BVerwG Urteil v. - 2 C 5.07

Leitsatz

Eine vordienstliche Tätigkeit kann nur dann hauptberuflich im Sinne von § 10 Satz 1 Nr. 1, § 11 Nr. 1 Buchst. b BeamtVG sein, wenn ihr zeitlicher Umfang den zeitlichen Mindestumfang der Teilzeitbeschäftigung von Beamten nicht unterschreitet (wie BVerwG 2 C 20.04 Buchholz 239.1 § 6 BeamtVG Nr. 4).

Gesetze: BeamtVG § 10 Abs. 1 Nr. 1; BeamtVG § 11 Nr. 1 Buchst. b; HBG § 85a Abs. 5; Hess.PflichtstundenVO § 17; Hess.ArbzVO § 1

Instanzenzug: VG Wiesbaden, VG 6 E 720/06 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein

Gründe

I

Der 1948 geborene Kläger war zunächst im Angestelltenverhältnis, seit 1996 im Beamtenverhältnis als Lehrer im Dienst des beklagten Landes tätig. Seine Unterrichtsverpflichtung war zuletzt um drei Wochenstunden ermäßigt. Am trat er in den Ruhestand.

Der Kläger will die Zeiten eines Lehrauftrags von neun Unterrichtsstunden, den er nach Abschluss des Studiums vor Eintritt in den Vorbereitungsdienst für das Lehramt in der Zeit vom bis ausübte, anteilig als ruhegehaltfähige Vordienstzeit berücksichtigt haben. Seiner Verpflichtungsklage hat das Verwaltungsgericht aus im Wesentlichen folgenden Gründen stattgegeben:

Der Anspruch auf anteilige Berücksichtigung folge aus § 11 Nr. 1 Buchst. b BeamtVG. Der Kläger sei im Schuljahr 1974/75 hauptberuflich im öffentlichen Schuldienst tätig gewesen. Er sei damals keiner weiteren Berufstätigkeit nachgegangen und habe das Entgelt für den Lehrauftrag für seinen Lebensunterhalt verwandt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könnten vordienstliche Tätigkeiten auch dann hauptberuflich im Sinne von § 10 Satz 1 Nr. 1, § 11 Nr. 1 Buchst. b BeamtVG sein, wenn ihr zeitlicher Umfang weniger als die Hälfte der Regelarbeitszeit von Beamten betrage. Hinsichtlich der Untergrenze habe das Gericht jedoch keine Vorgaben gemacht. Es sei sachgerecht, Tätigkeiten mit einem zeitlichen Umfang von mindestens einem Drittel der Regelarbeitszeit als hauptberuflich anzusehen, wenn sie zur Sicherung des Lebensunterhalts und nicht nur nebenbei ausgeübt würden.

Hiergegen richtet sich die Sprungrevision des Beklagten. Er beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Sprungrevision des Beklagten hat Erfolg. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Dies führt zur Abweisung der Klage, weil die Zeiten des Lehrauftrags des Klägers im Schuljahr 1974/75 nicht als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden können. Denn der Lehrauftrag stellt keine hauptberufliche Tätigkeit im Sinne von § 11 Nr. 1 Buchst. b des Beamtenversorgungsgesetzes - BeamtVG - in der hier anzuwendenden Fassung des Art. 1 des Versorgungsänderungsgesetzes vom (BGBl I S. 3926) dar.

Nach § 4 Abs. 3 dieses Gesetzes wird das Ruhegehalt auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge und der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berechnet. Ruhegehaltfähig sind Zeiten, die im Dienst eines öffentlich-rechtlichen Dienstherrn im Beamtenverhältnis zurückgelegt worden sind. Der Anspruch auf Versorgung im Ruhestand besteht entsprechend der Dauer des Beamtenverhältnisses (§ 6 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG). Unter Durchbrechung dieses Grundsatzes ermöglichen §§ 10 und 11 BeamtVG die Berücksichtigung von Zeiten, in denen der Beamte außerhalb des Beamtenverhältnisses tätig war. Die Ruhegehaltfähigkeit von Vordienstzeiten hat Ausnahmecharakter. Die Berücksichtigung der von §§ 10, 11 BeamtVG erfassten Tätigkeiten ist aufgrund ihres inhaltlichen Bezugs zum Beamtendienst, insbesondere des Erwerbs hierfür notwendiger oder förderlicher Qualifikationen, sachlich gerechtfertigt. Dadurch soll den Beamten annähernd diejenige Versorgung ermöglicht werden, die sie erhalten hätten, wenn sie sich während der vordienstlichen Tätigkeit bereits im Beamtenverhältnis befunden hätten. Es sollen unbillige Benachteiligungen gegenüber "Nur-Beamten" vermieden werden ( BVerwG 2 C 38.03 - Buchholz 239.1 § 11 BeamtVG Nr. 9; stRspr).

Die Ruhegehaltfähigkeit von Zeiten, in denen Lehrer vor der Übernahme in das Beamtenverhältnis im Angestelltenverhältnis unterrichtet haben, richtet sich nach § 10 Satz 1 Nr. 1 und § 11 Nr. 1 Buchst. b BeamtVG. Beide Vorschriften machen die Anrechnung von der Hauptberuflichkeit der vordienstlichen Tätigkeit abhängig:

Nach § 10 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG sollen als ruhegehaltfähig auch Zeiten einer hauptberuflichen, in der Regel einem Beamten obliegenden entgeltlichen Beschäftigung berücksichtigt werden, in denen ein Beamter vor der Berufung in das Beamtenverhältnis im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis im Dienst eines öffentlich-rechtlichen Dienstherrn ohne von ihm zu vertretende Unterbrechung tätig war, sofern diese Tätigkeit zu seiner Ernennung geführt hat. Die Vorschrift fordert einen zeitlichen und funktionellen Zusammenhang der vordienstlichen Tätigkeit zu der späteren Beamtentätigkeit; sie muss für die Übernahme in das Beamtenverhältnis ursächlich gewesen sein ( BVerwG 2 C 12.97 - Buchholz 239.1 § 10 BeamtVG Nr. 12).

Nach § 11 Nr. 1 Buchst. b BeamtVG kann die Zeit, während der ein Beamter vor der Berufung in das Beamtenverhältnis hauptberuflich im öffentlichen oder nichtöffentlichen Schuldienst tätig gewesen ist, als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden. Die Vorschrift lässt die Gleichwertigkeit der ausgeübten Tätigkeiten genügen ( BVerwG 2 C 115.64 - Buchholz 232 § 116 BBG Nr. 11; BVerwG 2 B 91.90 - Buchholz 239.1 § 11 BeamtVG Nr. 4).

Beide Regelungen sind nebeneinander anwendbar, wobei § 10 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG vorrangig zu prüfen ist. Denn diese Vorschrift vermittelt im Regelfall einen Anspruch auf Berücksichtigung von Vordienstzeiten, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm erfüllt sind, während die Berücksichtigung gemäß § 11 Nr. 1 Buchst. b BeamtVG in diesem Fall im Ermessen der Versorgungsbehörde steht ( BVerwG 2 C 6.03 - Buchholz 239.1 § 12 BeamtVG Nr. 14 S. 8 und vom - BVerwG 2 C 20.04 - Buchholz 239.1 § 6 BeamtVG Nr. 4). Im vorliegenden Fall scheidet eine Berücksichtigung des Lehrauftrags nach § 10 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG aus, weil kein Zusammenhang mit der Übernahme des Klägers in das Beamtenverhältnis im Jahr 1996 besteht.

Wie der Senat bereits in dem Urteil vom (a.a.O.) dargelegt hat, setzt die Hauptberuflichkeit einer vordienstlichen Tätigkeit im Sinne von § 10 Satz 1 Nr. 1, § 11 Nr. 1 Buchst. b BeamtVG voraus, dass sie nach ihrem zeitlichen Umfang auch von Beamten im Hauptamt ausgeübt und demzufolge ruhegehaltfähig sein kann. Dies folgt aus dem Zweck der Anrechnungsvorschriften, Beamte mit qualifizierten Vordienstzeiten versorgungsrechtlich "Nur-Beamten" möglichst gleichzustellen. Danach kann eine vordienstliche Tätigkeit nicht hauptberuflich sein, wenn sie die Arbeitskraft eines Beamten nur nebenbei beansprucht (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BeamtVG) oder von diesem neben einer hauptberuflichen Tätigkeit nur als Nebentätigkeit, Nebenamt oder Nebenbeschäftigung wahrgenommen werden kann (vgl. § 64 Satz 1 BBG; § 78 Abs. 1 des Hessischen Beamtengesetzes).

Aufgrund dessen hat der Senat in dem Urteil vom (a.a.O.) entschieden, dass der zeitliche Mindestumfang der grundsätzlich allen Beamten eröffneten Teilzeitbeschäftigung die zeitliche Untergrenze für die Hauptberuflichkeit im Sinne von § 10 Satz 1 Nr. 1, § 11 Nr. 1 Buchst. b BeamtVG darstellt. Der gesetzliche Begriff der Hauptberuflichkeit knüpft an die Entwicklung des Arbeitszeitrechts für Beamte an. Je niedriger der Gesetzgeber den zeitlichen Umfang der Teilzeitbeschäftigung festlegt, desto geringer sind die zeitlichen Anforderungen an die Hauptberuflichkeit vordienstlicher Tätigkeiten. Daher wirken sich Änderungen des Mindestumfangs der Teilzeitbeschäftigung auf die Beurteilung vordienstlicher Tätigkeiten als hauptberuflich aus. Daraus folgt, dass die Frage der Hauptberuflichkeit nach derjenigen Rechtslage zu beantworten ist, die zum Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand gilt.

Anders als vom Kläger vertreten, kommt dem zeitlichen Mindestumfang der Altersteilzeit keine Bedeutung für die Bestimmung der Hauptberuflichkeit einer vordienstlichen Tätigkeit zu, weil die Altersteilzeit von vornherein nur einer bestimmten Gruppe von Beamten offen steht. Erst recht müssen zeitliche Arbeitserleichterungen wie die dem Kläger gewährte Pflichtstundenermäßigung gemäß § 17 der Hessischen Pflichtstundenverordnung - HPflVO - vom (ABl S. 684) außer Betracht bleiben. Der Zweck dieser Ermäßigungen besteht darin, Lehrern im Hinblick auf die besonderen Belastungen der Unterrichtstätigkeit einen geringen Teil ihrer Unterrichtsverpflichtung zu erlassen, wenn hierfür ein besonderer Anlass besteht. Eine solche Maßnahme lässt den Umfang der Arbeitszeit unberührt. Sie macht eine Vollbeschäftigung nicht zu einer Teilzeitbeschäftigung und zieht keine anteilige Kürzung der Besoldung gemäß § 6 Abs. 1 BBesG nach sich, wie dies bei einer individuellen Herabsetzung der Arbeitszeit geboten ist ( BVerwG 2 C 21.04 - BVerwGE 124, 11 <13 f.> und vom - BVerwG 2 C 16.06 - ZBR 2008, 130).

Allein aufgrund der gesetzlich festgelegten zeitlichen Untergrenze für die Teilzeitbeschäftigung von Beamten kann jedoch nicht die Frage beantwortet werden, ob eine vordienstliche Tätigkeit als Lehrer nach ihrem zeitlichen Umfang hauptberuflich sein kann. Denn bei Lehrern ist nicht die gesamte dienstliche Arbeitszeit, sondern nur die Unterrichtstätigkeit durch die wöchentliche Pflichtstundenzahl festgelegt. Die Erledigung der übrigen dienstlichen Aufgaben ist nicht an feste Arbeitszeiten gebunden und zeitlich auch nicht exakt messbar ( BVerwG 2 C 61.03 - BVerwGE 122, 65 <66 f.>; stRspr). Dies macht es erforderlich, die Hauptberuflichkeit einer Lehrertätigkeit durch eine Vergleichsberechnung zu bestimmen: Der zeitliche Umfang der vordienstlichen Unterrichtstätigkeit muss in Verhältnis zur damaligen vollen Pflichtstundenzahl gesetzt werden. Die Tätigkeit ist hauptberuflich, wenn der sich daraus ergebende Anteil höher ist als der Anteil des zeitlichen Mindestumfangs der Teilzeitbeschäftigung im Verhältnis zur Regelarbeitszeit (Urteil vom a.a.O.).

Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall: Der Lehrauftrag des Klägers im Schuljahr 1974/75 umfasste neun Unterrichtsstunden pro Woche und damit ein Drittel der vom Verwaltungsgericht festgestellten vollen Unterrichtsverpflichtung von seinerzeit 27 Wochenstunden. Bei seinem Eintritt in den Ruhestand am war die zeitliche Untergrenze für die Teilzeitbeschäftigung für hessische Landesbeamte gemäß § 85a Abs. 5 Satz 1 des Hessischen Beamtengesetzes in der Fassung vom (GVBl. S. 260) auf 15 Wochenstunden festgelegt. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit ist seit dem nach dem Lebensalter der Beamten gestaffelt: Sie beträgt bis zur Vollendung des 50. Lebensjahres 42 Stunden, ab Beginn des 51. bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres 41 Stunden, ab Beginn des 61. Lebensjahres 40 Stunden pro Woche (§ 1 Abs. 1 der Hessischen Arbeitszeitverordnung vom , GVBl I S. 326).

Der Kläger hatte bei Eintritt in den Ruhestand das 51., aber noch nicht das 60. Lebensjahr vollendet. Daher hätte sein Lehrauftrag im Schuljahr 1974/75 einen Anteil von 15/41 (36,59 %) der damaligen wöchentlichen Pflichtstundenzahl von 27 Stunden, folglich 9,878 Unterrichtsstunden pro Woche, erreichen müssen, um als hauptberuflich gelten zu können. Diesen zeitlichen Mindestumfang erreichte der Lehrauftrag mit einem Anteil von 9/27 (33,33 %) nicht. Eine Herabsetzung der zeitlichen Untergrenze zugunsten von Lehrern durch Abrundung der erforderlichen Stundenzahl scheidet aus Gründen der Gleichbehandlung mit Beamten, für die feste Arbeitszeiten gelten, aus. Sie würde Lehrer besser stellen, ohne dass hierfür ein versorgungsrechtlich tragfähiger Grund ersichtlich ist.

Nach alledem kommt es nicht darauf an, ob der Lehrauftrag im Schuljahr 1974/75 nach den damaligen Lebensumständen des Klägers dessen Tätigkeitsschwerpunkt bildete. Hierbei handelt es sich um eine weitere Voraussetzung der Hauptberuflichkeit im Sinne von § 10 Satz 1 Nr. 1, § 11 Nr. 1 Buchst. b BeamtVG, die eine Unterschreitung des erforderlichen zeitlichen Mindestumfangs nicht kompensieren kann (Urteil vom a.a.O.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Beschluss vom

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG auf 262,62 € festgesetzt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
TAAAC-88809