit der festen Niederlassungen auf ihrem Gebiet stammen. Im Sinne dieses Doppelbesteuerungsabkommens ist eine Zweigniederlassung eine Betriebstätte (Artikel 2 Absatz 3 Nr. 2 Buchstabe b).

4 Die Artikel 159 und 160 des luxemburgischen Gesetzes vom über die Einkommensteuer (Einkommensteuergesetz) unterwerfen alle Organismen mit kollektivem Charakter (Körperschaften, Personenvereinigungen und bestimmte Vermögensmassen) der Körperschaftsteuer.

5 Bei in Luxemburg ansässigen Organismen mit kollektivem Charakter (Steuerinländern) unterliegen grundsätzlich sämtliche Einkünfte unabhängig von dem Ort, an dem sie erzielt werden, der Körperschaftsteuer (Artikel 159 Absatz 2 des Einkommensteuergesetzes). Hat ein Steuerinländer Einkünfte außerhalb Luxemburgs, gibt es zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung bestimmte Befreiungen. So sind die im Ausland erzielten Einkünfte von der luxemburgischen Steuer befreit, wenn ein Doppelbesteuerungsabkommen einschlägig ist (Artikel 134 des Einkommensteuergesetzes). Ist das nicht der Fall, hat der Steuerinländer auf sämtliche im Ausland erzielten Einkünfte die luxemburgische Steuer zu entrichten, die um die im Ausland auf die fraglichen Einkünfte bereits gezahlten Steuern gemindert wird (Artikel 134 bis des Einkommensteuergesetzes).

6 Im übrigen kann der Steuerinländer nach Artikel 109 Absatz 2 des Einkommensteuergesetzes vom Gesamtbetrag seiner Einkünfte Verlustvorträge aus früheren Jahren abziehen, sofern er während des Geschäftsjahres, in dem der Verlust entstanden ist, ordnungsmäßige Bücher geführt hat (Artikel 114 Absatz 2 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes).

7 Organismen mit kollektivem Charakter, die nicht in Luxemburg ansässig sind (Steuerausländer), sind mit ihren inländischen Einkünften, also mit Einkünften körperschaftsteuerpflichtig, die unmittelbar oder mittelbar durch ihre Betriebstätte in Luxemburg erzielt wurden (Artikel 160 Absatz 1 des Einkommensteuergesetzes).

8 Steuerausländer sind nicht verpflichtet, über ihre Tätigkeit in Luxemburg eigene Bücher zu führen. Führen sie solche Bücher nicht, so können sie ihr in Luxemburg steuerbares Einkommen durch proratarische Aufteilung ihres Gesamteinkommens derart ermitteln, daß ein Teil dieses Einkommens als aus der luxemburgischen Tätigkeit des Steuerpflichtigen herrührend gilt.

9 Weiter können Steuerausländer gemäß Artikel 157 Absatz 2 des Einkommensteuergesetzes Verlustvorträge aus früheren Jahren vom Gesamtbetrag ihrer Einkünfte abziehen, soweit diese mit inländischen Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen und im Inland Bücher geführt wurden. In der Sitzung hat die luxemburgische Regierung bestätigt, daß diese Voraussetzung nur erfüllt ist, wenn die Buchführung über die Tätigkeiten des Steuerpflichtigen in Luxemburg dem einschlägigen luxemburgischen Recht entspricht (ordnungsmäßige Buchführung).

10 Die Klägerin zu 2 verfügte für das Geschäftsjahr 1986 nicht über eine ordnungsmäßige Buchführung. Sie hat daher ihre steuerbaren Einkünfte für dieses Jahr durch Aufteilung der Gesamteinkünfte der Klägerin zu 1 ermittelt. In ihrer Steuererklärung für dieses Geschäftsjahr hat sie weiter beantragt, von ihren Einkünften aus diesem Jahr bestimmte Verluste von insgesamt mehr als 23 000 000 LFR abzuziehen, die in den Jahren 1981 bis 1986 entstanden seien. Da die Klägerin zu 2 auch für diesen Zeitraum über keine ordnungsmäßige Buchführung verfügte, wurde auch die Verluste durch Aufteilung der Gesamtverluste der Klägerin zu 1 während dieses Zeitraums ermittelt.

11 Die Steuerverwaltung hat diesen Antrag abgelehnt. Sie machte geltend, nach luxemburgischem Recht könne ein Steuerausländer einen Verlust nur unter der Bedingung des Artikels 157 Absatz 2 des Einkommensteuergesetzes vortragen, nicht „durch Aufteilung”. Dieser Bescheid wurde am vom Direktor der Steuerverwaltung bestätigt.

12 Die Klägerinnen haben vor dem nationalen Gericht Klage auf Abänderung, hilfsweise auf Aufhebung dieses Bescheides erhoben. Dabei haben sie geltend gemacht, es sei mit der ihnen in Artikel 52 EG-Vertrag gewährleisteten Niederlassungsfreiheit nicht vereinbar, die Berücksichtigung der fraglichen Verluste abzulehnen.

13 Das vorlegende Gericht hat mit Urteil vom dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind Artikel 157 des Einkommensteuergesetzes und, soweit erforderlich, die Artikel 4 und 21 Absatz 2 Unterabsatz 2 des französisch-luxemburgischen Doppelbesteuerungsabkommens mit Artikel 52 EWG-Vertrag vereinbar, soweit sie die Anwendung der Bestimmungen über den Verlustvortrag auf Steuerausländer, die eine Betriebstätte in Luxemburg haben, von der Voraussetzung abhängig machen. daß die Verluste im Zusammenhang mit inländischen Einkünften stehen und daß im Inland ordnungsmäßige Bücher geführt und aufbewahrt werden?

Die Zulässigkeit der vorgelegten Frage

14 Nach Auffassung der französischen Regierung enthält die Vorlage keine hinreichenden Angaben zum sachlichen und rechtlichen Rahmen der Klage, so daß die Mitgliedstaaten zu ihr nicht Stellung nehmen könnten und der Gerichtshof dem nationalen Gericht keine hilfreiche Antwort auf die gestellte Frage geben könne. Das Vorabentscheidungsersuchen sei somit unzulässig.

15 Wie der Generalanwalt in den Nummern 21 und 22 seiner Schlußanträge dargelegt hat, ergibt sich aus der gestellten Frage sowie der Vorlageentscheidung alles, was für eine sachliche und rechtliche Würdigung der Rechtssache erforderlich ist. Das Vorabentscheidungsersuchen ist damit zulässig.

Die gestellte Frage

16 Das nationale Gericht fragt, ob es gegen Artikel 52 EG-Vertrag verstößt, wenn ein Mitgliedstaat den Verlustvortrag durch einen Steuerpflichtigen, der in diesem Staat eine Zweigniederlassung, nicht aber seinen Sitz hat, davon abhängig macht, daß zum einen die Verluste in wirtschaftlichem Zusammenhang mit den Einkünften stehen, die der Steuerpflichtige in diesem Staat erzielt hat, und daß der Steuerpflichtige zum anderen während des Geschäftsjahres, in dem die Verluste entstanden sind, in diesem Staat Bücher über seine Tätigkeiten geführt und aufbewahrt hat, die dem einschlägigen nationalen Recht entsprechen.

17 Der Verlustvortrag ist somit von zwei Voraussetzungen abhängig, von denen die eine den wirtschaftlichen Zusammenhang, die andere die Buchführung betrifft; diese sind nacheinander zu erörtern. Während die erste Voraussetzung Daten betrifft, die bei der Festsetzung der Steuer eine Rolle spielen können, betrifft die zweite nur für die Festsetzung relevante Belege.

Die erste Voraussetzung (der wirtschaftliche Zusammenhang)

18 Nach der ersten Voraussetzung muß der Verlustvortrag in wirtschaftlichem Zusammenhang mit Einkünften stehen, die im Mitgliedstaat der Besteuerung erzielt wurden, so daß nur Verluste vorgetragen werden können, die sich aus der Tätigkeit des Steuerausländers im Gebiet dieses Staates ergeben.

19 Nach ständiger Rechtsprechung fallen die direkten Steuern in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, wobei diese ihre Befugnisse jedoch unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben und deshalb jede offene oder verdeckte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit unterlassen müssen (Urteile vom in der Rechtssache C-279/93, Schumacker, Slg. 1995, I-225, Randnrn. 21 und 26; vom in der Rechtssache C-80/94, Wielockx, Slg. 1995, I-2493, Randnr. 16; und vom in der Rechtssache C-107/94, Asscher, Slg. 1996, I-3089, Randnr. 36).

20 Nach dem Einkommensteuergesetz sind Steuerinländer mit ihrem gesamten Einkommen steuerpflichtig, ohne daß die Bemessungsgrundlage auf die luxemburgischen Tätigkeiten beschränkt wäre. Auch wenn es Befreiungen gibt, kraft deren ein Teil oder in bestimmten Fällen auch sämtliche außerhalb Luxemburgs erzielten Einkünfte der luxemburgischen Steuer nicht unterliegen, umfaßt die Bemessungsgrundlage dieser Steuerpflichtigen somit zumindest die Gewinne und Verluste aus ihrer luxemburgischen Tätigkeit.

21 Für die Berechnung der Bemessungsgrundlage der Steuer von Steuerausländern werden hingegen bei der Festsetzung der luxemburgischen Steuer nur die Gewinne und Verluste berücksichtigt, die aus ihren luxemburgischen Tätigkeiten stammen.

22 Diese Regelung, die dem steuerlichen Territorialitätsprinzip entspricht, enthält weder eine offene noch eine verdeckte Diskriminierung, wie sie der EG-Vertrag verbietet.

Die zweite Voraussetzung (die Buchführung)

23 Nach der zweiten Voraussetzung muß der Steuerpflichtige während des Geschäftsjahres, in dem die Verluste entstanden sind, deren Vortrag er beantragt, im Mitgliedstaat der Besteuerung gemäß dem einschlägigen nationalen Recht Bücher über seine Tätigkeiten in diesem Staat geführt haben.

24 Das kann im Sinne des Artikels 52 EG-Vertrag eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit einer Gesellschaft darstellen, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem ihres Sitzes eine Zweigniederlassung gründen will; Gesellschaften sind in Artikel 58 EG-Vertrag den natürlichen Personen gleichgestellt, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind.

25 Die Voraussetzung bewirkt nämlich, daß eine solche Gesellschaft, will sie Verluste ihrer Zweigniederlassung vortragen, neben ihren eigenen Büchern, die dem Steuerrecht des Mitgliedstaats ihres Sitzes entsprechen müssen, getrennte Bücher über die Tätigkeiten ihrer Zweigniederlassung nach dem Steuerrecht des Staates führen muß, in dem die letztere sich befindet. Diese Bücher müssen zudem am Ort der Zweigniederlassung, nicht am Sitz der Gesellschaft aufbewahrt werden.

26 Damit verstößt diese Voraussetzung, die spezifisch Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat trifft, grundsätzlich gegen Artikel 52 EG-Vertrag Etwas anderes gilt nur, wenn die Maßnahme ein legitimes Ziel verfolgt, das mit dem EG-Vertrag vereinbar und durch zwingende Gründe des öffentlichen Interesses gerechtfertigt ist. Erforderlich ist zudem, daß die Maßnahme zur Erreichung des fraglichen Zieles geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich (vgl. Urteil vom in der Rechtssache C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Randnr. 37; vom in der Rechtssache C-19/92, Kraus, Slg. 1993, I-1663, Randnr. 32; und vom in der Rechtssache C-415/93, Bosman, Slg. 1995, 1-4921, Randnr. 104).

27 Die luxemburgische und die Regierung des Vereinigten Königreichs tragen vor, daß eine nationale Maßnahme wie die zweite Voraussetzung unerläßlich sei, damit die Steuerbehörden eines Mitgliedstaats die Höhe des dort zu versteuernden Einkommens überprüfen können.

28 Die luxemburgische Regierung führt weiter aus, die nationale Bestimmung, daß der Steuerausländer während des Geschäftsjahres, während dessen die Verluste eingetreten sind, deren Vortrag er beantragt, über seine Tätigkeiten in Luxemburg ordnungsmäßige Bücher geführt haben müsse, stelle eine Beweisregel dar, die gerechtfertigt sei, weil der betroffene Staat überprüfen müsse, ob die Verluste, deren Vortrag begehrt werde, zum einen tatsächlich aus luxemburgischen Tätigkeiten des Steuerpflichtigen stammten und zum anderen nach dem luxemburgischen Recht über die Berechnung der Einkünfte und der Verluste, die während des Geschäftsjahres gegolten hätten, in dem die Verluste entstanden seien, den dem Steuerpflichtigen tatsächlich entstandenen Verlusten der Höhe nach entsprächen.

29 Im übrigen müsse der Steuerpflichtige seine ordnungsmäßigen Bücher während dieses Geschäftsjahres in luxemburgischem Gebiet aufbewahren, damit die Steuerbehörden die Besteuerungsunterlagen jederzeit überprüfen könnten.

30 Nach Auffassung der Kommission sind die mit der zweiten Voraussetzung verfolgten Ziele zwar vor dem EG-Vertrag legitim, ist aber diese Voraussetzung zu ihrer Erreichung nicht unerläßlich. Die luxemburgischen Behörden könnten nämlich die Höhe der Verluste anhand der vom Steuerausländer an seinem Sitz geführten Bücher überprüfen. Im übrigen könnten diese Behörden nach der Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern (ABl. L 336, S. 15) die Behörden eines anderen Mitgliedstaats um alle Auskünfte ersuchen, die für die Festsetzung der Steuer eines Steuerpflichtigen erforderlich seien.

31 Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, daß die Wirksamkeit der Steueraufsicht ein zwingender Grund des Allgemeininteresses ist, der eine Beschränkung der vom EG-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten rechtfertigen kann (siehe z. B. Urteil vom in der Rechtssache 120/78, Rewe-Zentral – Cassis de Dijon –, Slg. 1979, 649, Randnr. 8). Ein Mitgliedstaat hat damit das Recht zur Anwendung von Maßnahmen, die die klare und eindeutige Feststellung der Höhe sowohl der in diesem Staat steuerbaren Einkünfte wie eines Verlustvortrags erlauben.

32 Entgegen der Auffassung der Kommission ließen sich die mit der zweiten Voraussetzung verfolgten Ziele beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts nicht erreichen, wenn die luxemburgischen Behörden die Einzelbeträge, aus denen sich die Bemessungsgrundlage zusammensetzt, nur anhand der Bücher überprüfen könnten, die der Steuerausländer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats führt.

33 Bis heute sind nämlich die nationalen Vorschriften über die Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die direkten Steuern nicht harmonisiert. Daher stellt jeder Mitgliedstaat seine eigenen Vorschriften für die Ermittlung der Gewinne, Einkünfte, Betriebsausgaben, Abzüge und Befreiungen sowie ihrer jeweiligen Höhe auf, die bei der Berechnung der steuerbaren Einkünfte oder eines Verlustvortrags berücksichtigt werden.

34 Ohne Belang ist insoweit, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber in Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g EG-Vertrag eine gewisse Koordinierung der Vorschriften über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen vorgesehen hat. Selbst wenn nämlich die nach den gemeinsamen Vorschriften errichteten Bilanzen einer Gesellschaft zwischen den Tätigkeiten ihrer verschiedenen Betriebstätten unterschieden – das schreiben diese Vorschriften nicht vor –, so wären die in diesen Abschlüssen etwa angegebenen Beträge für die Berechnung der einschlägigen Bemessungsgrundlage nicht unbedingt erheblich.

35 Somit gibt es keine Gewähr dafür, daß sich den gemäß den gemeinsamen Koordinierungsregeln erstellten Abschlüssen einer Gesellschaft oder denjenigen Abschlüssen, die erstellt wurden, um die Bemessungsgrundlage für die Steuer im Sitzstaat zu ermitteln, Angaben entnehmen lassen, die für die Höhe der steuerbaren Einkünfte und eines Verlustvortrags in einem anderen Mitgliedstaat, in dem die Gesellschaft eine Zweigniederlassung hat, erheblich sind.

36 Zu prüfen bleibt jedoch, ob die zweite Voraussetzung nicht über das hinausgeht, was zur Überprüfung der Höhe der Verluste erforderlich ist, die von den Einkünften abgezogen werden können, die ein Steuerpflichtiger in einem Geschäftsjahr nach dem Geschäftsjahr erzielt hat, in dem die Verluste entstanden sind.

37 Nach luxemburgischem Recht sind Steuerausländer im Allgemeinen nicht verpflichtet, über ihre Tätigkeiten in Luxemburg ordnungsmäßige Bücher zu führen, so daß die luxemburgischen Behörden grundsätzlich auf jede Möglichkeit verzichtet haben, in diese Buchführung Einsicht zu nehmen (siehe Randnr. 8).

38 Nur wenn ein Steuerausländer Verlustvorträge aus einem früheren Geschäftsjahr absetzen will, muß er belegen, daß er während dieses Jahres über seine Tätigkeiten in Luxemburg ordnungsmäßige Bücher geführt und dort aufbewahrt hat.

39 In dem Zeitpunkt, in dem der Verlustvortrag geltend gemacht wird, besteht das einzige Interesse der luxemburgischen Behörden jedoch darin, klar und eindeutig feststellen zu können, ob die Verluste, deren Vortrag beantragt wird, nach dem luxemburgischen Recht über die Berechnung der Einkünfte und der Verluste, das während des Geschäftsjahres galt, in dem die Verluste entstanden sind, den dem Steuerpflichtigen in Luxemburg tatsächlich entstandenen Verlusten der Höhe nach entsprechen. Soweit also der Steuerpflichtige klar und eindeutig die Höhe der fraglichen Verluste belegt, dürfen diese Behörden ihm den Vortrag nicht mit der Begründung verweigern, er habe im fraglichen Geschäftsjahr über seine Tätigkeiten in Luxemburg keine ordnungsmäßigen Bücher geführt und dort aufbewahrt.

40 In einem Fall der vorliegenden Art ist es nicht unerläßlich, die Mittel, mit denen der Steuerausländer die Höhe der Verluste belegen kann, deren Vortrag er beantragt, auf die im luxemburgischen Recht vorgesehenen zu beschränken.

41 Namentlich können die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats stets gemäß der Richtlinie 77/799 die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats um alle Auskünfte ersuchen, vermittels deren sie unter ihrem Recht die Steuern vom Einkommen eines Steuerpflichtigen, der seinen Sitz in dem anderen Mitgliedstaat hat, zutreffend festsetzen können.

42 Wenn ein Mitgliedstaat einem Steuerausländer gestattet, sein steuerbares Einkommen durch proratarische Aufteilung seines Gesamteinkommens zu ermitteln, so verpflichtet ihn das freilich nicht dazu, auch die Ermittlung eines Verlustvortrags auf der Basis einer Aufteilung der Gesamtverluste zu akzeptieren. Angesichts der mangelnden Genauigkeit der Aufteilung ist ein Mitgliedstaat nicht verpflichtet, die Bemessungsgrundlage für die Besteuerung eines Steuerpflichtigen allein auf dieser Basis zu ermitteln.

43 Auf die Vorlagefrage ist somit zu antworten, daß es nicht gegen Artikel 52 EG-Vertrag verstößt, wenn ein Mitgliedstaat den Verlustvortrag aus früheren Jahren bei einem Steuerpflichtigen, der in seinem Gebiet eine Zweigniederlassung, nicht aber seinen Sitz hat, davon abhängig macht, daß die Verluste in wirtschaftlichem Zusammenhang mit Einkünften stehen, die der Steuerpflichtige in diesem Staat erzielt hat, sofern Steuerinländer nicht besser behandelt werden. Es verstößt hingegen gegen Artikel 52 EG-Vertrag, wenn Voraussetzung des Verlustvortrags ist, daß der Steuerpflichtige während des Geschäftsjahres, in dessen Verlauf die Verluste entstanden sind, in diesem Staat entsprechend dem einschlägigen nationalen Recht Bücher über seine dortigen Tätigkeiten geführt und aufbewahrt hat. Der Mitgliedstaat kann jedoch verlangen, daß der Steuerausländer klar und eindeutig belegt, daß die von ihm geltend gemachten Verluste nach dem im fraglichen Geschäftsjahr einschlägigen inländischen Recht über die Berechnung der Einkünfte und der Verluste den dem Steuerausländer in diesem Mitgliedstaat tatsächlich entstandenen Verlusten der Höhe nach entsprechen.

Kosten

Die Auslagen der französischen, der luxemburgischen und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Fundstelle(n):
BAAAD-22783