Zusätzliche Zölle auf die Einfuhren bestimmter Waren mit Ursprung in den Vereinigten Staaten von Amerika
Leitsatz
Art. 4 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2193/2003 ist in einem mit seinem Wortlaut übereinstimmenden Sinn auszulegen, nämlich dahin, dass Waren, die sich nachweislich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung bereits auf dem Weg in die Europäische Gemeinschaft befinden und deren Bestimmungsort nicht geändert werden kann, nicht vom Zusatzzoll betroffen sind.
Gesetze: Verordnung (EG) Nr. 2193/2003 Art. 4 Abs. 2
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2193/2003 des Rates vom zur Einführung zusätzlicher Zölle auf die Einfuhren bestimmter Waren mit Ursprung in den Vereinigten Staaten von Amerika (ABl. L 328, S. 3).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Hauptzollamt Bremen (im Folgenden: Hauptzollamt) und der J. E. Tyson Parketthandel GmbH hanse j. (im Folgenden: Tyson Parketthandel) wegen der Erhebung eines Zusatzzolls auf eine aus den Vereinigten Staaten stammende Sendung Landhausdielen.
Gemeinschaftsrechtlicher Rahmen
3 Der dritte, der fünfte und der sechste Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2193/2003 lauten:
"(3) Die stufenweise Einführung von Zusatzzöllen von bis zu 17 % ad valorem auf Einfuhren bestimmter Waren mit Ursprung in den USA wird aufgrund der Nichtbeachtung der Empfehlungen des Streitbeilegungsgremiums [der Welthandelsorganisation (WTO)] durch die USA als zunächst angemessene Gegenmaßnahme betrachtet. Wenn der Zusatzzoll den oben genannten Satz erreicht hat, sollte die Kommission dem Rat auf der Grundlage der zwischenzeitlichen Entwicklungen einen Vorschlag für weitere Maßnahmen vorlegen.
...
(5) Auf Waren, für die vor dem Inkrafttreten der vorliegenden Verordnung eine Einfuhrlizenz mit einer Zollbefreiung oder einer Zollermäßigung ausgestellt worden ist, sollten keine Zusatzzölle erhoben werden.
(6) Auf Waren, die nachweislich vor dem Inkrafttreten der Zusatzzölle aus den USA in die Gemeinschaft ausgeführt worden sind, sollten keine Zusatzzölle erhoben werden."
4 Art. 2 Abs. 1 erster Gedankenstrich dieser Verordnung bestimmt:
"Zusätzlich zu den gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 geltenden Zöllen werden auf die im Anhang dieser Verordnung aufgeführten Waren mit Ursprung in den Vereinigten Staaten folgende Wertzölle erhoben:
- 5 % vom bis ."
5 Art. 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung sieht vor:
"(1) Im Anhang aufgeführte Waren, für die vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung eine Einfuhrlizenz mit einer Zollbefreiung oder einer Zollermäßigung ausgestellt worden ist, sind nicht vom Zusatzzoll betroffen.
(2) Im Anhang aufgeführte Waren, die sich nachweislich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung bereits auf dem Weg in die Gemeinschaft befinden und deren Bestimmungsort nicht geändert werden kann, sind nicht vom Zusatzzoll betroffen."
6 Art. 5 der Verordnung Nr. 2193/2003 bestimmt:
"Diese Verordnung tritt am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft."
7 Die Verordnung wurde am im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
8 Am meldete Tyson Parketthandel eine aus den Vereinigten Staaten stammende Sendung Landhausdielen aus Kirschholz, die am zur Verschiffung verladen worden war, zur Abfertigung zum freien Verkehr an; die Sendung fällt unter die Unterposition 4409 20 98 der Kombinierten Nomenklatur, die den Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1789/2003 der Kommission vom 11. September 2003 (ABl. L 281, S. 1) geänderten Fassung bildet.
9 Mit Abgabenbescheid vom selben Tag setzte das Hauptzollamt Einfuhrabgaben, d. h. einen Zusatzzoll und Einfuhrumsatzsteuer, gegen Tyson Parketthandel fest. Der Zusatzzoll wurde als Wertzoll nach einem Zollsatz von 5 % gemäß Art. 2 Abs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2193/2003 erhoben.
10 Tyson Parketthandel legte gegen diesen Abgabenbescheid nur insoweit Einspruch ein, als er den Zusatzzoll betraf; dieser Einspruch blieb erfolglos.
11 Tyson Parketthandel erhob gegen die ihren Einspruch zurückweisende Entscheidung Klage beim Finanzgericht Bremen, das den an diese Gesellschaft gerichteten Einfuhrabgabenbescheid insoweit aufhob, als ein Zusatzzoll festgesetzt und bei der Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer berücksichtigt worden war. Das Finanzgericht Bremen urteilte nämlich, dass die Übergangsregelung in Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2193/2003 unter Berücksichtigung des Wortlauts des sechsten Erwägungsgrundes dieser Verordnung dahin auszulegen sei, dass kein Zusatzzoll auf Waren zu erheben sei, die sich vor dem Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung der Zusatzzollregelung, d. h. vor dem , bereits auf dem Weg in die Gemeinschaft befunden hätten und deren Bestimmungsort nicht habe geändert werden können.
12 Im Rahmen seiner Revision, die es gegen das Urteil des Finanzgerichts Bremen eingelegt hat, macht das Hauptzollamt geltend, dass Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2193/2003 nicht in einem Sinn auszulegen sei, der seinem eindeutigen Wortlaut widerspreche.
13 In seiner Vorlageentscheidung führt der Bundesfinanzhof aus, dass der klare und eindeutige Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2193/2003 sowie der Vergleich mit der französischen und der englischen Sprachfassung dieser Bestimmung dafür sprächen, sie gemäß ihrem Wortlaut anzuwenden. Das vorlegende Gericht hegt jedoch angesichts des sechsten Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 2913/2003 Zweifel, ob der Wortlaut von deren Art. 4 Abs. 2 dem Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers entspricht.
14 Da der Bundesfinanzhof der Auffassung ist, dass die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits von der Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2193/2003 abhängig ist, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2193/2003 entgegen seinem Wortlaut dahin auszulegen, dass solche Waren nicht vom Zusatzzoll betroffen sind, die sich nachweislich zum Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung der Zusatzzölle auf dem Weg in die Gemeinschaft befinden und deren Bestimmungsort nicht geändert werden kann?
Zur Vorlagefrage
15 Die Zweifel des vorlegenden Gerichts hinsichtlich der dieser Bestimmung zu gebenden Auslegung beruhen darauf, dass der Wortlaut des sechsten Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 2193/2003 dahin geht, dass auf Waren, die nachweislich vor dem Inkrafttreten dieser Zusatzzölle - d. h. gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung vor dem - aus den Vereinigten Staaten in die Gemeinschaft ausgeführt worden sind, keine Zusatzzölle erhoben werden sollten. Eine solche Formulierung lässt daher eine gewisse Mehrdeutigkeit im Verhältnis zwischen der vom Gemeinschaftsgesetzgeber in dieser Weise ausgedrückten Absicht und dem ausdrücklichen Wortlaut des genannten Art. 4 Abs. 2 entstehen, wonach vom Zusatzzoll Waren nicht betroffen sind, die sich nachweislich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung, also gemäß Art. 5 der Verordnung am , bereits auf dem Weg in die Gemeinschaft befinden.
16 Insoweit ist zunächst daran zu erinnern, dass die Erwägungsgründe eines Gemeinschaftsrechtsakts rechtlich nicht verbindlich sind und weder herangezogen werden können, um von den Bestimmungen des betreffenden Rechtsakts abzuweichen, noch, um diese Bestimmungen in einem Sinn auszulegen, der ihrem Wortlaut offensichtlich widerspricht (vgl. u. a. Urteil vom , Deutsches Milch-Kontor, C-136/04, Slg. 2005, I-10095, Randnr. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
17 Sodann ist festzustellen, dass weder die vorbereitenden Arbeiten für die Verordnung Nr. 2193/2003 noch ein Vergleich der verschiedenen Sprachfassungen dieser Verordnung darauf hindeuten, dass der Wortlaut ihres Art. 4 Abs. 2 einen redaktionellen Fehler enthält.
18 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass Art. 4 Abs. 2, dessen Wortlaut im Übrigen eindeutig ist, in dem von der Verordnung Nr. 2193/2003 eingeführten System stimmig ist. Wie die Kommission ausgeführt hat, müssen sich die Wirtschaftsteilnehmer nämlich darauf verlassen können, dass die Waren, die sie vor dem Zeitpunkt der Veröffentlichung und des Inkrafttretens dieser Verordnung aus den Vereinigten Staaten in die Gemeinschaft ausgeführt haben, nicht den mit dieser Verordnung eingeführten Zusatzzöllen unterliegen. Dagegen ist diese Erwartung in Bezug auf Waren, die erst nach diesem Zeitpunkt ausgeführt worden sind, nicht schutzwürdig, da die Wirtschaftsteilnehmer von diesem Zeitpunkt an wissen mussten, dass die Zusatzzölle gemäß den Bestimmungen der Verordnung anwendbar sein würden.
19 Aus diesen Erwägungen folgt, dass der sechste Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2193/2003 nicht herangezogen werden kann, um deren Art. 4 Abs. 2 in einem Sinn auszulegen, der dem Wortlaut dieser Bestimmung offensichtlich widerspricht.
20 Somit ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2193/2003 in einem mit seinem Wortlaut übereinstimmenden Sinn auszulegen ist, nämlich dahin, dass Waren, die sich nachweislich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung bereits auf dem Weg in die Gemeinschaft befinden und deren Bestimmungsort nicht geändert werden kann, nicht vom Zusatzzoll betroffen sind.
Kostenentscheidung:
Kosten
21 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
RAAAD-22007