BFH Beschluss v. - II B 39/07

Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO

Gesetze: FGO § 96 Abs. 1

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) war 2003 beim Zustandekommen des streitigen Erwerbsvorgangs eine aus fünf Gesellschaftern bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Vier dieser Gesellschafter bildeten zunächst eine Erbengemeinschaft, in deren Gesamthandsvermögen sich ein Betriebsgrundstück befand. Der Betrieb musste im Zuge von Straßenbaumaßnahmen weichen. Durch notariell beurkundeten Tauschvertrag vom mit der Kommune übertrug die Erbengemeinschaft dieser das Grundstück. Im Gegenzug übertrug die Kommune „der Erbengemeinschaft” sowie einer fünften Person, „und zwar untereinander zu je einem Fünftel beteiligt: (Eigentumsgemeinschaft ...)” ein Tauschgrundstück, auf dem der Betrieb fortgesetzt wurde. Im Grundbuch sind die fünf Personen als Eigentümer zu je einem Fünftel eingetragen.

Am schlossen die fünf Personen einen privatschriftlichen Gesellschaftsvertrag, der das Statut der Klägerin bildet. Danach lautet ihr Name: „Eigentümergemeinschaft ...”. Ihr Gesellschaftszweck ist die Verwaltung und Vermietung des eingetauschten Grundstücks, von dem es heißt, dieses stelle Gesamthandseigentum der Klägerin dar. Durch Vertrag vom wurde eine kleine Teilfläche an ein .unternehmen verkauft.

Mit „Einbringungsvertrag” vom brachten die fünf Gesellschafter ihre jeweiligen Miteigentumsanteile an dem Grundstück in die Klägerin ein. Mit weiterem Vertrag vom selben Tag übertrugen die vier Gesellschafter, die ursprünglich die Erbengemeinschaft gebildet hatten, ihre Gesellschaftsanteile auf Kinder und Nichten.

Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) unterwarf den „Einbringungsvertrag” mit Bescheid vom der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG). Die Steuerbefreiung gemäß § 5 Abs. 1 GrEStG gewährte er wegen des sofortigen Ausscheidens der vier Gesellschafter (§ 5 Abs. 3 GrEStG) nur in Höhe von 40 v.H. Dabei berücksichtigte er, dass die Anteile zum Teil an Kinder übertragen worden waren.

Mit dem dagegen eingelegten Einspruch trug die Klägerin vor, das streitgegenständliche Grundstück habe bereits durch den Tauschvertrag zur gesamten Hand erworben werden sollen. Sie, die Klägerin, sei nicht erst mit Abschluss des schriftlichen Gesellschaftsvertrages entstanden, sondern schon vor Abschluss des Tauschvertrages. Soweit das Grundbuch einen Erwerb zu Miteigentum ausgewiesen habe, sei es falsch gewesen. Der „Einbringungsvertrag” habe lediglich der Grundbuchberichtigung gedient.

Das FA erließ am zunächst einen nach § 165 Abs. 2 der Abgabenordnung geänderten Bescheid, mit dem es die Grunderwerbsteuer auf der Grundlage des mittlerweile festgestellten Bedarfswerts sowie unter Beibehaltung der Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 GrEStG in Höhe von 40 v.H. auf . € erhöhte, und wies noch am selben Tag den Einspruch gegen den ursprünglichen Bescheid als unbegründet zurück.

Die Klage hatte dagegen nach Einvernahme des Steuerberaters und des Notars als Zeugen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war mit der Klägerin der Ansicht, das Grundstück habe nach dem Willen der damaligen Vertragspartner bereits aufgrund des Tauschvertrages Gesamthandseigentum werden sollen. Die Mitglieder der Erbengemeinschaft sowie der fünfte Beteiligte seien schon am Tag vor Abschluss des Tauschvertrages zusammengetreten, um „mit dem gemeinschaftlichen Erwerb des Grundstücks die GbR 'Eigentümergesellschaft' ...” zu gründen. Ob die Klägerin bereits an diesem Tag oder erst am nächsten Tag „ipso jure mit dem Erwerb des Tauschgrundstücks existent” geworden sei, könne auf sich beruhen. Jedenfalls ergebe das Protokoll über jene Zusammenkunft vom den Willen, das Grundstück gesamthänderisch zu erwerben. Erwerben die Gesellschafter einer GbR gemeinsam ein Grundstück, sei überdies zu vermuten, dass es Gesamthandseigentum werden solle.

Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision rügt das FA einen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG habe bei seiner Überzeugungsbildung nach den Akten klar feststehende Tatsachen unberücksichtigt gelassen und gehe von einem Sachverhalt aus, der nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen getragen werde.

Die Klägerin ist der Beschwerde entgegengetreten.

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Der gerügte Verfahrensverstoß liegt nicht vor.

1. Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden. Es ist daher verpflichtet, den gesamten Prozessstoff vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen (, BFH/NV 2000, 673, 675). Dazu gehören alle rechtserheblichen Umstände tatsächlicher Art, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 6. Aufl. 2006, § 96 Rz 8). Das Gericht verstößt gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht nur dann, wenn es derartige Umstände unbeachtet lässt, sondern erst recht dann, wenn es von deren Nichtvorliegen ausgeht (BFH/NV 2000, 673, 675). Allerdings gebietet es § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ebenso wenig wie Abs. 2 der Vorschrift, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern. Vielmehr ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass das Gericht auch die Umstände in seine Erwägungen einbezogen hat, die zwar Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, mit denen es sich aber in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat (BFH in BFH/NV 2000, 673, 675, sowie Urteil vom VIII R 52/91, BFH/NV 1993, 684, unter 1.a bb).

2. Das FA hat im Streitfall keine Umstände aufgezeigt, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung —dies schließt den Akteninhalt ein— waren und die das FG nicht berücksichtigt oder gar als nicht vorliegend angesehen hat.

a) Das FG hat vielmehr sämtliche privatschriftlichen oder notariell beurkundeten Verträge im Tatbestand seiner Entscheidung erwähnt und —bis auf die Veräußerung der Teilfläche mit Vertrag vom — in den Entscheidungsgründen ausdrücklich erwogen. Dazu gehören der Tauschvertrag vom , der Gesellschaftsvertrag vom und der Einbringungsvertrag vom . Es hat dabei sowohl die Bezeichnung, unter der die gemeinschaftlich handelnden Personen jeweils aufgetreten sind, als auch die Angaben zur Rechtsform des Eigentums (Erwerbs) gewürdigt.

b) Dabei ist das FG allerdings zu einem anderen Ergebnis gekommen als das FA. Dies ist jedoch nicht in einem Übergehen rechtserheblicher Tatsachen oder in unzureichenden Feststellungen begründet, sondern auf eine andere tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitstoffs zurückzuführen. Darin liegt aber kein Verfahrensfehler; vielmehr macht das FA insoweit lediglich eine fehlerhafte Rechtsanwendung geltend (vgl. , BFHE 154, 395, 400). Aufgrund dieser Würdigung ist das FG zu einem früheren Zeitpunkt der Gesellschaftsgründung gelangt, als vom FA angenommen, und zu einer anderen Auslegung des Tauschvertrages vom . Die Auslegung ist durch die vom FA angenommene Vermutung beeinflusst. Vor diesem Hintergrund brauchte es auch nicht mehr ausdrücklich auf die Veräußerung der Teilfläche von 10 qm im Juni 1991 einzugehen. Aus seiner Sicht ist durch diesen Vorgang den Gesellschaftern der Klägerin der Unterschied zwischen einer Gesamthands- und einer Bruchteilsgemeinschaft nicht bewusst geworden. Ob die Auslegung des Tauschvertrages rechtlich möglich ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
MAAAC-76498