BGH Urteil v. - II ZR 27/07

Leitsatz

[1] Mit den Pflichten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters ist es vereinbar, wenn er zur Vermeidung strafrechtlicher Verfolgung fällige Leistungen an die Sozialkassen erbringt (vgl. , ZIP 2007, 1265; vgl. auch Urt. v. II ZR 38/07 z.V.b.).

Gesetze: GmbHG § 64 Abs. 2; BGB § 823 Abs. 2 Be; StGB § 266 a Abs. 1

Instanzenzug: LG Cottbus, 3 O 345/04 vom OLG Brandenburg, 7 U 20/06 vom

Tatbestand

Der Beklagte war Geschäftsführer der I. GmbH (im folgenden I. GmbH), die seit November 2000 zahlungsunfähig war und über deren Vermögen auf ihren am gestellten Antrag hin am das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die an die Klägerin zu leistenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge für Dezember 2000 und Januar 2001 in Höhe von 26.111,19 DM und 36.266,63 DM wurden nicht abgeführt.

Auf Antrag der Klägerin erging am gegen den Beklagten wegen der Nichtabführung der Arbeitnehmeranteile an den Sozialversicherungsbeiträgen ein Vollstreckungsbescheid über 15.946,64 €, in dem der Anspruch als Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 a StGB bezeichnet war. Am selben Tag wurde über das Vermögen des Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Klägerin meldete den Anspruch in diesem Verfahren als Forderung aus "vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung" an. Der Insolvenzverwalter stellte den Anspruch gegen den Widerspruch des Beklagten entsprechend fest. Mit ihrer Klage beantragte die Klägerin festzustellen, dass die Forderung mit dem Rechtsgrund "Schadensersatz aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung" zu bezeichnen sei. Das Landgericht gab der Klage statt, das Oberlandesgericht wies sie ab. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Feststellungsantrag weiter.

Gründe

Die Revision der Klägerin ist begründet und führt unter Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts zur Zurückweisung der Berufung des Beklagten.

I. Das Berufungsgericht (ZIP 2007, 724) meint, der Beklagte könne nicht wegen einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung in Anspruch genommen werden, weil er sich nach der Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin im November 2000 in einer Pflichtenkollision befunden habe. Er habe die Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr abführen dürfen, ohne im Verhältnis zur Insolvenzschuldnerin nach § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG zahlungspflichtig zu werden.

II. Das Urteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts, das schon im Ansatz verkannt hat, dass von einer Pflichtenkollision schon dann keine Rede sein kann, wenn der Geschäftsführer in der durch § 64 GmbHG bezeichneten Situation Zahlungen an Gläubiger bewirkt oder bewirken lässt, steht die Massesicherungspflicht nach § 64 Abs. 2 GmbHG einer Haftung des Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 a StGB nicht entgegen. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, ist es mit den Pflichten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar, wenn er zur Vermeidung strafrechtlicher Verfolgung fällige Leistungen an die Sozialkassen erbringt (Sen.Urt. v. - II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265; ebenso zu § 266 StGB Sen.Urt. v. - II ZR 38/07, z.V.b.). Mit Rücksicht auf die Einheit der Rechtsordnung kann es dem organschaftlichen Vertreter nicht angesonnen werden, die Massesicherungspflicht nach § 64 Abs. 2 GmbHG zu erfüllen und fällige Leistungen an die Sozialkassen nicht zu erbringen, wenn er sich dadurch strafrechtlicher Verfolgung aussetzt.

2. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden und das landgerichtliche Urteil wieder herstellen, weil keine weiteren Feststellungen zu treffen sind und die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

a) Die Feststellungsklage ist - wie in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt ist (vgl. , ZIP 2007, 541; Urt. v. - IX ZR 187/04, WM 2006, 1347) - zulässig.

b) Rechtsgrund des Schadensersatzanspruchs der Klägerin gegen den Beklagten ist eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung. Der Beklagte haftet nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 a StGB.

aa) Er hat als Geschäftsführer die Beiträge der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung der Einzugstelle vorenthalten. Dass er nicht Alleingeschäftsführer war, entlastet ihn nicht. Als Geschäftsführer ist er für die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Pflichten der Gesellschaft, zu denen die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge gehört, unabhängig von der internen Zuständigkeitsverteilung oder einer Delegation auf andere Personen verantwortlich (BGHZ 133, 370, 376; , ZIP 2001, 422). Die Erfüllung dieser Pflicht war der I. GmbH möglich, wie sich aus dem Umstand ergibt, dass die Gesellschaft am 22. Januar und noch Zahlungen für Miete in einer die Beiträge der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung übersteigenden Höhe geleistet hat (vgl. dazu Sen.Urt. v. - II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026; Urt. v. - II ZR 108/05, ZIP 2006, 2127).

bb) Der Beklagte handelte vorsätzlich. Bewusstsein und Wille, von der gebotenen Abführung der Beiträge bei Fälligkeit abzusehen, sind nach den für den bedingten Vorsatz geltenden Regeln vorhanden, wenn der Geschäftsführer eine für möglich gehaltene Beitragsvorenthaltung billigt und nicht auf die Erfüllung der Ansprüche der Sozialversicherungsträger hinwirkt (BGHZ 134, 304, 314; , ZIP 2001, 422). Wenn die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung dem Ressort eines anderen Geschäftsführers zugewiesen oder auf Angestellte übertragen ist, muss der Geschäftsführer im Rahmen der ihm verbliebenen Überwachungspflicht tätig werden, sobald Anhaltspunkte bestehen, dass die Erfüllung der Aufgaben durch den intern zuständigen Geschäftsführer oder den mit der Erledigung beauftragten Angestellten nicht mehr gewährleistet ist, und durch geeignete Maßnahmen die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge sicherstellen sowie die Einhaltung der Pflicht überwachen (BGHZ 133, 370, 378; , ZIP 2001, 422). Anlass für konkrete Überwachungsmaßnahmen bieten insbesondere eine finanzielle Krisensituation (BGHZ 133, 370, 379) oder ungeordnete Verhältnisse im Geschäftsablauf innerhalb der Gesellschaft (vgl. BGHZ 134, 304, 315). Eine solche Krisensituation, bei der sich der Beklagte nicht mehr darauf verlassen konnte, dass die Sozialversicherungsbeiträge pünktlich abgeführt wurden, lag bei der I. GmbH vor. Dem Beklagten war jedenfalls seit November 2000 bekannt, dass sich die allgemeine Finanzlage der I. GmbH verschlechtert hatte. Außerdem war die Buchhaltung nicht auf einem aktuellen, geordneten Stand, und die dafür zuständige Mitarbeiterin wurde ausgewechselt.

cc) Die Forderung beruht auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung im Sinne von § 302 Abs. 1 InsO. Dafür genügt es nicht, dass der Geschäftsführer vorsätzlich handelt, vielmehr muss auch die Schadensfolge vom Vorsatz umfasst sein (, NJW 2007, 2854). Wer - wie der Beklagte - vorsätzlich der Einzugstelle Beiträge zur Sozialversicherung vorenthält, nimmt auch die Schädigung der Sozialversicherungsträger in Kauf und hat damit auch Vorsatz hinsichtlich der Schadensfolge (BGH aaO).

Fundstelle(n):
BB 2008 S. 1517 Nr. 29
BB 2008 S. 2205 Nr. 41
DStR 2008 S. 1492 Nr. 31
GmbH-StB 2008 S. 229 Nr. 8
GmbHR 2008 S. 815 Nr. 15
HFR 2008 S. 1187 Nr. 11
NJW-RR 2008 S. 1253 Nr. 18
NWB-Eilnachricht Nr. 29/2008 S. 2716
SJ 2008 S. 37 Nr. 20
StuB-Bilanzreport Nr. 18/2008 S. 731
WM 2008 S. 1403 Nr. 30
ZIP 2008 S. 1275 Nr. 28
EAAAC-83889

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja