BFH Urteil v. - VIII R 17/07

Beauftragtes Finanzamt hat die Entscheidungsbefugnis über Einspruch gegen Anordnung der Auftragsprüfung

Gesetze: AO § 195, AO § 196, AO § 357, AO § 367, FVG § 17 Abs. 2

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Alleingesellschafter der X-GmbH, bei der der hierfür örtlich zuständige Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) eine Außenprüfung angeordnet hatte.

Außerdem erließ das FA am auch gegenüber dem Kläger eine Prüfungsanordnung nach §§ 193 Abs. 2 Nr. 2 und 194 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO), nachdem es insoweit von dem für den Kläger örtlich zuständigen Finanzamt Z beauftragt worden war. Mit Prüfungsanordnung vom erweiterte das FA die Außenprüfung wegen des Verdachts einer Steuerstraftat über den bis dahin angeordneten Prüfungszeitraum 2000 bis 2002 hinaus auf die Einkommensteuer 1994 bis 2003 sowie die gesonderten Feststellungen des verbleibenden Verlustabzugs auf den bis .

Gegen die erweiternde Prüfungsanordnung vom legte der Kläger Einspruch ein, auf den hin das FA den Prüfungsumfang auf die Einkommensteuer 1998 bis 2003 sowie die gesonderten Feststellungen des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer auf den bis reduzierte. Im Übrigen wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück.

Der hiergegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt, nachdem der Kläger seinen Hauptantrag einem richterlichen Hinweis entsprechend auf die Aufhebung der Einspruchsentscheidung beschränkt hatte.

In dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 1397 veröffentlichten Gerichtsbescheid führte das FG im Wesentlichen aus, dass der Kläger seinen Einspruch zutreffend gegen das FA gerichtet habe, weil dieses die Prüfungsanordnung erlassen hatte (§ 357 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 AO), das FA jedoch nicht für die Entscheidung hierüber zuständig gewesen sei. Zwar entscheide über den Einspruch gemäß § 367 Abs. 1 AO grundsätzlich die Finanzbehörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Richte sich der Anspruch indes gegen einen Verwaltungsakt, den eine Behörde auf Grund gesetzlicher Vorschrift für die zuständige Finanzbehörde erlassen habe, so entscheide die zuständige Finanzbehörde über den Einspruch (§ 367 Abs. 3 Satz 1 AO). Das Merkmal „auf Grund gesetzlicher Vorschrift” sei allerdings auslegungsbedürftig. Damit könne —so sinngemäß— eine unmittelbare gesetzliche Ermächtigung gemeint sein, aber auch die im Ermessen der zuständigen Behörde liegende Beauftragung einer anderen Behörde, zum Beispiel nach § 195 Satz 2 AO. Letzteres sei die wohl herrschende Meinung, der sich das Gericht anschließe.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Die Prüfungsanordnung vom sei ein ihm zuzurechnender Verwaltungsakt wegen der Beauftragung durch das Finanzamt Z. Über einen hiergegen eingelegten Einspruch entscheide gemäß § 367 Abs. 1 Satz 1 AO die Finanzbehörde, die den Verwaltungsakt erlassen habe. Die Ausnahmevorschrift des § 367 Abs. 3 AO greife hier nicht. Sie betreffe die Fälle, in denen auf Grund gesetzlicher Vorschrift die Zuständigkeit für den ursprünglichen Verwaltungsakt auf eine andere Behörde übergegangen sei, zum Beispiel nach § 18 des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG). § 195 Satz 2 AO sei aber kein Fall des § 367 Abs. 3 AO, weil die mit der Außenprüfung beauftragte Behörde nicht auf Grund gesetzlicher Vorschrift, sondern auf Grund eines nach Ermessen des zuständigen Finanzamts erteilten Auftrags tätig geworden sei. Dieser nach Ermessen erteilte Auftrag könne nicht einer gesetzlichen Zuständigkeitsübertragung gleichgestellt werden.

Das FA beantragt, den aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er bezieht sich im Wesentlichen auf die Gründe der Entscheidung des FG. Durch die Beauftragung nach § 195 Satz 2 AO verbleibe es bei der Zuständigkeit des beauftragenden Finanzamts mit Ausnahme der zur Erledigung des Auftrags zu treffenden Maßnahmen.

II. Die Revision gegen den als Urteil wirkenden Gerichtsbescheid (§ 90a Abs. 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—) ist begründet; das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, dass das FA nicht befugt war, die (u.a.) angefochtene Einspruchsentscheidung wegen der zu Grunde liegenden Prüfungsanordnung zu erlassen.

1. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 FVG sind die Finanzämter für die Verwaltung der Steuern zuständig. Zu dieser Verwaltung gehört nach § 195 Satz 1 AO auch die Durchführung von Außenprüfungen (klarstellend; s. auch , BFH/NV 1994, 763, 765; vom X R 158/87, BFHE 156, 18, BStBl II 1989, 483; , BFHE 146, 508, BStBl II 1986, 656, m.w.N.). Die sachlich —und nach Maßgabe der §§ 17 ff. AO örtlich— für die Besteuerung zuständige Finanzbehörde kann andere Finanzbehörden mit der Außenprüfung beauftragen (§ 195 Satz 2 AO). Die notwendig vor einer Außenprüfung zu erlassende Prüfungsanordnung (§ 196 AO) kann nach allgemeiner Auffassung der Rechtsprechung, der Literatur wie auch der Verwaltung entweder von der beauftragenden oder aber der beauftragten Finanzbehörde erlassen werden (s. , BFHE 152, 24, BStBl II 1988, 322; vom I R 66/90, BFHE 166, 490, BStBl II 1992, 595; vom X R 112/91, BFHE 171, 15, BStBl II 1993, 649; , BFH/NV 2004, 756; Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 195 AO Rz 13; Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 195 Rz 14; Romeis, Die steuerliche Betriebsprüfung —StBp— 2006, 361; Betriebsprüfungsordnung § 5 Abs. 1; Anwendungserlass zur AbgabenordnungAEAO— zu § 195).

Erlässt die beauftragende, zuständige Behörde die Prüfungsanordnung, ist sie der richtige Einspruchsadressat (§ 357 Abs. 2 Satz 1 AO) und gemäß § 367 Abs. 1 Satz 1 AO befugt und verpflichtet, über einen gegen die Prüfungsanordnung (Verwaltungsakt i.S. von §§ 118 und 347 Abs. 1 AO) gerichteten Einspruch zu entscheiden.

2. Welcher Behörde die Entscheidungskompetenz über einen Einspruch zukommt, wenn die beauftragte Behörde die Prüfungsanordnung erlässt, ist hingegen umstritten. Von einer herrschenden Meinung kann nicht ausgegangen werden.

Der BFH hat allerdings bereits im Beschluss in BFH/NV 2004, 756 ausgesprochen, dass im Falle des Erlasses der Prüfungsanordnung durch das beauftragte Finanzamt dieses naturgemäß auch zum Erlass der Einspruchsentscheidung befugt sei (im Ergebnis ebenso , EFG 2003, 1589; , juris; Klein/Brockmeyer, a.a.O., § 367 Rz 18; v. Wedel in Beermann/Gosch, AO, § 367 Rz 8; Pahlke/Koenig/ Pahlke, Abgabenordnung, § 367 Rz 63; Dumke in Schwarz, AO, § 367 Rz 4a; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 63 FGO Rz 55; a.A. , EFG 2005, 579; , EFG 2007, 982; , EFG 2008, 1507; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 367 AO Rz 9, und Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 357 AO Rz 9; Eckhoff in HHSp, § 195 AO Rz 37; Birkenfeld in HHSp, § 367 AO Rz 643, 659 und § 357 AO Rz 34; Hardtke in: Kühn/v.Wedelstädt, 18. Aufl., AO, § 367 Rz 10 und § 357 Rz 14; AO-Praktikerkommentar/Schöll, § 367 Rz 1; Höft in Pump/Leibner, Abgabenordnung, Kommentar, § 367 Rz 12; Romeis, StBp 2006, 361, 363).

Der Senat schließt sich dem Beschluss des I. Senats in BFH/NV 2004, 756 im Ergebnis aus den folgenden Erwägungen an.

a) Dass die Entscheidungskompetenz bezüglich des Einspruchs gegen die Prüfungsanordnung bei der anordnenden Behörde liegt, entspricht der Grundregel des § 367 Abs. 1 Satz 1 AO, wonach die Finanzbehörde über den Einspruch entscheidet, die den Verwaltungsakt erlassen hat.

Aus § 367 Abs. 3 Satz 1 AO als Ausnahmeregelung könnte sich etwas anderes ergeben; die Vorschrift ist hingegen bei zutreffender Auslegung nicht einschlägig, was der Senat in seinem Beschluss vom VIII B 21/05 (BFH/NV 2006, 1256, 1257) noch offen gelassen hat. Sie lautet: „Richtet sich der Einspruch gegen einen Verwaltungsakt, den eine Behörde auf Grund gesetzlicher Vorschrift für die zuständige Finanzbehörde erlassen hat, so entscheidet die zuständige Finanzbehörde über den Einspruch.” Die rechtstechnische Formulierung „auf Grund gesetzlicher Vorschrift” wird regelmäßig gebraucht, um ein Tatbestandsmerkmal der betreffenden Norm durch unmittelbaren Verweis auf andere Gesetzesvorschriften zu bestimmen (vgl. etwa § 5 Abs. 1 Satz 1 des EinkommensteuergesetzesEStG—; § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a EStG; § 139b Abs. 4 Nr. 4 AO; § 171 Abs. 3a Satz 3 AO; § 38 des AktiengesetzesAktG—; § 334 Abs. 2 des Handelsgesetzbuches; § 19 Abs. 2 des Bundesdatenschutzgesetzes; § 252 der ZivilprozessordnungZPO—; § 850b Abs. 1 Nr. 2 ZPO; § 107 Abs. 3 Nr. 6 Buchst. a des Ordnungswidrigkeitengesetzes; § 264 Abs. 8 Nr. 1 des Strafgesetzbuchs), während die Ermächtigung zum Erlass eines Verwaltungsaktes durch eine andere Finanzbehörde auf dem voluntativen Akt der Ermessensausübung beruht und damit nicht „auf Grund” einer gesetzlichen Kompetenzzuweisung erfolgt.

Diese Gesetzesauslegung stimmt überein mit der herrschenden Meinung zur Auslegung des § 63 Abs. 3 FGO, der in seinen tatbestandlichen Voraussetzungen dem § 367 Abs. 3 AO entspricht (s. dazu unter II.2.c der Gründe dieses Urteils).

b) Aus der Gesetzgebungsgeschichte folgt kein anderes Normverständnis. Die Vorgängervorschrift § 248 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (RAO) befasste sich mit Verwaltungsakten von Hilfsstellen der Finanzbehörden; der Entwurf einer Abgabenordnung (EAO 1974) sah in § 350 Abs. 3 eine Regelung vor, die sich —weitgehend wortgleich— wiederum an § 248 Abs. 3 RAO anlehnte. Im Entwurf hieß es: „Über Einsprüche gegen Verwaltungsakte, die eine Hilfsstelle einer Finanzbehörde erlassen hat, entscheidet die Finanzbehörde.” (BTDrucks VI/1982, S. 79). Nach § 350 Abs. 4 EAO 1974 sollte dies sinngemäß gelten, wenn eine Zollstelle oder Grenzkontrollstelle für ein Finanzamt handelte. Diese neue Regelung bezog sich auf § 18 FVG (s. BTDrucks VI/1982, S. 192). Im Bericht des Finanzausschusses vom (BTDrucks 7/4292, S. 43) wurden die Abs. 3 und 4 des § 350 EAO 1974 in Abs. 3 des § 367 sodann „zusammengefasst” unter Berücksichtigung der Änderungen des FVG durch das Finanzanpassungsgesetz vom , wobei unter anderem die Hilfsstellen wegfielen. Da die Gesetzesbegründung zu § 367 Abs. 3 AO keine weiteren Angaben enthält, bietet sie keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass der Regelungsbereich des Abs. 3 über das hinausgehen sollte, was in § 350 Abs. 3 und 4 EAO 1974 vorgesehen war. Diese im Bericht des Finanzausschusses vorgesehene Fassung des § 367 Abs. 3 AO ist Gesetz geworden und bis heute unverändert.

c) Es sind keine gesetzessystematischen Gesichtspunkte von Gewicht erkennbar, die im Streitfall den Verbleib der Entscheidungsbefugnis bei der beauftragenden Behörde gebieten würden. Zwar trifft es zu, dass die Entscheidung darüber, ob geprüft werden soll und gegebenenfalls in welchem Umfang, nach der gesetzlichen Ausgangslage bei der beauftragenden Behörde liegt. Hat aber die beauftragte Finanzbehörde die Prüfungsanordnung einmal erlassen, kann sie auch die Rechtmäßigkeit der Anordnung im Einspruchsverfahren überprüfen. Unmittelbar einsichtig ist dies in Fällen, in denen Fehler der Prüfungsanordnung gerügt werden, die erst in der Sphäre des beauftragten Finanzamts auftreten, wie etwa eine Abweichung von der Beauftragung oder Mängel bei der Adressierung oder der Bekanntgabe. Das gebietet es nach Auffassung des Senats, die Befugnis zur Entscheidung über den Einspruch insgesamt bei der beauftragten Behörde anzusiedeln, weil eine Aufspaltung je nach der Art der Einspruchsbegründung nicht vorgesehen ist.

Unter systematischen Gesichtspunkten ist ferner zu berücksichtigen, dass die herrschende Meinung in § 195 Satz 2 AO keinen Anwendungsfall des § 63 Abs. 3 FGO zur Passivlegitimation im Steuerprozess erkennt (BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 756; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 63 Rz 11; Schallmoser in HHSp, § 63 FGO Rz 55 f.; Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 63 FGO Rz 8; a.A. Romeis, StBp 2006, 361, 364). Nach dieser Vorschrift ist die Klage gegen die zuständige Behörde zu richten, wenn eine Behörde, die auf Grund gesetzlicher Vorschrift berechtigt ist, für die zuständige Behörde zu handeln, den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hat. Da diese Bestimmung nach Wortlaut und Sinn dem § 367 Abs. 3 Satz 1 AO entspricht (FG München, Urteil in EFG 2005, 579, 580; Schallmoser in HHSp, § 63 FGO Rz 51; Romeis, StBp 2006, 361, 364), ist es konsequent, beide Normen einander entsprechend auszulegen (so jetzt ausdrücklich , juris), also ihren Anwendungsbereich hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen in gleicher Weise zu bestimmen. Andernfalls ergäben sich schwer erklärliche Wertungswidersprüche und Ungereimtheiten im Falle eines Finanzgerichtsprozesses.

d) Schließlich sprechen auch praktische Gesichtspunkte des Gesetzesvollzugs gegen die dem angefochtenen Urteil zu Grunde liegende Rechtsauffassung. Wie die Sachverhalte im Streitfall und in weiteren beim Senat anhängigen Rechtssachen beispielhaft zeigen, geht die Initiative zur Prüfung oftmals von dem Prüfungsfinanzamt aus, das anlässlich anderer Prüfungen Erkenntnisse über personelle und/oder wirtschaftliche Beziehungen, Verbindungen oder Verflechtungen zwischen verschiedenen Steuersubjekten erlangt hat, die die steuerlichen Verhältnisse bisher nicht geprüfter Steuersubjekte prüfungswürdig erscheinen lassen, und das daraufhin dem jeweiligen Veranlagungsfinanzamt einen entsprechenden Vorschlag zur Auftragserteilung unterbreitet. Es spricht rechtlich nichts dagegen, dass diese Art des Zusammenwirkens verschiedener Ämter in der Praxis sich auch im Einspruchsverfahren fortsetzt und die Ermessensgründe dem beauftragten Finanzamt übermittelt oder erforderlichenfalls vor Erlass der Einspruchsentscheidung abgestimmt werden.

3. Bei seiner Entscheidung im zweiten Rechtsgang muss das FG berücksichtigen, dass der Kläger mit der vom FG empfohlenen Beschränkung seines Antrags auf die Aufhebung der Einspruchsentscheidung sein materielles Rechtsschutzbegehren offenkundig nicht einschränken wollte.

Das FG wird überdies prüfen müssen, ob die vom FA vorgenommene Erweiterung des angeordneten Prüfungsumfangs von einem entsprechenden Auftrag durch das zuständige Finanzamt gedeckt war.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
HFR 2009 S. 554 Nr. 6
LAAAD-13955