BFH Beschluss v. - VIII B 90/07

Saldierung von Berichtigungsbescheiden; Berichtigung wegen einer offenbaren Unrichtigkeit; Darlegung von Revisionszulassungsgründen

Gesetze: AO § 177, AO § 129, FGO § 115 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 FGO).

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 FGO nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargetan (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

A. Offenbare Unrichtigkeit gemäß § 129 der Abgabenordnung (AO)

1. Die Kläger rügen die Nichterhebung eines beantragten Zeugenbeweises durch Einvernahme eines Veranlagungsbeamten zu einem eventuellen Prüfhinweis und dessen Behandlung.

a) Die schlüssige Rüge eines Verfahrensmangels verlangt, dass diejenigen Tatsachen —ihre Richtigkeit unterstellt— genau und schlüssig bezeichnet werden, aus denen sich ergeben soll, dass der behauptete Verfahrensmangel vorliegt und das angefochtene Urteil —nach der insoweit maßgebenden, ggf. auch unrichtigen materiell-rechtlichen Auffassung des Finanzgerichts (FG)— auf ihm beruhen kann (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom VIII B 81/05, BFH/NV 2006, 2297, m.w.N.; vom VIII B 48/05, BFH/NV 2007, 712).

b) Das FG hat dem Beweisantrag aus zwei Gründen nicht entsprochen, nämlich zum einen deshalb nicht, weil es den Antrag als unzulässigen Ausforschungsbeweis beurteilt, zum anderen deshalb nicht, weil es die unter Beweis gestellte Tatsache als entscheidungsunerheblich beurteilt hat, da eine offenbare Unrichtigkeit auch im Falle eines Prüfhinweises nicht ausgeschlossen sei.

Ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil selbst, dass und weshalb das Gericht einen Beweis nicht erhoben hat, so genügt für die Rüge mangelnder Sachaufklärung gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 FGO der schlichte Vortrag der Nichterhebung des Beweises (BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 2297).

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Beweisantrag nicht bereits zu Recht vom FG als unzulässiger Beweisermittlungsantrag (dazu BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 712) als unbeachtlich behandelt worden ist.

Jedenfalls braucht es, ausgehend von seiner für die Beurteilung eines Verfahrensmangels maßgebenden, unter Bezugnahme auf die Urteile des Hessischen (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 1997, 382) und des (EFG 1993, 357) vertretenen materiell-rechtlichen Rechtsauffassung, wonach auch im Falle von Prüfhinweisen eine —fortbestehende— offenbare Unrichtigkeit nicht ausgeschlossen sei, dem Beweisantrag nicht nachzugehen (vgl. auch BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 712).

2. Die Kläger rügen ferner einen Verstoß gegen die sich aus § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ergebende Verpflichtung des Gerichtes, seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu bilden. Die Schlussfolgerung des FG sei nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen gedeckt. Ausweislich der vom FG herangezogenen Einspruchsentscheidung vom sei nämlich nur die Anlage FE-KAP und nicht die Anlage KAP, die allein eine Abstimmung mit den eingereichten Dividendenbescheinigungen zulasse, geprüft worden.

Die Nichtberücksichtigung von Umständen, die richtigerweise in die Beweiswürdigung hätten einfließen müssen, kann zwar ausnahmsweise verfahrensfehlerhaft sein, wenn das FG Teile des Gesamtergebnisses des Verfahrens unberücksichtigt lässt. Für eine schlüssige Verfahrensrüge muss dargetan werden, welche konkreten Aktenteile bzw. welche bestimmten Ausführungen nicht berücksichtigt worden sein sollen und inwiefern die angefochtene Entscheidung des FG auf der Nichtberücksichtigung beruhen kann (, BFH/NV 2005, 339).

Das FG hat im Streitfall indes im Rahmen einer umfassenden Würdigung sowohl des Inhaltes des Feststellungsbescheides für 2001 vom als auch des aus der Verwaltungsakte entnommenen Verfahrensablaufs, der nach Auffassung des FG eine Überprüfung der eingetragenen Dividenden und der anrechenbaren Beträge anhand der beigefügten Steuerbescheinigungen erkennen ließ, ein bloßes Versehen des Veranlagungssachbearbeiters angenommen. Das FG hat sich damit keineswegs allein auf die Einspruchsentscheidung bezogen.

Einwände gegen die durch die jeweiligen Gesamtumstände des Einzelfalles bestimmte konkrete Tatsachen- und Beweiswürdigung durch das FG stellen indes keinen Verfahrensmangel i.S. von § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO dar (, juris; vom VIII B 233/05, BFH/NV 2006, 2110, m.w.N.).

Das FG hat ausweislich der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils den gesamten Prozessstoff seiner Überzeugungsbildung zugrunde gelegt und insbesondere den Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig und einwandfrei berücksichtigt.

Der dem von den Klägern zitierten (BFH/NV 1996, 554) zugrunde liegende Sachverhalt ist mit demjenigen, der dem Streitfall zugrunde liegt, nicht vergleichbar; denn in jenem Fall hatte das FG im Rahmen eines Indizienbeweises ein das Streitjahr gar nicht betreffendes Schreiben herangezogen.

3. Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung

a) Zur schlüssigen Darlegung einer Divergenzrüge i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO gehört u.a. eine hinreichend genaue Bezeichnung der vermeintlichen Divergenzentscheidungen sowie die Gegenüberstellung tragender, abstrakter Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits, um eine Abweichung erkennbar zu machen. Des Weiteren ist insbesondere auszuführen, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren Sachverhalt und um eine identische Rechtsfrage handelt.

Allerdings ist es nicht stets erforderlich, dass das FG den abweichenden Rechtssatz in den Urteilsgründen ausdrücklich formuliert hat. Er kann auch konkludent in scheinbar nur fallbezogenen Rechtsausführungen ausgesprochen sein. Eine Abweichung kann deshalb auch vorliegen, wenn das FG einen bestimmten Sachverhalt eine andere Rechtsfolge beigemessen hat als sie der BFH zu einem im Wesentlichen gleichen Sachverhalt ausgesprochen hat. Indes reichen weder eine Divergenz in der Würdigung von Tatsachen noch die angeblich fehlerhafte Anwendung von Rechtsprechungsgrundsätzen auf die Besonderheiten des Einzelfalles, noch schlichte Subsumtionsfehler des FG aus. Erforderlich ist vielmehr die Darlegung der Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen (BFH-Beschlüsse vom VIII B 160/05, BFH/NV 2006, 1477, m.w.N.; vom IX B 14/02, BFH/NV 2003, 191).

b) Die Kläger verweisen als vermeintliche Divergenzentscheidungen auf die (BFHE 185, 345, BStBl II 1998, 535) und vom VI R 4/83 (BFHE 146, 350, BStBl II 1986, 541), wonach ein zur Berichtigung wegen einer offensichtlichen Unrichtigkeit nach § 129 AO berechtigendes bloßes mechanisches Versehen bei einer mehr als theoretischen Möglichkeit, dass der Sachbearbeiter bei der Veranlagung einem Rechtsirrtum unterlegen sei, ausscheide.

Die Kläger haben jedoch bereits keinen abweichenden tragenden abstrakten, zumindest konkludenten Rechtssatz, der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegen soll, herausgestellt.

Das FG hat ersichtlich in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BFH-Beschlüsse vom III B 79/04, BFH/NV 2005, 1013, m.umf.N.; vom III B 2/05, BFH/NV 2006, 910) unter Würdigung der Gesamtumstände des Streitfalls die Möglichkeit eines Rechtsirrtums ausgeschlossen.

Weder ausdrücklich noch auch nur konkludent hat das FG damit abstrakte, tragende und von den vermeintlichen Divergenzentscheidungen abweichende Rechtssätze seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Eine allenfalls unzulängliche rechtliche Würdigung des Streitfalles begründete indes kein Abweichen im Grundsätzlichen, sondern —wie ausgeführt— eine lediglich fehlerhafte Anwendung dieser Rechtssätze im konkreten Fall, was indes nicht zur Zulassung der Revision führt.

B. Gegenberichtigung

1. Greifbare Gesetzwidrigkeit der Entscheidung

Mit der Behauptung, das FG habe die Begriffsbestimmungen in § 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ignoriert, wird keine greifbare Gesetzwidrigkeit dargetan.

a) Für einen nur ausnahmsweise unter § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO fallenden sog. qualifizierten Rechtsanwendungsfehler kommen nur offensichtliche materielle oder formelle Fehler des FG im Sinne einer willkürlichen Entscheidung in Betracht. Dazu reicht hingegen nicht eine allenfalls fehlerhafte Umsetzung von Rechtsprechungsgrundsätzen auf die Besonderheiten des Einzelfalles aus (, BFH/NV 2006, 799).

b) Die Kläger unterstellen insoweit, das FG sei abweichend von der Einkünfteermittlung gemäß § 2 EStG von Einnahmen statt von für die Saldierung nach § 177 Abs. 1 AO maßgebenden Einkünften ausgegangen. Indes ist nicht ersichtlich, inwieweit das FG, obwohl es ausdrücklich von Einkünften aus Kapitalvermögen und Vermietung und Verpachtung spricht, eigentlich Einnahmen gemeint haben soll, denn gesondert festgestellt werden Einkünfte.

2. Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung

Die Rüge beruht in gleicher Weise auf der unter B. 1. der Entscheidungsgründe bereits behandelten, zu Unrecht von den Klägern vorgenommenen Unterstellung, das FG sei —abweichend von der Rechtsprechung— von Einnahmen ausgegangen.

Indes komme es für die Annahme materieller Fehler i.S. von § 177 Abs. 3 AO nach Ansicht der Kläger auf die sich ergebenden Mehr- oder Mindersteuern an.

In dem von den Klägern dazu zitierten (BFHE 172, 298, BStBl II 1993, 822) hat der BFH demgegenüber ausgeführt, es bestünden keine Bedenken dagegen, die Änderungsbereiche, in deren Grenzen Rechtsfehler gemäß § 177 AO zu berücksichtigen seien, anhand der geänderten Einkünftebeträge zu errechnen.

3. Rechtsfortbildung

Die Kläger behaupten einen Klärungsbedarf hinsichtlich der Rechtsfrage, ob die durch das Missbrauchbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz (StMBG) vom (BGBl I, 2310) neu gefasste Regelung in § 177 AO, insbesondere durch die Einfügung eines Absatzes 3, weiterhin von der Auslegung im (BFHE 156, 59, BStBl II 1989, 531) auszugehen sei, wonach eine Berichtigung nach § 129 AO die Rechtsfolgen des § 177 AO nicht auslöse.

a) Eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts ist insbesondere in Fällen erforderlich, in denen über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist, so beispielsweise, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Grundsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen. Erforderlich ist eine Entscheidung des BFH nur dann, wenn die Rechtsfortbildung über den Einzelfall hinaus im allgemeinen Interesse liegt und die Frage nach dem „Ob” und ggf. „Wie” der Rechtsfortbildung klärungsbedürftig ist. Es gelten insoweit die zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO höchstrichterlich entwickelten strengen Darlegungsanforderungen. Darüber hinaus ist auf die Bedeutung der Klärung der konkreten Rechtsfrage für die Allgemeinheit einzugehen. Es reicht weder —für sich allein— aus, dass die Rechtsfrage bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden worden ist, noch genügt die Behauptung, das FG habe sachlich unrichtig entschieden (, BFH/NV 2007, 912, m.w.N.).

b) Im Beschluss vom III B 110/97 (BFH/NV 1999, 1) hat der BFH eine Divergenz von dem Grundsatzurteil in BFHE 156, 59, BStBl II 1989, 531 verneint. Eine Divergenz wäre indes bereits deshalb zu verneinen gewesen, wenn der jenem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt eine geänderte Rechtslage betroffen hätte.

Nach Art. 97 § 1 Abs. 1 Satz 4 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (AOEG) war der neu gefasste § 177 AO indes auf alle bei Inkrafttreten dieser Vorschrift noch anhängige Verfahren anzuwenden. Im BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 1 hat der BFH jedoch keine materiell-rechtliche Regelung gegenüber jener der Beurteilung im BFH-Urteil in BFHE 156, 59, BStBl II 1989, 531 zugrunde gelegten erblickt.

Das FG Hamburg hat sich ebenfalls im Urteil vom II 257/00 (juris) der BFH-Rechtsprechung und der ebenfalls die höchstrichterliche Rechtsprechung übernehmenden Verwaltungsauffassung im Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 129 Nr. 2 angeschlossen.

Das ganz überwiegende Schrifttum billigt diese Rechtsprechung ebenfalls (vgl. auch , BFH/NV 2002, 759; von Groll in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 177 AO Rz 43, m.umf.N.; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 177 AO Rz 1; Pahlke/ Koenig, Abgabenordnung, § 177 Rz 6; Frotscher in Schwarz, AO, § 177 Rz 5, 13; v. Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO, § 177 Rz 10; Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 177 Rz 4; Weste in Pump/ Leibner, Abgabenordnung, Kommentar, § 177 Rz 28).

Danach ist eine Fehlersaldierung nicht unmittelbar nach § 177 AO bei einer nur auf § 129 AO gestützten Berichtigung eines Steuerbescheides vorzunehmen. Dies wird zum einen aus dem unterschiedlichen Wortlaut, zum anderen daraus abgeleitet, dass im Falle einer Berichtigung nach § 129 AO keine Durchbrechung der Bestandskraft stattfinde und der eigentliche Regelungsbereich des zu berichtigenden Verwaltungsaktes unberührt bleibt.

Davon zu unterscheiden ist der in § 177 Abs. 3 AO geregelte Sachverhalt, wonach im Falle einer Änderung oder Aufhebung eines Steuerbescheides auch offenbare Unrichtigkeiten i.S. von § 129 AO zur Kompensation im Rahmen der Abs. 1 oder 2 dieser Vorschrift herangezogen werden dürfen (vgl. Frotscher, a.a.O., § 177 Rz 7). Im Übrigen bejaht die Rechtsprechung und die ganz herrschende Meinung eine Saldierungsmöglichkeit im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung bei einer Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 129 AO (BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 1; dazu auch Balmes in: Kühn/v. Wedelstädt, 18. Aufl., AO, § 177 Rz 4).

c) Die Kläger haben nicht nur die Klärungsbedürftigkeit der von ihnen aufgeworfenen Rechtsfrage nicht ausreichend dargelegt, sondern ebenso wenig die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Frage in einem möglichen künftigen Revisionsverfahren (dazu BFH-Beschlüsse vom I B 46/99, BFH/NV 2000, 955; vom III B 21/00, BFH/NV 2001, 921). Dazu hätten die Kläger nämlich darlegen müssen, dass überhaupt ein Saldierungsrahmen besteht.

Fundstelle(n):
OAAAC-72637