BFH Beschluss v. - XI B 186/07

Kein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht wegen Nichtvernehmung bestimmter Personen als Zeugen; Grundsatz des rechtlichen Gehörs; kumulative Begründung des Urteils

Gesetze: FGO § 76 Abs. 1, FGO § 93, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist unbegründet.

1. Entgegen der Rüge der Klägerin hat das Finanzgericht (FG) nicht dadurch gegen seine Verpflichtung zur Ermittlung des Sachverhalts verstoßen (§ 76 Abs. 1 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—), dass es die von der Klägerin benannten Herren H., L. und W. nicht als Zeugen vernommen hat.

Gemäß § 373 der Zivilprozessordnung wird der Zeugenbeweis durch die Bezeichnung der Tatsachen angetreten, über welche die Vernehmung der Zeugen stattfinden soll. Im Streitfall hat die Klägerin im Klageverfahren keine entscheidungserheblichen Tatsachen in das Wissen der von ihr benannten Zeugen gestellt. Die Berichterstatterin des FG hatte sie mit Verfügung vom aufgefordert, „in geeigneter Weise zu belegen, dass sie bereits im Streitjahr 1994 im Besitz einer Rechnung über einen Kaufpreis von 2.000.000 DM war”. Die Klägerin hatte zu dieser Aufklärungsanordnung in ihrem Schriftsatz vom nicht substantiiert vorgetragen, wann und auf welche Weise die Rechnung in ihren Besitz gelangt ist. Ihrem Vorbringen war weder zu entnehmen, auf welchem Wege die Rechnung ihr zugegangen ist noch welche Person sie für sie in Empfang genommen hat. Die Klägerin hatte vielmehr lediglich Hilfstatsachen mitgeteilt und diese als „Sachverhaltselemente” bezeichnet, aus denen sich nach ihrer Meinung zwanglos habe ableiten lassen, dass die Rechnung ihr „zugegangen sein muss”. Welche Schlussfolgerungen aus bestimmten Tatsachen zu ziehen sind, ist aber eine Frage der Beweiswürdigung und damit Aufgabe des Gerichts und nicht Gegenstand einer Beweisaufnahme durch die Einvernahme von Zeugen. Im Streitfall hat das FG im Rahmen seiner dem materiellen Recht zuzurechnenden Würdigung die Schlussfolgerung, die die Klägerin aus den von ihr mitgeteilten Tatsachen gezogen hat, nicht als überzeugend angesehen.

Erst im vorliegenden Beschwerdeverfahren hat die Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung vorgetragen, dass die umstrittene Rechnung im Juni 1994 von Frau C., einer Buchhalterin als Vertreterin des Verkäufers, an Herrn W. als ihren, der Klägerin, Beauftragten übergeben wurde. Es wäre Sache der Klägerin gewesen, diesen Sachverhalt aufgrund der Aufklärungsverfügung der Berichterstatterin bereits im Klageverfahren vorzutragen und unter Beweis zu stellen. Denn wenn das Gericht die Beteiligten zur Erforschung des Sachverhalts heranzieht, haben diese ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig abzugeben (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 3 FGO). Dieses Vollständigkeitsgebot gilt insbesondere dann, wenn die behauptete, aber umstrittene entscheidungserhebliche Tatsache —wie im Streitfall der Besitz einer Rechnung— der eigenen Sphäre desjenigen Beteiligten zuzurechnen ist, der sich zu seinen eigenen Gunsten auf sie beruft.

2. Das FG hat das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) nicht dadurch verletzt, dass es davon Abstand genommen hat, „vor Verkündung des erstinstanzlichen Urteils auf die in den Urteilsgründen ausgedrückten Zweifel hinzuweisen”. Die Verpflichtung des Vorsitzenden, die Streitsache mit den Beteiligten tatsächlich und rechtlich zu erörtern (§ 93 Abs. 1 FGO), soll sicherstellen, dass die Beteiligten keinen wesentlichen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt übersehen (vgl. z.B Tipke in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 93 FGO Rz 3). Im Streitfall war der Klägerin bereits aufgrund der Aufklärungsverfügung der Berichterstatterin bekannt, dass aus der Sicht des FG die tatsächliche Frage entscheidungserheblich und beweisbedürftig war, ob sie, die Klägerin, bereits im Streitjahr 1994 im Besitz der Rechnung (§ 14 des Umsatzsteuergesetzes 1993UStG—) war, aus der sie den umstrittenen Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG) geltend gemacht hat. Der Anspruch auf rechtliches Gehör und § 93 Abs. 1 FGO verpflichten den Vorsitzenden nicht, in der mündlichen Verhandlung den Beteiligten bereits das Ergebnis mitzuteilen, das erst aufgrund der mündlichen Verhandlung in der Beratung des Senats gefunden werden soll.

3. Soweit die Klägerin Zulassungsgründe hinsichtlich der Ausführungen des FG zur Wirksamkeit der Option (§ 9 Abs. 1 UStG) geltend macht, braucht der Senat darauf nicht einzugehen. Denn das FG hat sein Urteil kumulativ auf diesen Gesichtspunkt gestützt. Im Falle einer kumulativen Urteilsbegründung, bei der —wie im Streitfall— jeder Grund für sich das Entscheidungsergebnis trägt, muss hinsichtlich jeder Begründung ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO geltend gemacht werden und vorliegen (vgl. z.B. , BFH/NV 2008, 1649). Da die Klägerin wegen der Entscheidungsgründe hinsichtlich des Besitzes der Rechnung im Streitjahr 1994 einen Zulassungsgrund nicht mit Erfolg geltend machen konnte, ist nicht mehr entscheidungserheblich, ob wegen der weiteren Begründung ein Zulassungsgrund vorliegt.

Fundstelle(n):
EAAAD-08056