BGH Beschluss v. - IX ZB 187/08

Leitsatz

[1] Lehnt das Insolvenzgericht den Antrag eines einzelnen Insolvenzgläubigers auf Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters ab, ist der Insolvenzgläubiger auch dann nicht beschwerdeberechtigt, wenn er die Prüfung und Durchsetzung eines auf Ersatz eines Gesamtschadens gerichteten Anspruchs erreichen will.

Gesetze: InsO § 56; InsO § 57; InsO § 59 Abs. 1; InsO § 59 Abs. 2; InsO § 92

Instanzenzug: LG München I, 14 T 9575/08 vom AG München, 1506 IN 662/06 vom

Gründe

I.

Die weitere Beteiligte zu 1. (fortan: Gläubigerin) hat die Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters beantragt, der einen Schadensersatzanspruch gegen den weiteren Beteiligten zu 2. (fortan: Verwalter) geltend machen soll. Sie wirft dem Verwalter vor, die Betriebs- und Geschäftsausstattung sowie die Warenvorräte der Insolvenzschuldnerin an den nach eigenen Angaben nicht zahlungsfähigen Sohn der Geschäftsführer der Schuldnerin verkauft und übergeben, die Kaufpreisforderung aber weder gesichert noch durchgesetzt zu haben. Das Insolvenzgericht hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen, weil der einzelne Gläubiger nicht berechtigt sei, die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters zu beantragen; er müsse vielmehr nach § 75 Abs. 1 Nr. 3 und 4 InsO eine Gläubigerversammlung einberufen lassen, die über den Antrag auf Bestellung des Sonderinsolvenzverwalters zu beschließen habe. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist als unzulässig verworfen worden. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts kommt dann, wenn ein Gesamtschaden (§ 92 InsO) geltend gemacht werden soll, eine analoge Anwendung des § 59 Abs. 2 InsO in Betracht. Der einzelne Gläubiger sei jedoch nur dann beschwerdeberechtigt, wenn die Gläubigerversammlung den Antrag auf Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters gestellt habe. Mit ihrer Rechtsbeschwerde will die Gläubigerin weiterhin die Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters erreichen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist unstatthaft. Voraussetzung der Statthaftigkeit der Insolvenzrechtsbeschwerde nach § 7 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ist, dass für den Rechtsbeschwerdeführer das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nach § 6 Abs. 1 InsO eröffnet war (, NZI 2006, 239). Dem einzelnen Insolvenzgläubiger steht jedoch kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Insolvenzgerichts zu, keinen Sonderinsolvenzverwalter zur Durchsetzung eines Anspruchs aus § 60 InsO gegen den Insolvenzverwalter zu bestellen.

1.

Nach § 6 Abs. 1 InsO unterliegen die Entscheidungen des Insolvenzgerichts nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen die Insolvenzordnung die sofortige Beschwerde vorsieht. Die Insolvenzordnung sieht keine sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters vor.

2.

Allerdings enthält die Insolvenzordnung keinerlei die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters betreffenden Vorschriften. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und einhelliger Auffassung in der Literatur ist die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters nach wie vor zulässig (vgl. , NZI 2006, 474, 475 Rn. 11; v. - IX ZB 240/05, NZI 2007, 284; v. - IX ZB 45/05, NZI 2007, 237, 238; v. - IX ZB 303/05, NZI 2008, 485 f; jeweils m.w.N.). Eine den Sonderinsolvenzverwalter betreffende Vorschrift des Regierungsentwurfs (§ 77 RegE-InsO, vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 20) wurde nur deshalb gestrichen, weil der Rechtsausschuss sie für überflüssig hielt; die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters sei in den in der gestrichenen Vorschrift des Regierungsentwurfs geregelten Fällen auch ohne eine ausdrückliche Regelung möglich (BT-Drucks. 12/7302, S. 162). Die in der gestrichenen Vorschrift des Entwurfs in Bezug genommenen Vorschriften der §§ 65 bis 78 RegE-InsO (§§ 56 bis 66 InsO) wendet der Bundesgerichtshof im Grundsatz auch auf den Sonderinsolvenzverwalter an (vgl. zuletzt aaO, zu §§ 63, 64 InsO). Trotz der an sich eindeutigen Regelung des § 6 InsO ist daher zu prüfen, ob ein Beschwerderecht des einzelnen Insolvenzgläubigers aus dem vom Gesetzgeber vorausgesetzten Regelungszusammenhang der Vorschriften über den Insolvenzverwalter oder anderer Bestimmungen der Insolvenzordnung folgt. Im Ergebnis ist diese Frage jedoch zu verneinen.

a)

Das fehlende Antrags- und Beschwerderecht des einzelnen Insolvenzgläubigers ist nicht das Ergebnis eines Redaktionsversehens. Die Vorschriften der §§ 56 ff InsO, die ohne die Streichung des § 77 RegE-InsO kraft ausdrücklicher Verweisung für den Sonderinsolvenzverwalter gelten würden, bieten keine Antwort auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen und auf wessen Antrag hin ein Sonderinsolvenzverwalter bestellt werden kann oder zu bestellen ist. Dieser Fall ist hier vielmehr nicht geregelt. Der Insolvenzverwalter wird im Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestellt (vgl. § 27 Abs. 1 InsO). Ein Antrag eines Verfahrensbeteiligten wird nicht vorausgesetzt; die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ohne einen Insolvenzverwalter (oder ohne einen Treuhänder nach § 313 InsO oder einen Sachwalter nach § 270 Abs. 1 InsO) ist nicht vorstellbar. Damit muss auch keine Vorsorge für den Fall getroffen werden, dass die beantragte Bestellung eines Insolvenzverwalters unterbleibt. Die §§ 56 ff InsO regeln folgerichtig neben den Anforderungen an die Person des Insolvenzverwalters (§ 56 InsO), dessen Haftung (§§ 60 ff) und dessen Vergütung (§§ 63 ff) insbesondere Voraussetzungen und Verfahren der Wahl eines anderen Verwalters durch die Gläubigerversammlung () und der Entlassung des Verwalters aus wichtigem Grund durch das Insolvenzgericht (§ 59 InsO). Auf die Wahl eines anderen Sonderverwalters und auf die Entlassung des Sonderverwalters aus wichtigem Grund könnten die Vorschriften der §§ 57, 59 InsO gegebenenfalls (ohne dass diese Frage hier abschließend entschieden werden müsste) entsprechend angewandt werden. Für die Entscheidung, ob ein Sonderverwalter überhaupt bestellt werden soll, gilt das nicht. Voraussetzungen, Antragsrecht, einzuhaltendes Verfahren und Rechtsmittel können aus §§ 57, 59 InsO nicht abgeleitet werden (vgl. Lüke ZIP 2004, 1693, 1696). Nach dem Regierungsentwurf war die Entscheidung darüber, ob ein Sonderinsolvenzverwalter bestellt werden sollte, folglich unanfechtbar. Die Streichung der Vorschrift des § 77 RegE-InsO änderte daran nichts.

b)

Auch eine entsprechende Anwendung des § 59 Abs. 2 Satz 2 InsO auf den Fall, dass ein einzelner Insolvenzgläubiger vergeblich die Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters zur Prüfung eines Anspruchs auf Geltendmachung eines Gesamtschadens beantragt hat, kommt nicht in Betracht. Es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke, welche Voraussetzung einer analogen Anwendung dieser Vorschrift wäre.

aa)

Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen einzelnen Verfahrensbeteiligten ein Antrags- und Beschwerderecht hinsichtlich der Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters zusteht, wird kontrovers diskutiert. Der Bundesgerichtshof hat sie mehrfach angesprochen und ein Beschwerderecht von Verfahrensbeteiligten im jeweils zu entscheidenden Fall verneint (vgl. , NZI 2006, 474 f zum fehlenden Antrags- und Beschwerderecht des Schuldners; v. - IX ZB 240/05, NZI 2007, 284 und v. - IX ZB 45/05, NZI 2007, 237 f zum fehlenden Beschwerderecht des Insolvenzverwalters , v. - IX ZB 239/06, n.v., zum fehlenden Antrags- und Beschwerderecht des Insolvenzgläubigers, der keinen Gesamtschaden im Sinne von § 92 InsO geltend macht). In instanzgerichtlichen Entscheidungen und in der Literatur wird ein Antrags- und Beschwerderecht einzelner Insolvenzgläubiger teilweise befürwortet, insbesondere dann, wenn es um die Geltendmachung eines Gesamtschadens im Sinne von § 92 InsO geht (vgl. etwa AG Göttingen ZIP 2006, 629, 630 ; Jaeger/Müller, InsO § 92 Rn. 45; HmbKomm-InsO/Frind, 2. Aufl. § 56 Rn. 42; Lüke ZIP 2004, 1693, 1697; ders. in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 56 Rn. 79; Graeber/Pape ZIP 2007, 991, 998; aA LG Lüneburg, ZInsO 2008, 1158; Braun/Kind, InsO 3. Aufl. § 56 Rn. 11; Frege, Der Sonderinsolvenzverwalter Rn. 254; ders. ZInsO 2008, 1130 f). Begründet wird eine analoge Anwendung des § 59 Abs. 2 InsO insbesondere damit, dass der einzelne Gläubiger durch § 92 InsO gehindert sei, seinen Anspruch geltend zu machen; diese Beeinträchtigung müsse durch ein Recht, die Anordnung einer Sonderinsolvenzverwaltung zu beantragen, ausgeglichen werden (Lüke aaO). Die Rechtsbeschwerdebegründung sieht eine Parallele zum Recht des Gläubigers, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen; es gehe nämlich um die Einrichtung der Sonderinsolvenzverwaltung als solcher.

bb)

Der Ausgangspunkt dieser Überlegungen trifft zu. Ansprüche der Insolvenzgläubiger auf Ersatz eines Gesamtschadens können während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden; richten sich die Ansprüche gegen den Verwalter, muss dieser abgelöst oder eben ein Sonderinsolvenzverwalter bestellt werden (§ 92 InsO). Nach der Konzeption der Insolvenzordnung folgt daraus jedoch kein Antrags- oder Beschwerderecht des einzelnen Gläubigers in Bezug auf die nach § 92 InsO erforderlichen Maßnahmen.

(1)

Ausdrücklich geregelt sind, wie dargelegt, Entlassung und Neuwahl des Insolvenzverwalters. Hier hat der Gesetzgeber dem einzelnen Insolvenzgläubiger keinen bestimmenden Einfluss zugebilligt. Die Wahl eines anderen Insolvenzverwalters obliegt der Gläubigerversammlung (§ 57 Satz 1 InsO). Der einzelne Gläubiger ist nur als Teil der Gläubigerversammlung an dieser Entscheidung beteiligt. Die Entlassung des Insolvenzverwalters erfolgt von Amts wegen oder auf Antrag des Verwalters, des Gläubigerausschusses oder der Gläubigerversammlung (§ 59 Abs. 1 Satz 2 InsO). Der einzelne Gläubiger hat kein Antragsrecht. Er kann die Entlassung des Verwalters lediglich anregen. Allerdings steht dem einzelnen Gläubiger die sofortige Beschwerde offen, wenn das Insolvenzgericht den gewählten Verwalter nicht ernennt (§ 57 Satz 4 InsO) oder einem Antrag der Gläubigerversammlung auf Entlassung des Verwalters nicht nachkommt (§ 59 Abs. 2 Satz 2 InsO). Dieses Recht ist jedoch vom Wahl- bzw. Antragsrecht der Gläubigerversammlung abgeleitet. Die amtliche Begründung hielt ein Beschwerderecht der Gläubigerversammlung als solcher für nicht praktikabel, weil es die Einberufung einer weiteren Gläubigerversammlung erfordern würde, und setzte an die Stelle der Gläubigerversammlung deshalb den einzelnen Insolvenzgläubiger (BT-Drucks. 12/2443, S. 127 zu § 66 RegE-InsO). Dabei geht es jedoch um die Durchsetzung einer Entscheidung der Gläubigergesamtheit, nicht um die Verwirklichung des Rechts eines einzelnen Gläubigers.

(2)

Für die ebenfalls auf die Durchsetzung eines auf Ersatz eines Gesamtschadens gerichteten Anspruchs zielende Maßnahme der Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters kann in dieser Hinsicht, also in Bezug auf die Einflussmöglichkeiten des einzelnen Insolvenzgläubigers, nichts anderes gelten als für die Abwahl oder die Abberufung eines Insolvenzverwalters. Geht es um die eigene Befriedigung des Gläubigers, mutet das Gesetz ihm zu, die Aufhebung des Insolvenzverfahrens abzuwarten, wenn es ihm nicht gelingt, eine Mehrheit in der Gläubigerversammlung zu erreichen. Die von der Gläubigerin im vorliegenden Verfahren in den Vordergrund gestellte Aufsicht über einen Insolvenzverwalter, der seine aus der Insolvenzordnung folgenden Pflichten verletzt, obliegt dem Insolvenzgericht (§ 58 InsO), dessen Eingreifen der einzelne Insolvenzgläubiger nicht erzwingen kann (vgl. , NZI 2006, 593; v. - IX ZB 128/05, ZVI 2007, 80; v. - IX ZA 23/08, NZI 2008, 753). Die Insolvenzgläubiger können nur als Gesamtheit, also über die Gläubigerversammlung oder den Gläubigerausschuss, Einfluss auf die Amtsführung des Verwalters nehmen und insbesondere dessen Entlassung beantragen (§ 59 InsO). Beide Grundentscheidungen des Gesetzgebers haben die Gerichte hinzunehmen (Art. 20 Abs. 3 GG).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
NJW-RR 2009 S. 770 Nr. 11
WM 2009 S. 565 Nr. 12
ZIP 2009 S. 529 Nr. 11
UAAAD-14052

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja