BFH Beschluss v. - XI R 46/06

Aufforderung zum Beitritt des BMF betreffend die Frist für Widerruf eines Verzichts auf Verlustrücktrag

Gesetze: EStG § 10d Abs. 1, FGO § 122

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zusammenveranlagte Eheleute. Für das Streitjahr 2001 erklärten sie einen Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 42 934 DM und Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 86 124 DM. Die Einkommensteuer für 2001 wurde erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt.

Für das Jahr 2002 erklärten die Kläger einen Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 91 719 € und Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 45 103 € und teilten mit, dass der Verlust nicht zurückgetragen, sondern in das Jahr 2003 vorgetragen werden solle. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) stellte mit Bescheid vom den verbleibenden Verlustvortrag auf den mit 46 616 € fest.

Die Einkommensteuererklärung für 2003 gaben die Kläger am ab. Gegen den Einkommensteueuerbescheid legten sie unter Hinweis auf das Urteil des erkennenden Senats vom XI R 27/03 (BFHE 204, 433, BStBl II 2004, 547) Einspruch ein und beantragten nunmehr, den Verlust aus dem Jahr 2002 in Höhe von 6 000 € auf das Jahr 2001 zurückzutragen. Sie hätten, als sie mit Schreiben vom beantragt hatten, von einem Verlustrücktrag abzusehen, nicht wissen können, wie sich der Verlustvortrag letztlich auswirken würde.

Im Einkommensteueränderungsbescheid für 2003 vom berücksichtigte das FA unter Hinweis auf R 115 Abs. 5 Satz 2 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 2001 wieder einen Verlustvortrag in Höhe von 46 616 €. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein bzw. beantragten erneut den teilweisen Rücktrag des 2002 nicht ausgeglichenen Verlustes in das Streitjahr 2001. Daraufhin erließ das FA einen „Ablehnungsbescheid”, gegen den die Kläger unter Hinweis auf das (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2001, 841) erfolglos Einspruch einlegten.

Das FG gab der Klage statt (EFG 2007, 401).

II. 1. Die Aufforderung des Senats an das Bundesministerium der Finanzen (BMF), dem Verfahren beizutreten, stützt sich auf § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

2. Im Streitfall ist die Rechtsfrage entscheidungserheblich, bis zu welchem Zeitpunkt ein ursprünglich gestellter Antrag, vom Verlustrücktrag abzusehen, (§ 10d Abs. 1 Satz 7 des Einkommensteuersteuergesetzes —EStG— i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002, heute § 10d Abs. 1 Satz 5 EStG), widerrufen werden kann.

a) Nach wohl einhelliger Auffassung im Schrifttum, die von der Finanzverwaltung im Grundsatz geteilt wird, kann der gesetzlich nicht fristgebundene Antrag nach § 10d Abs. 1 Satz 7 bzw. 5 EStG mangels einer Einschränkung im Gesetz widerrufen werden (vgl. z.B. Schmidt/Heinicke, EStG, 26. Aufl., § 10d Rz 27; Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10d EStG Rz 90; Schneider/Krammer in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 10d EStG Rz 60).

Nach R 115 Abs. 5 Satz 2 EStR 2001 (heute R 10d Abs. 3 Satz 3 EStR 2005) kann der Antrag, ganz vom Verlustrücktrag abzusehen, aber nur bis zur Bestandskraft des den verbleibenden Verlustvortrag feststellenden Bescheides nach § 10d Abs. 4 EStG widerrufen werden.

b) Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind Wahlrechte grundsätzlich nur bis zur Bestandskraft derjenigen Steuerfestsetzung auszuüben, auf welche sie sich auswirken sollen, und können regelmäßig erst wieder mit der Änderung dieser Bescheide ggf. neu ausgeübt werden (vgl. z.B. , BFHE 211, 221, BStBl II 2006, 66; vom III R 18/02, BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980; vom XI R 97/94, BFHE 189, 63, BStBl II 1999, 762; anders z.B. bei § 164 der AbgabenordnungAO#mdash; seit , BFH/NV 1987, 751; vgl. auch von Groll, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 10d Rz B 356; Schneider/Krammer in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 10d Rz 65).

Das FG ist der Auffassung, dass dieser Grundsatz im Streitfall nicht gilt, weil § 10d Abs. 1 Sätze 5 und 6 EStG nach der Rechtsprechung des BFH eigenständige Korrekturvorschriften i.S. des § 172 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. d AO außerhalb der AO sind, die es den Steuerpflichtigen bzw. den Finanzbehörden gerade ermöglichen sollen, eine durch Ablauf der Rechtsbehelfsfrist eingetretene Bestandskraft zu durchbrechen und daher die Regelung in R 115 Abs. 5 Satz 2 EStR 2001 nicht von § 10d Abs. 1 Sätze 5 und 6 EStG gedeckt sei. Es könne nicht auf die Bestandskraft des Verlustfeststellungsbescheides abgestellt werden, da dieser zum Zeitpunkt seines erstmaligen Ergehens den Vorstellungen der Beteiligten entsprochen habe und deswegen damals richtig gewesen sei. Solle die Korrekturvorschrift einen Sinn ergeben, so müsse eine Berichtigung eines Antrags hinsichtlich des Verlustrücktrags auch noch nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist möglich sein. Ansonsten wäre der Steuerpflichtige gezwungen, bei Sachverhalten, bei denen —wie im Streitfall— eine optimale Gestaltung hinsichtlich des Verlustrücktrags noch nicht abgesehen werden k#ouml;nne, entweder verspätete Einkommensteuererklärungen einzureichen oder vorsorglich die Bestandskraft der Bescheide durch Einlegung eines Einspruchs zu verhindern. Dies würde zu einem unnötigen Verwaltungsaufwand führen. Zudem sei es Ziel des Gesetzgebers bei der Einräumung des Wahlrechts beim Verlustrücktrag gewesen, den Steuerpflichtigen eine Gestaltungsmöglichkeit an die Hand zu geben, mit der die Steuerlast optimiert werden könne. Dem stünde eine kurze Antrags- bzw. Berichtigungsfrist entgegen, da eine Steueroptimierung häufig erst nach Ablauf von einigen Jahren abschließend beurteilt werden könnte.

3. Da nach einem Widerruf des Antrags, vom Verlustrücktrag abzusehen, im Prinzip der Verlustrücktrag i.S. des § 10d Abs. 1 Sätze 5 und 6 EStG (heute § 10d Abs. 1 S#auml;tze 3 und 4 EStG) „zu gewähren” ist, stellen sich insbesondere die Fragen, ob ein solches Auslegungsergebnis mit dem Sinn und Zweck dieser Korrekturvorschriften bzw. mit dem vom Gesetzgeber mit Einräumung des Wahlrechts verfolgten Zweck vereinbar ist und wie die Verknüpfung der Besteuerung im Verlustrücktragsjahr mit der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags des Folgejahres in R 115 Abs. 5 Satz 2 EStR 2001 (heute R 10d Abs. 3 Satz 3 EStR 2005) rechtssystematisch begründet wird.

Es wird möglicherweise auch der vom FG aufgeworfene Gesichtspunkt des „erhöhten Verwaltungsaufwands” zu berücksichtigen sein. In diesem Zusammenhang könnte insbesondere von Interesse sein, inwieweit sich der Verwaltungsaufwand, der sich nach Auffassung des FG auf Grund der R 115 Abs. 5 Satz 2 EStR 2001 ergibt, von dem unterscheidet, der die Folge der Entscheidung des FG wäre.

4. Der Senat ersucht das BMF dem Verfahren beizutreten.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 549 Nr. 4
EStB 2008 S. 135 Nr. 4
PAAAC-71416