BFH Beschluss v. - VIII B 211/06

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, der richterlichen Hinweispflicht und der Amtsermittlungspflicht

Gesetze: FGO § 76, FGO § 80, FGO § 96, FGO § 115

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 FGO).

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat die geltend gemachten Verfahrensverstöße nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) bezeichnet.

1. Die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—) hat der Kläger nicht schlüssig dargetan.

a) Zur schlüssigen Erhebung dieser Rüge ist darzulegen, wozu sich der Beteiligte nicht habe äußern können, was er bei ausreichender Gewährung noch vorgetragen hätte und dass bei Berücksichtigung dieses Sachvortrags eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre. Diese Anforderungen gelten jedenfalls dann, wenn sich —wie hier— die behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs nur auf einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte bezieht. Insbesondere aber müssen die Beteiligten darlegen, inwieweit sie alle zumutbaren Möglichkeiten genutzt haben, sich das rechtliche Gehör vor dem Finanzgericht (FG) auch zu verschaffen (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom VIII B 153/05, juris; vom III B 94/00, BFH/NV 2001, 1036).

b) Die Behauptung, das rechtliche Gehör sei durch einen der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom beigefügten, ein anderes Verfahren betreffenden Zusatz vereitelt worden, entbehrt offensichtlich einer Grundlage.

Bereits in der Einspruchsentscheidung vom hatte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) den für die Annahme von den Katalogberufen ähnlichen Berufen erforderlichen Nachweis ausreichender Kenntnisse in den Hauptbereichen der Betriebswirtschaftslehre bzw. die notwendige fachliche Breite und Qualifikation vermisst. Der damalige Prozessvertreter im Klageverfahren hatte im Übrigen die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die steuerrechtliche Anerkennung als ähnlichen Beruf in der Klageschrift vom selber zutreffend wiedergegeben. In der Klageerwiderung vom hat das FA ausdrücklich an seiner Rechtsauffassung in der Einspruchsentscheidung festgehalten. Dem Prozessvertreter hätte somit obgelegen, die Tatsachen schlüssig vorzutragen und ggf. Beweisanträge zu stellen, dies umso mehr als bei einem fachkundigen Vertreter die Kenntnis der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung vorauszusetzen ist (vgl. zum EDV-Berater: , BFHE 206, 233, BStBl II 2004, 989; zu dem einem beratenden Betriebswirt ähnlichen Beruf: , BFH/NV 1997, 399).

Das FG ist nach § 80 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht verpflichtet, den ordnungsgemäß vertretenen Kläger persönlich zum Termin zur mündlichen Verhandlung zu laden (BFH-Beschlüsse vom VIII B 4/06, BFH/NV 2007, 490; vom VIII B 153/05, juris).

Dem Prozessvertreter war es indes seinerseits unbenommen, eine persönliche Anhörung des Klägers herbeizuführen oder ggf. sogar eine Beteiligtenvernehmung nach § 450 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 82 FGO zu beantragen (, BFH/NV 2004, 77).

Auf die aus dem Ladungszusatz von dem vertretenen Kläger irrig gezogenen Schlussfolgerungen kann es insoweit nicht ankommen.

2. Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO, und der Hinweispflicht nach § 76 Abs. 2 FGO)

a) Der Kläger legt nicht dar, welche konkreten Ermittlungen sich dem FG nach dessen insoweit maßgebender materiell-rechtlicher Auffassung, dass der Klagevortrag bereits nicht schlüssig sei, hätten aufdrängen müssen und weshalb er, obwohl er in der mündlichen Verhandlung fachkundig vertreten gewesen ist, nicht von sich aus im Rahmen der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom durchgeführten Erörterung der Sach- und Rechtslage sich die Möglichkeit eines ergänzenden Sachvortrags ggf. durch einen nachzulassenden Schriftsatz nach § 283 ZPO i.V.m. § 155 FGO (dazu , BFH/NV 2005, 1589) hat einräumen lassen oder von sich aus entsprechende Beweisanträge gestellt hat (dazu auch § 295 ZPO i.V.m. § 155 FGO; BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 490; zu den Rügeanforderungen , BFH/NV 2006, 1155).

Das FG hat zudem nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO zwar den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Indes wird der Amtsermittlungsgrundsatz durch die Mitwirkungspflichten der Beteiligten nach § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO begrenzt. Die Sachaufklärungsrüge kann nicht dazu dienen, Beweisanträge oder Fragen zu ersetzen, welche eine fachkundig vertretene Partei selbst in zumutbarer Weise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2007, 490; vom VIII B 33/05, BFH/NV 2006, 1338, m.w.N.).

b) Ebenso wenig hat der Kläger die behauptete Verletzung der gerichtlichen Hinweispflichten nach § 76 Abs. 2 FGO schlüssig gerügt.

aa) Der richterliche Hinweis nach § 76 Abs. 2 FGO soll in erster Linie zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens, zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen Schutz und Hilfestellung für die Beteiligten geben, ohne dass indes deren Eigenverantwortlichkeit dadurch eingeschränkt oder beseitigt wird.

Der Vorsitzende hat im Rahmen seiner richterlichen Prozessförderungs- und Fürsorgepflichten u.a. darauf hinzuweisen, dass Formfehler beseitigt und sachdienliche Anträge gestellt werden. Der Erfolg einer Klage soll nicht an der Rechtsunerfahrenheit des Klägers, zumal in Formsachen, scheitern.

Inhalt und Umfang der aus § 76 Abs. 2 FGO folgenden Hinweispflichten sind indes von der Sach- und Rechtslage des einzelnen Falles abhängig, von der Mitwirkung der Beteiligten und von deren individuellen Möglichkeiten. Die Hinweispflichten entfallen zwar auch bei fachkundig vertretenen Beteiligten nicht von vornherein vollständig. Jedoch stellt das Unterlassen eines Hinweises regelmäßig bei steuerlich Beratenen und durch einen fach- und sachkundigen Prozessbevollmächtigten vertretenen Beteiligten keine Verletzung der Pflichten aus § 76 Abs. 2 FGO dar, es sei denn, es würden besondere Umstände, die eine Ausnahme von dieser Regel erforderten, dargelegt (BFH-Beschlüsse vom III B 7/03, BFH/NV 2004, 645; vom IX B 50/06, BFH/NV 2007, 1135, m.w.N.; vom VII B 133/04, BFH/NV 2005, 1325).

bb) Im Übrigen ist das FG weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet, also dazu, die maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten vorher umfassend und im Einzelnen zu erörtern oder ihnen die einzelnen für die Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte, Schlussfolgerungen oder das Ergebnis einer Gesamtwürdigung im Voraus anzudeuten oder mitzuteilen. Auf naheliegende tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte braucht es zumindest dann nicht hinzuweisen, wenn die Beteiligten fachkundig vertreten sind. Daher muss selbst dann, wenn die Rechtslage umstritten ist, ein Beteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einrichten (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2007, 1135, mit umfangreichen Nachweisen; in BFH/NV 2007, 490).

cc) Liegen —wie hier— die rechtliche Bedeutung bestimmter Tatsachen und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, diese Tatsachen zur Erreichung des Prozessziels bei Gericht vorzubringen und zu substantiieren, auf der Hand, so stellt ein unterlassener richterlicher Hinweis jedenfalls dann keine gegen § 76 Abs. 2 FGO verstoßende Pflichtverletzung dar, wenn der Kläger —wie hier— sachkundig vertreten war (vgl. auch , BFH/NV 2005, 1483).

dd) Eine abweichende Würdigung ist auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen ausnahmsweise deshalb geboten, weil die Angemessenheit der Verfahrensdauer zweifelhaft ist. Zum einen hat der Kläger insoweit bereits keine schlüssige Verfahrensrüge erhoben (zu den Anforderungen BFH-Beschlüsse vom XI B 72/05, juris, m.w.N.; vom VIII B 172/05, BFH/NV 2006, 799; vom XI B 17/06, BFH/NV 2007, 474).

Zum anderen wirkt sich selbst eine gemessen an Art. 19 Abs. 4 GG unzulässige, überlange Verfahrensdauer in der Regel nicht auf die Darlegungs- und objektive Feststellungslast aus, sondern kann nur ausnahmsweise, z.B. wenn durch eine unangemessene Behandlung des Verfahrens durch das FG ein Beweismittel verloren geht, im Wege einer Beweiserleichterung das Ausmaß der Überzeugungsbildung im Rahmen der gerichtlichen Beweiswürdigung beeinflussen (grundlegend , BFHE 188, 264, BStBl II 1999, 407).

Indes hat der Kläger derartige besondere Umstände, wonach sich die Entscheidungsgrundlagen tatsächlich verändert hätten, selbst nicht behauptet.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 2312 Nr. 12
TAAAC-60082