Leitsatz
[1] Die Frist für einen Antrag auf Wiedereinsetzung nach Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beträgt nicht zwei Wochen sondern nach § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO einen Monat. Das Motiv des Gesetzgebers, der vermögenslosen Partei nach Gewährung von Prozesskostenhilfe ausreichend Zeit zur Begründung des Rechtsmittels einzuräumen, rechtfertigt es nicht, abweichend vom Wortlaut § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO auf andere Fälle einer Versäumung der Frist zur Begründung eines Rechtsmittels nicht anzuwenden.
Gesetze: ZPO § 234 Abs. 1 Satz 2 A
Instanzenzug: LG Limburg, 2 O 103/06 vom OLG Frankfurt/Main, 17 U 229/06 vom
Gründe
I.
Der Beklagte hat gegen das zugestellt am , am Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum mit Schriftsatz vom , beim Oberlandesgericht eingegangen am , begründet. Nachdem die Klägerin mit Schriftsatz vom auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen hatte, hat er am Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Seine Prozessbevollmächtigten II. Instanz haben dazu unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung von Rechtsanwalt S. im Wesentlichen ausgeführt: Die Berufungsbegründung sei am gefertigt, unterzeichnet, kuvertiert, frankiert und nachmittags in einen Briefkasten der Post geworfen worden. Nach den regelmäßigen Brieflaufzeiten sei mit einem Eingang der Berufungsbegründung beim Oberlandesgericht am folgenden Werktag, spätestens aber am zu rechnen gewesen. Die verzögerte Zustellung des Briefes mit der Berufungsbegründungsschrift durch die Deutsche Post AG erst am hätten der Beklagte und seine Prozessbevollmächtigten nicht zu vertreten.
Das Berufungsgericht hat den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und seine Berufung als unzulässig verworfen, da die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO beantragt und die Berufungsbegründung erst nach Ablauf der Begründungsfrist beim Oberlandesgericht eingegangen sei.
II.
1. Die gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde des Beklagten ist zulässig, da zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Indem das Berufungsgericht dem Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist verweigert hat, hat es das Verfahrensgrundrecht des Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Die Verfahrensgarantien des Grundgesetzes verbieten es, den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingerichteten Instanzen in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BVerfGE 74, 228, 234; BVerfG NJW 2005, 814, 815; BGHZ 151, 221, 227). Da das Berufungsgericht zu Unrecht (dazu unter 2. b) davon ausgegangen ist, das Wiedereinsetzungsgesuch des Beklagten sei nicht fristgerecht gestellt und die Berufungsbegründung nicht fristgerecht nachgeholt worden, hat es dem Beklagten den Zugang zur Berufungsinstanz ungerechtfertigt versagt.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
a) Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die bis zum verlängerte Frist zur Begründung der Berufung gegen das am zugestellte Urteil des Landgerichts bei Eingang der Berufungsbegründung am abgelaufen war.
b) Das Berufungsgericht hat aber den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu Unrecht als unzulässig verworfen. Der Beklagte hat seinen Wiedereinsetzungsantrag innerhalb der Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO gestellt und die Berufungsbegründung nachgeholt. Die Monatsfrist hat frühestens mit Eingang der Berufungserwiderung der Klägerin vom , in der die Verspätung der Berufungsbegründung geltend gemacht wurde, bei den Prozessbevollmächtigten des Beklagten begonnen.
Anders als das Berufungsgericht angenommen hat, beträgt die Frist für ein Wiedereinsetzungsgesuch bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht zwei Wochen, sondern gemäß § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO einen Monat nach Behebung des Hindernisses. Mit der Neuregelung des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO durch das Erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz vom (BGBl. I S. 2198) hat der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesmaterialien zwar in erster Linie das Ziel verfolgt, dem Rechtsmittelführer nach der Gewährung von Prozesskostenhilfe zur Begründung des Rechtsmittels eine Frist von einem Monat zur Verfügung zu stellen (BT-Drucks. 15/1508 S. 17). Dies rechtfertigt es aber nicht, § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO entgegen dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nur auf Fälle der nachträglichen Bewilligung von Prozesskostenhilfe anzuwenden. In den Gesetzesmaterialien heißt es ausdrücklich, durch die Gesetzesänderung solle "insbesondere" sichergestellt werden, dass nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe der Partei ein Monat Zeit für die Rechtsmittelbegründung bleibe. Daraus ist zu entnehmen, dass die verlängerte Frist nach dem Willen des Gesetzgebers auch in anderen Fällen als dem der nachträglichen Bewilligung von Prozesskostenhilfe gelten soll (BAG NZA 2005, 1262; s. auch OLG Zweibrücken FamRZ 2006, 1771; Hk-ZPO/Saenger, 2. Aufl. § 234 Rdn. 2). Für eine den Wortlaut missachtende einschränkende Auslegung des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO, wie sie in der Literatur vereinzelt befürwortet bzw. erwogen wird (vgl. Zöller/Greger, ZPO 26. Aufl. § 234 Rdn. 1; Knauer/Wolf NJW 2004, 2857, 2863), ist deshalb kein Raum. Das gilt besonders, da dem Gebot der Rechtsmittelklarheit bei der Auslegung gesetzlicher Vorschriften über Fristen besonderes Gewicht zukommt.
c) Das Wiedereinsetzungsgesuch des Beklagten ist auch begründet. Der Beklagte hat durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung von Rechtsanwalt S. glaubhaft gemacht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, die bis zum verlängerte Berufungsbegründungsfrist einzuhalten (§ 233 ZPO). Die Berufungsbegründungsschrift wurde bereits am Nachmittag des , einem Freitag, frankiert in einen Briefkasten der Post in W. geworfen. Angesichts der regelmäßigen Brieflaufzeiten durften die Prozessbevollmächtigten des Beklagten darauf vertrauen, die Berufungsbegründung werde am Sonnabend, dem , spätestens aber am Montag, dem und damit innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist beim Oberlandesgericht F. eingehen. Die danach verzögerte Zustellung der Berufungsbegründungsschrift durch die Deutsche Post AG, die erst am erfolgte, darf dem Beklagten nach ständiger Rechtsprechung nicht als Verschulden angerechnet werden (BVerfG NJW 1995, 1210, 1211; BVerfG NJW-RR 2000, 726; BGHZ 105, 116, 118 f.; , NJW 1998, 1870; , NJW 2003, 3712, 3713; , NJW 2007, 2278, 2279).
3. Dem Beklagten war daher Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung zu gewähren mit der Folge, dass die Verwerfung der Berufung gegenstandslos ist.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2008 S. 1164 Nr. 16
WM 2008 S. 711 Nr. 15
EAAAC-72516
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja