Keine Bindung an geltend gemachten Revisionszulassungsgrund bei Vorliegen eines Verfahrensmangels; Auslegung eines Einspruchs gegen einen Gewerbesteuermessbescheids
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 116 Abs. 6, GewStG § 5 Abs. 1, BGB § 133, GG Art. 19 Abs. 4
Instanzenzug:
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Finanzgericht (FG) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung —FGO—), soweit das FG die Klage der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) abgewiesen hat.
1. Der Senat versteht das Vorbringen der Klägerin dahin, dass sie geltend macht, das FG habe zu Unrecht durch Prozessurteil entschieden. Darin liegt die Rüge eines Verfahrensmangels i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) stellt es einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, wenn über eine Klage objektiv fehlerhaft nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird (z.B. , BFH/NV 1994, 891, und , BFH/NV 2007, 1921, jeweils m.w.N.).
Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin ihre Beschwerde auf einen anderen Zulassungsgrund gestützt hat. Es ist nämlich anerkannt, dass keine Bindung an den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Zulassungsgrund besteht, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde auf Divergenz gestützt wird, der dargestellte Sachverhalt jedoch das Vorliegen eines Verfahrensmangels ergibt (vgl. , BFH/NV 2003, 1208, m.w.N.).
2. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt auch vor. Das FG hat die Klage gegen den Gewerbesteuermessbescheid zu Unrecht als unzulässig abgewiesen.
Zwar ist das FG an einer Sachprüfung gehindert und muss die Klage durch Prozessurteil abweisen, wenn der angegriffene Steuerbescheid formell bestandskräftig geworden ist, weil er nicht innerhalb der Einspruchsfrist angefochten worden ist (vgl. z.B. , BFHE 160, 123, BStBl II 1990, 696, und vom IV R 35/04, BFH/NV 2007, 1509). Im Streitfall hat die Klägerin den Gewerbesteuermessbescheid jedoch entgegen der Auffassung des FG wirksam angefochten.
a) Der Gewerbesteuermessbescheid konnte an die Klägerin adressiert werden.
Steuerschuldner und damit Beteiligter am gewerbesteuerlichen Verwaltungsverfahren ist gemäß § 5 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) der Unternehmer. Ist die Tätigkeit einer Personengesellschaft —hier die Klägerin als GmbH & Co. KG— Gewerbebetrieb, so ist Steuerschuldner die Gesellschaft (§ 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG).
Eine Personengesellschaft ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH steuerrechtlich so lange als materiell-rechtlich existent anzusehen wie noch Steueransprüche gegen sie oder von ihr geltend gemacht werden und das Rechtsverhältnis zu den Finanzbehörden nicht endgültig abgewickelt ist (vgl. , BFH/NV 2007, 1923, m.w.N.). Mithin ist selbst nach Auskehrung des Aktivvermögens ein Gewerbesteuermessbescheid (weiterhin) an die Gesellschaft als Schuldnerin der Gewerbesteuer zu richten. Die Steuerschuldnerschaft der Gesellschaft —und damit auch ihre gewerbesteuerrechtliche Rechtsfähigkeit— erlischt grundsätzlich nicht durch ihre (zivilrechtliche) Vollbeendigung (, BFH/NV 1999, 445, m.w.N.).
b) Allerdings war der Gewerbesteuermessbescheid nach Auskehrung des Aktivvermögens der Klägerin nicht ihr, sondern ihren Gesellschaftern bekannt zu geben (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1923). Dieser Mangel wurde aber dadurch geheilt, dass die Einspruchsentscheidung der jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin bekannt gegeben wurde, die dem Finanzamt im Einspruchsverfahren ausdrücklich mitgeteilt hatte, auch die Gesellschafter der Klägerin zu vertreten. Demgemäß ist der Gewerbesteuermessbescheid in der Gestalt, die er durch die Einspruchsentscheidung gefunden hat (vgl. § 44 Abs. 2 FGO), insoweit nicht mehr mit einem Bekanntgabemangel behaftet (vgl. , BFH/NV 1993, 577, m.w.N.). Dabei ist es unschädlich, dass sich der Tenor der Einspruchsentscheidung neben der Aufnahme eines Vorläufigkeitsvermerks in der Zurückweisung des Einspruchs als unbegründet erschöpfte. Denn durch die Zurückweisung des Einspruchs wurde der ursprünglich unwirksame Verwaltungsakt inhaltlich bestätigt, dessen Inhalt im Übrigen auch den Gesellschaftern der Klägerin unstreitig tatsächlich bekannt war.
c) Die Klägerin hat gegen den Gewerbesteuermessbescheid fristgerecht Einspruch eingelegt. Sie war im Betreff des Einspruchsschreibens, das von ihrer jetzigen Prozessbevollmächtigten verfasst wurde, ausdrücklich genannt. Zwar wurde die Klägerin im weiteren Text des Einspruchsschreibens nicht nochmals ausdrücklich als Einspruchsführerin bezeichnet. Dies war im Streitfall aber auch nicht erforderlich.
Allerdings muss derjenige, der in einem Verwaltungsverfahren für einen anderen wirksam eine Verfahrenshandlung vornehmen will, klar zum Ausdruck bringen, für wen er handelt. Indessen sind auch Verfahrenshandlungen nach den für Willenserklärungen allgemein geltenden Grundsätzen auslegungsfähig. Sie sind so auszulegen, dass das Ergebnis der Auslegung dem Willen und der Zielsetzung des Erklärenden bei ständiger Würdigung gerecht wird (, BFH/NV 1996, 521, m.w.N.). Die Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes gebietet eine Auslegung und Anwendung der die Einlegung von Rechtsbehelfen regelnden Vorschriften, die die Beschreitung des eröffneten Rechtswegs nicht in unzumutbarer Weise erschweren (vgl. , BFHE 201, 416, BStBl II 2003, 505, unter II.3.b der Gründe, m.w.N.). Wird gegen einen Steuerbescheid von einem Verfahrensbevollmächtigten Einspruch eingelegt und dabei zur Bezeichnung des Einspruchsführers die (im Wesentlichen) gleiche Adressatenbezeichnung wie in dem angegriffenen Bescheid verwendet, ist deshalb der Adressat des Bescheides grundsätzlich auch als Einspruchsführer anzusehen (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1996, 521).
d) Die Vorentscheidung wird diesen Auslegungsgrundsätzen nicht gerecht. Der Gewerbesteuermessbescheid richtete sich nach der Adressatenangabe an die Klägerin „i.L.” (in Liquidation). Die Einspruchsschrift hat diese Bezeichnung der Verfahrensbeteiligten im Wesentlichen übernommen; sie unterscheidet sich nur dadurch, dass der Zusatz „i.L.” weggelassen wurde. In der Einspruchsschrift war außerdem die (damalige) Steuer-Nummer der Klägerin angegeben, die auch in dem Gewerbesteuermessbescheid genannt war. Sonstige Anhaltspunkte, warum der Einspruch gegen den Gewerbesteuermessbescheid nicht für die Klägerin eingelegt werden sollte, bestanden nicht. Das Finanzamt als Erklärungsempfänger musste den objektiven Erklärungswert des Einspruchsschreibens deshalb als Einspruch der Klägerin verstehen.
Das FG beruft sich für seine Auffassung, der Einspruch sei nicht von der Klägerin, sondern von ihren Gesellschaftern eingelegt worden, zu Unrecht auf das Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom . Zwar kann bei der Auslegung eines Einspruchs in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auch auf Umstände zurückgegriffen werden, die außerhalb der auszulegenden Erklärung —hier des Einspruchsschreibens vom — liegen, jedoch Rückschlüsse auf den erklärten Willen erlauben (vgl. , BFH/NV 2002, 613, m.w.N.). Im Streitfall hat das FG jedoch nicht genügend beachtet, dass die „Klarstellung” in dem Schreiben vom zur Person des Einspruchsführers wesentlich durch den —in Bezug auf die Gewerbesteuer— unzutreffenden Hinweis des Finanzamts veranlasst war. Das FG hätte bei einer die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes hinreichend berücksichtigenden Auslegung des Einspruchsschreibens deshalb nicht entscheidend auf die irrtümliche „Klarstellung” abstellen dürfen.
Im Übrigen ist auch das Finanzamt ungeachtet der „Klarstellung” zutreffend weiterhin von einem Einspruch der Klägerin gegen den Gewerbsteuermessbescheid ausgegangen. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass es in der Einspruchsentscheidung die Klägerin —und nicht deren Gesellschafter— als Einspruchsführerin bezeichnet hat. Dementsprechend hat das Finanzamt über den Einspruch auch zur Sache entschieden und ihn nicht als unzulässigen Einspruch der Gesellschafter der Klägerin verworfen.
3. Der Senat hält es für sachgerecht, die Vorentscheidung nach § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Dieses wird nunmehr über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Gewerbesteuermessbescheids zu entscheiden haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
IAAAC-67024