BFH Urteil v. - XI R 58/06 BStBl 2008 II S. 831

Vorsteuervergütungsverfahren: Bindungswirkung der Unternehmerbescheinigung

Leitsatz

1. Die von einem anderen Mitgliedstaat für das Vorsteuervergütungsverfahren erteilte Unternehmerbescheinigung begründet die Vermutung, dass das betreffende Unternehmen in dem Mitgliedstaat, dessen Steuerverwaltung ihm die Bescheinigung ausgestellt hat, steuerpflichtig und ansässig ist. Die inländische Steuerverwaltung ist grundsätzlich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an die Angaben dieser Bescheinigung gebunden ( —Planzer Luxembourg Sarl—, Slg. 2007, I-5655).

2. Die Bindungswirkung der Unternehmerbescheinigung entfällt, wenn die inländische Steuerverwaltung bei Zweifeln an deren Richtigkeit aufgrund von Aufklärungsmaßnahmen (z.B. eigene Auskünfte des Steuerpflichtigen, Amtshilfe) Informationen erhält, aus denen hervorgeht, dass die in der Bescheinigung angegebene Anschrift weder dem Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen entspricht noch die einer festen Niederlassung ist, von der aus der Steuerpflichtige seine Umsätze tätigt.

Gesetze: UStG 1993 § 18 Abs. 9UStDV 1993 §§ 59 ff.Richtlinie 79/1072/EWG Art. 1Richtlinie 79/1072/EWG Art. 3 und Art. 6

Instanzenzug: (EFG 2007, 387) (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine im Jahr 1997 gegründete Kapitalgesellschaft englischen Rechts. Laut der Unternehmerbescheinigung der britischen Behörde für „HM Customs and Excise” vom ist ihr Geschäftszweck die Durchführung einer „Business- und Management"-Beratung („Consultancy”). In ihrem Antrag auf Vergütung der Umsatzsteuer bezeichnet sie ihre Aktivitäten als „Incentive Dienstleistungen; Vertrieb (von) Yachten für Charter- und Incentivezwecke und Industrieberatung”. Nach ihren eigenen Angaben beschäftigte sie sich darüber hinaus mit dem Vertrieb von „Yachtkonzepten"; ferner arbeitete sie für Fachzeitschriften und als Dienstleister im Bereich von Reportagen und Testberichten. Schließlich verkaufte bzw. vercharterte sie den „V Trawler”, eine Schiffsart.

Das Stammkapital der Klägerin betrug 1 000 £; von diesem Betrag waren 2 £ einbezahlt. Direktoren waren die deutschen Eheleute A und B. Beide hielten je 1 £ des Stammkapitals. Die Klägerin erzielte nach ihrer vorgelegten Buchführung im Streitjahr 1998 einen Umsatz von rd. 34 000 £ (entspricht ca. 52 000 €), dem allerdings Vertriebskosten in etwa der gleichen Höhe gegenüberstanden, so dass sie insgesamt einen Verlust von ca. 553 £ (entspricht 850 €) erzielt hatte. Als Prokurist der Klägerin war C bestellt.

Die Klägerin hatte im Streitjahr 1998 ihren Sitz in Großbritannien angemeldet. Sie verwendete im Streitjahr dieselbe Adresse und Telefonnummer wie die „B Ltd.” Direktor dieser Firma war ebenfalls C. Nach ihren eigenen Angaben beschäftigte die Klägerin außer dem Prokuristen keine Arbeitnehmer. Die Verwaltung lag nach ihren Angaben in der Hand der „B Ltd.” Diese Firma stellte die gesamte Infrastruktur wie auch das Telefon entgeltlich zur Verfügung; die Räumlichkeiten waren von ihr angemietet. Der Vertrag mit der „B Ltd.” war nach Auskunft der Klägerin lediglich mündlich geschlossen worden.

Am beantragte die Klägerin die Vorsteuervergütung nach § 18 Abs. 9 des Umsatzsteuergesetzes 1993 in der im Streitjahr geltenden Fassung (UStG) beim Bundesamt für Finanzen (BfF), dem Rechtsvorgänger des Beklagten und Revisionsbeklagten (Beklagter), für den Vergütungszeitraum Januar bis September 1998 in Höhe von insgesamt 6 592,98 DM. Sie fügte dem Antrag die von der britischen Behörde „HM Customs and Excise” erstellte Unternehmerbescheinigung vom bei.

Die eingereichten Rechnungen bezogen sich im Wesentlichen auf Gebühren für die Anmietung einer Motoryacht von der A Yachtcharter KG. Geschäftsführer der zuletzt genannten Firma waren die Eheleute A und B. Zumindest eine Rechnung dieser Firma vom erbat die Zahlung der Chartergebühr auf ein Konto bei der Stadtsparkasse Y. Durch Chartervertrag vom , der in S (Deutschland) unterzeichnet worden war, hatte die Klägerin die Motoryacht „X” angemietet. Den Mietvertrag hatte für die KG Herr A und für die Klägerin seine spätere Ehefrau unterschrieben. Von diesem Schiff aus betrieb die Klägerin ihre Geschäfte. Die Yacht diente gleichzeitig als Vorführschiff für die zu verkaufenden bzw. zu vercharternden „V Trawler"; der Name „V” war ein Warenzeichen der Klägerin. Der Angebotsprospekt für dieses Schiff war in Deutschland konzipiert und in deutscher Sprache verfasst. Als Autoren des Prospektes und damit als Anbieter des Schiffes waren die Klägerin und Herr A genannt; der Kontakt sollte ausschließlich über eine deutsche Telefon- oder Faxnummer zustande kommen; auch war die Klägerin unter einem deutschen E-Mail-Anschluss zu erreichen. Im Bootsprospekt waren als Ansprechpartner A und B genannt. Im Falle eines Kaufes sollte das „Zuwasserlassen” des Schiffes in S stattfinden. Das Schiff, dessen Bugkabine zum Büro ausgebaut worden war, war zumindest im Jahr 2000 im Flaggenregister in Deutschland eingetragen.

Das BfF übermittelte der Klägerin vier Aufklärungsverfügungen, die nach seiner Auffassung jedoch nicht vollständig beantwortet wurden. Es lehnte mit Bescheid vom die Vergütung von Vorsteuer ab. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 387 veröffentlicht.

Zur Begründung der Revision macht die Klägerin geltend, das FG habe die Vorschrift des § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG unrichtig angewendet. Sie, die Klägerin, sei in Großbritannien ansässig.

Die Entscheidung des Rechtsstreits hänge von der Rechtsfrage ab, ob und inwieweit einer nach § 61 Abs. 3 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1993 in der im Streitjahr geltenden Fassung (UStDV) vorgelegten Unternehmerbescheinigung einer ausländischen Behörde Bindungswirkung für das Vorsteuervergütungsverfahren in Bezug auf das Merkmal der „Ansässigkeit” im ausstellenden Mitgliedstaat zukomme. Diese Rechtsfrage sei bislang vom Bundesfinanzhof (BFH) nicht entschieden worden. Nur das ausstellende Land und dessen Behörden hätten tatsächlich die Möglichkeit, in ihrem Land befindliche Unternehmungen auf bestimmte Unternehmensmerkmale hin zu untersuchen. Die in Deutschland ansässigen Behörden und Gerichte hingegen seien auf Auskünfte der Behörden des Ausstellungslandes ggf. im Rahmen von Amtshilfeverfahren angewiesen. Das FG habe diesen Umständen keine Rechnung getragen.

Es sei auch zweifelhaft, ob und inwieweit der Begriff der „Ansässigkeit” durch die deutsche Finanzgerichtsbarkeit überhaupt justiziabel sei. So könne den Überprüfungsergebnissen des Merkmals „Ansässigkeit” des Landes, in welchem eine Ansässigkeit vorgetragen werde, eine Bindungswirkung zukommen. Nicht geklärt sei bislang die Frage, ob eine zwingende Verpflichtung der Erstattungsbehörde zur Einholung einer Auskunft von dem behaupteten Ansässigkeitsmitgliedstaat bestehe; es sei ebenfalls nicht geklärt, wie diese eingeholten Informationen zu verwerten seien.

Die Entscheidung des Rechtsstreits könne schließlich von der Frage abhängen, wie der Begriff der „Ansässigkeit” auszulegen sei. Der BFH habe mehrfach festgestellt, dass das Begriffsmerkmal Ansässigkeit am Gemeinschaftsrecht auszurichten sei und damit schlussendlich für alle Mitgliedstaaten verbindlich vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zu definieren sei. Dazu sei ein Vorlagebeschluss notwendig. Daher werde eine Vorlage an den EuGH nach Art. 234 Satz 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und dementsprechend die Aussetzung des Verfahrens nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) angeregt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des FG-Urteils und des ablehnenden Bescheides des in Gestalt der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung den Beklagten zu verpflichten, die beantragte Umsatzsteuervergütung für das Kalenderjahr 1998 vorzunehmen.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er hält die Auffassung des FG für zutreffend.

II.

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Klägerin kein Anspruch auf Vorsteuervergütung zusteht.

1. Nach § 18 Abs. 9 UStG kann zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens das Bundesministerium der Finanzen mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Vergütung der Vorsteuerbeträge (§ 15 UStG) an im Ausland ansässige Unternehmer, abweichend von § 16 UStG und von § 18 Abs. 1 bis 4 UStG, in einem besonderen Verfahren regeln. Von dieser Ermächtigung hat der Verordnungsgeber in §§ 59 ff. UStDV Gebrauch gemacht. Zum Vergütungsverfahren bestimmt § 61 Abs. 3 UStDV, dass der Unternehmer der zuständigen Finanzbehörde durch behördliche Bescheinigung des Staates, in dem er ansässig ist, nachweisen muss, dass er als Unternehmer unter einer Steuernummer eingetragen ist.

Diese nationalen Vorschriften beruhen —soweit sie sich auf im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässige Ausländer beziehen— auf der Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige —Richtlinie 79/1072/EWG— (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften —ABlEG— Nr. L 331/11).

2. Der Vergütungsanspruch setzt gemäß § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG zunächst voraus, dass es sich um einen im Ausland ansässigen Unternehmer handelt (§ 59 Abs. 1 i.V.m. § 51 Abs. 3 Satz 1 UStDV). Als nicht im Inland ansässiger Unternehmer gilt nach Art. 1 der Richtlinie 79/1072/EWG derjenige Steuerpflichtige, der im Inland weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Umsätze bewirkt worden sind. Dem FG ist im Ergebnis darin zu folgen, dass das Vorliegen dieser Voraussetzungen nicht festgestellt werden kann.

a) Die Klägerin hat zwar eine den Anforderungen des § 61 Abs. 3 UStDV entsprechende Bescheinigung der britischen Behörde „HM Customs and Excise” vom vorgelegt.

Damit hat sie zunächst auch die in Art. 3 Buchst. b und Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 79/1072/EWG genannten gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in Gestalt des entsprechenden Musters in Anhang B der Richtlinie 79/1072/EWG erfüllt.

Diese Bescheinigung begründet nach der Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich die Vermutung, dass der Betreffende nicht nur in dem Mitgliedstaat, dessen Steuerverwaltung ihm die genannte Bescheinigung ausgestellt hat, mehrwertsteuerpflichtig ist, sondern dass er dort auch ansässig ist ( —Planzer Luxembourg Sarl—, Slg. 2007, I-5655).

b) Diese Vermutung ist aber widerlegbar und im Streitfall tatsächlich entkräftet.

aa) Der EuGH hat in der genannten Entscheidung zugleich hervorgehoben, dass es der Steuerverwaltung des Landes, in dem die Erstattung der Vorsteuer beantragt wird, nicht verwehrt werden darf, sich bei Zweifeln an der wirtschaftlichen Realität des Sitzes, dessen Anschrift in dieser Bescheinigung angegeben ist, zu vergewissern, ob diese Realität tatsächlich gegeben ist, indem sie auf die Verwaltungsmaßnahmen zurückgreift, die die Gemeinschaftsregelung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer hierzu vorsieht. Insoweit sei daran zu erinnern, dass die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Realität ein grundlegendes Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems sei (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 2007, I-5655, Randnr. 43, und , BFH/NV 2008, 907). Außerdem sei nach ständiger Rechtsprechung eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht nicht erlaubt. Eine solche läge vor, wenn ein Steuerpflichtiger nach den in der Richtlinie 79/1072/EWG des Rates aufgestellten Bedingungen in den Genuss des Erstattungssystems zu kommen versuchte, obwohl der Sitz, dessen Anschrift in der dem Muster in Anhang B dieser Richtlinie entsprechenden Bescheinigung genannt werde, im Ausstellungsstaat keiner wirtschaftlichen Realität entspreche. Habe die Steuerverwaltung des Erstattungsstaats beispielsweise im Falle eines Verdachts auf Missbrauch steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten Zweifel an der wirtschaftlichen Realität des in dieser Bescheinigung angegebenen Sitzes, könne sie zwar aufgrund der beschriebenen sich aus dieser Bescheinigung ergebenden Vermutung nicht ohne weitere vorherige Nachprüfung gegenüber dem Steuerpflichtigen die Erstattung verweigern. Ihr stehe dann nach Art. 6 der Richtlinie 79/1072/EWG aber die Möglichkeit offen, den Steuerpflichtigen zu zwingen, ihr die Auskünfte zu erteilen, die erforderlich seien, um beurteilen zu können, ob der Erstattungsantrag begründet sei, so etwa Informationen, von denen anzunehmen sei, dass sie es ihr ermöglichten, die wirtschaftliche Realität des in der Bescheinigung über die Steuerpflichtigeneigenschaft genannten Sitzes zu bewerten. Der Verwaltung stünden insoweit auch die gemeinschaftsrechtlichen Instrumente der Verwaltungskooperation und der Amtshilfe zu Gebote, die zur korrekten Festsetzung der Mehrwertsteuer und zum Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuerumgehung auf diesem Gebiete erlassen worden seien (vgl. im Einzelnen EuGH-Urteil in Slg. 2007, I-5655, Randnr. 48).

Gehe aus den erhaltenen Informationen hervor, dass die in der Bescheinigung über die Steuerpflichtigeneigenschaft angegebene Anschrift weder dem Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen entspreche, noch die einer festen Niederlassung sei, von der aus dieser Steuerpflichtige seine Umsätze tätige, sei die Steuerverwaltung des Erstattungsstaats berechtigt, die vom Steuerpflichtigen beantragte Erstattung zu verweigern (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 2007, I-5655, Randnrn. 44 bis 49, jeweils m.w.N.).

bb) Nach den für den Senat bindenden und nicht mit zulässigen Rügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) haben die den genannten Vorgaben des EuGH entsprechenden Nachprüfungen des BfF nach Art. 6 der Richtlinie 79/1072/EWG im Streitfall ergeben, dass die Klägerin im Streitjahr abweichend von der Unternehmerbescheinigung weder den Sitz ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine Niederlassung, von der aus sie ihre Umsätze tätigte, in Großbritannien hatte.

aaa) Der Sitz einer wirtschaftlichen Tätigkeit einer Gesellschaft ist der Ort, an dem die wesentlichen Entscheidungen zur allgemeinen Leitung dieser Gesellschaft getroffen und die Handlungen zu deren zentraler Verwaltung vorgenommen werden (EuGH-Urteil in Slg. 2007, I-5655, Randnr. 63). Diese Definition hat der EuGH zwar im Zusammenhang mit der Anwendung von Art. 1 Nr. 1 der Dreizehnten Richtlinie 86/560/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren der Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige —Richtlinie 86/560/EWG— (ABlEG Nr. L 326/40) getroffen. Da es sich insoweit aber in Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 86/560/EWG und Art. 1 der Richtlinie 79/1072/EWG um identische und in einem ähnlichen Zusammenhang verwandte Begriffe handelt, ist diese Definition auch auf die im Streitfall anwendbare Richtlinie 79/1072/EWG zu übertragen.

Der Begriff des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit hat eine eigenständige Bedeutung gegenüber demjenigen der festen Niederlassung, von wo aus die Umsätze bewirkt worden sind (EuGH-Urteil in Slg. 2007, I-5655, Randnr. 58). Bei der Bestimmung des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit einer Gesellschaft ist eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, und zwar in erster Linie der statutarische Sitz, der Ort der zentralen Verwaltung, der Ort, an dem die Führungskräfte der Gesellschaft zusammentreffen, und der —gewöhnlich mit diesem übereinstimmende— Ort, an dem die allgemeine Unternehmenspolitik dieser Gesellschaft bestimmt wird. Andere Elemente, wie der Wohnsitz der Hauptführungskräfte, der Ort, an dem die Gesellschafterversammlung zusammentritt, der Ort, an dem die Verwaltungsunterlagen erstellt und die Bücher geführt werden, und der Ort, an dem die Finanz- und insbesondere die Bankgeschäfte hauptsächlich wahrgenommen werden, können ebenfalls in Betracht gezogen werden (EuGH-Urteil in Slg. 2007, I-5655, Randnr. 61). Dementsprechend lässt sich eine fiktive Ansiedlung in Form einer „Briefkastenfirma” oder einer „Strohfirma” nicht als Sitz einer wirtschaftlichen Tätigkeit einstufen (EuGH-Urteil in Slg. 2007, I-5655, Randnr. 62).

Das FG hat zwar in den Entscheidungsgründen seines Urteils keine ausdrückliche selbstständige Aussage dahingehend getroffen, wo sich der tatsächliche wirtschaftliche Sitz der Klägerin befand. Vielmehr hat es sich auf Ausführungen zu der festen Niederlassung der Klägerin beschränkt, von wo aus tatsächlich Umsätze ausgeführt wurden (siehe dazu nachfolgend unter 2.b, bb, bbb). Gleichwohl bedarf es aber insoweit keiner Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO, weil die tatsächlichen Feststellungen des FG die Schlussfolgerung erlauben, dass nach dem Gesamtbild der einzelnen Umstände der behauptete wirtschaftliche Sitz der Klägerin sich nicht in Großbritannien befand.

Denn die Klägerin, an deren Kapital ausschließlich die deutschen Eheleute A und B beteiligt waren, betrieb ihre Geschäfte —"Incentive Dienstleistungen; Vertrieb (von) Yachten für Charter- und Incentivezwecke und Industrieberatung” sowie den Vertrieb von Yachtkonzepten, die Arbeit für Fachzeitschriften und Dienstleister im Bereich von Reportagen und Testberichten, Verkauf und Vercharterung der Schiffsart „V Trawler"— von dem Schiff „X” aus, das in Deutschland zu Wasser gelassen worden war. Der Angebotsprospekt für dieses Schiff war in Deutschland konzipiert und in deutscher Sprache verfasst. Als Autoren des Prospektes und damit Anbieter des Schiffes waren die Klägerin und Herr A genannt, der eine Firma in Deutschland betrieb („Yachtcharter KG”) und ein Bankkonto in Deutschland hatte. Der maßgebliche Chartervertrag vom war ebenfalls in Deutschland unterzeichnet worden. Im Bootsprospekt waren als Ansprechpartner die deutschen Staatsangehörigen A und B genannt; der Kontakt sollte ausschließlich über eine deutsche Telefon- oder Faxnummer zustande kommen. Die Klägerin war unter einem deutschen E-Mail-Anschluss zu erreichen. Ihre in ihrem Geschäftskorrespondenzbriefkopf in Großbritannien angegebene Adresse stimmte mit derjenigen einer anderen Firma („B Ltd.”) überein.

Aus diesen gesamten Umständen ergibt sich, dass die Klägerin abgesehen von der in Großbritannien ausgestellten Unternehmerbescheinigung zu ihrem statutarischen Sitz in Großbritannien keine hinreichenden Hinweise im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung darauf hat geben können, dass sich auch ihr tatsächlicher wirtschaftlicher Sitz dort befand.

bbb) Ferner hat das FG trotz zahlreicher Nachfragen durch das BfF im Vorverfahren nicht feststellen können, dass die Klägerin entsprechend den Angaben in der Unternehmerbescheinigung eine feste Niederlassung in Großbritannien hatte, von der aus tatsächlich Umsätze ausgeführt wurden.

Die von dem FG in den Entscheidungsgründen seines Urteils vorgenommene Würdigung ist rechtlich möglich und weist keinen Verstoß gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze auf. Sie ist daher für den erkennenden Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO).

ccc) Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass das BfF sich auf Nachfragen bei der Klägerin i.S. von Art. 6 der Richtlinie 79/1072/EWG beschränkt hat und nicht daneben auch noch weitere Möglichkeiten der Zusammenarbeit der Verwaltungen der Mitgliedstaaten bzw. der Amtshilfe ausgeschöpft hat. Denn der EuGH hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die bei der Anwendung von Art. 6 der Richtlinie 79/1072/EWG erlangten Informationen bereits eine Bewertung der wirtschaftlichen Realität des in der Bescheinigung über die Steuerpflichtigeneigenschaft genannten Sitzes ermöglichen können. Ist Letzteres nicht möglich, stehen der Verwaltung daneben auch die gemeinschaftsrechtlichen Instrumente der Verwaltungskooperation und der Amtshilfe zu Gebote (EuGH-Urteil in Slg. 2007, I-5655, Randnrn. 47, 48).

Im Streitfall ergibt sich aus den tatsächlichen Feststellungen des FG aber eindeutig, dass der in der Bescheinigung über die Steuerpflichtigeneigenschaft genannte Sitz nicht bestand, so dass ein Amtshilfeersuchen nicht erforderlich war.

3. Ohne dass es hierauf noch entscheidend ankäme, hat das FG betreffend die im Klageverfahren nachgereichte Rechnung vom zutreffend darauf hingewiesen, dass insoweit eine Vorsteuervergütung auch deshalb nicht in Betracht kommt, weil die Originalrechnung nicht gleichzeitig mit dem Vergütungsantrag eingereicht wurde (, BFHE 217, 32, BStBl II 2007, 430, m.w.N.).

4. Außerdem kann unerörtert bleiben, ob der Klägerin gemäß dem Vorbringen des Beklagten auch deshalb kein Anspruch auf Vorsteuervergütung zusteht, weil der entsprechende Antrag lediglich von ihrem Prokuristen unterschrieben wurde.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:


Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:





Fundstelle(n):
BStBl 2008 II Seite 831
BFH/NV 2008 S. 1422 Nr. 8
BFH/PR 2008 S. 401 Nr. 9
BStBl II 2008 S. 831 Nr. 18
DB 2008 S. 1664 Nr. 31
DStRE 2008 S. 1022 Nr. 16
GStB 2008 S. 43 Nr. 11
HFR 2008 S. 1061 Nr. 10
NWB-Eilnachricht Nr. 29/2008 S. 2715
StB 2008 S. 312 Nr. 9
StuB-Bilanzreport Nr. 15/2008 S. 610
UR 2008 S. 629 Nr. 16
UStB 2008 S. 282 Nr. 10
EAAAC-84018