BGH Beschluss v. - 2 StR 485/07

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 44; StPO § 46; StPO § 261; StPO § 349 Abs. 4; StPO § 356 a

Instanzenzug: LG Aachen, vom

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten hatte der Senat durch Beschluss vom als unbegründet verworfen. Eine auf einen Verstoß gegen § 261 StPO gestützte Verfahrensrüge hatte der Senat als unzulässig angesehen, weil die von der Revision vorgetragene Uhrzeit eines angeblichen Telefonanrufs der Nebenklägerin auf dem Mobiltelefon des Angeklagten mit dem Ausdruck der in der Hauptverhandlung erörterten Verbindungsübersicht nicht übereinstimmte, die mit der per Telefax im Übrigen fristgerecht beim Landgericht eingegangenen Revisionsbegründung vorgelegt wurde.

Der auf § 356 a StPO, hilfsweise auf § 44 StPO gestützte Antrag des Beschwerdeführers auf Nachholung rechtlichen Gehörs hinsichtlich der Zulässigkeit dieser Rüge führt zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechend §§ 44, 46 StPO. Die damit zulässige Verfahrensrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

1. Die per Telefax rechtzeitig begründete Revision rügt einen Verstoß gegen § 261 StPO. Sie macht insoweit geltend, in der Hauptverhandlung sei eine von der Nebenklägerin an die Polizei übergebene Verbindungsübersicht ihres Mobiltelefons erörtert worden, aus welcher sich ergebe, dass vom Mobiltelefon der Nebenklägerin am Tag der abgeurteilten Tat 2 um 6.45 Uhr auf dem Mobiltelefon des Angeklagten angerufen und ein Gespräch von 50 Sekunden Dauer geführt wurde. Dieser Umstand, welcher die Einlassung des die Tat bestreitenden Angeklagten stütze, mit der Aussage der Nebenklägerin jedoch nicht vereinbar sei, sei im Urteil des Landgerichts entgegen § 261 StPO nicht verwertet worden.

Der Senat hatte im Beschluss vom diese Rüge als unzulässig angesehen, weil auf dem in der Verfahrensakte befindlichen Ausdruck der beim Landgericht eingegangenen Revisionsbegründung, welche auch einen Abdruck der Verbindungsübersicht enthält, die Uhrzeit des betreffenden Anrufs nicht, wie von der Revision vorgetragen, mit "6.45" Uhr, sondern augenscheinlich mit "9.45" Uhr angegeben ist. Damit lag innerhalb der Revisionsbegründungsfrist insoweit eine formgerecht begründete Verfahrensrüge nicht vor.

Mit seinem auf § 356 a StPO, hilfsweise auf § 44 StPO gestützten, fristgerecht eingegangenen Antrag hat der Beschwerdeführer vorgetragen, auf dem Original der Verbindungsübersicht sowie auf der der Verteidigerin vorliegenden, von ihr der Revisionsbegründung beigefügten Ablichtung sei die Uhrzeit jeweils mit "6.45" Uhr angegeben. Die Unleserlichkeit der Ziffer oder der fehlerhafte Ausdruck auf dem in der Akte befindlichen Exemplar beruhe entweder auf einem Fehler bei der Speicherung im Faxgerät des Landgerichts oder auf einem fehlerhaften Ausdruck dieses Geräts.

Der Antrag ist zulässig und begründet; er führt zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zwar liegt ein Fall der Nachholung rechtlichen Gehörs gemäß § 356 a StPO nicht vor, denn der Senat hat in seinem Beschluss vom keine Tatsachen zu Lasten des Beschwerdeführers verwendet, zu denen dieser nicht gehört worden war. Es war dem Beschwerdeführer aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Erhebung einer formgerecht begründeten Verfahrensrüge zu gewähren. Auch bei im Übrigen form- und fristgerecht begründeter Revision ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausnahmsweise Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn der Beschwerdeführer unverschuldet durch äußere Umstände oder unvorhersehbare Zufälle daran gehindert war, eine Verfahrensrüge rechtzeitig formgerecht zu begründen (BGH wistra 1993, 347; 2005, 344; Senatsbeschluss vom - 2 StR 146/03; vgl. Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 44 Rdn. 7 a m.w.N.). Ein solcher Fall liegt auch bei Ausfall oder Empfangsfehlern des die Revisionsbegründung empfangenden Faxgeräts des Gerichts vor (vgl. auch KG NStZ-RR 2007, 24).

2. Die Rüge ist auch begründet.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts hatten der Angeklagte und die Nebenklägerin, die eine Wohnung im Haus ihres Vaters bewohnte, über mehrere Jahre eine intime Beziehung, die unter anderem auch von aggressivem, dominantem Verhalten des Angeklagten, ambivalentem Verhalten der Nebenklägerin und wechselseitiger Eifersucht geprägt war; dies führte mehrmals zu Trennungen und - vorübergehenden - Versöhnungen. Die Eltern der Nebenklägerin lehnten den Angeklagten ab; die Nebenklägerin verheimlichte ihnen, dass sie die - auch sexuelle - Beziehung zum Angeklagten wieder aufnahm.

Der Angeklagte drang nach den Feststellungen, nachdem er am Abend des mehrfach bei der Nebenklägerin angerufen und gegen ihren ausdrücklichen Widerspruch sein Kommen angekündigt hatte, auf nicht geklärte Weise gegen 3.00 Uhr morgens in die im Obergeschoss des Hauses ihres Vaters liegende Wohnung der Nebenklägerin ein, die zu diesem Zeitpunkt schlief. Nach einem zunächst ruhigen Gespräch begann er die Nebenklägerin wegen ihrer angeblichen Untreue zu beschimpfen, schloss sich mit ihr im Schlafzimmer ein, bedrohte sie mit einem Messer und misshandelte sie erheblich; dann zwang er sie mit Gewalt gegen ihren Willen zum Geschlechtsverkehr.

Der Angeklagte begab sich sodann in das Wohnzimmer der Wohnung und führte von dort aus ein Telefongespräch. Die Nebenklägerin schloss sich im Schlafzimmer ein und sandte von ihrem Mobiltelefon eine SMS-Nachricht mit einem Hilferuf an ihren in der Erdgeschosswohnung schlafenden Vater; die Nachricht kam um 7.40 Uhr auf dem Mobiltelefon des Vaters an, wurde von diesem aber erst um 9.00 Uhr gelesen. Der Angeklagte verblieb bis gegen 9.00 Uhr in der Wohnung; er wurde vom Vater der Nebenklägerin angetroffen.

Aus den Urteilsgründen ergibt sich weiter, dass der Angeklagte zwar die Misshandlung der Nebenklägerin, nicht aber die Vergewaltigung eingeräumt und dass er auch im Übrigen den Ablauf erheblich abweichend von den Feststellungen dargestellt hat. Danach sei es die Nebenklägerin gewesen, die ihn bereits am Abend des 31. Oktober mehrmals angerufen und aufgefordert habe, zu ihr zu kommen. Ein letzter Anruf der Nebenklägerin sei am Morgen des 1. November erfolgt. Er sei dort erst danach, nämlich gegen 7.00 Uhr morgens, eingetroffen. Die Nebenklägerin habe ihn erwartet und ihm geöffnet; dann sei es zweimal zum einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gekommen. Erst danach habe sich ein Streit wegen einer anderweitigen Beziehung der Nebenklägerin entwickelt, in dessen Verlauf er sie geschlagen habe.

In der Hauptverhandlung ist eine Verbindungsübersicht des Mobilfunkanschlusses der Nebenklägerin, die diese im Ermittlungsverfahren der Polizei übergeben hatte, "in Augenschein genommen und erörtert" worden. Zutreffend meint die Revision, dass die missverständliche Formulierung dahin zu verstehen sei, dass die Übersicht inhaltlich eingeführt wurde und Gegenstand der Hauptverhandlung war. Aus der Übersicht ergibt sich unter anderem, dass am um 22.24 Uhr und 22.26 Uhr sowie am um 6.45 Uhr vom Mobiltelefon der Nebenklägerin bei dem Mobilfunkanschluss des Angeklagten angerufen wurde und dass jeweils Verbindungen hergestellt wurden.

b) Die Revision macht zu Recht geltend, dass der Tatrichter die Beweisergebnisse, welche sich aus der Einführung der Verbindungsübersicht ergaben, bei der Urteilsfindung berücksichtigen und in den Urteilsgründen erörtern musste. Der Nachweis einer Verbindung um 6.45 Uhr am Morgen des 1. November stützte ersichtlich die Einlassung des Angeklagten, erst gegen 7.00 Uhr nach einem (weiteren) Anruf der Nebenklägerin bei dieser angekommen zu sein; mit der Aussage der Nebenklägerin, der Angeklagte sei bereits um 3.00 Uhr in die Wohnung eingedrungen, ist er hingegen jedenfalls nicht ohne Weiteres vereinbar. Soweit der Generalbundesanwalt Möglichkeiten erörtert, wie und warum ein Telefongespräch innerhalb der Wohnung geführt worden sein könnte, bleibt dies notwendigerweise spekulativ, da das Urteil sich zu dem Widerspruch nicht verhält und auch somit keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, wie er aufzulösen wäre.

Es handelt sich hier auch nicht um eine unbedeutende Indiztatsache, der letztlich in der Gesamtheit der Beweiswürdigung kein erhebliches Gewicht beizumessen wäre. Sollte sich herausstellen, dass entgegen ihrer (mehrfachen) Aussage die Nebenklägerin selbst den Angeklagten noch am Morgen des 1. November in ihre Wohnung gebeten hatte und dass dieser dort erst um 7.00 Uhr eintraf, könnte dies erhebliches Gewicht für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin insgesamt haben, namentlich auch im Hinblick auf deren sehr ambivalentes Verhalten in der Vergangenheit sowie auf weitere vom Landgericht erwähnte, jedoch als letztlich nicht gravierend angesehene Besonderheiten.

Das Schweigen der Urteilsgründe zu diesem für die Beweiswürdigung möglicherweise entscheidenden Beweisergebnis ist rechtsfehlerhaft und verstößt gegen § 261 StPO. Dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht, kann nicht ausgeschlossen werden.

c) Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt. Zu dem als Tat 1 abgeurteilten Geschehen hat sich der Angeklagte nicht eingelassen (UA S. 40); die Feststellungen beruhen auch insoweit "in erster Linie auf den Bekundungen der (Nebenklägerin)" (UA S. 48). Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Tatrichter bei umfassender Würdigung der Beweisergebnisse auch insoweit zu anderen Feststellungen gelangt wäre. Die Sache ist daher insgesamt neu zu verhandeln.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
VAAAC-83853

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