Zehnjährige Festsetzungsfrist bei Steuerhinterziehung; keine verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich der Spekulationsbesteuerung 1996
Gesetze: AO § 169, AO § 370, EStG § 23, GG Art. 3
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und ihr im Dezember 2003 verstorbener Ehemann, die 1996 (Streitjahr) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden, gaben ihre Einkommensteuererklärung für das Streitjahr im Dezember 1997 ab, ohne darin Gewinne aus Spekulationsgeschäften i.S. von § 23 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu erklären. Die nach Aufforderung durch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung nacherklärten Gewinne aus der Veräußerung privater Wertpapiere in Höhe von 21 020 DM erfasste der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) mit gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geändertem Einkommensteuerbescheid vom .
Nach erfolglosem Einspruch wies das Finanzgericht (FG) die Klage ab. Die Festsetzung für das Streitjahr sei nicht verjährt, weil der Ehemann der Klägerin zumindest billigend in Kauf genommen habe, das FA über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und dadurch Steuern verkürzt zu haben. Die Verfassungsmäßigkeit des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG entfalle für das Streitjahr nicht; denn trotz gleichheitswidrigen Vollzugsdefizits umfasse die dem Gesetzgeber zuzubilligende Übergangsfrist auch das Streitjahr.
Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG, § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AO).
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe im Urteil vom 2 BvL 17/02 (BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56) die Nichtigkeit des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG wegen strukturellen Vollzugsdefizits für die Jahre 1997 und 1998 festgestellt. Gleiches müsse für die Besteuerung privater Wertpapiergeschäfte des Streitjahres gelten; die dem Gesetzgeber einzuräumende Übergangsfrist umfasse nicht auch das Streitjahr. Denn angesichts der Vorlage des Abschlussberichts der vom Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen eingesetzten Arbeitsgruppe „Steuerausfälle” (Der Steuerberater —StB— 1994, 446, 449 f.) hätte die Erhebungsstruktur ohne Weiteres bereits im Streitjahr korrigiert werden können. Zudem stehe der Änderung des angefochtenen Steuerbescheids der Ablauf der regulären vierjährigen Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) am entgegen. Die Voraussetzungen für die Anwendung der zehnjährigen Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO lägen nicht vor, weil es an einem (auch nur bedingten) Tatvorsatz zur Steuerhinterziehung wegen der Beauftragung eines steuerlichen Beraters mit der Fertigung der Steuererklärung fehle.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das FG-Urteil und die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und die Einkommensteuer 1996 unter Änderung des Einkommensteuerbescheids vom ohne Berücksichtigung von Einkünften in Höhe von 21 020 DM (entspricht 10 747,35 €) niedriger festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG in der im Streitjahr gültigen Fassung sei verfassungsgemäß. Zudem sei der Einkommensteuerbescheid zu Recht vor Ablauf der hier zehnjährigen Festsetzungsfrist wegen Steuerhinterziehung geändert worden.
II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Zutreffend hat das FG für das Streitjahr den Eintritt der Festsetzungsverjährung verneint und den erzielten Gewinn aus Spekulationsgeschäften gemäß § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG in vollem Umfang der Besteuerung unterworfen.
1. Zu Recht hat das FG entschieden, dass für den nach § 173 Abs. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid des Streitjahres mangels Ablaufs der zehnjährigen Festsetzungsfrist keine Festsetzungsverjährung eingetreten war.
a) Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO sind eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist beträgt gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO im Fall einer Steuerhinterziehung zehn Jahre. Sie beginnt nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO im Fall der Einreichung einer Steuererklärung mit Ablauf des Kalenderjahres der —im Streitfall im Dezember 1997 erfolgten— Einreichung. Danach ist der geänderte Einkommensteuerbescheid vom rechtzeitig vor Ablauf der Festsetzungsfrist ergangen.
b) Die für die zehnjährige Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO erforderliche Steuerhinterziehung i.S. des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist gegeben. Die zehnjährige Frist gilt auch dann, wenn die Steuerhinterziehung nicht durch den Steuerschuldner oder eine Person begangen worden ist, deren er sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten bedient (§ 169 Abs. 2 Satz 3 1. Halbsatz AO; vgl. , BFH/NV 1991, 721; vom VII R 64/03, BFH/NV 2004, 1516, m.w.N.). Darum beruft sich die Klägerin zu Unrecht auf das (BFHE 108, 286, BStBl II 1973, 273); denn es erging zur damals (1959) geltenden Fassung des Gesetzes (§ 144 AO a.F.), die eine dem jetzt geltenden § 169 Abs. 2 Satz 3 1. Halbsatz AO entsprechende Regelung (keine Exkulpation bei Einschaltung eines steuerlichen Erfüllungsgehilfen) nicht vorsah.
Das FG hat eine Steuerhinterziehung in der Person des verstorbenen Ehemannes der Klägerin bejaht, weil dieser —mit bedingtem Vorsatz handelnd— die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen habe. Die Exkulpationsmöglichkeit des § 169 Abs. 2 Satz 3 2. Halbsatz AO ist im Streitfall nicht einschlägig, zumal unstreitig ein Vermögensvorteil bei der Klägerin gegeben ist (dazu im Übrigen vgl. , BFHE 200, 495, BStBl II 2003, 385; in BFH/NV 2004, 1516, m.w.N.).
Die vom FG aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens vorgenommene Würdigung, dass der Ehemann vom Entstehen der Spekulationsgewinne und deren Steuerbarkeit auch zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung positive Kenntnis gehabt habe, ist jedenfalls möglich; sie verstößt nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Daher ist die zu den tatsächlichen Feststellungen gehörende Gesamtwürdigung des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
2. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen gegen § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG auch im Streitjahr (1996) nicht. Unabhängig davon, ob die Vorschrift gleichheitsgemäß vollzogen wurde, ist das Streitjahr in die nach der Rechtsprechung des , BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26, und vom IX R 26/03, BFHE 206, 418, BStBl II 2004, 995; Beschluss vom IX B 80/05, BFH/NV 2006, 719) dem Gesetzgeber zuzubilligende Übergangsfrist einzubeziehen.
Zur weiteren Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf das Urteil des Senats vom IX R 31/07 Bezug genommen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 1485 Nr. 9
TAAAC-86784