Leitsatz
[1] a) Eine mittellose Partei, die innerhalb der Rechtsmittelfrist ein Prozesskostenhilfegesuch mit der ausgefüllten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht und die erforderlichen Belege beigefügt hat, ist grundsätzlich bis zur Entscheidung über ihr Gesuch wegen Mittellosigkeit als unverschuldet gehindert anzusehen, das Rechtsmittel wirksam einzulegen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn sie nach den gegebenen Umständen nicht damit rechnen muss, dass ihr Prozesskostenhilfeantrag aus wirtschaftlichen Gründen wegen fehlender Bedürftigkeit abgelehnt wird.
b) Setzt das Gericht der um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Partei eine Frist zur Vervollständigung ihrer Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und erfüllt die Partei die gerichtlichen Auflagen innerhalb dieser Frist, endet ihr schutzwürdiges Vertrauen auf Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe erst mit der Bekanntgabe des ihr Prozesskostenhilfegesuch ablehnenden Beschlusses mit der Folge, dass erst zu diesem Zeitpunkt die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu laufen beginnt.
Gesetze: ZPO § 234 Abs. 1 Satz 1 A
Instanzenzug: LG Berlin, 22 O 346/05 vom KG Berlin, 10 U 140/06 vom
Gründe
I. 1. Die Klägerin nimmt die Beklagte als Geschäftsführerin der P. GmbH auf Schadensersatz gemäß § 826 BGB in Anspruch. Das Landgericht hat die Beklagte durch Urteil vom antragsgemäß verurteilt. Die Beklagte hat mit einem am bei Gericht eingegangenen Schriftsatz gleichen Datums Prozesskostenhilfe für die Berufung gegen das ihr am zugestellte Urteil des Landgerichts beantragt und dem Antrag die Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen beigefügt. Durch Schreiben vom teilte der Berichterstatter des Berufungszivilsenats mit, dass das Berufungsgericht Bedenken gegen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe habe, weil unter Zugrundelegung der Angaben der Beklagten Zweifel an ihrer Bedürftigkeit bestünden und ein Anspruch auf Zahlung eines Prozesskostenvorschusses gegen ihren Ehemann in Betracht zu ziehen sei. Der Beklagten wurde eine Frist zur Stellungnahme von zwei Wochen gesetzt, um insbesondere die Angaben zu vorhandenen Giro- und Sparkonten zu präzisieren, durch Vorlage der Kontoauszüge der letzten zwölf Monate zu belegen und die Vollständigkeit ihrer Angaben durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft zu machen. Die Beklagte hat mit einem - an demselben Tag bei Gericht eingegangenen - Schriftsatz vom innerhalb der vom Berufungsgericht antragsgemäß bis (Samstag) verlängerten Äußerungsfrist diese Auflagen erfüllt. Durch Beschluss vom wies das Berufungsgericht das Prozesskostenhilfegesuch der Beklagten zurück, weil diese sich auf einen ihr gegen ihren Ehemann zustehenden Anspruch auf Prozesskostenvorschuss verweisen lassen müsse; dieser Beschluss wurde der Beklagten am zugestellt.
Mit Schriftsatz vom (bei Gericht eingegangen am ) hat die Beklagte Berufung eingelegt, diese begründet und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt.
2. Durch den angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten unter Zurückweisung ihres Wiedereinsetzungsantrags als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Berufung der Beklagten sei unzulässig, weil sie nicht innerhalb der am abgelaufenen Berufungsfrist eingelegt worden sei. Die Beklagte sei spätestens seit dem Hinweis des Berufungsgerichts, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels Bedürftigkeit nicht vorlägen, nicht mehr schuldlos an der Wahrung der Rechtsmittelfrist gehindert gewesen. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass ihr hierzu rechtliches Gehör gewährt und für den Fall der Aufrechterhaltung ihres Prozesskostenhilfeantrags die Präzisierung ihrer Angaben und die Vorlage von Unterlagen zu deren Glaubhaftmachung aufgegeben worden sei. Auch wenn für die Beklagte noch die Möglichkeit bestanden habe, das Berufungsgericht von ihrer Bedürftigkeit zu überzeugen, habe sie jedenfalls mit einer Zurückweisung ihres Prozesskostenhilfegesuchs rechnen müssen.
Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.
II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2; 522 Abs. 1 Satz 4; 238 Abs. 2 ZPO). Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil das Berufungsgericht die von der Beklagten für eine Wiedereinsetzung in die Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist vorgetragenen Gründe mit unzutreffenden, ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzenden Erwägungen übergangen und ihr zugleich den verfassungsrechtlich gewährleisteten Zugang zu den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise verwehrt hat (vgl. dazu BVerfGE 74, 228, 234; BVerfG NJW 2005, 814, 815; BGHZ 151, 221, 227 m.w.Nachw.).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet und führt zur Wiedereinsetzung in die schuldlos versäumte Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist.
Zwar war die Frist zur Einlegung der Berufung gegen das der Beklagten am zugestellte Urteil des Landgerichts Berlin bei Eingang der Berufungsschrift am abgelaufen. Der Beklagten ist jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist wie auch der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren, weil sie bis zur Mitteilung der Ablehnung ihres Prozesskostenhilfeantrags am ohne ihr Verschulden an der Einlegung der Berufung und deren Begründung gehindert war und innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO Wiedereinsetzung beantragt sowie die Prozesshandlungen nachgeholt hat.
a) Im Ansatz zutreffend ist allerdings das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass eine mittellose Partei, die innerhalb der Rechtsmittelfrist ihr Prozesskostenhilfegesuch mit der ausgefüllten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht und die erforderlichen Belege beigefügt hat, grundsätzlich Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat und bis zur Entscheidung über ihren Antrag wegen Mittellosigkeit als unverschuldet gehindert anzusehen ist, das Rechtsmittel wirksam einzulegen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn sie nach den gegebenen Umständen nicht damit rechnen muss, dass ihr Prozesskostenhilfeantrag aus wirtschaftlichen Gründen wegen fehlender Bedürftigkeit abgelehnt wird (st. Rspr., BGHZ 16, 1, 3; , NJW-RR 2007, 793; v. - XII ZB 151/07, FamRZ 2008, 871 Tz. 10).
b) Unvertretbar ist jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe spätestens ab dem Zugang des Schreibens des Berichterstatters vom damit rechnen müssen, dass sie die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht erfüllen würde, und habe deshalb bereits zu diesem Zeitpunkt form- und fristgerecht Wiedereinsetzung (§§ 234, 236 ZPO) beantragen müssen. Die Beklagte durfte vielmehr auch nach diesem Zeitpunkt auf die Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe bis zur Zustellung des Ablehnungsbeschlusses des vertrauen.
Zwar wurde die Beklagte durch das gerichtliche Schreiben vom davon in Kenntnis gesetzt, dass das Berufungsgericht strengere Anforderungen an den Nachweis der Bedürftigkeit stellte als das Landgericht, das ihr für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt hatte. Die Beklagte musste jedoch nach dem Inhalt dieses Schreibens nicht davon ausgehen, dass das Berufungsgericht ihren Prozesskostenhilfeantrag nunmehr ohne weiteres wegen fehlender Bedürftigkeit ablehnen würde. Zwar hat das Berufungsgericht auf Bedenken gegen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie auf Widersprüche zwischen dem Prozessvortrag und den Angaben in der Erklärung der Beklagten über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hingewiesen. Es hat jedoch zugleich der Beklagten nicht nur Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, sondern ihr für den Fall, dass sie ihren Prozesskostenhilfeantrag aufrecht erhalten wollte, aufgegeben, innerhalb einer Frist von zwei Wochen ihre Angaben zu den Bankkonten zu präzisieren, durch Vorlage der Kontoauszüge der letzten zwölf Monate zu belegen und die Vollständigkeit ihrer Angaben durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft zu machen.
Setzt das Gericht dem Antragsteller zur Vervollständigung seiner Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eine Frist, darf er nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur Tz. 12) auf die Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe jedenfalls bis zum Ablauf der - ggf. verlängerten - Frist vertrauen. Erfüllt der Antragsteller die gerichtlichen Auflagen innerhalb dieser - verlängerten - Frist, so endet sein schutzwürdiges Vertrauen sogar erst mit Zustellung des die beantragte Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschlusses (BGH aaO).
Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht der Beklagten zu Unrecht die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt. Für die Beklagte war trotz der im gerichtlichen Hinweisschreiben vom geäußerten "Bedenken" nicht erkennbar, dass das Berufungsgericht ihre Bedürftigkeit im Sinne der Vorschriften über die Prozesskostenhilfe endgültig verneinen würde. Indem das Berufungsgericht der Beklagten aufgegeben hat, ihre Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen zu ergänzen und glaubhaft zu machen, hat es - aus der maßgeblichen Sicht der Beklagten als Erklärungs- empfängerin - zum Ausdruck gebracht, dass es das Prozesskostenhilfegesuch der Beklagten zwar für nachbesserungsbedürftig, aber auch für nachbesserungsfähig hielt. Hätte das Berufungsgericht das Prozesskostenhilfegesuch mangels Bedürftigkeit der Beklagten bereits zu diesem Zeitpunkt abschließend für aussichtslos erachtet - so verhielt es sich in der vom Berufungsgericht zu Unrecht herangezogenen Entscheidung des aaO) -, hätte es die Beklagte hierüber nicht im Unklaren lassen dürfen; insbesondere hätte es die Beklagte nicht durch Aufforderung zur Ergänzung ihrer Angaben und zu deren Glaubhaftmachung irreführen dürfen, wenn es für seine Entscheidung über das Gesuch auf die Erfüllung der Auflagen gar nicht mehr angekommen wäre.
Nichts anderes ergibt sich aus dem in dem Schreiben enthaltenen Hinweis des Berufungsgerichts, dass der Beklagten ein Anspruch auf Prozesskostenvorschuss gegen ihren Ehemann zustehen könne. Auch insoweit handelte es sich offensichtlich nicht um eine verbindliche Festlegung, sondern lediglich um eine vorläufige Erwägung, zu der die Beklagte erstmals Gelegenheit zur Stellungnahme erhielt und die sie veranlasst hat, ihren Vortrag zur - aus ihrer Sicht fehlenden - Leistungsfähigkeit ihres Ehemannes zu ergänzen.
c) Da die Beklagte mithin jedenfalls bis zur Zustellung des die beantragte Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschlusses am unverschuldet gehindert war, die Berufung einzulegen, wurde durch ihren am eingegangenen Schriftsatz die Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewahrt.
d) Mit der Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungseinlegungsfrist ist der Beklagten zugleich von Amts wegen gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren, da auch diese versäumte Prozesshandlung zugleich mit der Berufungseinlegung durch Schriftsatz vom - bei Gericht eingegangen am - innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachgeholt wurde und die eine Wiedereinsetzung rechtfertigenden Umstände offenkundig sind ( aaO S. 794; Zöller/Greger, ZPO 26. Aufl. § 236 Rdn. 5 m.w.Nachw.). Denn die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO für einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beginnt - ebenso wie für die Nachholung der Berufungsbegründung - erst mit der Mitteilung der positiven Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu laufen, weil die Begründung des Rechtsmittels dessen Einlegung voraussetzt und ohne diese sinn- und zwecklos wäre (, NJW 2007, 3354, 3356).
3. Durch die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird die vom Berufungsgericht gleichzeitig ausgesprochene Verwerfung der Berufung gegenstandslos.
III. Da der Beklagten nicht nur für die 1. Instanz, sondern auch für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, wird das Berufungsgericht in dem wieder eröffneten Berufungsverfahren ggf. erneut zu prüfen haben, ob der Beklagten auch für die Berufungsinstanz Prozesskostenhilfe zu gewähren ist. Die - vom Berufungsgericht bejahten - Voraussetzungen für eine Verpflichtung des Ehemanns der Beklagten zur Leistung eines Prozesskostenvorschusses liegen zum jetzigen Zeitpunkt nicht vor.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW-RR 2008 S. 1306 Nr. 18
ZAAAC-85933
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja