Leitsatz
Wer in einem Bordell eine Gaststätte betreibt und dort die Anbahnung von Kontakten zwischen Prostituierten und Kunden ermöglicht, leistet dadurch nicht stets im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG der Unsittlichkeit Vorschub.
Gesetze: GaststättenG § 4 Abs. 1; GG Art. 1 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1
Instanzenzug: VGH Bayern, 22 BV 3313/06 vom VG Augsburg, 4 K 290/06 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein
Gründe
Die Beschwerde, die sich allein auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO beruft, hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund liegt nicht vor.
Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt ( BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14).
Die von der Beschwerdeführerin gestellte Frage,
"Ist die gaststättenrechtliche Erlaubnis für den Ausschank von (alkoholischen und nichtalkoholischen) Getränken in einem Bordell zu versagen, weil dadurch der Unsittlichkeit im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG Vorschub geleistet wird?",
erfordert keine Klärung in einem Revisionsverfahren. Dazu genügt nicht, dass die Frage von einem Teil der Literatur noch bejaht wird (vgl. zum Streitstand Gurlit, VerwArch 2006, 409 <425 f.> und GewArch 2008, 426 <427> je m.w.N.), oder dass sie seit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes nicht (wieder) Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung war. Nur wenn ihre Klärung gerade eine solche Entscheidung verlangt, muss zur Wahrung der Rechtseinheit einschließlich der gebotenen Rechtsfortentwicklung ein Revisionsverfahren durchgeführt werden. Das ist nicht der Fall, wenn die Frage sich anhand der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung ohne weiteres beantworten lässt (vgl. Beschlüsse vom - BVerwG 4 B 91.97 - Buchholz 407.4 § 5 FStrG Nr. 10 und vom - BVerwG 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> = Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 228). Hier zeichnet das BVerwG 6 C 16.02 - (Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 25), das die frühere Rechtsprechung zum Tatbestandsmerkmal der Unsittlichkeit fortentwickelt, dessen Auslegung auch in Bezug auf die Prostitution vor.
Danach ist der Rechtsbegriff der Unsittlichkeit nicht als moralische Kategorie oder ethische Forderung zu verstehen, sondern im Hinblick auf den Normzweck der Gefahrenabwehr und mit Rücksicht auf die grundrechtlichen Gewährleistungen in Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG auszulegen. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG soll das Zusammenleben der Menschen ordnen, soweit deren Verhalten sozialrelevant ist, d.h. nach außen in Erscheinung tritt und das Allgemeinwohl beeinträchtigen kann. Die Vorschrift dient nicht dazu, die Sittlichkeit um ihrer selbst willen zu wahren, sie zu fördern oder zu ihr zu erziehen. Ihr Anwendungsbereich beschränkt sich auf Vorgänge, die dem grundgesetzlich verbürgten Menschenbild widersprechen, mit Strafe oder Bußgeld bedroht sind oder wegen ihres Öffentlichkeitsbezugs einem sozialethischen Unwerturteil unterliegen. Dazu zählt sexuelles Verhalten, das schutzwürdige Belange der Allgemeinheit berührt, insbesondere, wenn es nach außen tritt und dadurch die ungestörte Entwicklung junger Menschen in ihrer Sexualsphäre gefährden kann oder andere Personen, die hiervon unbehelligt bleiben wollen, erheblich belästigt ( BVerwG 1 C 44.74 - BVerwGE 49, 160 <163 f.> = Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 6 S. 8 und vom a.a.O. S. 4 f.).
Auf freier Selbstbestimmung beruhende, den Regelungen des Prostitutionsgesetzes entsprechende sexuelle Handlungen ohne Öffentlichkeitsbezug widersprechen nicht schon wegen ihrer Entgeltlichkeit dem Menschenbild des Grundgesetzes. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisten die freie Selbstbestimmung auch in sexueller Hinsicht. Sie schützen den Einzelnen vor einer Beeinträchtigung dieser Selbstbestimmung und vor einer Behandlung oder Darstellung, die seine Subjektqualität oder seinen Wert- und Achtungsanspruch leugnet, indem sie ihn zum entpersonalisierten Objekt entwürdigt (Urteil vom a.a.O. S. 5 f.). Das Vorliegen solcher Umstände hat der Verwaltungsgerichtshof aufgrund seiner nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Tatsachenfeststellungen ebenso verneint wie einen Verstoß gegen Straf- oder Bußgeldtatbestände.
Für die Frage, ob die Prostitution wegen ihres Öffentlichkeitsbezugs einem sozialethischen Unwerturteil unterliegt, sind die sozialethischen Wertvorstellungen maßgeblich, die in der Rechtsgemeinschaft als Ordnungsvoraussetzungen anerkannt, jedoch dem geschichtlichen Wandel unterworfen sind ( BVerwG 1 C 26.87 - BVerwGE 84, 314 <317 ff.> = Buchholz 451.20 § 33a GewO Nr. 7 S. 6 ff. und vom a.a.O. S. 4 f.). Der früheren Rechtsprechung, die aufgrund der damaligen Wertvorstellungen die Prostitution stets für unsittlich hielt ( BVerwG 1 C 45.77 - BVerwGE 60, 284 <289> = Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 71) und deshalb den Betrieb eines sie fördernden Ausschanks als Vorschubleisten im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG beurteilte (Beschlüsse vom - BVerwG 1 B 74.90 - Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 17 und vom - BVerwG 1 B 24.96 - Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 21), hat der im Erlass des Prostitutionsgesetzes zum Ausdruck kommende Wandel der sozialethischen Wertvorstellungen die Grundlage entzogen. Nach den heutigen Wertvorstellungen der Rechtsgemeinschaft ist die kommerzielle Ausnutzung sexueller Bedürfnisse oder Interessen nicht mehr grundsätzlich als sittenwidrig anzusehen. Selbst entgeltliche sexuelle Handlungen werden nicht mehr "automatisch" als unsittlich beurteilt (Urteil vom a.a.O. S. 5; vgl. BTDrucks 14/5958 S. 6; zum Gesetzgebungsverfahren im Einzelnen vgl. Pöltl, Gaststättenrecht, 5. Aufl. 2003, § 4 Rn. 65 m.w.N.).
Der im Urteil vom nachgezeichnete Wandel der Wertvorstellungen der Rechtsgemeinschaft wird seither auch in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung berücksichtigt. Sie argumentiert nicht mehr mit einer Unsittlichkeit der Prostitution als solcher, sondern stellt auf deren konkreten Öffentlichkeitsbezug oder auf Verstöße gegen Rechtsvorschriften ab (vgl. VGH München, Beschlüsse vom - 22 CS 03.2276 - [...]; - Sperrgebietsverordnung und vom - 22 CE 04.2203 - GewArch 2004, 491 <492> - Menschenhandel; - GewArch 2005, 387 f. und M 16 S 04.2829 - jeweils Sperrgebietsverordnung; VG Gießen, Beschluss vom - 8 G 2592/04 - GewArch 2004, 432 - Verstöße gegen das Ausländergesetz, § 259 StGB; VG Weimar, Beschluss vom - 8 E 202/02.We - GewArch 2002, 298 <299> - Sperrgebietsverordnung; allgemein - GewArch 2005, 431 <432> und zuvor bereits das in den Materialien zum Prostitutionsgesetz, BTDrucks 14/5958 a.a.O., zustimmend zitierte VG 35 A 570.99 - GewArch 2001, 128). Auch der Bundesgerichtshof hält die Prostitution nicht mehr für grundsätzlich sittenwidrig (vgl. - NJW 2006, 3490 <3491> und vom - III ZR 102/07 - NJW 2008, 140). Die Verwaltungspraxis zieht aus dem Erlass des Prostitutionsgesetzes ebenfalls - im Einzelnen noch umstrittene - gewerberechtliche Konsequenzen. So befürworten der Bund und die Mehrheit der Länder inzwischen, für Bordellbetriebe und "Anbahnungsgaststätten" eine Anmeldemöglichkeit zu eröffnen (Bericht über die Frühjahrssitzung 2007 des Bund-Länder-Ausschusses "Gewerberecht", GewArch 2007, 320 <321 f.>).
Die von der Beteiligten sinngemäß gestellte abschließende Frage, ob zumindest die gewerbliche Förderung der Prostitution durch Dritte - unabhängig von der sozialethischen Beurteilung der Prostitution selbst - den Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG erfülle, beantwortet sich ohne weiteres aus dem Gesetz. Danach hängt die Tatbestandsmäßigkeit eines "Vorschub leistenden" Förderns von der sozialethischen Beurteilung des geförderten Verhaltens ab. Die Förderung der Prostitution ist daher ebenso differenziert zu beurteilen wie die Prostitution selbst.
Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist weder dargelegt, noch lässt die Grundsatzrüge sich entsprechend umdeuten. Eine mögliche Abweichung von der früheren Rechtsprechung zu "Anbahnungsgaststätten" (Beschlüsse vom und vom a.a.O.) kann keine Divergenz begründen, weil diese Entscheidungen durch die dargestellte Rechtsentwicklung überholt sind (vgl. zu einer frühere Entscheidungen überholenden Änderung der Rechtslage das BVerwG 4 C 4.01 - BVerwGE 116, 169 <173> = Buchholz 310 § 127 VwGO Nr. 11).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
QAAAD-20393