BFH Urteil v. - III R 65/07

Nichtberücksichtigung von Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag bei der Prüfung des Jahresgrenzbetrags verstößt nicht gegen Gleichheitssatz

Gesetze: EStG § 32 Abs. 4, EStG § 62 Abs. 1, EStG § 63 Abs. 1, EStG § 2 Abs. 2, GG Art. 3 Abs. 1

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der 1981 geborene Sohn (S) des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) befand sich im Streitjahr 2002 in Ausbildung. Er bezog im Jahr 2002 einen Bruttoarbeitslohn aus nichtselbständiger Arbeit als Werkstudent in Höhe von 16 636 €, von dem insgesamt 1 357,41 € Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag sowie Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1 363,44 € einbehalten wurden. Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag wurden im Jahr 2003 nach der Veranlagung des S zur Einkommensteuer zurückgezahlt. Im Streitjahr 2002 erhielt S außerdem Einkommensteuer aus dem Jahr 2001 in Höhe von 42,44 € erstattet.

Mit Bescheid vom hob die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) die Kindergeldfestsetzung für S ab Januar 2002 auf und forderte das für Januar bis Dezember 2002 gezahlte Kindergeld zurück. Nach der Berechnung der Familienkasse überstiegen die Einkünfte und Bezüge des S im Jahr 2002 den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag in Höhe von 7 188 €. Der Einspruch des Klägers war erfolglos.

Im finanzgerichtlichen Verfahren machte der Kläger weitere Aufwendungen des S geltend: Semesterbeiträge an das Studentenwerk, Lehrmittel, Schreibwaren und Fotokopien, Aufwendungen für Fahrten zur Universität (2 310,48 €), Verpflegungsaufwendungen (1 140 €), anteilige Aufwendungen für eine Kfz-Haftpflichtversicherung (338,12 €), Dienstreisekosten (113 €), sonstige Fahrtkosten (138,60 €) und Kfz-Reparaturkosten (1 899,92 €) wegen eines Unfallschadens.

Die Familienkasse berechnete darauf hin die Einkünfte im finanzgerichtlichen Verfahren neu. Sie erkannte an: Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Höhe von 4 592 €, Arbeitsmittel in Höhe von 103,80 € und den Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag in Höhe von 1 562,68 € (insgesamt 6 258,48 €).

Das Finanzgericht (FG) hob den Aufhebungsbescheid vom und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung auf. Zur Begründung führte es aus, von dem Bruttoarbeitslohn in Höhe von 16 636 € seien neben dem bereits von der Familienkasse berücksichtigten Betrag von 6 258,48 € die Aufwendungen für die Fahrten zwischen Wohnung und Universität in Höhe von 2 310,48 € abzuziehen. Nach den Grundsätzen der Entscheidung des (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) seien außerdem die einbehaltene Lohnsteuer und der Solidaritätszuschlag in Höhe von 1 357,41 € von den Einkünften abzusetzen. Hinzuzurechnen sei die im Streitjahr erhaltene Einkommensteuer-Erstattung aus dem Jahr 2001, sodass sich maßgebliche Einkünfte und Bezüge für 2002 in Höhe von 6 752,07 € ergäben, die unter dem Jahresgrenzbetrag in Höhe von 7 188 € lägen. Über die sonstigen geltend gemachten und von der Familienkasse nicht anerkannten Aufwendungen brauche daher nicht entschieden zu werden.

Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse die Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. für das Jahr 2002 (EStG 2002). Sie ist der Auffassung, bei der Prüfung, ob die Einkünfte des S den Jahresgrenzbetrag überstiegen, seien Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag nicht von den Einkünften abzuziehen.

Die Familienkasse beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Er trägt vor, wenn die Lohnsteuer —wie vom Bundesfinanzhof (BFH) inzwischen entschieden— nicht von den Einkünften abzusetzen sei, sei über die weiteren im Klageverfahren geltend gemachten berufsbedingten Aufwendungen zu urteilen, auf die es nach der Rechtsauffassung des FG nicht angekommen sei.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Entgegen der Auffassung des FG sind die Lohnsteuer und der Solidaritätszuschlag nicht von den Einkünften abzusetzen.

1. Für ein volljähriges Kind besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG 2002 ein Anspruch auf Kindergeld nur dann, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7 188 € im Kalenderjahr 2002 hat.

a) Der Begriff der Einkünfte ist in § 2 Abs. 2 EStG 2002 gesetzlich definiert und je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Einnahmen die Werbungskosten abzuziehen. Nach dem Beschluss des BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 würde eine andere Auslegung des Begriffs der Einkünfte, die von der „tradierten steuerlichen Terminologie” abwiche, dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang widersprechen und damit auch dem klar geäußerten Willen des Gesetzgebers.

Nach Ansicht des BVerfG verstößt jedoch die Berücksichtigung der —einkommensteuerrechtlich den Sonderausgaben zuzurechnenden— Sozialversicherungsbeiträge als Einkünfte des Kindes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), weil Eltern mit sozialversicherungspflichtigen Kindern, deren Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag nur wegen der als Einkünfte behandelten Sozialversicherungsbeiträge überschritten, gegenüber Eltern mit nicht sozialversicherungspflichtigen Kindern benachteiligt seien, deren Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag nicht überstiegen. Daher seien im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG 2002 Einkünfte —ebenso wie die Bezüge— nur zu berücksichtigen, soweit sie zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt und geeignet seien. Nach Auffassung des BVerfG sind deshalb jedenfalls diejenigen Beträge, die —wie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge— von Gesetzes wegen dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht für den Unterhalt zur Verfügung stehen und deshalb keine Entlastung bei den Eltern bewirken können, nicht als Einkünfte anzusetzen.

b) Der Senat hat bereits durch Urteil vom III R 4/07 (BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738) entschieden, dass die vom Arbeitslohn einbehaltene Lohnsteuer bei der Prüfung, ob die Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag übersteigen, nicht von den Einkünften abzuziehen ist. Die Nichtberücksichtigung der Lohnsteuer verstößt —anders als die Nichtberücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge— nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, da auch Kinder mit nicht lohnsteuerpflichtigen Einkünften Einkommensteuer zu zahlen haben, wenn ihr zu versteuerndes Einkommen den Grundfreibetrag übersteigt. Die sich aus dem Lohnsteuerabzug möglicherweise ergebenden Liquiditätsnachteile gegenüber Kindern, die Einkommensteuer bezahlen, ohne dass Einkommensteuervorauszahlungen festgesetzt wurden, ist als Typisierung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Zudem wird die Lohnsteuer —anders als die Sozialversicherungsbeiträge— wieder erstattet, wenn das zu versteuernde Einkommen den Grundfreibetrag nicht übersteigt.

c) Dieselben Grundsätze gelten für den Solidaritätszuschlag, der als Ergänzungsabgabe bei natürlichen Personen zusätzlich zur Einkommensteuer erhoben wird (vgl. § 1 des SolidaritätszuschlaggesetzesSolZG— 1995) und der bei nichtselbständiger Arbeit zusammen mit der Lohnsteuer vom Arbeitslohn einbehalten wird (vgl. § 1 Abs. 2 SolZG 1995 i.V.m. § 39b EStG 2002).

2. Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war sein Urteil aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Werden den vom FG ermittelten Einkünften die zu Unrecht abgezogene Lohnsteuer und der Solidaritätszuschlag hinzugerechnet und die zu Unrecht hinzugerechnete Einkommensteuer-Erstattung für 2001 abgezogen, wird der maßgebende Jahresgrenzbetrag von 7 188 € überschritten (6 752,07 € + 1 357,41 € - 42,44 € = 8 067,04 €). Für die Entscheidung, ob ein Kindergeldanspruch besteht, kommt es daher darauf an, ob die sonstigen geltend gemachten Aufwendungen zu berücksichtigen sind. Da das FG zu den sonstigen Werbungskosten —nach seiner Rechtsaufassung zu Recht— bisher keine ausreichenden Feststellungen getroffen hat, ist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Fundstelle(n):
VAAAD-03659