Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter; Richterablehnung wegen Befangenheit
Gesetze: FGO § 6, FGO § 90, FGO § 104, FGO § 115
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war in den Streitjahren (1999 bis 2002) als Rechtsanwalt selbständig tätig und zudem Eigentümer einer Eigentumswohnung und von zwei Garagen, die er nicht an die Mieter der Wohnung, sondern an Dritte vermietet hatte. Nachdem der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) davon erfahren hatte, änderte er die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre und unterwarf die Umsätze aus der Garagenvermietung der Umsatzsteuer. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage zunächst mit einem durch den Berichterstatter erlassenen Gerichtsbescheid ab, der aufgrund des vom Kläger rechtzeitig gestellten Antrags auf mündliche Verhandlung gegenstandslos wurde. Durch Beschluss vom übertrug der Senat das Verfahren dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
In der mündlichen Verhandlung vom übergab der Kläger ein Gesuch auf Ablehnung des Einzelrichters wegen Besorgnis der Befangenheit; er begründete dies unter Hinweis auf die Mitwirkung dieses Richters an den Beschlüssen über die Ablehnung seines Antrags, die Vollziehung der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide auszusetzen, und über die Übertragung des Verfahrens auf den Einzelrichter sowie mit dem ergangenen Gerichtsbescheid. Der Einzelrichter unterbrach daraufhin die Verhandlung und wies darauf hin, dass nach der Entscheidung über den Befangenheitsantrag ggf. vor einem anderen Spruchkörper weiter verhandelt werden könne. Die Sache wurde später erneut aufgerufen. Für den Kläger und das FA erschien dabei niemand. Nach Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung wurde der Senatsbeschluss verkündet, durch den das Ablehnungsgesuch des Klägers zurückgewiesen wurde. Der Einzelrichter führte anschließend die mündliche Verhandlung fort, stellte die Abwesenheit der Beteiligten fest, schloss die mündliche Verhandlung und verkündete den Beschluss, dass den Beteiligten eine Entscheidung zugestellt werde.
Das FG wies die Klage durch den Einzelrichter mit der Begründung ab, die Umsätze des Klägers aus der Vermietung der Garagen seien umsatzsteuerpflichtig. Die Tätigkeit des Klägers als Rechtsanwalt und Vermieter der Garagen bilde nach § 2 Abs. 1 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) ein einheitliches Unternehmen. Die Garagenvermietung sei nicht nach § 4 Nr. 12 UStG steuerfrei, da die Eigentumswohnung einerseits und die Garagen andererseits an unterschiedliche Personen vermietet seien. Die Vorschrift des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG, die die Steuerfreiheit der Garagenvermietung ausschließe, entspreche der Vorgabe des Art. 13 Teil B Buchst. b Satz 1 Nr. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Das Urteil wurde nicht verkündet, sondern den Beteiligten zugestellt.
Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln, grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und der Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts.
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Soweit ihre Begründung den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht, rechtfertigen die vorgebrachten Gründe nicht die Zulassung der Revision.
1. Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO)
a) Der Kläger rügt, dass die Beschlüsse über die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung (AdV), die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter und den Ablehnungsantrag in teils verschiedener Besetzung getroffen worden seien. Sein Ablehnungsgesuch sei zu Unrecht zurückgewiesen worden. Die Richtigkeit der schriftsätzlich formulierten Ablehnungsbegründung sei durch Äußerungen des Einzelrichters in der mündlichen Verhandlung bestätigt worden. Der Ablehnungsbeschluss lasse zudem nicht erkennen, aufgrund welcher Vertretungsregelung der Senat zusammengesetzt gewesen sei. Das Urteil des FG sei darüber hinaus ohne die erforderliche mündliche Verhandlung und ohne mündliche Antragstellung ergangen und nicht verkündet worden. Über die Klage hätte der Senat entscheiden müssen. Da dies nicht geschehen sei, liege eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor.
b) Zur Zulassung der Revision führende Verfahrensmängel ergeben sich aus diesem Vorbringen nicht.
aa) Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann grundsätzlich nicht auf die Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs gestützt werden, da dem Endurteil vorangegangene Entscheidungen, die —wie der Beschluss über die Ablehnung von Gerichtspersonen (vgl. § 128 Abs. 2 FGO)— nach der FGO unanfechtbar sind, nicht der Beurteilung der Revision unterliegen (§ 124 Abs. 2 FGO). Mit einer Nichtzulassungsbeschwerde können jedoch solche Verfahrensmängel geltend gemacht werden, die als Folge der Ablehnung des Befangenheitsgesuchs dem angefochtenen Urteil anhaften. Ein Zulassungsgrund liegt daher vor, wenn die Ablehnung gegen das Willkürverbot verstößt oder ein Verfahrensgrundrecht verletzt wird, wie der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes —GG—) oder auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Das Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter greift jedoch nur bei willkürlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften ein. Dem Beschwerdevorbringen muss sich daher entnehmen lassen, dass der Beschluss über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs nicht nur fehlerhaft, sondern greifbar gesetzwidrig und damit willkürlich ist (BFH-Beschlüsse vom III B 51/02, BFH/NV 2003, 640; vom VII S 11/04 (PKH), BFHE 208, 26, BStBl II 2005, 139, und vom X B 38/06, BFH/NV 2007, 757).
Dass diese Voraussetzungen im Streitfall vorlägen, hat der Kläger nicht substantiiert dargelegt. Die Mitwirkung des Einzelrichters an früheren Entscheidungen begründet nicht die greifbare Gesetzwidrigkeit und Willkürlichkeit der Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs.
Das Verfahren wegen Richterablehnung soll nicht gegen unrichtige bzw. für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen des abgelehnten Richters schützen. Es dient vielmehr allein dazu, die Beteiligten vor Unsachlichkeit zu bewahren. Ein Ablehnungsgesuch kann daher grundsätzlich nicht darauf gestützt werden, dass von einem Richter im Streitfall selbst oder in einem vorangegangenen Verfahren unrichtige Entscheidungen in formeller oder materiell-rechtlicher Hinsicht getroffen worden seien (BFH-Beschlüsse vom I B 117/96, BFH/NV 1997, 684, und vom V B 67/99, BFH/NV 2000, 956, je m.w.N.).
Behauptete Rechtsfehler eines Richters können die Besorgnis der Befangenheit ausnahmsweise dann rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ihn ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (BFH-Beschlüsse vom X B 99/88, BFH/NV 1989, 708; vom I B 155/92, BFH/NV 1994, 637; in BFH/NV 1997, 684, und in BFH/NV 2000, 956). Die Fehlerhaftigkeit muss ohne weiteres feststellbar und gravierend sein, sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen (BFH-Beschlüsse vom X B 4/88, BFH/NV 1989, 587; vom VIII B 59/91, BFH/NV 1993, 112; in BFH/NV 1994, 637, und in BFH/NV 1997, 684).
Derartige Gründe hat der Kläger nicht dargelegt. Er hat nicht substantiiert dargetan, dass die Beschlüsse über die Ablehnung der AdV der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide und über die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter sowie der Gerichtsbescheid offensichtlich fehlerhaft seien und auf unsachliche Erwägungen schließen ließen. Er hat sich mit der materiell-rechtlichen Argumentation des FG nicht unter Berücksichtigung der vom FG herangezogenen Vorschriften sowie der dazu vorhandenen Rechtsprechung und Literatur substantiiert auseinandergesetzt.
Die vom Kläger in der Beschwerdebegründung angeführten Äußerungen des Einzelrichters in der mündlichen Verhandlung können schon deshalb nicht zu einem Verfahrensfehler des FG führen, weil der Kläger das Ablehnungsgesuch darauf nicht gestützt hat. Bei der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch sind nur die in dem Gesuch vorgetragenen und ggf. später ergänzten Ablehnungsgründe zu berücksichtigen (Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 46 Rz 17).
bb) Im Beschluss über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs brauchte die Senatsbesetzung nicht begründet zu werden. Wenn der Kläger Zweifel hat, ob die gesetzlichen Richter tätig wurden, hätte er sich Aufklärung verschaffen und ggf. eigene Ermittlungen anstellen müssen, um auf der Grundlage der ihm erteilten Auskünfte oder der ihm möglichen Einsicht in die Regelungen über die Geschäftsverteilung Tatsachen darlegen zu können, die seiner Meinung nach den Besetzungsmangel begründen (vgl. BFH-Beschlüsse vom VIII R 69/94, BFH/NV 1995, 912; vom VIII R 70/93, BFH/NV 1997, 31, und vom IV R 32/00, BFHE 194, 346, BStBl II 2001, 651). Dies ist hier nicht geschehen.
cc) Die Vorentscheidung verstößt nicht deshalb gegen das Recht des Klägers auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), weil der Rechtsstreit im finanzgerichtlichen Verfahren auf den Einzelrichter (§ 6 Abs. 1 FGO) übertragen und von diesem entschieden worden ist. Die Übertragung eines Rechtsstreits auf den Einzelrichter kann nur dann als Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) angesehen werden, wenn sie auf einem groben Rechtsverstoß im Sinne einer greifbaren Gesetzwidrigkeit „beruht” (BFH-Beschlüsse vom V R 33/98, BFH/NV 1999, 815, und vom VIII B 184/04, BFH/NV 2005, 556).
Dies ist hier nicht der Fall. Der Kläger hat keine Tatsachen dargelegt und es sind auch keine Umstände ersichtlich, die die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter im Streitfall als fehlerhaft erscheinen lassen könnten. Insbesondere steht der Erlass eines Gerichtsbescheids durch den Berichterstatter (anders als eine bereits vor dem Senat durchgeführte mündliche Verhandlung —§ 6 Abs. 2 FGO—) der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter nicht entgegen. In der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter liegt auch keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Nach einer solchen Übertragung ist das rechtliche Gehör durch den Einzelrichter zu gewähren.
dd) Das FG hat nicht entgegen § 90 Abs. 1 Satz 1 FGO ohne mündliche Verhandlung entschieden. Den Beteiligten war die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung, die nach der Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs durchgeführt wurde, nicht verfahrensfehlerhaft versagt. Da der Einzelrichter nach der Übergabe des Ablehnungsgesuchs die mündliche Verhandlung ausweislich der Sitzungsniederschrift nur unterbrochen und darauf hingewiesen hatte, dass nach der Entscheidung über den Befangenheitsantrag ggf. vor einem anderen Spruchkörper weiter verhandelt werden könne, mussten die Beteiligten mit einer Fortsetzung der mündlichen Verhandlung nach der Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs noch am selben Tag rechnen. Wenn sie nicht mehr anwesend waren, begründet dies keinen Verfahrensmangel des FG, sondern ist von ihnen selbst zu verantworten.
ee) Finanzgerichtliche Urteile, die aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergehen, brauchen nicht nach § 104 Abs. 1 FGO verkündet zu werden. Sie können vielmehr gemäß § 104 Abs. 2 FGO statt der Verkündung auch zugestellt werden.
2. Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nrn. 1, 2 FGO)
a) Der Kläger sieht folgende Fragen als durch den BFH klärungsbedürftig an:
Sind Einnahmen aus einer Vermietung von Garagen, die nicht zum Betriebsvermögen einer der Umsatzversteuerung unterworfenen freiberuflichen Tätigkeit gehören, umsatzsteuerfrei zu belassen, soweit sie ihrerseits der Kleinunternehmerregelung des § 19 Abs. 1 UStG unterliegen (würden)?
Kann die Regelung des § 164 der Abgabenordnung (AO) von der Finanzverwaltung für eine rückwirkende Umsatzversteuerung von Einnahmen in Anspruch genommen werden, die außerhalb des Erklärungsbereichs einer umsatzsteuerlichen Betriebseinheit erzielt wurden und die das Erklärungsbewusstsein der (betrieblichen) Umsatzsteuererklärung nicht umfasst hat?
Läuft die Streichung des Wortes langfristig in § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG dem Sinn und Zweck der Richtlinie 77/388/EWG zuwider, soweit es um Wohnanlagen geht?
b) Die Ausführungen des Klägers dazu entsprechen nicht den Begründungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.
aa) Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache oder der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts verlangt substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich klärbar ist und deren Beurteilung zweifelhaft oder umstritten ist. Hierzu muss sich der Beschwerdeführer insbesondere mit der Rechtsprechung des BFH und den Äußerungen im Schrifttum auseinandersetzen (BFH-Beschlüsse vom V B 66/06, BFH/NV 2007, 2067, und vom VIII B 20/07, BFH/NV 2008, 25). Insbesondere sind Ausführungen erforderlich, aus denen sich ergibt, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und umstritten ist (BFH-Beschlüsse vom IV B 79, 80/01, BFHE 196, 30, BStBl II 2001, 837; vom II B 98/04, BFH/NV 2005, 1310; vom X B 162/06, BFH/NV 2007, 1501; vom X B 147/06, BFH/NV 2007, 2073, und vom X B 32/07, BFH/NV 2007, 2279).
bb) Derartige Ausführungen fehlen im Streitfall. Der Kläger hat sich weder mit den vom FG angeführten Vorschriften noch mit der dazu vorhandenen Rechtsprechung und Literatur substantiiert auseinandergesetzt und macht insbesondere nicht geltend, dass in Rechtsprechung oder Literatur von der Vorentscheidung abweichende Auffassungen vertreten würden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 611 Nr. 4
RAAAC-72623