Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: EMRK Art. 6 Abs. 1; EMRK Art. 13; StPO § 222b; StPO § 250; StPO § 338; StPO § 349 Abs. 2; StPO § 349 Abs. 4
Instanzenzug: LG Stralsund, vom
Gründe
Das Landgericht Stralsund hatte den Angeklagten durch Urteil vom wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in zwei Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in vier weiteren Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Auf seine Revision hob der Senat dieses Urteil durchBeschluss vom - 4 StR 353/06 (NStZ 2007, 352 = StV 2007, 22) wegen Vorliegens des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 5 StPO auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Stralsund zurück. Dieses verurteilte den Angeklagten sodann am erneut wegen aller sechs dem Angeklagten bereits im ersten Urteil zur Last gelegten Sexualstraftaten und verhängte dieselben Einzelstrafen und auch dieselbe Gesamtfreiheitsstrafe wie in dem ersten Urteil. Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten hatte wiederum mit einer Verfahrensbeschwerde Erfolg. Gerügt war die Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes des § 250 StPO. Der Senat stellte durchBeschluss vom - 4 StR 449/07 (BGHSt 52, 148 = NJW 2008, 1010 = StV 2008, 170) das Verfahren in drei der abgeurteilten Fälle ein (dadurch entfielen Einzelfreiheitsstrafen von zwei Jahren sechs Monaten und zweimal zwei Jahren), bestätigte die Verurteilung wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in zwei Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in einem weiteren Fall sowie die zugehörigen Einzelfreiheitsstrafen von drei Jahren, zwei Jahren sechs Monaten und zwei Jahren und wies unter Verwerfung der weiter gehenden Revision die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung ü-ber die Gesamtstrafe an das Landgericht Stralsund zurück. Dieses verurteilte den Angeklagten auf der Grundlage des rechtskräftigen Schuldspruchs und der rechtskräftig festgesetzten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten. Hiergegen wendet sich der Angeklagte wiederum mit seiner Revision, mit der er insbesondere die fehlende Berücksichtigung einer der Justiz anzulastenden Verfahrensverzögerung durch das Landgericht beanstandet. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1.
Soweit sich der Beschwerdeführer gegen den Gesamtstrafenausspruch wendet, ist das Rechtsmittel offensichtlich unbegründet. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts unter Ziff. 1. seiner Antragsschrift vom . Die Ausführungen in der Gegenerklärung des Verteidigers vom führen zu keinem anderen Ergebnis.
2.
Dagegen macht der Beschwerdeführer zu Recht einen Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK geltend, der bei der Rechtsfolgenbemessung hätte berücksichtigt werden müssen. Dies lässt zwar den Gesamtstrafenausspruch unberührt, führt aber zur Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht unterlassen hat, nach den Grundsätzen des Beschlusses des Großen Senats für Strafsachen des (BGHSt 52, 124 = NJW 2008, 860; sog. Vollstreckungsmodell) eine Kompensation vorzunehmen.
a)
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die durch Aufhebung eines Urteils im Rechtsmittelzug auf Grund eines Verfahrensfehlers erforderliche neue Verhandlung der Sache und die dadurch bedingte Dauer des Verfahrens generell als Konventionsverstoß zu werten und deshalb der in Folge der Durchführung des Rechtsmittelverfahrens verstrichene Zeitraum der Überlänge eines Verfahrens hinzuzurechnen ist (vgl. die Nachweise bei Fischer StGB 56. Aufl. § 46 Rdn. 125). Hier sind jedoch im selben Verfahren mehrmals Urteile wegen allein von dem Gericht zu verantwortenden Verfahrensfehlern aufgehoben worden und musste die Sache deshalb wiederholt neu verhandelt werden. Die dadurch eingetretene Verzögerung des Abschlusses des Verfahrens und die damit für den Angeklagten verbundene besondere Belastung begründet daher einen Kompensationsanspruch aus Art. 13 EMRK. Das gilt hier umso mehr, als seit der Anklageerhebung mittlerweile über drei Jahre verstrichen sind und das Verfahren in Folge der zweifach notwendig gewordenen Neuverhandlung - gerechnet von der ersten in dieser Sache ergangenen Revisionsentscheidung - allein bis zu dem angefochtenen Urteil annähernd zwei Jahre gedauert hat. Dabei kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, dass sich zuletzt das Verfahren noch einmal um über zwei Monate verzögert hat, weil die Verteidigung mit Erfolg den Besetzungseinwand nach § 222 b StPO erhoben hat.
b)
Die im angefochtenen Urteil unterbliebene, wegen des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK gebotene Kompensation für die der Justiz anzulastende Verfahrensverzögerung hat der neue Tatrichter im Wege des Vollstreckungsmodells (BGHSt - GS - 52, 124 = NJW 2008, 860) nachzuholen. Er wird zunächst festzustellen haben, welcher Zeitraum zwischen der Eröffnung des Tatvorwurfs und dem Urteil bei zeitlich angemessener Verfahrensgestaltung als erforderlich anzusehen ist; dieser Zeitraum ist bei der Berechnung der Dauer der in den Verantwortungsbereich der Justiz fallenden Verfahrensverzögerung nicht zu berücksichtigen. Sodann wird das Gericht - da angesichts des Ausmaßes der Verzögerung deren bloße ausdrückliche Feststellung in den Entscheidungsgründen zur Kompensation ersichtlich nicht genügt - festzulegen haben, welcher bezifferte Teil der Gesamtstrafe zur Kompensation der Verzögerung als vollstreckt gilt. Bei der Bemessung sind vor allem das Gewicht der Verfahrensfehler, die zur wiederholten Aufhebung der Urteile in diesem Verfahren geführt haben, sowie die Auswirkungen der Verzögerungen auf den Angeklagten zu berücksichtigen (vgl. BGHSt - GS - aaO 146 = NJW aaO S. 866; - m.w.N.). Dagegen bleiben die mit der Verfahrensdauer als solcher verbundenen Belastungen bei der Kompensation außer Ansatz, da sie vom Landgericht in dem angefochtenen Urteil zu Recht bei der Gesamtstrafbemessung zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt worden sind (BGH - GS - aaO 147; ). Hingegen wird der neue Tatrichter bei dem Maß der Kompensation auch die weitere Verzögerung zu bedenken haben, die nunmehr bis zur wiederholten Neuverhandlung der Sache eintritt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
XAAAD-10020
1Nachschlagewerk: nein