Leitsatz
[1] 1. Enthält eine Versorgungsordnung eine Bruttogesamtversorgungsobergrenze, nach der die Betriebsrente niedriger ist als das Nettoeinkommen vergleichbarer Arbeitnehmer, tritt eine Störung der Geschäftsgrundlage jedenfalls dann ein, wenn dieses Nettoeinkommen durch spätere tatsächliche oder rechtliche Änderungen überschritten wird.
2. Die Störung der Geschäftsgrundlage löst ein nach billigem Ermessen auszuübendes Anpassungsrecht des Arbeitgebers aus. Die Anpassung darf in die geltende Vereinbarung nicht stärker eingreifen, als es durch die Anpassung an die Grundlagen der ursprünglichen Vereinbarung geboten ist. Bei Versorgungsregelungen mit kollektiver Wirkung darf der Arbeitgeber eine pauschalierende Anpassung vornehmen. Weitergehende Eingriffe können auch nicht durch Betriebsvereinbarung vorgenommen werden.
3. § 315 Abs. 3 BGB ist einschränkend dahingehend auszulegen, dass bei komplexen Versorgungssystemen mit kollektiver Wirkung zwar die Anpassungsentscheidung gerichtlicher Kontrolle unterliegt, das Gericht jedoch nicht seine Entscheidung an die Stelle einer unwirksamen Anpassungsentscheidung setzen kann.
Gesetze: BetrVG § 75; BGB § 313
Instanzenzug: ArbG Hagen, 3 Ca 910/04 vom LAG Hamm, 3 Sa 514/05 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob sich die Betriebsrentenansprüche des Klägers nach einer vom stammenden, zum in Kraft getretenen Ruhegeldordnung richten, oder ob diese wirksam abgelöst wurde.
Die Beklagte betreibt öffentlichen Personennahverkehr. Ihre Gesellschafterinnen sind mit einem Anteil von 91,667 vom Hundert die H V GmbH (HVG) und die Stadt H mit einem Anteil von 8,333 vom Hundert. Die Stadt H ist alleinige Gesellschafterin der HVG. Die Beklagte ist Mitglied des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Nordrhein-Westfalen.
Der Kläger ist am geboren. Er war seit dem als Busfahrer bei der Beklagten beschäftigt. Dort galt die "Ruhegeldordnung der H AG zu H", die am vom Aufsichtsrat genehmigt wurde und nach ihrem § 17 mit dem in Kraft trat (hiernach: RO 1959). Diese Ruhegeldordnung wurde mit einem Schreiben des Vorstandes und des Betriebsrats der Beklagten vom Februar 1961 allen Betriebsangehörigen bekannt gemacht. Dieses Schreiben lautet ua.:
"...
Direktion und Betriebsrat der H AG freuen sich, Ihnen als Anlage den Text der neuen Ruhegeldordnung der H AG zu H überreichen zu können. Dieses Vertragswerk konnte nach langen und schwierigen Beratungen zwischen Direktion, Betriebsrat, Gewerkschaft und Arbeitsrechtlicher Vereinigung vom Aufsichtsrat der H AG am genehmigt werden. ...
Im ganzen glauben wir sagen zu können, daß die neue Ruhegeldordnung in ihrer jetzigen Form eine einzigartige soziale Leistung darstellt. Direktion und Betriebsrat glauben daher, allen Betriebsangehörigen die Annahme der neuen Ruhegeldordnung als Bestandteil des Arbeitsvertrages unbedenklich empfehlen zu können.
...
Wir bitten Sie, die Ruhegeldordnung durchzusehen und uns bei der nächsten Lohn- bzw. Gehaltszahlung im Monat März 1961 Ihre Zustimmung zu geben.
..."
Die RO 1959 lautet auszugsweise wie folgt:
"...
§ 4 Höhe des Ruhegeldes
Das Ruhegeld beträgt nach vollendeter zehnjähriger Dienstzeit 35 vom Hundert des ruhegeldfähigen Arbeitseinkommens und steigt mit jedem weiteren Dienstjahr bis zum vollendeten 25. Dienstjahr um 2 vom Hundert bis auf 65 vom Hundert und von da ab um 1 vom Hundert bis auf den Höchstsatz von 80 vom Hundert nach vierzig Dienstjahren.
§ 5 Ruhegeldfähiges Einkommen
(1) Ruhegeldfähiges Einkommen ist
a) bei den Angestellten 115 vom Hundert der Summe des durch die TO.A und ihre gesetzlichen und tarifvertraglichen Ergänzungen festgestellten Gehaltes im Zeitpunkt des Eintritts des Versorgungsfalles.
Ruhegeldfähig sind auch Zulagen, sofern der Angestellte diese mindestens 2 Jahre vor Eintritt des Versorgungsfalles ununterbrochen bezogen hat.
Diese Zulagen sind von der Steigerung von 15 vom Hundert ausgeschlossen.
Reine Aufwandsentschädigungen rechnen nicht zum ruhegeldfähigen Einkommen.
b) bei den Lohnempfängern 115 vom Hundert des Jahreseinkommens, das der Lohnempfänger bei Eintritt des Versorgungsfalles bezogen hat. Dieses Einkommen errechnet sich nach dem normalen Stundenlohn zuzüglich gezahlter Leistungszulagen, multipliziert mit der Anzahl der jeweils tariflich festgesetzten Normalstunden in einem Jahr.
(2) Ruhegeld und die der Anrechnung unterliegende gesetzliche Sozialrente dürfen zusammen 80 vom Hundert des normalen Einkommens nicht übersteigen, das ein Bediensteter mit derselben oder gleichwertigen Tätigkeit im Dienst bei der H AG bezieht.
Normales Einkommen ist
a) für den Angestellten das vor dem Versorgungsfall von ihm bezogene Bruttogehalt zuzüglich gezahlter Zulagen und der jeweils zu zahlenden Weihnachtsgratifikation.
b) für den Lohnempfänger der vor dem Versorgungsfall bezogene Tariflohn zuzüglich gezahlter Leistungs- und Erschwerniszulagen, multipliziert mit der Anzahl der jeweils tariflich festgesetzten Normalstunden in einem Jahr, zuzüglich der jeweils zu zahlenden Weihnachtsgratifikation.
...
(4) Änderungen der Tarifgehälter und Tariflöhne ziehen eine entsprechende Änderung des ruhegeldfähigen Jahreseinkommens nach sich.
...
(7) Sollte bei einem Angestellten im Laufe des Kalenderjahres, in welchem der Versorgungsfall eintritt, eine Steigerung in seiner Gehaltsgruppe eintreten, die zeitlich nach seiner Versetzung in den Ruhestand liegt, so ist diese Steigerung bei der Festsetzung des ruhegeldfähigen Einkommens zu berücksichtigen.
§ 6 Anrechnungen
(1) Auf das Ruhegeld werden Renten der Arbeiterrenten- und Angestelltenversicherung, des Reichsknappschaftsgesetzes, der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder und ähnlicher Versorgungskassen angerechnet, soweit der Bedienstete bei diesen Versorgungsanstalten versicherungspflichtig gewesen ist.
...
§ 16 Geltung der Ruhegeldordnung
Diese Ruhegeldordnung gilt für alle am Tage ihres Inkrafttretens in den Diensten der H AG stehenden oder in Zukunft in die Dienste der Gesellschaft eintretenden Bediensteten sowie für alle Ruhegeldempfänger.
Die Ruhegeldordnung ist Bestandteil eines jeden Arbeitsvertrages. ..."
Zum Zeitpunkt der Verhandlungen über die RO 1959 war es außerordentlich schwer, geeignetes Personal für die Beklagte zu finden und zu halten. Seinerzeit expandierte im Ruhrgebiet die Metallindustrie, die höhere Vergütungen zahlte als die Beklagte.
Die Beklagte schloss die RO 1959 zum . Später eintretende Mitarbeiter erhielten eine Versorgungszusage nach Maßgabe der Versorgungsrichtlinien der westfälischen Zusatzversorgungskasse. Diese Zusage entsprach grundsätzlich der im öffentlichen Dienst gewährten Zusatzversorgung. Bei der Beklagten sind nur noch einzelne Mitarbeiter tätig, die der RO 1959 unterfallen. Im Übrigen gilt diese Versorgungsordnung noch für ca. 400 Betriebsrentner.
Mitte der neunziger Jahre schieden zahlreiche Mitarbeiter der Beklagten, darunter auch der Kläger zum , über Vorruhestandsmodelle aus dem Arbeitsverhältnis aus. Es handelte sich größtenteils um Beschäftigte, die noch einen Versorgungsanspruch nach der RO 1959 hatten. Diese Mitarbeiter erhielten im Vorfeld des Abschlusses ihres Vorruhestandsvertrages ein Anschreiben der Beklagten, in dem es heißt:
"...
Sie erhalten die Stellung eines in den Ruhestand versetzten ehemaligen Mitarbeiters mit allen sich für diesen Personenkreis ergebenden Rechten und Pflichten.
..."
Seit 1984 wurde bei der Beklagten in mehreren Anläufen intern überprüft, inwieweit eine Begrenzung von Rechten nach der RO 1959 in Betracht kommt. Unter dem schlossen die Beklagte und ihr Betriebsrat die "Betriebsvereinbarung Nr. 06/2003 zur Ablösung der Ruhegeldordnung der H " (im Folgenden: BV 06/2003). Diese lautet in Auszügen wie folgt:
"Präambel
Vorstand und Betriebsrat sind sich darüber einig, dass es bei den zahlbaren Versorgungsbezügen nach der Ruhegeldordnung der H durch verschiedene Einflussfaktoren zu einer nicht mehr vertretbaren Überversorgung gekommen ist, so dass das eigentliche Versorgungsziel bei weitem überschritten wird.
Die Versorgungszusage soll deshalb widerrufen und durch eine Betriebsrente abgelöst werden. Diese Betriebsrente orientiert sich an dem Ziel, Versorgungsleistungen entsprechend dem bis zum geltenden Recht der Zusatzversorgungskasse Westfalen-Lippe, bei der vergleichbare Beschäftigte der H AG Versorgungszusagen erhalten, zu gewähren. Mit dieser Vereinbarung werden die sozialen Interessen der Versorgungsempfänger gewahrt.
Im Rahmen des am zwischen der Stadt H und der H AG verabschiedeten Restrukturierungsvertrages sind verschiedene Maßnahmen zum Erhalt des Unternehmens vereinbart worden. Durch den Abbau der Überversorgung sollen auch die Versorgungsanwärter und Versorgungsempfänger angemessen an diesen Restrukturierungsmaßnahmen beteiligt werden.
§ 1 Geltungsbereich
Diese Vereinbarung gilt für die Versorgungsanwärter und Versorgungsempfänger einschließlich deren Hinterbliebenen, die aufgrund der Versorgungsordnung der H eine Versorgungszusage oder aufgrund dieser Versorgungszusage Versorgungsleistungen erhalten haben.
§ 2
Widerruf der Versorgungszusage
Gegenüber den in § 1 genannten Versorgungsanwärtern und Versorgungsempfängern sowie deren Hinterbliebenen wird die Versorgungszusage nach der Ruhegeldordnung vom zum widerrufen. Die Versorgungsanwärter und Versorgungsempfänger sowie Hinterbliebenen werden unverzüglich nach dem Inkrafttreten dieser Vereinbarung schriftlich benachrichtigt.
...
§ 4 Ermittlung der Betriebsrente
(1) Grundlage für die Berechnung der Betriebsrente ist das ruhegeldfähige Bruttoeinkommen nach § 5 der Ruhegeldordnung vom , das am ermittelt worden ist.
(2) Danach wird aus dem nach Absatz 1 ermittelten Bruttoeinkommen ein fiktives Nettoeinkommen ermittelt. Dabei wird für die Beiträge zur Sozialversicherung ein Durchschnittssatz von 21 v. H. für alle vier Sozialversicherungszweige herangezogen. Die Lohn-/Kirchensteuer und der Solidaritätszuschlag werden in Abhängigkeit vom maßgeblichen Familienstand zum und den dann maßgeblichen Steuerregelungen errechnet.
...
(3) Der Differenzbetrag zwischen dem ruhegeldfähigen Bruttoeinkommen nach Absatz 1 und den fiktiven gesetzlichen Abzügen nach Absatz 2 ergibt das fiktive Nettoeinkommen und ist die Grundlage für die weitere Betriebsrentenberechnung.
§ 5 Begrenzung der Versorgung
Die Betriebsrente darf höchstens 91,75% des nach ... ermittelten Nettoeinkommens betragen.
§ 6 Anrechnungen
(1) Auf die Betriebsrente werden einmalig die am aus der Arbeiterrenten- und Angestelltenversicherung, nach dem Reichsknappschaftsgesetz, aus einer Versicherung bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder und entsprechenden Zusatzversorgungskassen zustehenden Renten angerechnet. Dies gilt jedoch nur für Renten aus Zeiten, in denen der Versorgungsempfänger bei diesen Versicherungsanstalten versichert gewesen ist. Künftige Veränderungen dieser Renten bleiben unberücksichtigt.
...
§ 7 Zahlbetrag der Betriebsrente
...
(2) Der sich aus Absatz 1 ergebende Zahlbetrag der Betriebsrente wird zum 1. Juli eines jeden Jahres, erstmals zum , um den Wert, um den die Betriebsrenten der Zusatzversorgungskasse Westfalen-Lippe aufgrund von § 11 Abs. 1 des Tarifvertrages über die zusätzliche Altersvorsorge der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (ATV-K) vom in der jeweils gültigen Fassung angepasst, mindestens jedoch um 1 v. H. dynamisiert.
§ 8
Ausgleichsbetrag
(1) Übersteigt das Ruhegeld, das am zugestanden hat, die Betriebsrente unter Berücksichtigung der Kürzungen nach § 5, wird die Differenz als Ausgleichsbetrag zur Betriebsrente gezahlt.
(2) Der Ausgleichsbetrag wird jährlich zum 1. Januar eines jeden Jahres, beginnend am , um ein Achtel gekürzt.
(3) Der Ausgleichsbetrag wird nicht dynamisiert.
...
§ 13 Übergangsregelungen
Für Versorgungsempfänger, die aufgrund einer Vorruhestandsregelung oder einer entsprechenden Regelung (z. B. Altersteilzeit) vor Vollendung des 65. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis zur H AG ausgeschieden sind, gelten abweichende Regelungen:
Abweichend von dieser Vereinbarung wird das ermittelte fiktive Nettoeinkommen je volles Kalenderjahr, um das der Beginn der Betriebsrente vor dem vollendeten 65. Lebensjahr liegt, um je 1 v. H., höchstens auf 80 v. H., erhöht.
...
§ 16 Schlussbestimmungen
(1) Diese Vereinbarung tritt am in Kraft.
(2) Gleichzeitig tritt die Ruhegeldordnung der H außer Kraft."
Mit Schreiben vom widerrief die Beklagte gegenüber dem Kläger die erteilte Versorgungszusage mit Ablauf des und teilte mit, er erhalte ab eine neue Betriebsrente auf der Grundlage der BV 06/2003. Ein Einspruch des Klägers dagegen blieb erfolglos.
Ab Januar 2004 zahlte die Beklagten dem Kläger zunächst eine Betriebsrente iHv. 420,23 Euro sowie einen Ausgleichsbetrag iHv. 344,33 Euro. Ab Juli 2004 wurde die Betriebsrente um 1 vH angepasst und auf 424,43 Euro angehoben.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, es liege ein unzulässiger Eingriff in die von ihm erdienten Versorgungsanwartschaften vor. Ein Widerruf sei weder vorbehalten noch gegenüber Betriebsrentnern möglich. Die Voraussetzungen einer Überversorgung seien nicht gegeben. Ein Eingriff sei jedenfalls deshalb nicht mehr möglich, weil trotz verschiedener Diskussionen seit 1984 keine Begrenzung seiner Anwartschaft erfolgt sei.
Der Kläger hat zuletzt den Hauptantrag gestellt, festzustellen, dass sich seine Ruhegeldansprüche auch weiterhin nach der Ruhegeldordnung der Beklagten vom richten.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, die Voraussetzungen einer Abänderung der RO 1959 durch die BV 06/2003 lägen vor. Jedenfalls sei der Widerruf wirksam. Die Regelungen der RO 1959 hätten zu einer Überversorgung der von ihr erfassten Ruheständler und Hinterbliebenen geführt. Damit liege ein zwingender Grund für den Eingriff in Besitzstände des Klägers vor. Als Teil des öffentlichen Dienstes dürfe sie sogar eine planmäßige Überversorgung abbauen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage im Hauptantrag stattgegeben. Die Berufung der Beklagten blieb - auch mit einem dort gestellten Hilfsantrag - erfolglos. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Gründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Beklagte hat nicht wirksam in Betriebsrentenansprüche des Klägers eingegriffen, so dass sich seine Ansprüche weiter nach der RO 1959 richten und die Klage deshalb im Hauptantrag erfolgreich ist.
I. Mit seinem Hauptantrag begehrt der Kläger die Feststellung der Weitergeltung der RO 1959 und verlangt, dass seine Ruhegeldansprüche auch nach dem entsprechend dieser Ruhegeldordnung berechnet werden. Der Antrag ist bestimmt genug (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der Kläger hat auch ein Interesse an der Feststellung des Inhaltes seines Versorgungsverhältnisses zur Beklagten (§ 256 Abs. 1 1. Alt. ZPO). Der Feststellungsantrag ist geeignet, die zwischen den Parteien bestehenden Streitpunkte in prozesswirtschaftlicher Art zu klären, so dass sich der Kläger nicht auf den Vorrang der Leistungsklage verweisen lassen muss (vgl. - AP BGB § 313 Nr. 1, zu I der Gründe).
II. Die Klage ist begründet. Die RO 1959 ist Vertragsinhalt zwischen dem Kläger und der Beklagten geworden. Die Voraussetzungen für Eingriffe in der von der BV 06/2003 vorgesehenen Art liegen nicht vor.
1. Jedenfalls für - ehemalige - Arbeitnehmer wie den Kläger, die nach dem Rundschreiben vom Februar 1961 bei der Beklagten eingetreten sind, stellte die Ruhegeldordnung eine Gesamtzusage dar, die den Arbeitnehmern einen einzelvertraglichen Anspruch auf die darin gewährten Leistungen eröffnete, soweit sie die vom Arbeitgeber genannten Anspruchsvoraussetzungen erfüllen. Ausreichend ist in diesen Fällen ein an alle Arbeitnehmer gerichtetes Vertragsangebot (§ 145 BGB), hinsichtlich dessen es einer ausdrücklichen Annahme nach § 151 BGB nicht mehr bedarf (vgl. nur - BAGE 104, 220, zu I 1 der Gründe). So liegt es hier, da die Beklagte die Ruhegeldordnung innerbetrieblich bekannt gemacht hatte und diese nach ihrem § 16 Satz 2 ohne weiteres Bestandteil eines jeden Arbeitsvertrages sein sollte.
2. In diese vertragliche Grundlage hat die Beklagte nicht wirksam eingegriffen.
a) Ein Eingriff unter dem Gesichtspunkt einer planmäßigen Überversorgung scheidet aus. Eine solche lag nicht vor. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Eingriff möglich ist, insbesondere ob die Beklagte, die wirtschaftlich zu 100 % der Stadt H gehört, insoweit als Teil des öffentlichen Dienstes zu behandeln ist (vgl. dazu - AP BetrAVG § 1 Überversorgung Nr. 11, zu B I 4 b bb (3) der Gründe).
Um eine planmäßige Überversorgung handelt es sich dann, wenn die Versorgungsberechtigten mehr erhalten sollen als eine volle Sicherung ihres bisherigen Lebensstandards, die das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben berücksichtigt, also die sog. Vollversorgung überschritten wird (vgl. dazu -AP BetrAVG § 1 Überversorgung Nr. 11, zu B I 4 b bb (3) der Gründe). Eine planmäßige Überversorgung liegt also insbesondere dann vor, wenn die Betriebsrente gleich hoch oder höher sein soll als das Einkommen vergleichbarer aktiver Arbeitnehmer. Im Übrigen besteht bei der Festlegung der maßgeblichen Vollversorgung ein Spielraum.
Bei der Beurteilung einer Versorgungszusage, die - wie hier - als Gesamtzusage erteilt wurde, ist auf den Zeitpunkt ihrer Erteilung und nicht auf den Beginn des einzelnen Arbeitsverhältnisses abzustellen, da sie für alle angesprochenen Arbeitnehmer den gleichen Inhalt und die gleiche Bedeutung hat ( -, zu III 1 b aa der Gründe). Maßgeblich ist dabei die durchschnittliche Wirkung ( - AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 6 = EzA BetrAVG § 1 Nr. 37, zu III 1 der Gründe). Als die RO 1959 im Jahr 1960 geschaffen wurde, belief sich das Nettoeinkommen aus unselbständiger Arbeit auf durchschnittlich 84,1 vH des Bruttoeinkommens (Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1963, S. 544). Danach entsprachen 80 vH des Bruttoeinkommens, die in § 5 Abs. 2 RO 1959 festgelegte Brutto-Versorgungsobergrenze, durchschnittlich 95,1 vH des Nettoeinkommens (100 : 84,1 x 80). Der angestrebte höchste Versorgungsgrad lag daher unterhalb eines vollen Nettogehalts. Mit der RO 1959 war eine Vollversorgung auf hohem Niveau, aber keine Überversorgung geplant. Der Spielraum für die Festlegung der Vollversorgung war damit nicht überschritten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach der Arbeitsmarktlage im Ruhrgebiet zu der fraglichen Zeit die Beklagte weitreichende Zusagen machen musste, um Arbeitnehmer an sich zu binden.
b) Die Beklagte hat in die Rechte des Klägers aus der RO 1959 auch nicht aus dem - nach ihrem Vortrag allein in Betracht kommenden - Gesichtspunkt des Abbaus einer planwidrigen Überversorgung wirksam eingegriffen.
aa) Individualrechtlich kommen mangels eines vereinbarten Widerrufsvorbehalts als Grundlage für den Eingriff allein die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage in Betracht. Bei einer planwidrigen Überversorgung wird der mit der ursprünglichen Versorgungsordnung verfolgte Zweck verfehlt; die Geschäftsgrundlage ist gestört - § 313 BGB. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der ursprünglich gewollte Versorgungsgrad wieder hergestellt wird. Der Abbau einer Höherversorgung rechtfertigt grundsätzlich auch Eingriffe in den erdienten Besitzstand ( - BAGE 89, 279, zu II 4 a aa der Gründe). Diese Grundsätze tragen den von der Beklagten durchgeführten Eingriff jedoch nicht.
(1) Allerdings ist die Geschäftsgrundlage gestört.
Wie ausgeführt entsprach im Jahre 1960 die in der RO 1959 enthaltene Bruttogesamtversorgungsobergrenze von 80 % ca. 95,1 vH des Nettoverdienstes eines vergleichbaren aktiven Arbeitnehmers. Der durchschnittliche aktive Arbeitnehmer hatte seinerzeit mit Abzügen von etwas mehr als 15 vH seiner Bruttobezüge zu rechnen. Seither ist die Abgabenbelastung der Arbeitsentgelte auf deutlich mehr als 30 vH angestiegen. Der erreichbare Nettogesamtversorgungsgrad stieg damit auf über 100 vH (100 : 70 x 80). Die Anwendung der RO 1959 ist deshalb bei weitem nicht mehr geeignet, die hier zugrunde liegende Relation von Ruhegeld und Einkommen der aktiven Arbeitnehmer zu erreichen. Sie begrenzt die Betriebsrenten nicht mehr auf ein Niveau deutlich unterhalb des verfügbaren Einkommens der aktiven Arbeitnehmer, sondern führt zu dessen Überschreitung (vgl. dazu auch -, zu II 2 c der Gründe).
Eine derart deutliche Abweichung von den der ursprünglichen Versorgungsordnung zugrunde liegenden Umständen ist der Beklagten auch nach der vertraglichen Risikoverteilung nicht zumutbar: Sie trägt zwar auf Grund dessen, dass eine Bruttogesamtversorgungsobergrenze gewählt wurde, in gewissen Grenzen das Risiko von Abweichungen, muss also hinnehmen, dass die Begrenzung des Versorgungsniveaus auf einen Wert unterhalb der Vergütung der aktiven Arbeitnehmer sich teilweise anders gestaltet als bei Erlass der Versorgungsordnung. Sie muss jedoch nicht hinnehmen, dass eine derartige Begrenzung überhaupt nicht mehr stattfindet.
(2) Die Beklagte hat das Recht, in die Versorgungsrechte des Klägers einzugreifen.
Eine Störung der Geschäftsgrundlage löst ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers aus, das dieser nach billigem Ermessen auszuüben hat ( - AP BetrAVG § 1 Überversorgung Nr. 10 = EzA BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 36, zu I 1 d dd der Gründe). Die Beklagte hat das Anpassungsrecht nicht verwirkt. Dass sie mehrere Anläufe gebraucht hat, um auf die Veränderungen des Versorgungsniveaus zu reagieren, steht dem nicht entgegen. Im Gegenteil konnte der Kläger daraus schließen, dass diese Frage von der Beklagten als problematisch angesehen wurde; er musste deshalb damit rechnen, dass sie später wieder aufgegriffen würde. Auch aus der Vorruhestandsregelung kann der Kläger kein Anpassungshindernis herleiten. Nach dem eindeutigen Wortlaut der insoweit versandten Schreiben sollte er ebenso gestellt werden wie ein sonstiger Versorgungsempfänger, weder besser noch schlechter.
(3) Die Beklagte hat die Grenzen ihres danach gegebenen Anpassungsrechtes jedoch überschritten.
Durch das Anpassungsrecht darf in die geltende Vereinbarung nicht stärker eingegriffen werden, als es durch die Anpassung an die Grundlagen der ursprünglichen Vereinbarung geboten ist (vgl. - BAGE 109, 294, zu A III 2 c der Gründe; - 9 AZR 136/02 - BAGE 105, 100, zu I 2 c bb (2) der Gründe). Die Anpassung hat sich deshalb an den Bestimmungen der Versorgungsordnung zu orientieren, in die eingegriffen wird. Doch ist dann, wenn es sich bei der Versorgungsordnung - wie hier - um eine allgemeine Regelung mit kollektiver Wirkung handelt, dem Arbeitgeber eine Pauschalierung möglich. Auch bei einer Nettoobergrenze sind Typisierung, Pauschalisierungen und Generalisierungen zulässig. Das Anpassungsrecht des Arbeitgebers dient andererseits nicht dazu, die Versorgungsordnung umzustrukturieren und veränderte Gerechtigkeitsvorstellungen zu verwirklichen ( - BAGE 89, 279, 293).
Die von der Beklagten auf die BV 06/2003 gestützten Eingriffe in die RO 1959 überschreiten die danach möglichen Grenzen der Anpassungsentscheidung. Wie dargelegt entsprachen im Jahre 1960 80 % des Bruttoeinkommens durchschnittlich 95,1 % des Nettoeinkommens. Die Beklagte strebt jedoch mit § 5 BV 06/2003 eine Nettoversorgungsobergrenze von 91,75 vH an. Das geht über die Grundlagen, an die die Anpassung lediglich erfolgen kann, hinaus. Schon deshalb erweist sich der Eingriff als unzulässig.
Bedenklich erscheinen auch die Regelungen in § 6 Abs. 1, § 7 Abs. 2 BV 06/2003, die vom Prinzip der Gesamtversorgung abgehen, aber ferner die Regelung in § 8 Abs. 2 BV 06/2003 zur Kürzung des Ausgleichsbetrags, wonach sich die Betriebsrente effektiv verringern kann. Von weiteren Hinweisen sieht der Senat ab.
bb) Ein erweitertes Anpassungsrecht steht der Beklagten auch nicht kollektivrechtlich zu, weil sie sich auf eine Betriebsvereinbarung, die BV 06/2003, stützt.
Dahingestellt bleiben kann, ob die der Versorgungsordnung zugrundeliegende Gesamtzusage - jedenfalls unter Berücksichtigung des Einführungsschreibens vom Februar 1961 - "betriebsvereinbarungsoffen" war und den Betriebsparteien deshalb Änderungen der Versorgungsordnung grundsätzlich möglich waren (dazu zuletzt Senat - 3 AZR 74/01 - BAGE 99, 183, zu I 2 b der Gründe). Bedenken können sich hier daraus ergeben, dass nach ständiger Rechtsprechung sich die Regelungsbefugnis der Betriebsparteien nicht auf Betriebsrentner und bereits ausgeschiedene Arbeitnehmer erstreckt (vgl. etwa - AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 65 = EzA BetrVG 1972 § 77 Ruhestand Nr. 1). Werden von einer Neuregelung - wie hier - fast ausschließlich Betriebsrentner und nur noch wenige aktive Arbeitnehmer erfasst, spricht viel dagegen, dass sich die Betriebsrentner Vereinbarungen zwischen dem für sie nicht mehr zuständigen Betriebsrat und dem Arbeitgeber unterwerfen müssen.
Auch soweit eine Gesamtzusage betriebsvereinbarungsoffen ist, hat die ablösende Betriebsvereinbarung die - letztlich aus § 75 BetrVG folgenden - Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit einzuhalten. Es gilt also nichts anderes als bei der Ablösung einer Betriebsvereinbarung (dazu - BAGE 99, 183, zu II der Gründe). Dabei ist nicht auf das vom Senat entwickelte dreistufige Prüfungsschema hinsichtlich des Eingriffs in Versorgungsanwartschaften abzustellen, da dieses die laufenden Betriebsrenten nicht betrifft (vgl. - BAGE 83, 293, zu II 2 der Gründe). Vielmehr ist direkt auf die genannten Grundsätze zurückzugreifen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass ausgeschiedene Arbeitnehmer bereits ihre vollständige Arbeitsleistung erbracht haben.
Nach der in der Präambel der BV 06/2003 festgelegten Zielsetzung der Betriebsparteien kommt als rechtfertigende Zielsetzung insoweit ein Abbau der Überversorgung in Betracht. Da nach dem Vorgesagten eine planmäßige Überversorgung nicht vorliegt, kann es sich lediglich um den Abbau einer planwidrigen Überversorgung handeln. Letztlich geht es also darum, dass die Grundlagen der alten Versorgungsordnung - bei auf Grund der kollektiven Wirkung der Versorgungsordnung pauschalierter Betrachtung - entfallen sein müssen, um den Eingriff durch die verschlechternde Betriebsvereinbarung zu rechtfertigen. In einem derartigen Fall ist ein Abbau durch Betriebsvereinbarung aber nur unter den Voraussetzungen und in den Grenzen möglich, wie er auch individualrechtlich nach den Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB), auf die sich die Beklagte hier aber nach dem Ausgeführten nicht stützen kann, möglich wäre. Ein weitergehender Eingriff der Betriebsparteien aus diesem Anlass wäre unverhältnismäßig, weil nicht mehr von der Zielsetzung gedeckt.
cc) Die Überschreitung der Grenzen der Anpassung führt hier nicht dazu, dass das Gericht seinerseits eine angemessene Regelung zu treffen hat. Das beruht darauf, dass es sich um einen Eingriff in ein komplexes Versorgungssystem handelt, das nicht nur den Kläger betrifft, sondern kollektive Wirkung hat. Daher ist in einschränkender Auslegung von § 315 Abs. 3 BGB eine gerichtliche Bestimmung der billigem Ermessen entsprechenden Entscheidung hier nicht möglich, sondern nur eine Überprüfung getroffener Entscheidungen. Gleiches gilt bei kollektivrechtlicher Betrachtung. Deshalb muss es der Beklagten - ggf. iVm. deren Betriebsrat - vorbehalten bleiben, unter Berücksichtigung der maßgeblichen Gesichtspunkte eine billigem Ermessen entsprechende Entscheidung zu treffen. Die Darlegungs- und Beweislast liegt bei der Beklagten.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2008 S. 1012 Nr. 19
DB 2008 S. 994 Nr. 18
WAAAC-74370
1Für die amtliche Sammlung: ja; Für die Fachpresse: nein