Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StGB § 49 Abs. 1; StGB § 51 Abs. 1 Satz 1; StGB § 306 b; StGB § 306 b Abs. 2
Instanzenzug: LG Oldenburg, vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Brandstiftung (§ 306 b Abs. 2 Nr. 2 StGB) und versuchten Betruges zur Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren (Einzelstrafen von drei Jahren und zehn Monaten sowie sechs Monaten) verurteilt. Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte, zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet vor allem die Einzelstrafe für das Brandstiftungsdelikt; sie führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.
Das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung eine - beide Einzeltaten betreffende - rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festgestellt. Ohne deren Berücksichtigung hätte es für die besonders schwere Brandstiftung - aus dem Strafrahmen des § 306 b Abs. 2 StGB - die Mindeststrafe von fünf Jahren als an sich verwirkt und schuldangemessenen angesehen. Da deshalb der für die eingetretene Verfahrensverzögerung zwingend vorgeschriebene Strafabschlag innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens nicht vorgenommen werden könne, § 306 b StGB insbesondere einen Sonderstrafrahmen für minder schwere Fälle nicht vorsehe, hat es § 49 Abs. 1 StGB analog angewandt und den Strafrahmen des § 306 b Abs. 2 StGB entsprechend herabgesetzt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass die verfassungsrechtlich gebotene Kompensation hier einen ungeschriebenen gesetzlichen Milderungsgrund darstelle. Es hat zum Ausgleich für die Verzögerung hinsichtlich der besonders schweren Brandstiftung einen Strafabschlag von einem Jahr und zwei Monaten vorgenommen und statt der an sich verwirkten Einzelstrafe von fünf Jahren eine solche von drei Jahren und zehn Monaten verhängt. Für die Betrugstat hat es eine Freiheitsstrafe von einem Jahr als an sich verwirkt ausgewiesen und im Hinblick auf die gebotene Kompensation eine solche von sechs Monaten festgesetzt. Aus diesen beiden reduzierten Einzelstrafen hat es sodann die Gesamtfreiheitsstrafe gebildet. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht Stand.
1. Allerdings ist die Zumessung der beiden fiktiven Einzelstrafen, die das Landgericht als an sich verwirkt angesehen und ausgewiesen hat, für sich rechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch, soweit es für die besonders schwere Brandstiftung lediglich die - angesichts der gegebenen Umstände relativ milde - Mindeststrafe von fünf Jahren ausgewiesen hat. Insoweit hat die Beschwerdeführerin die Strafzumessung des Landgerichts auch nicht beanstandet.
Als rechtsfehlerhaft erweist es sich dagegen, dass das Landgericht den Strafrahmen des § 306 b Abs. 2 StGB analog § 49 Abs. 1 StGB gemildert hat, um auf diesem Wege die Möglichkeit zu eröffnen, dem Angeklagten die für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gebotene Kompensation zu gewähren. Die Gründe hierfür hat der Senat in seinem Beschluss in dieser Sache vom (BGH NJW 2007, 3294) im Einzelnen dargelegt und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass jedenfalls in Fällen, in denen die Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung innerhalb des gesetzlich eröffneten Strafrahmens nicht hinreichend gewährt werden könne, die gebotene Entschädigung des Angeklagten nicht durch einen Abschlag auf die an sich verwirkte Strafe, sondern durch eine im Urteil auszusprechende Vergünstigung des Angeklagten bei der Strafvollstreckung vorzunehmen sei. Er hat darüber hinaus den hier zu beurteilenden Sonderfall zum Anlass genommen, zur Fortbildung des Rechts dem Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs die Frage zur Entscheidung vorzulegen, ob die Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung generell nach diesem Vollstreckungsmodell zu leisten sei. Der Große Senat hat die ihm vorgelegte Rechtsfrage wie folgt beantwortet (BGH - GS - NJW 2008, 860):
"Ist der Abschluss eines Strafverfahrens rechtsstaatswidrig derart verzögert worden, dass dies bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs unter näherer Bestimmung des Ausmaßes berücksichtigt werden muss, so ist an Stelle der bisher gewährten Strafminderung in der Urteilsformel auszusprechen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der Strafe als vollstreckt gilt."
Danach kann hier der gesamte Strafausspruch keinen Bestand haben. Jedoch sind die Feststellungen des Landgerichts zu den Strafzumessungstatsachen sowie zu Art und Ausmaß der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung durch die fehlerhafte Form der Kompensation nicht berührt. Sie können daher aufrechterhalten bleiben. Der neue Tatrichter kann ergänzende, zu ihnen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen treffen.
2. Bei der nunmehr gebotenen Durchführung der Kompensation im Wege des Vollstreckungsmodells ist Folgendes zu beachten:
Die bisherigen Feststellungen zu Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihren Ursachen dienen zunächst als Grundlage für die Strafzumessung. Insofern ist in wertender Betrachtung zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen der Angeklagte wegen der überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt war, bei der Festsetzung der Einzelstrafen in den Grenzen der gesetzlich eröffneten Strafrahmen und bei der Bildung der Gesamtstrafe mildernd zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Erörterungen sind als bestimmende Zumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); eine Bezifferung des Maßes der Strafmilderung ist nicht vorzunehmen.
Da allein die Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung in den Urteilsgründen (vgl. BGH - GS - NJW 2008, 860, 864, 866) hier als Kompensation nicht ausreichen wird, ist daran anschließend festzulegen und im Urteilstenor auszusprechen, welcher bezifferte Teil der Gesamtstrafe zur Entschädigung für die Verzögerung als vollstreckt gilt. Allgemeine Kriterien für diese Festlegung lassen sich nicht aufstellen; entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls, wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten.
Jedoch muss stets im Auge behalten werden, dass die Verfahrensdauer als solche sowie die hiermit verbundenen Belastungen des Angeklagten bereits mildernd in die Strafbemessung eingeflossen sind und es daher in diesem Punkt der Rechtsfolgenbestimmung nur noch um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Umstände geht. Dies schließt es regelmäßig aus, etwa den Anrechnungsmaßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB heranzuziehen und das Maß der Anrechnung mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen (so der Sache nach annähernd indessen das Landgericht im angefochtenen Urteil, wo für eine Verzögerung von einem Jahr und sechs Monaten ein Abschlag von einem Jahr und zwei Monaten auf die an sich für das Brandstiftungsdelikt verwirkte Strafe vorgenommen wurde); vielmehr wird sich die Anrechnung häufig auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BAAAC-79756
1Nachschlagewerk: nein