BFH Beschluss v. - III R 18/05

Verlängerung der Begründungsfrist für die Revision; keine Wiedereinsetzung bei Irrtum des Bevollmächtigten über Verfahrensfragen

Gesetze: FGO § 120 Abs. 2, FGO § 56, ZPO § 329

Instanzenzug:

Gründe

I. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wegen Zinsen zur Investitionszulage 1990 und Erlass ab. Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des FG ließ der Senat mit Beschluss vom III B 64/03 die Revision zu. Der Beschluss wurde der Klägerin am zugestellt.

Mit Schreiben vom , der Klägerin zugestellt am , wies die Vorsitzende des Senats die Prozessbevollmächtigte der Klägerin (eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft) darauf hin, dass die Frist zur Begründung der Revision gemäß § 120 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) am abgelaufen sei und eine Revisionsbegründung bisher nicht vorliege.

Mit dem am beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangenen Telefax-Schreiben beantragte die Prozessbevollmächtigte bei der Geschäftsstelle des Senats, „wie telefonisch besprochen” wegen notwendiger Recherchearbeiten und Urlaubsabwesenheit der mit der Revisionsbegründung befassten Personen die Frist zur Begründung der Revision bis zum zu verlängern.

Laut Aktenvermerk vom teilte der Leiter der Senatsgeschäftsstelle der —mit der Bearbeitung des Streitfalles befassten— Rechtsanwältin L telefonisch mit, eine Fristverlängerung sei nach Ablauf der Frist nicht möglich, und wies auf § 56 FGO hin.

Mit dem am beim BFH eingegangenen Telefax-Schreiben begründete die Prozessbevollmächtigte die Revision und beantragte wegen der versäumten Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags trägt die Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Wesentlichen vor: Bis zum Empfang des Schreibens der Vorsitzenden des Senats am sei sie davon ausgegangen, die Revisionsbegründungsfrist ende am , da die ursprüngliche Frist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision um einen Monat verlängert worden sei. Rechtsanwältin L habe das Fristverlängerungsbegehren der Senatsgeschäftsstelle am telefonisch vorgetragen. Ihr sei mitgeteilt worden, „dass eine erstmalige Fristverlängerung der Revisionsbegründungsfrist durch die Vorsitzende um einen Monat unproblematisch sei”. Daraufhin sei ein schriftlicher Antrag auf Fristverlängerung unterblieben. Ein schriftlicher Antrag sei im Gesetz nicht vorgesehen. Auch könne die Entscheidung des Senatsvorsitzenden formlos ergehen und werde in der Praxis der Senate des BFH regelmäßig von der Senatsgeschäftsstelle mitgeteilt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Zinsen auf 33 911 DM (entspricht 17 338,42 €) festzusetzen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unzulässig. Sie wird gemäß § 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluss verworfen.

1. Lässt —wie im Streitfall— der BFH auf Beschwerde die Revision gegen das finanzgerichtliche Urteil zu, beginnt mit der Zustellung der Entscheidung für den Beschwerdeführer die Revisionsbegründungsfrist (§ 116 Abs. 7 Satz 2 FGO). Sie beträgt für den Beschwerdeführer einen Monat nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses (§ 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO). Die Frist kann nach § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des zuständigen Senats des BFH verlängert werden.

Die einmonatige Revisionsbegründungsfrist wurde mit der Zustellung des Beschusses vom III B 64/03 am in Lauf gesetzt. Da die Klägerin vor Ablauf der Frist keinen schriftlichen Antrag auf Fristverlängerung gestellt hatte, endete die Revisionsbegründungsfrist, wie die Vorsitzende in ihrem Schreiben an die Klägerin vom mitgeteilt hatte, am . Die erst am beim BFH eingegangene Revisionsbegründungsschrift war daher verspätet.

2. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist liegen nicht vor.

a) Nach § 56 Abs. 1 FGO ist, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Bei Versäumung der Frist zur Begründung der Revision ist der Antrag binnen einem Monat nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (§ 56 Abs. 2 FGO).

b) Die Klägerin hat innerhalb der einmonatigen Antragsfrist die Wiedereinsetzung beantragt und eine Revisionsbegründung vorgelegt. Die zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs vorgetragenen Umstände ergeben jedoch keine schuldlose Verhinderung an der Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist. L konnte aufgrund ihres Telefongesprächs mit der Geschäftsstelle des Senats am und der ihr erteilten Auskunft, eine erstmalige Fristverlängerung durch die Senatsvorsitzende um einen Monat sei unproblematisch, nicht davon ausgehen, ihr sei eine entsprechende Fristverlängerung gewährt worden.

aa) Nach § 155 FGO i.V.m. § 329 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) ist die Verfügung des Vorsitzenden über eine Fristverlängerung den Beteiligten formlos mitzuteilen (vgl. Senatsurteil vom III R 203/90, BFHE 164, 182, BStBl II 1991, 640). Beim BFH verfügt der/die Vorsitzende schriftlich die Fristverlängerung. Die Geschäftsstelle informiert dann die Beteiligten schriftlich, dass der/die Vorsitzende die Frist verlängert hat.

Eine telefonische Mitteilung über eine Fristverlängerung lässt die Rechtsprechung aus Gründen des Vertrauensschutzes dann genügen, wenn der/die Vorsitzende selbst die Verlängerung am Telefon ausspricht (Beschlüsse des , BGHZ 93, 300, und vom VIII ZB 32/97, Neue Juristische Wochenschrift 1998, 1155). Eine telefonische Mitteilung über die Fristverlängerung durch die Geschäftsstelle könnte allenfalls dann wirksam sein, wenn der/die Vorsitzende die Verlängerung zuvor verfügt hätte.

Bei dem Telefongespräch am mit der Senatsgeschäftsstelle konnte —mangels vorheriger Antragstellung— aber keine Fristverlängerung von der Vorsitzenden verfügt worden sein. Eine Fristverlängerung durch die Senatsgeschäftsstelle wäre unwirksam. Im Übrigen hat die Klägerin auch nicht vorgetragen, dass die Geschäftsstelle Fristverlängerung gewährt habe, sondern nur, „dass eine erstmalige Fristverlängerung der Revisionsbegründungsfrist durch die Vorsitzende um einen Monat unproblematisch sei”.

Diese Mitteilung konnte Rechtsanwältin L auch nicht als Fristverlängerung verstehen. Die Auskunft durch die Geschäftsstelle weist darauf hin, dass auf einen entsprechenden Antrag einer positiven Entscheidung durch die Vorsitzende wohl nichts im Wege stehen werde. L konnte der telefonischen Unterredung am jedoch keinesfalls eine positive Entscheidung der Senatsvorsitzenden über ihr in diesem Gespräch angeblich telefonisch vorgebrachtes Fristverlängerungsbegehren entnehmen.

bb) Zwar kann der Bevollmächtigte, der rechtzeitig einen erstmaligen und begründeten Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist um einen weiteren Monat gestellt hat, bis zum Erhalt der Entscheidung über den Antrag davon ausgehen, dass die Fristverlängerung gewährt wird (, BFH/NV 2004, 168). Dies setzt jedoch voraus, dass der Fristverlängerungsantrag wirksam gestellt ist. Nach der Rechtsprechung des BFH bedarf der Fristverlängerungsantrag aber der Schriftform (, BFH/NV 1991, 828; vgl. auch , Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1994, 781).

Einen schriftlichen Antrag auf Fristverlängerung hat die Klägerin nicht gestellt. Ihr Hinweis unter Bezug auf Seer (in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 120 FGO Rz 73), ein schriftlicher Antrag sei im Gesetz nicht vorgesehen, vermag eine schuldlose Verhinderung an der Fristwahrung nicht zu begründen. Zum einen führt Seer aus, dass nach der —von seiner Auffassung abweichenden— herrschenden Meinung die Schriftform erforderlich sei, und benennt dazu Rechtsprechung des BFH und des BVerfG. Zum anderen kann, wenn das Fristversäumnis auf einem Irrtum des Prozessbevollmächtigten über Verfahrensfragen beruht, Wiedereinsetzung im Allgemeinen nicht gewährt werden, da Angehörige der rechts- und steuerberatenden Berufe insoweit Rechtskenntnisse besitzen müssen (, BFH/NV 2004, 61). L konnte daher aufgrund des Telefongesprächs mit der Geschäftsstelle am nicht davon ausgehen, die Revisionsbegründungsfrist werde ohne vorherigen schriftlichen Antrag verlängert.

Die Klägerin muss sich das Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2005, 1574).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
DStRE 2008 S. 255 Nr. 4
WAAAC-65366