Leitsatz
[1] Nach Zulassung der Revision ist eine gesonderte Revisionsbegründung - sei es auch nur in Form einer Bezugnahme gemäß § 551 Abs. 3 Satz 2 ZPO - stets notwendig, und zwar auch dann, wenn bereits die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde die gemäß § 551 Abs. 3 Satz 1 ZPO für eine Revisionsbegründung erforderlichen Elemente enthält (entgegen - NJW 2004, 2981).
Gesetze: ZPO § 544 Abs. 6 Satz 3; ZPO § 551 Abs. 3 Satz 2
Instanzenzug: LG München I 6 O 184/00 vom OLG München 9 U 3622/05 vom
Gründe
I.
Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat am nach rechtzeitig eingelegter Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb der verlängerten Frist zur Begründung der Beschwerde einen mit "Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde und Revisionsbegründung" überschriebenen Schriftsatz eingereicht. Unter der Überschrift "A. Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde" hat er Zulassungsgründe geltend gemacht. Unter der Überschrift "B. Revisionsbegründung" hat er für den Fall der Zulassung der Revision einen Revisionsantrag formuliert und im Übrigen zur Begründung auf seine Ausführungen zur Nichtzulassungsbeschwerde verwiesen. Der Senat hat mit Beschluss vom die Revision teilweise zugelassen. Der Zulassungsbeschluss ist dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am zugestellt worden. Eine Revisionsbegründung ist bislang nicht eingegangen.
II.
Der IV. Zivilsenat hat durch Urteil vom (IV ZR 140/03 - NJW 2004, 2981) entschieden, dass die aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde zugelassene Revision nicht erst innerhalb der mit Zustellung des Zulassungsbeschlusses in Lauf gesetzten Revisionsbegründungsfrist durch Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde oder durch davon unabhängige, auch zusätzliche Ausführungen begründet werden müsse. Vielmehr könne eine den Anforderungen des § 551 Abs. 3 Satz 1 ZPO genügende Revisionsbegründung auch schon vor dem Lauf der Revisionsbegründungsfrist, zum Beispiel in dem Schriftsatz gegeben werden, mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde begründet werde.
Der III. Zivilsenat vermag sich dieser Auffassung nicht anzuschließen (ablehnend auch: Büttner NJW 2004, 3524; Kummer juris PR BGH-ZivilR 34/2004 Anm. 5 unter E; distanzierend: MünchKommZPO/Wenzel, 3. Aufl., 2007, § 551 Rn. 4; anders wohl auch Zöller/Gummer, ZPO, 26. Aufl., § 551 Rn. 16). Einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen nach § 132 Abs. 2 GVG bedarf es nicht, da der IV. Zivilsenat auf Anfrage mitgeteilt hat, an seiner Rechtsprechung nicht mehr festhalten zu wollen.
1. Für die Ansicht des erkennenden Senats sprechen der Wortlaut und die Systematik des Gesetzes (so auch Büttner aaO S. 3525). Das Gesetz geht, wie sich aus § 544 ZPO ergibt, von einer klaren Trennung zwischen dem Zulassungs- und dem Revisionsverfahren aus (vgl. auch Begründung des Entwurfs der Bundesregierung des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722 S. 106). Mit der positiven Zulassungsentscheidung ist das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beendet. Es schließt sich das Revisionsverfahren an mit der Maßgabe, dass die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision gilt (§ 544 Abs. 6 Satz 2 ZPO) gilt. Allerdings sieht die Zivilprozessordnung vor, dass auch nach vorangegangenem Zulassungsverfahren eine Revisionsbegründung erforderlich ist (vgl. § 544 Abs. 6 Satz 3 ZPO; BT-Drs. aaO). Dies ist im Übrigen auch deshalb sinnvoll, weil die Zulassungs- und die Revisionsgründe nicht identisch sein müssen und oftmals auch nicht sind (BT-Drs. aaO).
Dass das Gesetz - der Systematik der Trennung von Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahren konsequent folgend - eine gesonderte Revisionsbegründung auch in den Fällen fordert, in denen die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung bereits sämtliche erforderlichen Elemente einer Revisionsbegründung (§ 551 Abs. 3 Satz 1 ZPO) enthält, ergibt sich insbesondere aus § 551 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Darin ist für diese Fälle vorgesehen, dass in Abweichung von den Anforderungen des § 551 Abs. 3 Satz 1 ZPO zur Revisionsbegründung eine Bezugnahme auf die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung genügt. Das Gesetz erleichtert damit die Erstellung der Revisionsbegründung, um die unnötige Wiederholung des Inhalts der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung zu vermeiden. Lässt § 551 Abs. 3 Satz 2 ZPO unter den darin bestimmten Voraussetzungen die Bezugnahme genügen, ergibt sich hieraus aber zugleich der Umkehrschluss, dass eine gesonderte Revisionsbegründung nach Zulassung der Revision - sei es auch nur in Form einer Bezugnahme - stets notwendig ist.
2. Das Erfordernis einer - gegebenenfalls auch nur aus einer Bezugnahme bestehenden - eigenständigen Revisionsbegründung nach Revisionszulassung bedeutet auch nicht eine reine Formalie, sondern entspricht praktischen Notwendigkeiten. Dies zeigt der Blick auf die Folgeprobleme, die sich für die Frist zur Einlegung der Anschlussrevision ergäben, wenn die gesonderte Revisionsbegründung entbehrlich wäre (siehe hierzu auch Büttner aaO, S. 3526; Kummer aaO).
Nach § 554 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 ZPO ist die Anschließung bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung zu erklären und zu begründen. Die Anknüpfung an die Zustellung der Revisionsbegründung versagt, wenn eine solche nach Zulassung des Rechtsmittels nicht mehr abgegeben wird.
Dem lässt sich nicht entgegenhalten, in diesen Fällen beginne die Frist für eine Anschlussrevision des Revisionsbeklagten mit Zustellung des Zulassungsbeschlusses. Ergänze der Revisionsführer seine Revisionsbegründung innerhalb der mit Zustellung des Zulassungsbeschlusses beginnenden Revisionsbegründungsfrist, verlängere sich die Frist für die Anschlussrevision entsprechend (so aber aaO).
Gegen diese Lösung spricht zum einen, dass sie sich nicht aus dem Gesetz ergibt, vielmehr praeter legem entwickelt werden muss, während gerade Fristbestimmungen im Interesse der Rechtssicherheit klar überschaubar und leicht handhabbar sein müssen (z.B.: Senatsurteile BGHZ 162, 175, 180; 171, 33, 37, Rn. 27; Büttner aaO), so dass sie sich unschwer aus dem Gesetz herleiten lassen sollten.
Zum anderen trüge die Lösung über dieses allgemeine Bedenken hinaus eine erhebliche Unsicherheit in das Verfahren hinein, die im Hinblick auf die vom Anwalt des Revisionsbeklagten zu beachtende Sorgfalt im Ergebnis auf eine im Gesetz nicht vorgesehene Verkürzung der Anschlussrevisionsfrist hinausliefe. Der Revisionsbeklagte kann nicht absehen, ob der Revisionskläger nach Zulassung des Rechtsmittels noch einen weiteren Schriftsatz einreichen und ob er darin weitere Revisionsgründe vortragen wird. Er kann deshalb nicht überschauen, ob es für die Frist zur Einlegung der Anschlussrevision auf die Zustellung des Zulassungsbeschlusses ankommt oder ob sich diese Frist, weil infolge einer (ergänzenden) Revisionsbegründung wieder § 554 Abs. 2 Satz 2 ZPO maßgeblich wird, verlängern wird. Der Anwalt des Revisionsbeklagten muss sich schon mit Rücksicht auf Haftungsrisiken deshalb immer darauf einrichten, eine Anschlussrevision bereits innerhalb eines Monats nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses einzulegen und zu begründen (Kummer aaO). Dies kann sogar dazu führen, dass der Revisionsbeklagte entgegen § 554 Abs. 2 Satz 2 ZPO und in Widerspruch zu dem systematischen Zusammenhang zwischen Revision und Anschlussrevision dazu genötigt wird, seine Anschlussrevision einzulegen und zu begründen, bevor der Revisionskläger seine Revision (ergänzend) begründet hat. Nach der bislang vom IV. Zivilsenat befürworteten Lösung hat der Revisionsbeklagte ab Zustellung des Zulassungsbeschlusses einen Monat Zeit, seine Anschlussrevision einzulegen und zu begründen. Demgegenüber stehen dem Revisionskläger gemäß § 544 Abs. 6 Satz 3 ZPO i.V.m. § 551 Abs. 2 Satz 2 ZPO zwei Monate ab Zustellung des Zulassungsbeschlusses zur Verfügung, um eine (ergänzende) Revisionsbegründung einzureichen.
Hinzu tritt, dass nicht immer klar zu beurteilen ist, ob eine Nichtzulassungsbeschwerdebegründung den Anforderungen an eine Revisionsbegründung genügt. Weder fordert § 551 Abs. 3 Satz 1 ZPO die Überschrift "Revisionsbegründung" noch müssen Revisionsanträge ausdrücklich formuliert werden. In Grenzfällen bleibt damit unklar, ob die Frist für die Anschlussrevision bereits mit Zustellung des Zulassungsbeschlusses zu laufen beginnt oder erst nach Maßgabe des § 554 Abs. 2 Satz 2 ZPO (vgl. auch Büttner aaO S. 3526; Kummer aaO). Auch in diesen Fallgestaltungen hat sich der Revisionsbeklagte vorsorglich auf die Monatsfrist nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses einzurichten, was wiederum auf eine im Gesetz nicht vorgesehene Verkürzung der Anschlussrevisionsfrist hinauslaufen kann.
Als andere Möglichkeit zur Lösung der Anschlussfristproblematik kann in Betracht gezogen werden, für den Beginn der Anschlussrevisionsfrist nicht auf die Zustellung des Zulassungsbeschlusses abzustellen, sondern auf den Ablauf der Revisionsbegründungsfrist (§ 544 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. § 551 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Hierdurch wäre zwar ausgeschlossen, dass der Revisionsbeklagte gezwungen wird, eine Anschlussrevision einzulegen und zu begründen, bevor der Revisionskläger seine (ergänzende) Revisionsbegründung eingereicht hat. Allerdings ist der Ablauf dieser Frist für den Revisionsbeklagten unklar, da er nicht wissen kann, wann der Zulassungsbeschluss dem Revisionskläger zugestellt wurde und damit die Revisionsbegründungsfrist zu laufen begann. Hinzu tritt, dass es sich auch hierbei um eine Lösung praeter legem handelt, die mit der im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsmittelklarheit notwendigen einfachen Handhabbarkeit von Fristen nicht zu vereinbaren ist.
Weiterhin ist denkbar, die Anschlussrevision unbeschränkt zuzulassen, das heißt bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. Büttner aaO, S. 3527). Dies würde aber dem Sinn des § 554 Abs. 2 Satz 2 ZPO widersprechen, der für alle Beteiligten eine sorgfältige und umfassende Vorbereitung der Verhandlung vor dem Revisionsgericht gewährleisten soll.
3. Die vom erkennenden Senat vertretene Auffassung befindet sich überdies im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundessozialgerichts, für die § 544 und § 551 ZPO entsprechende Vorschriften gelten (§§ 132, 133, 139 Abs. 2 und 3 VwGO; §§ 160, 160a, 164 Abs. 2 SGG). Beide anderen Obersten Gerichtshöfe haben den Verzicht auf eine Revisionsbegründung, wenn bereits die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung die erforderlichen Elemente enthält, nicht erwogen. Sie halten eine gesonderte Revisionsbegründung auch in diesen Fällen für erforderlich und erörtern in einschlägigen Entscheidungen lediglich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine § 551 Abs. 3 Satz 2 ZPO entsprechende Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde die Anforderungen an eine Revisionsbegründung erfüllt (z.B.: BVerwGE 107, 117, 121 [auch zur Zulassungsberufung]; BVerwG NJW 2006, 3081 Rn. 3; Urteil vom - 7 C 14/00 - juris Rn. 10; ferner zur Zulassungsberufung, § 124a VwGO: Beschlüsse vom - 6 B 77/05 - juris Rn. 5 und vom - 5 B 26/05 - juris Rn. 4 f unter Auseinandersetzung mit dem Urteil des IV. Zivilsenats vom ; BSG, Beschlüsse vom - B 9 SB 4/99 R - juris Rn. 7 und vom - 2 RU 14/96 - juris Rn. 19).
4. Der Senat weist darauf hin, dass den Klägern auf entsprechenden Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sein wird, da ihrem Prozessbevollmächtigten ein Verschulden wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist nicht zur Last fällt. Er durfte im Hinblick auf das Urteil des IV. Zivilsenats vom (aaO) darauf vertrauen, dass er mit seiner Verfahrensweise die Revisionsbegründungsfrist wahrte.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2008 S. 588 Nr. 9
NAAAC-68807
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja