BFH Urteil v. - III R 56/00

Anspruch auf Kindergeld von ausländischen Mitgliedern des dienstlichen Hauspersonals (hier Kraftfahrer) einer Botschaft

Gesetze: EStG § 62 Abs. 2, AuslG § 5, AuslG § 69

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) begehrte für die Zeit ab März 1997 Kindergeld für seine drei in den Jahren 1980, 1987 und 1990 geborenen Kinder.

Der Kläger reiste 1981 mit seiner Familie aus Sri Lanka in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ein und gehörte als Kraftfahrer bis 1997 zum dienstlichen Hauspersonal der Botschaft der Republik A und später —ausweislich des am ausgestellten „gelben Ausweises"— zum dienstlichen Hauspersonal der Botschaft der Republik B.

Am erteilte die Ausländerbehörde dem Kläger eine bis zum befristete Aufenthaltserlaubnis, die eine Arbeitsaufnahme mit gültiger Arbeitserlaubnis gestattete.

Aufgrund einer Änderung der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes (DVAuslG), nach der unter anderem die nicht amtlich entsandten, mit Zustimmung des Auswärtigen Amtes (AA) örtlich angestellten Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals diplomatischer Vertretungen von der Aufenthaltsgenehmigungspflicht befreit wurden, erhielt der Kläger mit Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis am nur noch —vom AA ausgestellte, jeweils auf ein Jahr befristete— „gelbe Ausweise” und Dienstvisa.

Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) war der Kläger weder von seinem Heimatstaat noch von einem anderen Staat entsandt worden und war verpflichtet, Beiträge an die Bundesanstalt für Arbeit abzuführen. Nach Angaben der Prozessbevollmächtigten des Klägers im finanzgerichtlichen Verfahren bestand die Beitragspflicht ab 1991.

Nachdem der Kläger im Oktober 1997 (vorübergehend) arbeitslos geworden war, beantragte er im November 1997 und erneut im November 1999 eine Aufenthaltserlaubnis. Er erhielt daraufhin jeweils eine Bescheinigung, nach der sein Aufenthalt gemäß § 69 Abs. 3 des Ausländergesetzes (AuslG) 1990 bis zur Entscheidung über den Antrag als erlaubt galt. Nach den Angaben seiner Prozessbevollmächtigten erhielt er im Jahr 2002 eine Aufenthaltserlaubnis und ab 2004 die deutsche Staatsbürgerschaft.

Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) stellte die Kindergeldzahlungen an den Kläger ab Juli 1995 unter Hinweis darauf ein, dass der Bezug von Kindergeld aufgrund einer Änderung des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) seit Januar 1994 von einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis abhänge.

Nach Einführung des Familienleistungsausgleichs durch das Jahressteuergesetz (JStG) 1996 stellte der Kläger im September 1997 erneut einen Antrag auf Kindergeld, den die Familienkasse mit Bescheid vom ablehnte, weil der Kläger weder eine Aufenthaltserlaubnis noch eine Aufenthaltsberechtigung besitze und daher die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des JStG 1996 nicht erfülle. Der Einspruch war erfolglos.

Auf den Antrag des Klägers, die Vollziehung des angefochtenen Bescheids auszusetzen, gewährte die Familienkasse während des Klageverfahrens durch Bescheid vom rückwirkend ab März 1997 vorläufig Kindergeld.

Das FG hob den ablehnenden Bescheid vom „in der Fassung des Änderungsbescheids vom ” sowie die Einspruchsentscheidung auf und verpflichtete die Familienkasse durch Urteil vom , für die Kinder des Klägers ab März 1997 Kindergeld zu gewähren. Es war der Auffassung, die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 EStG seien im Ergebnis erfüllt. Zwar habe der Kläger kein als Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis bezeichnetes Dokument besessen. Die vom AA ausgestellten „Dienstvisa” und „gelben Ausweise” reichten als Legitimation jedoch aus. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 222 abgedruckt.

Mit der Revision rügt die Familienkasse die Verletzung des § 62 Abs. 2 EStG. Ein Anspruch auf Kindergeld stehe dem Kläger nicht zu, da er nicht im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltsgenehmigung gewesen sei. Die befristeten „gelben Ausweise” des AA könnten einem Aufenthaltstitel i.S. des § 62 Abs. 2 EStG nicht gleichgestellt werden.

Die Familienkasse beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet mit der Maßgabe, dass der Tenor neu zu fassen ist.

Das FG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass dem Kläger Kindergeld zusteht.

1. Der Anspruch auf Kindergeld ist nicht nach dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (WÜD) vom (BGBl II 1964, 957) ausgeschlossen.

a) Der Senat kann im Streitfall offen lassen, ob die Befreiung nach dem WÜD von Steuern oder von den Vorschriften über die soziale Sicherheit zur Folge hat, dass auch der Anspruch auf Kindergeld nach § 62 EStG entfällt (so Abschn. 62.6 Abs. 1 Satz 1 der Dienstanweisung zur Durchführung des steuerlichen Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes —DA-FamEStG—, Stand August 2004, BStBl I 2004, 742; gl.A. Felix, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 62 Rz C 29; a.A. Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach A, I. Kommentierung, § 62 Rz 19, 20: Kein genereller Ausschluss durch das WÜD). Denn der Kläger war im maßgeblichen Zeitraum ab März 1997 weder von Steuern noch von den Vorschriften über die soziale Sicherheit befreit.

b) Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals einer Mission, zu denen der Kläger nach den Einträgen in dem jeweiligen „gelben Ausweis” gehörte, genießen nach Art. 37 Abs. 3 i.V.m. Art. 33 WÜD Befreiung von Steuern und sonstigen Abgaben auf ihre Dienstbezüge sowie Befreiung von den in der Bundesrepublik geltenden Vorschriften über soziale Sicherheit nur, wenn sie weder Angehörige des Empfangsstaats noch im Empfangsstaat ständig ansässig sind.

c) „Ständig ansässig” im Sinne des WÜD sind alle Personen, die zum Zeitpunkt ihrer Anstellung von der Mission bereits längere Zeit im Empfangsstaat ihren Wohnsitz hatten. Darüber hinaus behandelt das AA grundsätzlich alle von fremden Botschaften „am Ort” eingestellten Bediensteten (sog. Ortskräfte) ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit als in der Bundesrepublik ständig ansässig (Richtsteig, Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, 1994, Art. 38 Anm. 3 a).

Ortskräfte haben im Gegensatz zu den entsandten Bediensteten ihr Dienstverhältnis mit der diplomatischen Vertretung (oder dem Entsendestaat) in der Regel erstmals in der Bundesrepublik begründet und werden —anders als entsandte Bedienstete— nicht turnusmäßig an andere ausländische Dienstorte des Entsendestaates versetzt (Richtsteig, a.a.O., Art. 33 Anm. 3 b). In der Praxis wird eine Ortskraft daher nur dann als nicht ständig ansässig behandelt, wenn der ausländische Staat im Einzelfall verbindlich zusichert, die betreffende Ortskraft in absehbarer Frist in den Entsendestaat oder in ein drittes Land zu versetzen (Richtsteig, a.a.O., § 38 Anm. 3 a).

Auch die Finanzverwaltung sieht in ihren Weisungen zur einkommensteuerlichen Behandlung von Mitgliedern ausländischer Botschaften Ortskräfte nur dann als nicht ständig ansässig in der Bundesrepublik an, wenn der Leiter der ausländischen Botschaft im Einzelfall ausdrücklich darlegt, dass und aus welchen Gründen die betreffende Ortskraft sich nur vorübergehend in der Bundesrepublik aufhält und die Absicht hat, später in den Entsendestaat oder in ein drittes Land auszuwandern (z.B. Erlasse des Niedersächsischen Finanzministeriums vom S 1310-7-33, Finanz-Rundschau 1995, 241; des Finanzministeriums Baden-Württemberg vom S 1310/1, juris; Verfügungen der  II 2 a, S 1310 A-1-St II 2 a, juris, und der /94, juris; a.A. Abschn. 62.6 Abs. 2 DA-FamEStG, Stand August 2004, BStBl I 2004, 742).

d) Nach diesen Grundsätzen ist der Kläger im maßgebenden Zeitraum ab März 1997 als ständig ansässig behandelt worden, da er Beiträge zur Sozialversicherung entrichten musste, also nicht gemäß Art. 37 Abs. 3 i.V.m. Art. 33 WÜD von den in der Bundesrepublik geltenden „Vorschriften über soziale Sicherheit befreit” war. Wird ein Botschaftsbediensteter hinsichtlich der Sozialversicherungspflicht als ständig ansässig behandelt, ist auch keine —dem Bezug von Kindergeld ggf. entgegenstehende (s.o. unter II. 1. a)— Befreiung von der Einkommensteuer gegeben.

2. Bei wortgetreuer Auslegung der maßgebenden gesetzlichen Vorschriften steht dem Kläger kein Kindergeld zu, da er in dem maßgebenden Zeitraum keine von der Ausländerbehörde erteilte Aufenthaltsgenehmigung, sondern nur einen vom AA ausgestellten „gelben Ausweis” und ein Dienstvisum besaß.

a) Nach § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG i.d.F. des JStG 1996 hatte ein Ausländer nur Anspruch auf Kindergeld, wenn er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung nach § 27 AuslG 1990 oder einer Aufenthaltserlaubnis nach § 15 AuslG 1990 war. Eine Aufenthaltsgenehmigung in Form einer Aufenthaltsbewilligung (§§ 28, 29 AuslG 1990) oder einer Aufenthaltsbefugnis (§ 30 AuslG 1990) reichte nicht aus.

Der —aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu § 1 Abs. 3 BKGG i.d.F. durch das Erste Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom (BGBl I 1993, 2353)— neu gefasste § 62 Abs. 2 EStG, der mit Wirkung vom in Kraft getreten und auf alle noch nicht bestandskräftigen Kindergeldfestsetzungen anzuwenden ist (§ 52 Abs. 61a Satz 2 EStG), verlangt für den Bezug von Kindergeld eine Niederlassungserlaubnis (§ 62 Abs. 2 Nr. 1 EStG). Eine Aufenthaltserlaubnis, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat —mit Ausnahme der in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a bis c EStG aufgezählten Aufenthaltserlaubnisse—, begründet ebenfalls einen Anspruch auf Kindergeld. Unter den weiteren Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG können auch die in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG aufgeführten, aus humanitären Gründen erteilten Aufenthaltserlaubnisse einen Anspruch auf Kindergeld ergeben.

Die in § 62 Abs. 2 EStG genannten Aufenthaltstitel beziehen sich auf das seit Januar 2005 geltende Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Betrifft der Sachverhalt —wie im Streitfall— einen Zeitraum vor 2005, in dem noch das durch das AufenthG abgelöste AuslG 1990 galt, sind Aufenthaltsgenehmigungen i.S. des § 5 AuslG 1990 entsprechend den Fortgeltungsregelungen in § 101 AufenthG als Aufenthaltstitel im Sinne des AufenthG zu behandeln (Senatsurteil vom III R 93/03, BFH/NV 2007, 1234). Ein Anspruch auf Kindergeld setzt somit auch nach der Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG zumindest voraus, dass der Ausländer im Besitz einer nach den Vorschriften des AuslG 1990 erteilten Aufenthaltsgenehmigung i.S. des § 5 AuslG 1990 in Form einer Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltsberechtigung, Aufenthaltsbewilligung oder Aufenthaltsbefugnis war.

Anders als das FG Köln in seinem Vorlagebeschluss vom 10 K 1690/07 (Steuer-Eildienst —StE— 2007, 388) hält der Senat die Anknüpfung des Kindergeldanspruchs von Ausländern an den Besitz eines Aufenthaltstitels grundsätzlich für verfassungsgemäß (Senatsurteil in BFH/NV 2007, 1234). Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des (StE 2007, 389), dass die rückwirkende Anwendung des § 62 Abs. 2 EStG auf alle noch offenen Fälle nicht der Verfassung entspreche und deshalb auf vor dem verwirklichte Sachverhalte —wie vom BVerfG im Verfahren wegen der Verfassungsmäßigkeit des § 1 Abs. 3 BKGG i.d.F. durch das 1. SKWPG angeordnet (vgl. Beschluss vom 1 BvL 4/97, BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114)— die bis zum geltende Regelung in § 1 Abs. 3 BKGG anzuwenden sei. Nach dieser Vorschrift hatten Ausländer Anspruch auf Kindergeld, wenn sie auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden konnten und sich seit mindestens einem Jahr ununterbrochen in der Bundesrepublik aufhielten. Da der Kläger unabhängig von den Erwägungen des FG Köln Anspruch auf Kindergeld hat, erübrigt sich im Streitfall eine Auseinandersetzung mit den finanzgerichtlichen Entscheidungen.

b) Der Kläger war im maßgebenden Zeitraum ab März 1997 nicht (mehr) im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung i.S. des § 5 AuslG 1990, die entsprechend § 101 AufenthG als zum Bezug von Kindergeld berechtigende Aufenthaltserlaubnis i.S. des § 62 Abs. 2 EStG gelten könnte.

aa) Denn seit Inkrafttreten der 4. Verordnung zur Änderung der DVAuslG vom (BGBl I 1993, 266) waren die nicht amtlich entsandten, mit Zustimmung des AA örtlich angestellten Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals diplomatischer Vertretungen —wie schon nach der Rechtslage vor 1991 (Abschn. 4a Buchst. a der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des AuslG 1965 zu § 49 AuslG 1965; vgl. Kanein, Ausländerrecht, 4. Aufl. 1988, § 49)— vom Erfordernis einer Aufenthaltsgenehmigung nach dem AuslG 1990 befreit (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 DVAuslG). Unter Hinweis auf diese Rechtsänderung erteilte die Ausländerbehörde nach Ablauf der Aufenthaltserlaubnis am dem Kläger keine weitere Aufenthaltserlaubnis.

Die vom AA ausgestellten, jeweils auf ein Jahr befristeten „gelben Ausweise” (vgl. Rundschreiben des Bundesministeriums des Inneren —BMI— vom , Gemeinsames Ministerialblatt —GMBl— 1993, 591, 601, unter Abschn. VIII 1. d) und Dienstvisa sind keine —von der Ausländerbehörde zu erteilenden— Aufenthaltsgenehmigungen im Sinne des AuslG 1990 oder Aufenthaltstitel im Sinne des AufenthG. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 DVAuslG vom Erfordernis einer Aufenthaltsgenehmigung nach dem AuslG 1990 befreite Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals werden nur beim AA registriert. Das AA stellt den bei ihm registrierten Personen einen Ausweis über ihre Funktion und aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit visumspflichtigen Personen ein Dienstvisum aus, so dass die Zugehörigkeit zum bevorrechtigten Kreis auch aus dem Pass ersichtlich ist (Rundschreiben des BMI in GMBl 1993, 591, 598, unter Abschn. V B. 2. f). „Gelber Ausweis” und Dienstvisum sind keine ein Aufenthaltsrecht begründenden Titel, sondern lediglich ein Nachweis, dass sich der Ausländer auch ohne Aufenthaltstitel rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

bb) Da die Klage aus den unter II. 3. dargelegten Gründen Erfolg hat, kann im Streitfall dahinstehen, ob die ab November 1997 erteilte fingierte Aufenthaltserlaubnis nach § 69 Abs. 3 AuslG 1990 als Aufenthaltserlaubnis i.S. des § 62 Abs. 2 EStG alter und neuer Fassung gewertet werden könnte (generell ablehnend , SozR 3-1200 § 14 Nr. 24, m.w.N.; zustimmend, wenn eine fingierte Aufenthaltserlaubnis im Zeitraum zwischen Ablauf und Wiedererteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vorliegt: Urteile des , EFG 2005, 307, und vom 10 K 226/02, Deutsches Steuerrecht-Entscheidungsdienst 2007, 694, sowie des , juris, und vom 11 K 3588/04 Kg, EFG 2005, 626; ebenso Abschn. 62.4.1 Abs. 1 Satz 5 DA-FamEStG, Stand August 2004, BStBl I 2004, 742, und Abschn. 62.4.1 Abs. 2 Sätze 2 und 3 DA-FamEStG, Stand Juni 2007, BStBl I 2007, 489, wenn die Verlängerung oder Neuerteilung vor Ablauf des Titels beantragt wird).

3. Ein „gelber Ausweis” ist jedoch bei ausländischen Staatsangehörigen, die vor dem eine Tätigkeit als dienstliches Hauspersonal einer Botschaft begonnen haben und im Bundesgebiet als ständig ansässig behandelt wurden, im Wege der Analogie einer zur Erwerbstätigkeit berechtigenden Aufenthaltserlaubnis i.S. des § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG gleichzustellen.

a) Eine Analogie setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit voraus. Eine Gesetzeslücke liegt vor, wenn eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, d.h. ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht (z.B. Senatsurteil vom III R 51/05, BFHE 212, 236, BStBl II 2006, 515, m.w.N.).

b) Soweit ständig ansässige ausländische Mitglieder des nicht amtlich entsandten, dienstlichen Hauspersonals von Botschaften wegen der Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels beim Kindergeld nicht berücksichtigt werden, enthält § 62 EStG aber eine unbewusste planwidrige Gesetzeslücke.

§ 62 Abs. 2 EStG hat zum Ziel, Kindergeld nur solchen ausländischen Staatsangehörigen zukommen zu lassen, die sich rechtmäßig und voraussichtlich auf Dauer in der Bundesrepublik aufhalten. Diese schon dem § 62 Abs. 2 EStG i.d.F. des JStG 1996 zugrunde liegende Zielsetzung hat das BVerfG nicht beanstandet (Beschluss in BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114).

Bei Personen, die nicht im Besitz einer (unbefristeten) Niederlassungserlaubnis, sondern nur einer Aufenthaltserlaubnis sind, muss nach Auffassung des Gesetzgebers ein weiteres Indiz hinzukommen, welches einen voraussichtlich dauerhaften Aufenthalt plausibel erscheinen lasse. Ein solches Indiz sei die Ausübung einer Erwerbstätigkeit bzw. die Erlaubnis zu einer Erwerbstätigkeit. Von einem nur vorübergehenden Aufenthalt sei bei ausländischen Staatsangehörigen auszugehen, deren Aufenthalt in der Bundesrepublik erkennbar begrenzt sei, wie z.B. bei denjenigen, die sich nur zu Ausbildungszwecken im Bundesgebiet aufhielten oder bei denen die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung nach Ablauf eines Höchstzeitraumes rechtlich ausgeschlossen sei (BTDrucks 16/1368, 8).

Da Einreise und Aufenthalt nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer grundsätzlich unter Erlaubnisvorbehalt stehen (vgl. Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 8. Aufl., § 4 Rz 8), ergibt sich in der Regel aus dem Aufenthaltstitel —konstitutiv— das Recht auf Einreise und Aufenthalt. Insofern ist die Anknüpfung des Kindergeldanspruchs an den Besitz eines Aufenthaltstitels jedenfalls in den Fällen sachgerecht, in denen für den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet ein Aufenthaltstitel erforderlich ist.

Der gesetzlichen Regelung liegt offensichtlich die Vorstellung zugrunde, ein rechtmäßiger Daueraufenthalt erfordere stets einen von der Ausländerbehörde ausgestellten Aufenthaltstitel. Der Gesetzgeber ging anscheinend davon aus, dass die Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels nur solche ausländischen Bediensteten von Botschaften betrifft, die sich nur vorübergehend im Bundesgebiet aufhalten und nach Beendigung ihrer Tätigkeit bei der Botschaft das Bundesgebiet wieder verlassen.

Nicht bedacht wurde bei der gesetzlichen Regelung, dass unter anderem die Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals einer Botschaft —unabhängig davon, ob sie im Ausland angeworben worden waren oder schon vor Aufnahme der Tätigkeit bei der Botschaft einen Wohnsitz im Bundesgebiet hatten— als ständig ansässig angesehen wurden und deshalb sozialversicherungs- und einkommensteuerpflichtig waren. Auch die im Ausland angeworbenen Personen hatten —wie die dem Senat zur Entscheidung vorliegenden Fälle zeigen— regelmäßig nicht die Absicht, nach Beendigung ihrer Tätigkeit bei der Botschaft die Bundesrepublik mit ihrer Familie wieder zu verlassen.

Ihr Aufenthalt war —jedenfalls soweit sie vor dem in die Bundesrepublik eingereist sind— auch nicht typischerweise nur vorübergehender Natur. Die Tätigkeit bei der Botschaft war in der Regel nicht befristet; wann sie endete, war ungewiss. Zwar waren die „gelben Ausweise” jeweils auf ein Jahr befristet und wurden nicht verlängert oder neu ausgestellt, wenn die Bediensteten ihre Stellung bei der Botschaft verloren hatten. Mit dem Verlust des Arbeitsplatzes endete auch die Befreiung vom Erfordernis einer Aufenthaltsgenehmigung. In der Vergangenheit hatte die Beendigung der Tätigkeit bei der Botschaft aber offensichtlich nicht zur Folge, dass die Ausländer das Bundesgebiet verlassen mussten. Sie konnten anscheinend bei anderen Botschaften eine Tätigkeit aufnehmen oder sich anderweitig Arbeit suchen. Sie mussten allerdings bei der Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis beantragen. Sie erhielten dann —so auch im Streitfall— eine Bescheinigung, nach der ihr Aufenthalt nach § 69 Abs. 3 AuslG 1990 bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt galt, und später offensichtlich eine Aufenthaltserlaubnis.

Nach den neu gefassten, am in Kraft getretenen Richtlinien des AA für die Einreise und den Aufenthalt von nicht entsandten Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals, des dienstlichen Hauspersonals und der privaten Hausangestellten (nicht veröffentlicht) dürfen im Ausland rekrutierte Personen nicht (mehr) zu einer anderen Botschaft wechseln und auch keiner sonstigen Erwerbstätigkeit nachgehen. Die Botschaft ist dafür verantwortlich, dass die im Ausland rekrutierten Personen nach Beendigung ihrer Tätigkeit bei der Botschaft mit ihrer Familie die Bundesrepublik unverzüglich verlassen. Ob aufgrund dieser Richtlinien für Botschaftsbedienstete, die nach dem in die Bundesrepublik eingereist sind, eine andere Beurteilung geboten ist, obwohl die betroffenen Personen nach wie vor zur Sozialversicherung herangezogen werden, kann der Senat im Streitfall offen lassen, da der Kläger bereits 1981 in die Bundesrepublik eingereist ist.

c) Es widerspräche dem Zweck der Kindergeldregelung und wäre auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten bedenklich, wenn ausländische Staatsangehörige, die sich rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhalten, voraussichtlich auf Dauer in der Bundesrepublik einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen, in das Sozialversicherungssystem eingegliedert und einkommensteuerpflichtig sind, vom Kindergeld ausgeschlossen würden, weil sie für ihren rechtmäßigen Aufenthalt kraft gesetzlicher Regelung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit sind und deshalb keinen Aufenthaltstitel erhalten (ähnlich , SozR 4-7833 § 1 Nr. 5, BFH/NV 2005, Beilage 2, 157, zum Anspruch auf Erziehungsgeld).

d) Ständig ansässige Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals einer Botschaft, die in der Bundesrepublik sozialversicherungs- und einkommersteuerpflichtig sind —also als ständig ansässig behandelt werden—, haben daher in analoger Anwendung des § 62 Abs. 2 EStG Anspruch auf Kindergeld, wenn sie einen „gelben Ausweis” besitzen und durch eine Bescheinigung der Versicherung über die abgeführten Sozialabgaben nachweisen, dass sie als ständig ansässig behandelt worden sind. Der „gelbe Ausweis” ist zwar —wie unter II. 2. b dargelegt— formell kein Titel i.S. des AuslG 1990 oder des AufenthG. Die durch den „gelben Ausweis” dokumentierte Freistellung von einem Aufenthaltstitel wirkt aber wie eine ausländerrechtliche Statusentscheidung. Aus der Erteilung des „gelben Ausweises” ergibt sich, dass sich der Ausweisinhaber rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und hier eine erlaubte Tätigkeit ausübt.

Unerheblich ist, ob dem Kläger zu Recht anstelle eines Aufenthaltstitels ein „gelber Ausweis” ausgestellt worden ist. Nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 Nr. 3 DVAuslG bedürfen unter anderem die nicht amtlich entsandten, mit Zustimmung des AA örtlich angestellten Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals diplomatischer Vertretungen —wenn Gegenseitigkeit besteht— keiner Aufenthaltsgenehmigung. Nach Rz 3.1.2.3.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum AuslG 1990 (AuslG-VwV) vom (juris) sind von dem Erfordernis einer Aufenthaltsgenehmigung dagegen nicht befreit die im Rundschreiben des BMI (GMBl 1993, 591, 599) in Abschn. V B. Nr. 2 Buchst. g genannten Personen. Dazu gehören unter anderem „die ständig im Bundesgebiet ansässigen Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals” diplomatischer Vertretungen. Unabhängig davon, ob die Verwaltungsanweisung mit dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 Nr. 3 DVAuslG übereinstimmt, wurde im Streitfall nicht nach dieser Verwaltungsanweisung verfahren. Obwohl der Kläger sozialversicherungsrechtlich als ständig ansässig angesehen wurde, wurde er ausländerrechtlich behandelt, als sei er vom Erfordernis der Aufenthaltsgenehmigung befreit.

Maßgebend für den Anspruch auf Kindergeld ist aber die Entscheidung der Ausländerbehörde bzw. im Streitfall des AA. Der Entscheidung der Ausländerbehörde kommt für das Kindergeldrecht Tatbestandswirkung zu (, BFH/NV 1998, 963; BSG-Urteil in SozR 3-1200 § 14 Nr. 24, m.w.N.). Entsprechendes gilt für die Entscheidung des AA, das mit der Ausstellung des „gelben Ausweises” dokumentiert, dass der Inhaber des Ausweises von der Aufenthaltsgenehmigungspflicht befreit ist. Für die zur Entscheidung über das Kindergeld berufenen Stellen ist der vom AA ausgestellte Ausweis bindend.

4. Da der Kläger in dem maßgeblichen Zeitraum ab März 1997 Sozialabgaben abführen musste und über einen „gelben Ausweis” verfügte, hat er grundsätzlich ab März 1997 einen Anspruch auf Kindergeld. Der Tenor des finanzgerichtlichen Urteils ist aber entsprechend den Grundsätzen des Senatsurteils vom III R 66/04 (BFHE 210, 265, BStBl II 2006, 184) richtigzustellen. Die Familienkasse wird nicht verpflichtet, dem Kläger „Kindergeld ab dem Monat März 1997 für die Kinder…zu zahlen”, sondern „über den Kindergeldantrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden”. Einer Aufhebung des Bescheids vom bedarf es im Übrigen nicht, da es sich nicht um einen Änderungsbescheid, sondern um einen Bescheid im vorläufigen Verfahren handelt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
GAAAC-65367