BFH Urteil v. - VII R 49/06

Tabaksteuerschuldnerschaft für ohne Wissen des Fahrzeugführers versteckte Waren

Leitsatz

Der Fahrer eines Lastzugs „verbringt” im Sinne des TabStG Waren in das Steuergebiet und wird folglich Steuerschuldner auch dann, wenn die Waren ohne sein Wissen in dem Fahrzeug versteckt worden sind.

Gesetze: Richtlinie 92/12/EWG Art. 6 Abs. 2Richtlinie 92/12/EWG Art. 7Richtlinie 92/12/EWG Art. 9 Abs. 1TabStG § 12 Abs. 1TabStG § 19FGO § 118 Abs. 2

Instanzenzug:  VTa (ZfZ 2006, 380) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hat im Mai 2005 für seinen Arbeitgeber, eine Spedition, einen LKW-Transport mit Möbeln durchgeführt. Die Waren sind in Polen verladen und dem Kläger mit Frachtpapieren, die als Ladung Möbel nannten, übergeben worden, damit er sie zunächst zu einer Firma nach Hannover bringe. In den Möbeln waren, was der Kläger nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) nicht wusste, rund 8 000 Stangen Zigaretten aus dem freien Verkehr Polens versteckt. Diese wurden bei einer Kontrolle des Lastzugs durch eine mobile Kontrolltruppe des Beklagten und Revisionsklägers (Hauptzollamt —HZA—) entdeckt.

Der Kläger ist wegen dieses Vorgangs inzwischen vom Amtsgericht (AG) rechtskräftig wegen Steuerhehlerei verurteilt worden. Er ist vom HZA zunächst auf Tabak- und Einfuhrumsatzsteuer für die Zigaretten in Anspruch genommen worden. Nachdem der Bescheid wegen der Einfuhrumsatzsteuer aufgehoben worden ist, streiten die Beteiligten nur noch um die Tabaksteuer.

Das vom Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren deswegen angerufene FG hat dem Kläger wegen der versäumten Klagefrist Wiedereinsetzung gewährt, weil die Klageschrift dem FG erst „unerwartet” spät zugegangen sei, und den Steuerbescheid des HZA durch das in der Zeitschrift für Zölle und Verbrausteuern (ZfZ) 2006, 380 veröffentlichte Urteil aufgehoben. Es führt aus, es könne den tatsächlichen Feststellungen in dem Urteil des AG nicht folgen, weil es, soweit das AG geständige Einlassungen des Klägers angenommen habe, an Angaben darüber fehle, welcher Art diese Einlassungen gewesen sein sollen, und weil sich das AG nicht mit den Kläger entlastenden Umständen auseinandergesetzt habe.

Es sei danach davon auszugehen, dass der Kläger bis zu seinem Aufgriff nicht gewusst habe, dass sich in der Ladung versteckt Zigaretten befanden. Er sei daher nicht nach § 19 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) Steuerschuldner geworden, weil er nicht als Verbringer im Sinne dieser Vorschrift anzusehen sei. Verbringer sei nur derjenige, der wisse, dass er steuerpflichtige Ware in das Steuergebiet verbringt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom FG zugelassene Revision des HZA. Sie wird im Wesentlichen folgendermaßen begründet:

Die Steuer sei vorliegend nicht entsprechend Art. 7 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (System-Richtlinie, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften —ABlEG— Nr. L 76/1, mit Änderungen), sondern nach deren Art. 9 Abs. 1 entstanden, wonach eine Verbrauchsteuer entsteht, wenn die in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr überführten Waren zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat in Besitz gehalten werden. Art. 6 Abs. 2 System-Richtlinie überlasse es den Mitgliedstaaten, die Bestimmungen festzulegen, nach denen die Steuer erhoben und eingezogen wird; es habe dem deutschen Gesetzgeber freigestanden, insofern an den Vorgang des Verbringens anzuknüpfen. Dieser sei im TabStG nicht definiert und daher in Bezug auf Warenbewegungen mit Drittländern und mit Mitgliedstaaten nicht unterschiedlich auszulegen.

Allerdings sei der deutsche Gesetzgeber aufgrund von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 System-Richtlinie in seiner Gestaltungsfreiheit eingeschränkt, weil danach die Steuer nur von einer Person geschuldet werde, in deren Besitz sich die Ware zu gewerblichen Zwecken befindet. Die dafür erforderliche Sachherrschaft habe jedoch auch derjenige, der Sachen in einem Fahrzeug transportiert und eine von generellem Besitzwillen getragene tatsächliche Sachherrschaft ausübt.

Das HZA beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat sich zu der Revision nicht geäußert.

II.

Die Revision des HZA ist begründet und führt zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das Urteil des FG verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).

1. Der erkennende Senat geht bei der rechtlichen Würdigung davon aus, dass der Kläger bis zu seinem Aufgriff nicht wusste, dass sich in dem von ihm geführten LKW versteckt Zigaretten befanden. Denn der Senat ist gemäß § 118 Abs. 2 FGO an die diesbezügliche tatsächliche Feststellung des FG gebunden.

Eine solche Bindung besteht zwar nicht ausnahmslos; sie greift vielmehr nur ein, wenn die Feststellungen des FG, wenn auch nicht zwingend, so doch wenigstens möglich sind und auf einer verstandesmäßig einsichtigen und logisch nachvollziehbaren Beweiswürdigung beruhen (vgl. statt aller , BFH/NV 2005, 1009). Der erkennende Senat kann offenlassen, ob das Urteil des FG diesen Anforderungen genügt, insbesondere insoweit das FG meint, einen hinreichenden Anlass dafür zu haben, sich über das eigene vor dem Strafrichter abgegebene Geständnis des Klägers hinwegsetzen zu können. Denn selbst wenn die Feststellung des FG, dass der Kläger von den Zigaretten nichts gewusst hat, den erkennenden Senat bindet, verletzt seine Entscheidung Bundesrecht und erweist sich auch nicht als im Ergebnis richtig (§ 126 Abs. 4 FGO).

2. Der Rechtsansicht des FG, der Kläger sei nicht Schuldner der Tabaksteuer geworden, weil er von der Existenz der in seinem Fahrzeug versteckten Zigaretten, die er in das Steuergebiet gebracht hat, ohne bei dem Grenzübertritt eine Steuererklärung abzugeben, nichts gewusst habe, kann nämlich nicht gefolgt werden.

Werden Tabakwaren unzulässigerweise entgegen § 12 Abs. 1 TabStG aus dem freien Verkehr anderer Mitgliedstaaten zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht, entsteht die Steuer mit dem Verbringen in das Steuergebiet. Steuerschuldner ist, wer verbringt (§ 19 Sätze 1 und 2 TabStG).

Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind in der Person des Klägers erfüllt.

a) Nach § 12 Abs. 1 TabStG ist für Tabakwaren die Steuer durch Verwendung von Steuerzeichen zu entrichten; die Steuerzeichen müssen entwertet und an den Kleinverkaufspackungen angebracht sein, wenn die Steuer entsteht (§ 12 Abs. 1 TabStG). Dem ist im Streitfall offenkundig nicht entsprochen worden; die Zigaretten sind —ungeachtet der vom FG bezweifelten Steuerschuldnerschaft des Klägers— in das Steuergebiet verbracht worden, was keiner näheren Ausführung bedarf, und Steuerzeichen waren für sie nicht verwendet worden. Dies geschah ungeachtet der Vorstellungen des Klägers auch im Sinne der Vorschrift zu gewerblichen Zwecken, worauf noch zurückzukommen ist.

b) Der Kläger ist hinsichtlich dieses Vorgangs nach § 19 Satz 2 TabStG Steuerschuldner, weil er es ist, der die Zigaretten in das Steuergebiet verbracht hat.

Der Fahrer eines Lastzugs verbringt im Sinne des Zollkodex (ZK) Waren auch dann in das Zollgebiet der Gemeinschaft, wenn die Waren ohne sein Wissen in dem Fahrzeug versteckt worden sind (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften —EuGH— vom Rs. C-238/02 und 246/02, EuGHE 2004, I-2141). In gleicher Weise verbringt der Fahrer eines Lastzugs verbrauchsteuerpflichtige Waren in das Steuergebiet auch dann, wenn die Waren ohne sein Wissen in dem Fahrzeug versteckt worden sind. Denn es fehlt an jedem ernsthaften Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber des § 19 TabStG den Begriff des Verbringens in einem anderen Sinne als dem gebraucht haben sollte, den dieser Begriff nach der vorgenannten Entscheidung des EuGH im ZK der Gemeinschaft hat. Unbeschadet der Einwände, die gegen diese Begriffsauslegung erhoben worden sind, entspricht dieses Begriffsverständnis bzw. diese Bestimmung der Person dessen, der verbringt, dem herkömmlichen Verständnis, das bis zum Ergehen des Vorabentscheidungsersuchens des erkennenden Senats vom VII R 38/01 (BFH/NV 2002, 1191), durch das das vorgenannte Verfahren des EuGH eingeleitet worden ist, weitgehend unstrittig gewesen ist. Das Verbringen wurde als reine „Tathandlung” verstanden, d.h. als ein Tun, das bewirkt, dass Waren in das Gebiet eines anderen Staates (Zollgebiet, Zollgebiet der Gemeinschaft, Steuergebiet) gelangen; auf Vorstellungen oder Verschulden des Handelnden wurde nicht abgestellt, dass die betreffenden Waren durch Dritte möglicherweise ohne Wissen des Fahrzeugführers in dem Fahrzeug untergebracht worden sind, wurde als entscheidungsunerheblich angesehen (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom VII B 71/94, BFH/NV 1996, 375;  VTa,Z,EU, ZfZ 2000, 315; Witte, Zollkodex, 3. Aufl. 2002, Art. 202 Rz 18 sowie Witte/Kampf, ebenda, Art. 38 Rz 4). Das Urteil des FG enthält keine Angaben dazu, weshalb das FG meint annehmen zu können, dass der Gesetzgeber des TabStG dem im Zollrecht seit jeher geläufigen Begriff des Verbringens eine andere, hiervon und damit vom Zollrecht abweichende Bedeutung beigelegt haben sollte. Dafür ist auch sonst nichts erkennbar.

c) Das Gemeinschaftsrecht, insbesondere die vorgenannte System-Richtlinie, zwingen zu einer solchen vom Zollrecht und vom herkömmlichen Verständnis abweichenden Auslegung des Begriffes nicht. Ungeachtet der Frage, ob bei Fallkonstellationen wie der vorliegenden Art. 7 Abs. 3 System-Richtlinie einschlägig ist —wie das FG meint— oder Art. 9 Abs. 1 System-Richtlinie —wie die Revision geltend macht—, schließen das Gemeinschaftsrecht und eine ihm entsprechende Auslegung des § 19 TabStG die Annahme einer Steuerschuldnerschaft des Klägers nicht aus. Das Gemeinschaftsrecht knüpft die Steuerschuldnerschaft allerdings in beiden vorgenannten Vorschriften an den „Besitz”, nämlich in Art. 7 Abs. 3 System-Richtlinie an den Besitz einer zur Lieferung bestimmten Ware und in Art. 9 Abs. 1 System-Richtlinie in sonstigen (Nicht-Lieferungs-)Fällen. Der Kläger hatte indes im Sinne dieser Vorschriften „Besitz” an den in seinem Fahrzeug versteckten Zigaretten.

aa) Der Begriff des Besitzes ist allerdings im Gemeinschaftsrecht nicht definiert; auch die Rechtsprechung des EuGH hat es, soweit ersichtlich, bisher nicht unternommen, die Elemente dieses Begriffes herauszuarbeiten. Gleichwohl steht außer Zweifel, dass zumindest ein entscheidendes Element des Besitzes im Sinne der System-Richtlinie die Möglichkeit ist, über eine Sache oder eine Sachgesamtheit die tatsächliche Herrschaft („Sachherrschaft”) ausüben zu können.

Bei der Bestimmung des (verbrauchsteuerrechtlichen) Abgabenschuldners geht es dem Gemeinschaftsrecht darum, denjenigen in Anspruch nehmen zu können, in dessen unmittelbarer Obhut eine Ware sich befindet und der deshalb anhand objektiver Umstände relativ leicht ausgemacht und zur steuerrechtlichen Verantwortung gezogen werden kann. Dem entspricht, dass der EuGH in seinem Urteil in EuGHE 2004, I-2141 für die Begründung der Zollschuldnerschaft entscheidend auf die (zollrechtliche) Verantwortlichkeit derjenigen abgestellt hat, die die „Herrschaft” über das Fahrzeug haben, in dem sich Waren befinden, nämlich der Fahrer und Beifahrer sowie andere sich im Fahrzeug befindende Personen, die hinsichtlich der Verbringung der Waren Verantwortung tragen; der EuGH hat dabei sogar ersichtlich für bedeutungslos gehalten, ob die Betreffenden diese Herrschaft und die daraus folgende Verantwortlichkeit im Interesse eines anderen und im Rahmen eines diesbezüglichen Abhängigkeitsverhältnisses ausüben (zu den hinsichtlich einer Abgabenschuldnerschaft des Besitzherrn erforderlichen gemeinschaftsrechtlichen Voraussetzungen vgl. , EuGHE 2004, I-8633).

Der erkennende Senat vermag deshalb auch keinen für die Entscheidung ausschlaggebenden Gesichtspunkt daraus zu gewinnen, dass, wie das FG meint, das Verbrauchsteuerrecht anders als das Zollrecht nicht auf eine umfassende Überwachung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs angelegt sei. Die Erwägung des EuGH, dass der ZK Personen, die ein Transportmittel in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbringen, das geeignet ist, Waren zu enthalten, eine ganz bestimmte Verantwortlichkeit auferlege, nämlich dahin, der Zollbehörde Mitteilung über alle in das Zollgebiet verbrachten Waren und somit auch über versteckte Waren zu machen, gilt nämlich unbeschadet des Fehlens entsprechender Grenzkontrollen im Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten und den Besonderheiten der Tabaksteuerentrichtung durch Verwendung von Steuerzeichen ganz genau so für das Verbrauchsteuerrecht; sowohl die System-Richtlinie als auch das TabStG lassen grundsätzlich nicht zu, dass verbrauchsteuerpflichtige Waren aus einem anderen Mitgliedstaat, mögen sie dort auch bereits einer entsprechenden Verbrauchsteuer unterworfen worden sein, (zu gewerblichen Zwecken) in einen Mitgliedstaat ohne Entrichtung der dortigen Verbrauchsteuern gelangen, und sie wollen u.a. denjenigen als Steuerschuldner in Anspruch nehmen, der dafür aufgrund seines Besitzes an der Ware als verantwortlich angesehen werden kann bzw. dies bewirkt („verbringt”), ohne dass die dadurch entstehende Steuerschuld entsprechend § 12 TabStG beglichen worden ist.

Dass dem Führer eines Fahrzeugs die Möglichkeit der Sachherrschaft über sein Fahrzeug und alle in ihm befindlichen Gegenstände nicht fehlt, bedarf keiner Ausführung, sondern zur Klarstellung allenfalls der Einschränkung, dass sich diese Sachherrschaft nicht auf von mitfahrenden Personen als persönliches Gepäck gleichsam in einer Besitzenklave aufbewahrte Sachen erstreckt (vgl. Senatsurteil vom VII R 20/98, ZfZ 1999, 126; zu Gepäckstücken, zu denen sich ein Besitzer nicht bekennt vgl. Senatsbeschluss vom VII S 7/05 (PKH), ZfZ 2006, 93).

bb) Im deutschen Zivilrecht erschöpft sich der Besitzbegriff freilich nicht in der Sachherrschaft, sondern enthält ein zusätzliches subjektives Element, nämlich den Willen, über eine Sache oder Sachgesamtheit die Sachherrschaft auszuüben („Besitzwille”). Es bedarf indes in diesem Verfahren keiner grundsätzlichen und abschließenden Klärung, ob und gegebenenfalls in welchem Sinne die System-Richtlinie mit dem Besitzbegriff ebenfalls auf einen solchen Besitzwillen abstellt. Es trifft nämlich jedenfalls nicht zu, dass ein Fahrzeugführer nur insoweit Besitzwillen hat, wie seine Kenntnis von der Zusammensetzung seiner Ladung reicht, dass also sein Besitzwille anders als seine Sachherrschaft sich nur auf solche Gegenstände bezöge, von deren Vorhandensein oder gar von deren Beschaffenheit er weiß. Im Gegenteil pflegt sich jedenfalls der Fahrer eines LKW mitunter gar keinen Begriff davon zu machen, welche Waren etwa auf Veranlassung seines Arbeitgebers in seinem Fahrzeug verladen worden sein mögen, ohne dass dies rechtfertigen könnte, ihm den Besitzwillen an Fahrzeug und Ladung in ihrer Gesamtheit abzusprechen. Denn der Besitz im Sinne einer von Besitzwillen getragenen Sachherrschaft bezieht sich auf diese Gesamtheit, was immer zu ihr gehören mag; wer Sachen in seiner tatsächlichen Gewalt hat, wird nämlich im Allgemeinen eine eigenmächtige Einwirkung Dritter auf dieselben nicht dulden wollen, wobei sich ein solcher Besitzwille im täglichen Leben vielfach nicht auf bestimmte Gegenstände richtet, deren Art und Existenz der Besitzer gewiss ist, sondern sich als genereller Besitzwille auf die in einem Raum oder in einem Behältnis wie einem LKW befindlichen Sachen bezieht (vgl. zum Begriff im Sinne des deutschen Zivilrechts , Monatsschrift für Deutsches Recht 1971, 211, und vom VIII ZR 379/86, BGHZ 101, 186 zu in einem Geschäftslokal verlorenen Sachen).

cc) Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das Gemeinschaftsrecht bei einer insofern offenbar vom FG für geboten erachteten „weniger rechtstechnischen” Auslegung des Besitzbegriffes eine engere Beschränkung des Besitzwillens auf solche Gegenstände geböte, von denen der Besitzer weiß. Erst recht ist es nicht gerechtfertigt anzunehmen, im Sinne der System-Richtlinie fehle es am Besitz einer Person bei Gegenständen, die sich als Ladung in einem in deren Besitz befindlichen Lastfahrzeug befinden, wenn und insoweit die betreffende Person nicht weiß, um welche Gegenstände es sich handelt. Im Gegenteil: Das Ziel der schuldrechtlichen Bestimmungen der System-Richtlinie, nämlich die Möglichkeit einer Abgabenerhebung für ohne Steuererhebung in einen anderen Mitgliedstaat gelangte verbrauchsteuerpflichtige Waren in jedem Falle zu gewährleisten, wäre sonst ebenso gefährdet oder sogar kaum erreichbar, wie dies bei der Einfuhr verbrauchsteuerpflichtiger Waren hinsichtlich des Zolls, aber auch der bei einer Einfuhr jeweils einschlägigen Verbrauchsteuern der Fall ist, in welchem Zusammenhang die Kenntnis des Fahrzeugführers von der Zusammensetzung seiner Ladung, wie erwähnt, keine Rolle spielt.

Ein Besitzverhältnis im Sinne der einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften hat dementsprechend auch die bisherige Rechtsprechung des erkennenden Senats dann angenommen, wenn eine tatsächliche Herrschaft der Person über die Sache besteht und diese von dem Besitzwillen der betreffenden Person getragen ist (Senatsurteil vom VII R 57/97, BFH/NV 1998, 893). Der Senat hat insbesondere ein solches Besitzverhältnis auch bei dem Führer eines LKW bejaht, der lediglich für andere „im Rahmen eines Abhängigkeitsverhältnisses” einen Transport durchführt (Beschluss vom VII B 211/98, BFH/NV 2000, 102), der also möglicherweise im Sinne des deutschen Zivilrechts nicht einmal als Besitzer anzusehen ist; denn § 855 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) spricht demjenigen die Stellung eines Besitzers ab und erklärt ihn zum bloßen „Besitzdiener”, der die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen „in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis ausübt, vermöge dessen er den sich auf die Sache beziehenden Weisungen des anderen Folge zu leisten hat”. Das Gemeinschaftsrecht kennt indes jedenfalls in dem hier interessierenden Zusammenhang des Verkehrs mit verbrauchsteuerpflichtigen Waren den Begriff des Besitzdieners, soweit ersichtlich, nicht. Abgesehen davon ist es gerechtfertigt Abhängigkeitsverhältnisse verbrauchsteuerschuldrechtlich unberücksichtigt zu lassen, weil die von § 855 BGB und der Rechtsfigur der Besitzdienerschaft bezweckte Beschränkung der (Besitz-)Rechte für die Bestimmung des Verbrauchsteuerschuldners keine Bedeutung haben kann, nachdem die System-Richtlinie, wie ausgeführt, denjenigen zur Verbrauchsteuer heranziehen will, der die Sachherrschaft über die betreffenden Gegenstände ausübt und für die zuständige Behörde dadurch in der Regel am leichtesten und sichersten zur Verantwortung gezogen werden kann.

d) Die Steuerschuldnerschaft des Klägers nach § 19 TabStG ist schließlich auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil es daran fehlte, dass die Waren im Sinne dieser Vorschrift zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht worden sind. Das Fehlen gewerblicher Zwecke lässt sich nämlich nicht, wie das FG meint, mit der Erwägung begründen, der Kläger habe, weil er von der Existenz der Zigaretten nichts gewusst habe, mit dem Verbringen gewerbliche Zwecke im Hinblick auf die Zigaretten gar nicht verfolgen können. Diese Argumentation verkennt, dass § 19 TabStG nicht voraussetzt, dass derjenige, der die Waren in das Steuergebiet verbringt, selbst im Hinblick auf die Waren gewerbliche Zwecke verfolgt; er stellt vielmehr darauf ab oder lässt jedenfalls genügen, dass die Waren nach ihrem Verbringen im Steuergebiet zu gewerblichen Zwecken verwendet werden sollen, mag derjenige, der sie in das Steuergebiet verbringt, sich darüber auch keine Vorstellungen machen oder darüber sogar im Irrtum sein. Dem entspricht es, wenn der (ZfZ 2007, 19) davon spricht, dass Waren, deren Besitz nicht persönlichen Zwecken diene, notwendigerweise als Waren anzusehen seien, die sich zu kommerziellen Zwecken in dem anderen Mitgliedstaat befinden (Rdnr. 29 und 51), und dass der EuGH aus den objektiven Umständen, nämlich dass Waren von einem Beförderungsunternehmen in einen anderen Mitgliedstaat verbracht werden —und nicht etwa aufgrund der subjektiven Absichten oder Vorstellungen des Verbringers—, auf ihren gewerblichen Verwendungszweck schließt.

3. Es bedarf in diesem Verfahren keiner Entscheidung, ob der Auftraggeber des Klägers als Hintermann des Zigarettenschmuggels, für welchen der Kläger demnach die steuerschuldrechtliche Verantwortung trägt, ebenfalls Schuldner der Tabaksteuer geworden ist und gegebenenfalls neben dem Kläger hätte in Anspruch genommen werden können und ob er unter Umständen sogar —schon aufgrund seiner mutmaßlich größeren Zahlungsfähigkeit— vorrangig hätte in Anspruch genommen werden sollen.

Da sich das HZA dabei der durch die Verordnung (EG) Nr. 2073/2004 des Rates vom über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Verbrauchsteuern (ABlEG Nr. L 359/1) geschaffenen Instrumente der Amtshilfe hätte bedienen können, dürfte zwar die Erhebung der Steuer in dieser Weise nicht von vornherein aussichtslos gewesen sein. Rechte des Klägers sind indes nicht dadurch verletzt worden, dass das HZA es anscheinend unterlassen hat, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen und zu verfolgen. Die Entscheidung, welcher von mehreren Steuerschuldnern in Anspruch genommen werden soll, steht im Ermessen des HZA. Allerdings hat der Steuerschuldner nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom VII R 20/02, BFHE 207, 565) ein subjektives Recht darauf, dass das HZA bei dieser Ermessensentscheidung in Erwägung zieht, welche weiteren Steuerschuldner vorhanden sind, ob die Forderung gegen diese durchgesetzt werden könnte und ob eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Abwägung dafür spricht, vornehmlich oder zumindest kumulativ diese in Anspruch zu nehmen. Die Ermessensentscheidung ist jedoch in der Regel im Sinne einer abgabenrechtlichen Inanspruchnahme des Steuerstraftäters vorgeprägt; mehrere Gesamtschuldner, die sich einer vorsätzlichen Steuerstraftat schuldig gemacht haben, stehen bei der Ausübung des behördlichen Auswahlermessens grundsätzlich gleichrangig nebeneinander, weshalb es in solchen Fällen einer besonderen Begründung des Auswahlermessens nicht bedarf (Senatsurteil vom VII R 17/03, BFHE 204, 380).

Auch im Streitfall war die Ermessensentscheidung in diesem Sinne dahin vorgeprägt, dass der Kläger in Anspruch genommen werden durfte, ohne dass die Inanspruchnahme des offenbar in Polen ansässigen Hintermannes des Schmuggels hätte in Betracht gezogen werden müssen. Der Kläger ist zwar —nach den Feststellungen des FG— kein Steuerstraftäter. Er hat sich jedoch durch sein vor dem Strafrichter abgelegtes Geständnis einer Steuerstraftat selbst bezichtigt. Diesem —bis zum Abschluss des Einspruchsverfahrens nicht widerrufenen— Geständnis musste das HZA nicht etwa misstrauen und gleichwohl vor einer Inanspruchnahme des Klägers für die hinterzogene Tabaksteuer Ermessenserwägungen dazu anstellen, ob die Steuerforderung nicht vorrangig gegen den oder die Organisatoren des Schmuggels mit Amtshilfe der Behörden eines fremden Staates durchzusetzen wäre.

4. Da der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), ist die Klage abzuweisen und das dem entgegenstehende Urteil des FG aufzuheben.

Fundstelle(n):
BB 2008 S. 359 Nr. 8
BFH/NV 2008 S. 499 Nr. 3
DB 2008 S. 566 Nr. 11
DStRE 2008 S. 380 Nr. 6
HFR 2008 S. 606 Nr. 6
NWB-Eilnachricht Nr. 9/2008 S. 718
StB 2008 S. 63 Nr. 3
StBW 2008 S. 5 Nr. 4
DAAAC-70409