BGH Beschluss v. - IX ZB 144/07

Leitsatz

[1] Hat das Insolvenzgericht einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgewiesen, hat das Beschwerdegericht darüber nach dem Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung zu entscheiden (Abgrenzung zu BGHZ 169, 17).

Gesetze: InsO § 34 Abs. 1; ZPO § 571 Abs. 1

Instanzenzug: AG Fürth, 503 IN 352/07 vom LG Nürnberg-Fürth, 11 T 5230/07 vom

Gründe

I.

Die weitere Beteiligte (fortan: Gläubigerin) hat am die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners beantragt. Das Insolvenzgericht hat den Antrag auf Kosten der Gläubigerin wegen Fehlens eines rechtlichen Interesses als unzulässig zurückgewiesen, weil das im Vorjahr eröffnete Verfahren 504 IN 62/06 noch laufe und eine von diesem Verfahren nicht erfasste "Sondermasse" nicht dargetan sei. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist erfolglos geblieben.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 34 Abs. 1, §§ 6, 7 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1. Der angefochtene Beschluss unterliegt schon deshalb der Aufhebung, weil er nicht mit Gründen versehen ist (§ 576 Abs. 3, § 547 Nr. 6 ZPO). Beschlüsse, die mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden können, müssen den maßgeblichen Sachverhalt wiedergeben, über den entschieden wird; denn das Rechtsbeschwerdegericht hat grundsätzlich von demjenigen Sachverhalt auszugehen, den das Beschwerdegericht festgestellt hat (§ 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO). Fehlen tatsächliche Feststellungen, so ist es zu einer rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage. Ausführungen des Beschwerdegerichts, die eine solche Überprüfung nicht ermöglichen, sind keine Gründe im zivilprozessualen Sinne (, NZI 2006, 481).

2. Das Landgericht hat seinen Rechtsausführungen keinen Sachverhalt vorangestellt. Die Bezugnahme auf die Begründung des erstinstanzlichen Beschlusses vermag die notwendigen tatsächlichen Feststellungen nicht zu ersetzen, weil sie das Beschwerdevorbringen der Gläubigerin nicht erfasst. Soweit aus den Gründen ersichtlich, ist das Beschwerdegericht denn auch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Es hat den Antrag der Gläubigerin wegen des vermeintlich am eröffneten "Erstverfahrens" 504 IN 62/06 für unzulässig gehalten. Tatsächlich ist das Verfahren 504 IN 62/06 am eröffnet und am , also vor Erlass des angefochtenen Beschlusses, gemäß § 207 Abs. 1 InsO wegen Fehlens einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse eingestellt worden. Im Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts über den Eröffnungsantrag war kein weiteres Verfahren anhängig. Darauf hatte die Gläubigerin in der Begründung ihrer sofortigen Beschwerde hingewiesen.

III.

Der Beschluss des Beschwerdegerichts kann damit keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben; die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgende rechtlichen Gesichtspunkte hin:

1. Ob die Eröffnungsvoraussetzungen - Eröffnungsgrund, § 16 InsO, und Deckung der Verfahrenskosten, § 26 InsO - erfüllt sind, ist bezogen auf den Zeitpunkt der neu zu treffenden Entscheidung des Beschwerdegerichts zu prüfen (§ 571 Abs. 2 ZPO; vgl. BGHZ 169, 17, 25 f; Musielak/Ball, ZPO 5. Aufl. § 571 Rn. 3). Die Beschwerdeinstanz ist eine vollwertige zweite Tatsacheninstanz. Nach der amtlichen Begründung des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses liegt dieser Ausgestaltung des Beschwerdeverfahrens die Überlegung zugrunde, dass den im Beschwerdeverfahren angefochtenen Entscheidungen in der Regel kein mit dem erstinstanzlichen Urteilsverfahren vergleichbares förmliches Verfahren mit eingehender Tatsachenfeststellung und ausführlich begründeter Abschlussentscheidung zugrunde liegt (BT-Drucks. 14/4722, S. 113). Das Beschwerdegericht hat deshalb weiterhin die Möglichkeit, aber auch die Verpflichtung, neue Tatsachen und Beweise uneingeschränkt zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob diese vor oder nach der erstinstanzlichen Entscheidung entstanden sind. Auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Insolvenzgerichts kommt es dann an, wenn die Rechtmäßigkeit eines Eröffnungsbeschlusses zu überprüfen ist (vgl. ausf. BGHZ 169, 17, 25 ff). Ist ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens dagegen abgewiesen worden, bleibt es bei dem allgemeinen Grundsatz, dass die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts maßgebend ist. Liegen die Eröffnungsvoraussetzungen in diesem Zeitpunkt - sei es auch erstmals - vor, ist das Insolvenzverfahren zu eröffnen.

2. Auch die Frage des rechtlichen Interesses des Gläubigers an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 14 InsO) ist bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Eröffnungsantrag zu beantworten. Das Tatbestandsmerkmal "rechtliches Interesse" ist eingefügt worden, um sicherzustellen, dass nur solche Gläubiger Anträge stellen, die im Falle der Eröffnung als Insolvenzgläubiger am Verfahren beteiligt wären, und um missbräuchlichen Anträgen vorzubeugen, die etwa zu dem Zweck gestellt werden, Zahlungen solventer, aber zahlungsunwilliger Schuldner zu erzwingen (BT-Drucks. 12/2443, S. 113). In aller Regel wird einem Gläubiger, dem eine Forderung zusteht und der einen Eröffnungsgrund glaubhaft macht, das rechtliche Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht abgesprochen werden können (, NZI 2006, 589; v. - IX ZB 137/07, ZIP 2008, 565).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
NJW 2008 S. 2343 Nr. 32
WM 2008 S. 1075 Nr. 23
ZIP 2008 S. 1034 Nr. 22
BAAAC-78129

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja