Leitsatz
[1] Wer einen Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuer gepfändet und zur Einziehung überwiesen erhalten hat, kann aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses weder einen Anspruch auf Vornahme von Verfahrenshandlungen im Steuerfestsetzungsverfahren gemäß § 888 ZPO durch Haftantrag gegen den Schuldner vollstrecken noch nach § 887 ZPO ermächtigt werden, Verfahrenshandlungen des Schuldners im Steuerfestsetzungsverfahren selbst vorzunehmen (Aufgabe von IXa ZB 115/03, BGHZ 157, 195).
Gesetze: ZPO § 836 Abs. 3; ZPO § 887; ZPO § 888
Instanzenzug: AG Gießen, 40 M 30377/03 vom LG Gießen, 7 T 226/06 vom
Gründe
A.
Die Gläubigerin hat eine vollstreckbare Forderung in Höhe von 1.425,98 € gegen den Schuldner. Am hat das Amtsgericht einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, durch den die angebliche Forderung des Schuldners gegen das Finanzamt G. auf Erstattung von Einkommen- und Kirchensteuer sowie Solidaritätszuschlag für die Kalenderjahre 2000 bis 2002 gepfändet und der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen wurde.
Die Gläubigerin hat ursprünglich beantragt, sie zu ermächtigen, das Antragsrecht des Schuldners gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG gegenüber der Drittschuldnerin, Finanzamt G., für die Kalenderjahre 2000, 2001 und 2002 auszuüben und die Einkommensteuererklärungen zu erstellen, zu unterzeichnen und der Drittschuldnerin einzureichen sowie alle zur Anspruchsdurchsetzung notwendigen Rechtshandlungen vorzunehmen einschließlich eventuell notwendiger Einspruchs- und Klageverfahren oder Antragsstellungen gemäß §§ 163, 227 AO. Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen.
Mit der sofortigen Beschwerde hat die Gläubigerin nunmehr beantragt, gemäß § 887 ZPO festzustellen bzw. anzuordnen, dass die Gläubigerin oder eine von ihr beauftragte dritte Person berechtigt ist, die für die Durchsetzung des gepfändeten Steueranspruchs notwendigen Rechtsmittel einzulegen und Anträge zu stellen, gegebenenfalls auch klageweise gegenüber der Drittschuldnerin geltend zu machen, um die gepfändeten Steuererstattungsansprüche für die Veranlagungszeiträume 2000, 2001 und 2002 zu realisieren. Die sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren in der Beschwerdeinstanz gestellten Antrag weiter.
B.
Die gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2, 575 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
I.
Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, auf der Grundlage des Vortrags der Gläubigerin sei eine Entscheidung darüber, ob sie zur Einlegung von Rechtsmitteln gegen etwaige Steuerbescheide ermächtigt sei, nicht möglich. Selbst wenn man sich der Auffassung des Bundesgerichtshofs in dessen Entscheidung vom (IXa ZB 115/03, BGHZ 157, 195) anschließe, nach der unter bestimmten Voraussetzungen entsprechend § 887 ZPO deklaratorisch die Ermächtigung des Gläubigers auszusprechen sei, nunmehr die Antragsbefugnis gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG anstelle des Schuldners auszuüben, habe die Gläubigerin diese Voraussetzungen nicht schlüssig vorgetragen. Sie behaupte einerseits, ihr lägen Kopien der Änderungsbescheide für 2001 und 2002 vor. Andererseits bestreite sie mit Nichtwissen, dass der Schuldner die Einkommensteuererklärung abgegeben habe. Dies sei widersprüchlich. Zwar beantrage die Gläubigerin im Beschwerdeverfahren nur noch eine (isolierte) Ermächtigung zur Einlegung von Rechtsmitteln gegen etwaige Steuerfestsetzungsbescheide. Ein Rechtsschutzinteresse könne hieran aber nur bestehen, wenn mit dem Erlass von Steuerfestsetzungsbescheiden überhaupt zu rechnen sei, was nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG im vorliegenden Fall die Abgabe einer Einkommensteuererklärung voraussetze. Letzteres bestreite die Gläubigerin jedoch mit Nichtwissen.
II.
Dies hält rechtlicher Überprüfung nur im Ergebnis stand.
1. Zu Unrecht hält das Beschwerdegericht den Vortrag der Gläubigerin für widersprüchlich. Es hat keine Feststellungen getroffen, die seine Annahme, eine Veranlagung des Schuldners werde gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG nur auf Antrag durchgeführt, stützen. Vielmehr legt der Vortrag der Gläubigerin, der Schuldner habe die von ihr verlangten Gewinnermittlungen nicht übersandt, eine Amtsveranlagung nahe. Das Bestreiten mit Nichtwissen, dass der Schuldner Einkommensteuererklärungen abgegeben hat, steht dann nicht im Widerspruch zu dem Vortrag, dass es für 2001 und 2002 bereits Steuerbescheide gebe.
2. Die Gläubigerin kann nicht zur Vornahme von Handlungen zur Durchsetzung des gepfändeten Anspruchs ermächtigt werden. Zum einen fehlt es bereits an einem Titel für ein solches Vollstreckungsbegehren. Zum anderen scheidet eine Vollstreckung wegen einer vertretbaren Handlung im Sinne des § 887 ZPO, die allein zu der beantragten Ermächtigung führen könnte, von vornherein aus.
a) Der IXa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat allerdings im Beschluss vom (IXa ZB 115/03, BGHZ 157, 195) in einem obiter dictum ausgeführt, unter bestimmten Voraussetzungen könne eine Ersatzvornahme bei den Verfahrenshandlungen des Steuerpflichtigen im Festsetzungsverfahren erfolgen. Denn die Eigentumsgarantie in Art. 14 Abs. 1 GG erfordere es, dass eine effektive Zwangsvollstreckung auch in Einkommensteuererstattungsansprüche von Lohnsteuerzahlern möglich bleibe. Dies hat der IXa. Zivilsenat im Einzelnen wie folgt begründet:
Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss begründe ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner, zu dem die entsprechend § 836 Abs. 3 Satz 2 und 3 ZPO vollstreckbare Verpflichtung gehöre, den überwiesenen Steuererstattungsanspruch durch Festsetzung der Einkommensteuer zu betreiben. Während der (vorläufigen) Unvertretbarkeit der Einkommensteuererklärung könne der Steuerpflichtige mit den Zwangsmitteln des § 888 ZPO angehalten werden, seiner Erklärungspflicht im Interesse des Gläubigers nachzukommen.
Im Hinblick auf das Eigentumsgrundrecht genüge es aber nicht, wenn der Gläubiger darauf verwiesen werde, im Festsetzungsverfahren den Einspruch, die Klage und möglicherweise ein Rechtsmittel unter Umständen noch durch weitere, jeweils neue Vollstreckungshandlungen gegenüber dem Steuerpflichtigen zu erzwingen. Dies sei im Regelfall schon wegen der dafür vorgesehenen gesetzlichen Fristen nicht durchführbar. Verweigere sich der Schuldner der vollstreckungsrechtlichen Pflicht zur Einleitung und Durchführung eines Festsetzungsverfahrens und könne ihre Erfüllung auch nach § 888 ZPO faktisch nicht (mehr) erzwungen werden, dürfe das Finanzverfahrensrecht den Gläubiger nicht endgültig hindern, anstelle des Steuerpflichtigen das Festsetzungsverfahren zu betreiben. Dann müsse die zeitweilige Hemmung der Antragsbefugnis des Gläubigers nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG enden und die uneingeschränkte Einziehungsberechtigung des Gläubigers aufleben. Die Formenklarheit des Vollstreckungsverfahrens verlange, ein solches Aufleben vollstreckungsrechtlich mit Wirkung gegenüber dem Schuldner und dem Drittschuldner festzustellen. Hierfür biete sich das Verfahren der Ersatzvornahme (§ 887 ZPO) an, in dem der Gläubiger vom Vollstreckungsgericht deklaratorisch ermächtigt werden könne, nunmehr die Antragsbefugnis des Steuerpflichtigen gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG an seiner statt auszuüben. Titel einer solchen weiteren Hilfsvollstreckung sei entsprechend § 836 Abs. 3 Satz 2 und 3 ZPO der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, weil die deklaratorische Ermächtigung nur die gesetzliche Überweisungswirkung des § 836 Abs. 1 ZPO in Kraft setze.
b) Der erkennende Senat, auf den die Zuständigkeit des IXa. Senats insoweit übergegangen ist, hält an dieser Auffassung, aufgrund derer im vorliegenden Fall die beantragte Ermächtigung der Gläubigerin in Betracht zu ziehen wäre, in entscheidenden Punkten nicht fest.
Ob das besondere Rechtsverhältnis zwischen Vollstreckungsgläubiger und Vollstreckungsschuldner einen materiell-rechtlichen Anspruch der Gläubigerin begründen kann, das Steuerfestsetzungsverfahren zu betreiben, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls mangelt es an einem Vollstreckungstitel, auf den die Gläubigerin die hier begehrte Zwangsvollstreckung eines solchen Anspruchs durch Ermächtigung zur Ersatzvornahme stützen könnte. Insbesondere stellt der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss in Verbindung mit § 836 Abs. 3 Satz 2 und 3 ZPO keine geeignete Vollstreckungsgrundlage dar.
aa) § 836 Abs. 3 ZPO ist nicht unmittelbar anwendbar. Er regelt nur die Pflichten des Schuldners, Auskunft zu erteilen und Urkunden herauszugeben. Eine Befugnis des Gläubigers, eine darüber hinausgehende Mitwirkung des Schuldners bei der Beitreibung, insbesondere rechtsgestaltende Handlungen zu verlangen und zu erzwingen, ist der Vorschrift nicht zu entnehmen.
bb) Eine entsprechende Anwendung von § 836 Abs. 3 Satz 2 und 3 ZPO kommt nicht in Betracht.
(1) Die Abgabe der Einkommensteuererklärung und sonstige Verfahrenshandlungen des Schuldners im Steuerfestsetzungsverfahren sind unvertretbare Handlungen, da sie nicht durch einen Dritten vorgenommen werden können, sondern vom Willen des Schuldners abhängen (§ 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dies erschließt sich daraus, dass im Steuerfestsetzungsverfahren die Rechtsstellung des Steuerpflichtigen so eng mit dessen Person verbunden ist, dass ein Übergang von Rechten und Pflichten des Steuerpflichtigen im Wege der Abtretung, Pfändung oder sonstigen Schuldübernahme ausgeschlossen ist (vgl. im einzelnen BFHE 187, 1; 191, 311). Nach dieser Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, die auf den auch für die Zivilgerichte in Zwangsvollstreckungssachen verbindlichen spezifischen steuerrechtlichen Besonderheiten des Steuerfestsetzungsverfahrens beruht und die auch der IXa. Zivilsenat im Ansatz nicht in Zweifel zieht, ist der Pfändungsgläubiger daher nicht befugt, gegen den Steuerbescheid des Vollstreckungsschuldners Einspruch einzulegen, Klage zu erheben oder in die prozessuale Rechtsstellung des Vollstreckungsschuldners einzutreten.
Sollte zivilrechtlich im Rahmen des Vollstreckungsverhältnisses eine Verpflichtung des Schuldners bestehen, bestimmte Verfahrenshandlungen vorzunehmen, wäre eine Vollstreckung somit allenfalls nach § 888 ZPO durch Anordnung von Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft, oder von Zwangshaft möglich. Tatsächlich wäre nur die Anordnung von Zwangshaft sinnvoll, da die Anordnung von Zwangsgeld (ohne die Möglichkeit der Ersatzzwangshaft) bei der Vollstreckung wegen einer Geldforderung von vornherein keinen Erfolg verspricht. Dafür könnte jedoch die lediglich aus einer Analogie zu § 836 Abs. 3 Satz 2 und 3 ZPO hergeleitete Hilfsvollstreckung keine rechtlich tragfähige Grundlage bieten. Dem steht nämlich die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person entgegen, die nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes beschränkt werden darf. Die Eingriffsvoraussetzungen müssen sich dabei unmittelbar und hinreichend bestimmt aus dem Gesetz selbst ergeben. Eine analoge Heranziehung materiell-rechtlicher Ermächtigungsgrundlagen für eine Freiheitsentziehung genügt dem strengen Gesetzesvorbehalt aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 104 Abs. 1 Satz 1 GG nicht (BVerfGE 29, 183, 196; BVerfG, FamRZ 2007, 1874).
(2) Eine Vollstreckung nach § 887 ZPO durch Ermächtigung des Gläubigers, die Verfahrenshandlungen selbst vorzunehmen, ist nicht zulässig. Die im Steuerfestsetzungsverfahren vorzunehmenden Handlungen bleiben auch dann unvertretbar, wenn eine Vollstreckung nach § 888 ZPO faktisch keinen Erfolg (mehr) haben kann. Der Senat erachtet es nicht als angängig, diese unter gebotener Berücksichtigung ihrer sich aus dem Steuerrecht ergebenden Rechtsnatur in Übereinstimmung mit der steuerrechtlichen Rechtsprechung zutreffend als unvertretbar erachteten Handlungen nur deshalb nunmehr als vertretbar zu behandeln, um dem Gläubiger eine leichtere Vollstreckungsmöglichkeit zu eröffnen.
Die dem Gläubiger gewährte, auf eine effektive Zwangsvollstreckung gerichtete Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG gebietet keine andere Beurteilung. Dem grundrechtlichen Schutz des Befriedigungsrechts des Gläubigers im Zwangsvollstreckungsverfahren ist grundsätzlich dadurch genügt, dass dem Gläubiger der Vermögenswert des Schuldners in dem Zustand überwiesen wird, in dem er sich im Vollstreckungszeitpunkt befindet, also mit allen tatsächlichen und rechtlichen Beschränkungen, denen er unterliegt, auch wenn diese seinen Wert und seine Tauglichkeit zur Befriedigung des Gläubigers unter Umständen erheblich zu mindern vermögen. Eine solche vom Gläubiger hinzunehmende Beschränkung kann insbesondere darin bestehen, dass die Realisierbarkeit des gepfändeten Anspruchs von einer unvertretbaren Handlung des Schuldners abhängt. Zwar ermächtigt die Forderungsüberweisung den Gläubiger grundsätzlich zu allen im Recht des Schuldners begründeten, der Befriedigung dienenden Maßnahmen (, NJW 1982, 173, 174). Dies betrifft aber nicht unvertretbare Handlungen, die definitionsgemäß nicht durch einen Dritten vorgenommen werden können. Der Gläubiger muss sich insoweit auf die Mitwirkung des Schuldners verweisen lassen; die darin liegende Erschwerung der Vollstreckung ist dem Vollstreckungsgegenstand immanent, nicht anders als eine sonstige wertmindernde Eigenschaft eines Vermögensobjekts.
Offenbleiben kann, ob im Hinblick auf einen Grundrechtsschutz für das Befriedigungsrecht des Gläubigers dessen besonderem Interesse an der Steuerfestsetzung etwa durch Beiladung im Steuerfestsetzungsverfahren Rechnung getragen werden könnte, eine Frage, die nur im steuerrechtlichen Verfahren entschieden werden kann. Jedenfalls ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, in das steuerrechtliche Verfahren durch eine vollstreckungsrechtliche Ermächtigung des Gläubigers einzugreifen, der nach den Regeln des Zwangsvollstreckungsrechts die Rechtsgrundlage fehlt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 111 Nr. 1
NJW 2008 S. 1675 Nr. 23
NWB-Eilnachricht Nr. 20/2008 S. 1836
SJ 2008 S. 42 Nr. 11
WM 2008 S. 931 Nr. 20
BAAAC-77572
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: ja