BAG Urteil v. - 5 AZR 881/06

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: EGBGB Art. 229 § 6 Abs. 3; MTV für die Angestellten in der Beton- und Fertigteilindustrie und dem Betonsteinhandwerk (Betonsteingewerbe) in Nordwestdeutschland idF vom § 11; RTV für die gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten sowie Auszubildenden in der Beton- und Fertigteilindustrie und dem Betonsteinhandwerk (Betonsteingewerbe) in Norddeutschland idF vom § 15

Instanzenzug: ArbG Neumünster 1 Ca 1412 d/03 vom LAG Schleswig-Holstein 6 Sa 304/05 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten noch über Annahmeverzugsansprüche des Klägers für Dezember 2001.

Der Kläger war seit Juli 1991 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Laborleiter zu einem Monatsgehalt von zuletzt 3.372,66 Euro brutto beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand nach § 1 Abs. 3 des Anstellungsvertrags vom der Manteltarifvertrag für Angestellte in der Beton- und Fertigteilindustrie und dem Betonsteinhandwerk (Betonsteingewerbe) in der jeweils gültigen Fassung Anwendung. Bis zum galt der Manteltarifvertrag idF vom (im Folgenden: MTV). Am trat der Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten sowie Auszubildenden in der Beton- und Fertigteilindustrie und dem Betonsteinhandwerk (Betonsteingewerbe) in Norddeutschland idF vom (im Folgenden: RTV) in Kraft.

§ 11 MTV lautete:

"§ 11

Ausschlussfristen

Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 2 Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.

Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von 2 Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von 2 Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird."

§ 15 RTV enthält bei im Übrigen unverändertem Wortlaut einen zusätzlichen dritten Absatz, der wie folgt lautet:

"§ 15

Ausschlussfristen

...

...

Dies gilt nicht für Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers, die während eines Kündigungsprozesses fällig werden und von seinem Ausgang abhängen. Für diese Ansprüche beginnt die Verfallfrist von zwei Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens."

Am kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Auf die am beim Arbeitsgericht Neumünster eingegangene Kündigungsschutzklage des Klägers stellte das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein mit Urteil vom - 2 Sa 457/02 - fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung erst mit Ablauf des aufgelöst worden sei. Mit Schreiben vom machten die Prozessbevollmächtigten des Klägers gegenüber der Beklagten ua. die Vergütung für Dezember 2001 in Höhe von 6.569,34 DM brutto geltend. Mit der am beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger ua. die Zahlung dieser Vergütung verlangt.

Der Kläger hat, soweit in der Revision noch von Interesse, beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.372,66 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins nach § 247 BGB ab dem zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, der Anspruch sei verfallen.

Das Arbeitsgericht hat dem genannten Klageantrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage insoweit abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Gründe

Die Revision des Klägers ist begründet.

I. Der unstreitig nach § 615 BGB entstandene Vergütungsanspruch des Klägers für Dezember 2001 ist nicht gemäß § 11 MTV verfallen, denn der Kläger hat die seit dem anwendbaren Ausschlussfristen des § 15 RTV gewahrt.

1. Nach § 1 Abs. 3 des Arbeitsvertrags bestimmen sich die Arbeitsbedingungen - soweit im Vertrag nichts anderes geregelt ist - nach dem Manteltarifvertrag in der jeweils geltenden Fassung. Damit waren bis zum der MTV und seit dem der RTV einzelvertraglich in Bezug genommen. Zugunsten der Arbeitnehmer regelt § 15 Abs. 3 RTV im Gegensatz zum MTV, dass für Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers, die während eines Kündigungsprozesses fällig werden und von seinem Ausgang abhängen, die Verfallfrist von zwei Monaten erst mit rechtskräftiger Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens beginnt.

2. Der Verfall der Ansprüche des Klägers bestimmt sich seit dem nach dem an diesem Tage in Kraft getretenen RTV. Nach § 17 Abs. 5 RTV wurde der Manteltarifvertrag vom rückwirkend für die Zeit vom bis zum wieder in Kraft gesetzt. Gemäß § 17 Abs. 1 RTV trat der Rahmentarifvertrag am in Kraft. Damit liegt kein Fall der Tarifkonkurrenz, sondern der zeitlichen Ablösung des Manteltarifvertrags durch den Rahmentarifvertrag vor. Im Verhältnis von sich ablösenden Normen gilt das Ablösungsprinzip. Enthält eine Norm keine Übergangsregelung, ist davon auszugehen, dass sie ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens auch auf bereits bestehende Rechtsverhältnisse Anwendung findet (vgl. für das Arbeitsrecht: - Rn. 20, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 56 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 73; - 7 AZR 715/97 - BAGE 90, 348, 351). Auch im Verhältnis von zwei aufeinanderfolgenden Tarifverträgen gilt - soweit nicht Abweichendes geregelt ist - das Ablösungsprinzip ( - AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 9 = EzA TVG § 4 Einzelhandel Nr. 4 nur Leitsatz; - 4 AZR 879/93 - BAGE 78, 309, 315; Wiedemann/Wank 7. Aufl. § 4 TVG Rn. 261, 274; Jacobs in Jacobs/Krause/Oetker Tarifvertragsrecht § 5 Rn. 80). Der spätere Tarifvertrag geht dem früheren vor. Eine abweichende Bestimmung wurde vorliegend nicht getroffen, insbesondere haben die Tarifvertragsparteien keine Übergangsregelung vorgesehen. Damit fand ab dem der RTV auf das Arbeitsverhältnis Anwendung.

3. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts begründet Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB keine Ausnahme von dem Ablösungsprinzip. Hiernach ist die Verjährung mit dem Ablauf der im Bürgerlichen Gesetzbuch in der bis zum geltenden Fassung bestimmten Frist vollendet, wenn die Verjährungsfrist nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch in der seit dem geltenden Fassung länger als nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung ist. Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB ist auf die Änderung der streitigen tariflichen Verfallfrist weder unmittelbar noch analog anwendbar. Die Gesetzesnorm ist bereits inhaltlich nicht einschlägig, denn sie betrifft die Länge der Verjährungsfrist, während es vorliegend um die Frage des Beginns der Verfallfrist geht. Sie enthält auch keinen allgemeinen Rechtsgedanken, wonach im Zweifel immer die kürzere Verjährungs- oder Verfallfrist anzuwenden sei. Art. 229 § 6 Abs. 1 EGBGB knüpft an Art. 169 Abs. 1 und Art. 231 § 6 Abs. 1 EGBGB an. Danach gilt für die Verjährung, soweit es nicht um deren Beginn, Hemmung oder Unterbrechung geht, grundsätzlich das neue Recht. Der Schuldner hat kein Recht auf den Fortbestand der bisherigen Verjährungsmöglichkeit; er wird durch eine Verlängerung der Verjährung nicht unzumutbar belastet ( - NJW-RR 2006, 618, 619, zu II 2 b der Gründe). Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB stellt eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar und dient dem Schutz des Schuldners, insbesondere sollte es für die am bestehenden und noch nicht verjährten kaufvertraglichen Gewährleistungsansprüche bei der kurzen Verjährung nach dem bisherigen § 477 Abs. 1 BGB verbleiben (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung BT-Drucks. 14/6857 S. 5, 14/6040 S. 273 zu Art. 229 § 5 Abs. 2 EGBGB; MünchKommBGB/Grothe 4. Aufl. Art. 229 § 6 EGBGB Rn. 1 ff.). Diese Ausnahmeregelung lässt sich nach ihrem Sinn und Zweck nicht als allgemeine Regel für die Geltung tarifvertraglicher Verfallfristen heranziehen.

4. Die für den Kläger günstigere tarifliche Regelung der Ausschlussfrist im RTV beinhaltet keine unzulässige Rückwirkung zu Lasten der Beklagten. Ausschlussfristen betreffen nicht die Entstehung von Rechten und deren Inhalt, sondern ihren zeitlichen Bestand (vgl. Senat - 5 AZR 572/04 -BAGE 115, 19, 21). Sie sind kein Bestandteil des entstehenden Rechts, vielmehr regeln sie den Fortbestand des entstandenen Rechts. Die Beklagte hat im Streitfall im Hinblick auf die früher geltende, für sie günstigere Ausschlussfrist keine "Rechtsposition" erworben, auf deren Bestand sie sich verlassen konnte. Der Anspruch des Klägers für Dezember 2001 wurde frühestens zeitgleich mit dem Inkrafttreten des RTV fällig. Der bis zum geltende MTV traf keine Regelung zur Fälligkeit der Vergütung. Nach § 3 Abs. 1 des Arbeitsvertrags war das Bruttogehalt des Klägers nachträglich zu zahlen, dh. das Gehalt für Dezember 2001 wurde frühestens am fällig.

5. Der Anspruch auf die Dezembervergütung 2001 wurde durch den Kläger fristgemäß geltend gemacht. Dieser Vergütungsanspruch war vom Ausgang des Kündigungsschutzprozesses abhängig. Die Zahlungsklage ist binnen zwei Monaten nach Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens am erhoben worden.

6. Die Zinsentscheidung folgt aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 187 Abs. 1 BGB.

II. Die Beklagte hat die Kosten der 1. Instanz zu tragen, denn die Zuvielforderung des Klägers war verhältnismäßig geringfügig und hat keine höheren Kosten veranlasst (§ 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die Kosten des Berufungsverfahrens sind zu quoteln (§ 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO). Die Kosten der Revision hat die Beklagte zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
AAAAC-62336

1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein