Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StGB § 63
Instanzenzug: LG Regensburg, vom
Gründe
Die Strafkammer hat den Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht (§ 63 StGB). Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
I.
Folgendes ist festgestellt:
1. Der jetzt 46 Jahre alte Beschuldigte war bis vor einigen Jahren beruflich sehr erfolgreich; er erzielte etwa als Vermittler von Bausparverträgen ein Jahresgehalt von bis zu 180.000,- DM, später als Finanzberater monatliche Einnahmen bis zu 20.000,- DM. Inzwischen lebt er im Wesentlichen von der Unterstützung durch seine Freundin. Außerdem hat er Schulden von etwa 400.000,- Euro. Er arbeitet nämlich nichts mehr, da er "tagtäglich um sein Recht kämpfen müsse". Soziale Kontakte seien weitgehend abgebaut.
Der Beschuldigte leidet an einer anhaltenden wahnhaften Störung (Paranoia) in der Unterform des Querulantenwahns. Er hält sich etwa für einen Bürger des Deutschen Reiches und deshalb nicht der Staatsgewalt des durch nichts legitimierten Unrechtsstaates der Bundesrepublik unterworfen. Besonders kriminell sei die Justiz, die ihn planmäßig in den Ruin treibe. Der Direktor des Amtsgerichts Kelheim und der Präsident des Landgerichts Regensburg seien "Oberstaatsverbrecher", die an ihm "Völkermord" begingen.
2. Vor diesem Hintergrund kam es zu folgenden Taten:
Der Beschuldigte ist, ohne dass den Urteilsgründen Einzelheiten zu entnehmen wären, in - offenbar eine ganze Reihe - Rechtsstreitigkeiten verwickelt. Mitte 2007 hatte der Gerichtsvollzieher S. für mehrere Gläubiger Forderungen von insgesamt etwa 25.000,- Euro zu vollstrecken und bereits Gegen-stände im Haus des Beschuldigten gepfändet. Um S. davon abzuhalten, die angedrohte Abholung dieser Gegenstände zu verwirklichen und ihn, den Beschuldigten, zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu verhaften, drohte er ihm, "40 Leute der NPD vorbeizuschicken", die S. "um die Ecke bringen würden". Gleiches drohte er hinsichtlich der Eltern S. s an, wobei er diese Drohung mit dem zutreffenden Hinweis unterstrich, dass er schon in der Wohnung der Eltern gewesen sei. Am nächsten Tag überzog er S. mit einer Serie von Telefonanrufen, in dem er ihm androhte, er käme vorbei und würde ihn "töten". Verbunden war all dies mit einer Serie von Schimpfworten gegen S. , von "Arschloch" bis "Folterer" und "Völkermörder". Dann erklärte er S. aber, er könne "allen seinen Verfolgungen und auch der Tötung" entgehen, wenn er an Eides Statt erkläre, der Amtsgerichtsdirektor und der Landgerichtspräsident, ihrerseits "Völkermörder und Verbrecher", setzten ihn, den Gerichtsvollzieher unter Druck, damit dieser am Beschuldigten Völkermord begehe. Am nächsten Tag erschien S. mit mehreren Polizisten beim Beschuldigten und nahm ihn in Erzwingungshaft. Der Beschuldigte leistete keinen Widerstand, erklärte S. in der Vollzugsanstalt aber, er sei "so gut wie tot".
3. Im Laufe des Verfahrens wurde der Beschuldigte vorläufig untergebracht. Seine Behandlung in der Bezirksklinik gestaltete sich sehr schwierig. So kündigte er einem der Ärzte an, er werde ihm "Leute nach Hause schicken". Um die Absetzung eines bestimmten Medikaments zu erreichen, sagte er einem anderen Arzt zutreffend, er, der Arzt, habe doch eine Tochter, die in die Schule ginge, und nannte dabei auch die konkrete, tatsächlich von der Tochter des Arztes besuchte Schule.
4. Die Strafkammer hat ohne nähere Ausführungen die Taten gegen den Gerichtsvollzieher als versuchte Nötigung in Tateinheit mit Beleidigung und - die Tat in der Vollzugsanstalt - als Bedrohung gewertet. Jedoch sei der Beschuldigte wegen seiner Erkrankung sicher erheblich vermindert schuldfähig, möglicherweise schuldunfähig. Nach sachverständiger Beratung sei mit erheblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschuldigte krankheitsbedingt vergleichbare Taten auch künftig begehen werde. Soweit der Sachverständige dagegen der Meinung sei, dass bei Kranken wie dem Beschuldigten "fast regelhaft das Ausmaß einer zunehmend aggressiv getönten Impulsivität steige und deswegen im weiteren Verlauf mit gewalttätigen Eskalationen gerechnet werden müsse", begründe dies nicht das erforderliche Maß an Wahrscheinlichkeit für die Gefahr von Aggressionsdelikten. Darauf komme es aber nicht an. Die vom Beschuldigten begangenen und in gleicher Weise von ihm zu erwartenden Taten seien konkretisierte, ernst zu nehmende Bedrohungen mit schwersten Verbrechen. Unter Hinweis auf BGH NStZ-RR 2006, 338 f. führt die Strafkammer aus, dass es sich hierbei um i.S.d. § 63 StGB erhebliche Taten handelte, die die Unterbringung des Beschuldigten gebieten würden.
II.
Dies hält im Ergebnis rechtlicher Prüfung nicht stand.
1. Der rechtliche Ausgangspunkt der Strafkammer ist allerdings zutreffend.
Die Erheblichkeit drohender Taten kann sich ohne weiteres aus dem Delikt selbst ergeben, etwa bei Verbrechen. Ist dies nicht der Fall, kommt es auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten an, da das Gesetz keine Beschränkung auf bestimmte Tatbestände vorgenommen hat (BGH NStZ 1995, 228 m.w.N.). Das bedeutet, dass auch (versuchte) Nötigungen durch Bedrohungen mit schweren Verbrechen - auch ohne, dass bereits Vorbereitungshandlungen zu deren Realisierung ersichtlich oder zu erwarten wären - nicht von vorneherein als niemals erheblich i.S.d. § 63 StGB angesehen werden können. Todesdrohungen, die geeignet sind, den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen, stellen eine schwerwiegende Störung des Rechtsfriedens dar und sind nicht bloße Belästigungen. Schon im Hinblick auf das Gewicht eines Eingriffs gemäß § 63 StGB ist jedoch erforderlich, dass diese Bedrohung in ihrer konkreten Ausgestaltung aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich trägt.
2. Die bisherigen Feststellungen werden diesem Maßstab nicht in vollem Umfang gerecht. Zwar enthält der Hinweis auf seinen Aufenthalt in der Wohnung der Eltern des Gerichtsvollziehers im Zusammenhang mit der gegen sie gerichteten Todesdrohung durchaus ein schwerwiegendes ernst zu nehmendes Drohpotential; der Hinweis auf die Schule der Tochter des Arztes könnte in die gleiche Richtung deuten. Andererseits ist der Hinweis des Beschuldigten, der tatsächlich kaum Kontakte hat, er könne "Leute", wie z. B. "40 Leute von der NPD" beim Gerichtsvollzieher, dessen Eltern oder auch dem Arzt "vorbeischicken", die dann den Gerichtsvollzieher oder dessen Eltern "um die Ecke bringen würden", erkennbar irreal. Auch die Aufforderung an den Gerichtsvollzieher, das verbrecherische Verhalten des Amtsgerichtsdirektors und des Landgerichtspräsidenten eidesstattlich zu versichern und damit sein Leben zu retten, spricht gegen das konkrete Gewicht der Bedrohungen. Jedenfalls hätte sich die Strafkammer mit alledem auseinandersetzen müssen.
III.
Der Senat sieht Anlass zu folgenden Hinweisen:
1. Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Drohungen wären erhebliche Taten zu erwarten, wenn mit Aggressionsdelikten zu rechnen wäre (vgl. van Gemmeren in MüKo § 63 Rdn. 33 m.N.). Nach den Ausführungen des Sachverständigen erscheint eine solche Gefahr nicht ausgeschlossen (vgl. oben I 4). Die Strafkammer weist allerdings mit Recht darauf hin, dass eine Gefahrenprognose, die ohne konkreten Bezug auf die Person des Betroffenen letztlich auf im Grunde statistische Erwägungen ("fast regelhaft") gestützt ist, nicht ausreicht (zur insoweit identischen Prognose im Rahmen von §§ 66 ff. StGB BGHSt 50, 121, 130 f. m.N.; vgl. auch Hanack in LK 11. Aufl. vor § 61 Rdn. 122 m.N.). Die Strafkammer setzt sich jedoch nicht damit auseinander, hatte von ihrem Standpunkt aus auch keine Veranlassung dazu, dass während der vorläufigen Unterbringung des Beschuldigten das Bezirksklinikum dem Amtsgericht mitgeteilt hat, dass "die psychische Erkrankung des Beschuldigten trotz des ... stark kontrollierten 'Settings' ... des Maßregelvollzugs immer wieder in eigen- und fremdgefährliche Situationen eskaliere". Dieser Hinweis auf die Fremdgefährlichkeit könnte ein Indiz für Aggressivität sein. Hiermit wird sich die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer auseinanderzusetzen haben.
2. Der Beschuldigte bedrohte den Gerichtsvollzieher, um Pfändungsmaßnahmen zu verhindern. Dies spricht nicht nur für versuchte Nötigung, sondern für versuchte Erpressung (vgl. auch BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 8 für den Fall der Bedrohung des vom Gläubiger beauftragten Rechtsanwalts, damit dieser die Aufhebung angebrachter Pfändungen veranlasst; für die Bedrohung des vom Gläubiger beauftragten Gerichtsvollziehers, der Pfändungsmaßnahmen abbrechen soll, kann nichts anderes gelten); wäre von Bedrohung mit gegenwärtiger Gefahr auszugehen (vgl. hierzu BGHR StGB § 255 Drohung 9; BGH NStZ-RR 1998, 135), käme sogar räuberische Erpressung in Betracht (, insoweit in BGHR StGB § 253 Abs.1 aaO nicht abgedruckt). Die irrige Annahme eines Anspruchs auf Abbruch der Pfändungen ließe die für eine Erpressung erforderliche Absicht rechtswidriger Bereicherung nicht entfallen, wenn dieser Irrtum auf die zur Schuldunfähigkeit führende Krankheit zurückgeht (BGHSt 3, 287, 289; 10, 355, 357; BGH NStZ 1991, 528; BGH NStZ-RR 2003, 11 m.w.N.), und wäre im Übrigen im Rahmen der Prüfung von § 63 StGB wegen einer solchen Tat ohne Bedeutung (BGH NStZ-RR aaO m.w.N.). All dies bedarf aber sowohl näherer Feststellungen zu den Einzelheiten der Pfändung und insbesondere dazu, ob damit zu rechnen ist, dass der Beschuldigte sich weiterhin mit Drohungen auf Kosten anderer zu bereichern versuchen wird. Dabei könnte ins Gewicht fallen, dass er vor einigen Jahren, damals noch als schuldfähig angesehen, wegen versuchter Erpressung bestraft werden musste. Er hatte nach einem verlorenen Prozess von seinem damaligen Rechtsanwalt und dessen Eltern mit - freilich nicht gegen Leib oder Leben gerichteten - Drohungen die Zahlung eines sechsstelligen Betrages an sich erzwingen wollen. Auch seine im vorliegenden Verfahren gemachte Angabe, er habe die Eltern des Gerichtsvollziehers aufgesucht, weil er diesen "in Regress" nehmen wollte, könnte in diesem Zusammenhang Bedeutung gewinnen.
IV.
Nach alledem kann das angefochtene Urteil zwar keinen Bestand haben, eine rechtlich tragfähige Begründung einer Unterbringungsanordnung erscheint jedoch nicht ausgeschlossen. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Für die jeweils beim Senat beantragte Ablehnung der von der Staatsanwaltschaft begehrten Unterbringung (§ 354 Abs. 1 StPO; vgl. BGH NStZ-RR 2006, 338, 339) und die Aufhebung des Unterbringungsbefehls (§ 126a Abs. 2 i.V.m. § 126 Abs. 3 und § 120 StPO) durch den Senat ist daher kein Raum.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
AAAAC-78031
1Nachschlagewerk: nein