Leitsatz
Das Gewicht entlastender Gesichtspunkte muss umso größer sein, je schwerer das Zugriffsdelikt aufgrund der Höhe des Schadens, der Anzahl und Häufigkeit der Zugriffshandlungen, der Begehung von "Begleitdelikten" und anderer belastender Gesichtspunkte im Einzelnen wiegt (wie BVerwG 2 C 30.05 und BVerwG 2 C 9.06 -).
Gesetze: BDG § 5; BDG § 13; BDG § 58; BDG § 60 Abs. 2
Instanzenzug: VG Lüneburg VG 7 A 4/05 vom OVG Lüneburg OVG 3 LD 4/05 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein
Gründe
I
Der im Jahr 1957 geborene Beklagte war seit 1974 Beamter des einfachen Dienstes der Deutschen Bundespost, zuletzt im Range eines Postbetriebsassistenten (Besoldungsgruppe A 6 vz). Seit dem war er Beamter auf Lebenszeit. Wegen dauernder Dienstunfähigkeit wurde er mit Ablauf des Monats Februar 2003 in den Ruhestand versetzt. Er ist verheiratet und hat eine 16-jährige Tochter.
Seit 1996 war der Beklagte im Zustellstützpunkt C. in der Zentralen Anschriftenclearingstelle tätig. Zusammen mit dem Beklagten des Parallelverfahrens BVerwG 2 C 28.06 hatte er dort seit 1998 die Aufgabe, die richtigen Anschriften der hier als unzustellbar eingelieferten Sendungen zu ermitteln. Falls dies nicht möglich war, waren voll bezahlte Briefsendungen an den Absender zurückzuschicken; andernfalls waren die Sendungen an eine weitere Zentrale Clearingstelle in M. weiterzuleiten, wo besonders vereidigte Postbeamte berechtigt waren, die Sendungen zu öffnen, um anhand ihres Inhalts den Adressaten oder Absender zu ermitteln. Der Beklagte war zum Öffnen der Sendungen nicht berechtigt.
Neben Briefsendungen lief beim Beklagten auch sogenannte Info-Post ein, die durch den Aufdruck "Entgelt bezahlt" gekennzeichnet war; in der Regel handelte es sich dabei um gewerbliche Werbe- und Warensendungen. Unzustellbare Info-Post war auf eine eventuelle Vorausverfügung hin zu überprüfen, durch die der Absender etwa bestimmt hatte, unzustellbare Sendungen an ihn zurückzusenden. Info-Post ohne Vorausverfügung war bestimmungsgemäß zu vernichten. Zu diesem Zweck durfte die Sendung geöffnet werden, um den Abfall nach Wertstoffen (z.B. Werbegeschenke wie Kugelschreiber, Parfümproben oder CDs) zu sortieren. Die Mitarbeiter der Dienststelle waren nicht berechtigt, den Inhalt an sich zu nehmen. Es wurde lediglich geduldet, schwarzschreibende Kugelschreiber zur Verwendung am Arbeitsplatz zu behalten.
Zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt war der Beklagte dazu übergegangen, nicht nur Info-Post, sondern gelegentlich auch Briefsendungen zu öffnen, die nach Absender, Format oder Konsistenz pornographische Fotos als Inhalt erwarten ließen. Gelegentlich öffnete er auch Warensendungen und Info-Post, um den Inhalt zu behalten. Wie eine spätere Überwachung ergab, öffnete der Beklagte unberechtigterweise Briefsendungen in einer Vielzahl von Fällen. Ende Oktober 2002 untersagte ihm die Klägerin die Führung der Dienstgeschäfte und leitete kurz darauf ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein. Durch Urteil vom verurteilte das Amtsgericht ... den Beklagten rechtskräftig wegen Verletzung des Postgeheimnisses in Tateinheit mit Urkundenunterdrückung in neun Fällen, davon in fünf Fällen in Tateinheit mit Diebstahl geringwertiger Sachen, in einem Fall in Tateinheit mit einem Diebstahl sowie wegen eines weiteren Diebstahls zu einer Geldstrafe. Der Wert der vom Beklagten entnommenen Sachen belief sich danach auf 177,95 €.
Die Klägerin hat am Disziplinarklage mit dem Antrag erhoben, dem Beklagten das Ruhegehalt abzuerkennen. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag entsprochen. Die Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben, im Wesentlichen aus folgenden Gründen:
Das Verwaltungsgericht habe dem Beklagten zu Recht das Ruhegehalt aberkannt. Wie er in beiden Instanzen eingeräumt habe, habe er in zahlreichen Fällen das Postgeheimnis verletzt und Urkunden unterdrückt sowie mehrmals den Inhalt von Postsendungen gestohlen. Dadurch habe er schuldhaft seine Pflichten zu uneigennütziger Amtsführung, achtungswürdigem Verhalten und zur Ausführung und Befolgung dienstlicher Anordnungen verletzt und dadurch ein Dienstvergehen begangen, das die Aberkennung des Ruhegehalts erforderlich mache. Als aktiver Beamter hätte er aus dem Dienst entfernt werden müssen. Von der Höchstmaßnahme könne bei innerdienstlich begangenen Zugriffsdelikten nur dann abgesehen werden, wenn einer der von der Rechtsprechung entwickelten, abschließend formulierten außergewöhnlichen Milderungsgründe vorliege, was hier weder vom Beklagten geltend gemacht noch sonst ersichtlich sei. Die Aberkennung des Ruhegehalts sei auch nicht unverhältnismäßig. Bei Zugriffsdelikten sei der durch das Gewicht des Dienstvergehens eingetretene Vertrauensschaden mangels Milderungsgründen so erheblich, dass bei aktiven Beamten die Entfernung aus dem Dienst geboten sei. Die Höchstmaßnahme gegenüber dem Ruhestandsbeamten sei geeignet und erforderlich, den Zwecken der Disziplinarmaßnahme gegenüber Ruhestandsbeamten Geltung zu verschaffen. Sei das Vertrauensverhältnis zerstört, erweise sich die Aberkennung des Ruhegehalts nicht deshalb als unangemessen, weil die Klägerin es offenbar zugelassen habe, dass schwarzschreibende Kugelschreiber zur Verwendung am Arbeitsplatz der Info-Post entnommen wurden. Der Beklagte habe überwiegend auf sonstige Postsendungen zugegriffen. Er könne nicht geltend machen, die Klägerin habe ihm gewissermaßen den Weg zur Begehung der Straftaten aufgezeigt. Er habe vielmehr aus eigenem Willensentschluss seine Vertrauensposition missbraucht. Weder seine langjährige ordnungsgemäße Amtsführung noch die Einräumung der Straftaten nach deren Entdeckung noch seine gesundheitliche Belastung durch das Disziplinarverfahren wögen den vollständigen Vertrauensverlust auf. Auch die strafrechtliche Verurteilung zu einer Geldstrafe führe angesichts der unterschiedlichen Zwecke der Verfahren zu keinem anderen Ergebnis. Dies gelte auch für die wirtschaftlichen Einbußen als Folge der Höchstmaßnahme. Schließlich lasse auch der vom Beklagten geltend gemachte Druck, den die Klägerin nach ihrer Umwandlung in eine Aktiengesellschaft seinen Bekundungen zufolge auf ihn und andere Bedienstete ausgeübt habe, ein Absehen von der Höchstmaßnahme nicht zu.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Er beantragt,
das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom und das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die genannten Urteile aufzuheben und auf eine mildere Maßnahme zu erkennen.
Die Klägerin tritt der Revision entgegen.
II
Die Revision ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts verletzt zwar Bundesrecht (§ 69 BDG, § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), doch stellt sich die Entscheidung im Ergebnis als richtig dar. Dies führt zur Zurückweisung der Revision (§ 70 Abs. 2 BDG, § 144 Abs. 4 VwGO).
1. Die bei der Deutschen Post AG beschäftigten Bundesbeamten unterliegen hinsichtlich ihrer beruflichen Tätigkeit den Regeln über den beamtenrechtlichen Dienst und damit dem Disziplinarrecht ( BVerwG 1 D 80.95 - BVerwGE 103, 375 <377 f.>).
2. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht, nämlich § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG, weil das Berufungsgericht bei der Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen ist.
Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG ist die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung zu bestimmen. Den Bedeutungsgehalt dieser gesetzlichen Begriffe hat der Senat in dem BVerwG 2 C 12.04 - (BVerwGE 124, 252 <258 ff.>; vgl. auch BVerwG 2 C 9.06 - zur Veröffentlichung vorgesehen) näher dargelegt. Danach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte, insbesondere nach der Höhe des entstandenen Schadens.
Das Bemessungskriterium "Persönlichkeitsbild des Beamten" gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 BDG erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges dienstliches Verhalten vor, bei und nach der Tat. Es erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstvergehen dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten entspricht oder etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder einer psychischen Ausnahmesituation davon abweicht. Einen Aspekt des Persönlichkeitsbildes stellt tätige Reue dar, wie sie durch die freiwillige Wiedergutmachung des Schadens oder die Offenbarung des Fehlverhaltens jeweils noch vor drohender Entdeckung zum Ausdruck kommt.
Das Bemessungskriterium "Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit" gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 BDG erfordert eine Würdigung des Fehlverhaltens des Beamten im Hinblick auf seinen allgemeinen Status, seinen Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und seine konkret ausgeübte Funktion.
Aus den gesetzlichen Vorgaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG folgt die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte, über die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer auch prognostischen Gesamtwürdigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis als eines Mittels der Funktionssicherung des öffentlichen Dienstes. Danach ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der gesamten Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrechtzuerhalten (Beschlüsse vom - BVerwG 1 DB 21.84 - BVerwGE 76, 176 <177 ff.> und vom - BVerwG 2 B 19.05 - Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2; vgl. auch - DVBl 2006, 1372 <1373>; Kammerbeschluss vom - 2 BvR 1413/01 - NVwZ 2003, 1504).
Bei der Gesamtwürdigung haben die Verwaltungsgerichte zunächst die im Einzelfall bemessungsrelevanten Tatsachen zu ermitteln und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Bewertung einzubeziehen. Insbesondere bei der Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens dürfen nur solche belastenden Tatsachen berücksichtigt werden, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber sind entlastende Umstände nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" schon dann beachtlich, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Aufklärung des Sachverhalts nicht möglich ist.
Auf der Grundlage des so zusammengestellten Tatsachenmaterials haben die Verwaltungsgerichte eine Prognose über das voraussichtliche dienstliche Verhalten des Beamten zu treffen und das Ausmaß der von ihm herbeigeführten Ansehensbeeinträchtigung des Berufsbeamtentums einzuschätzen. Bei schweren Dienstvergehen stellt sich vorrangig die Frage, ob der Beamte nach seiner gesamten Persönlichkeit noch im Beamtenverhältnis tragbar ist. Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG ist ein aktiver Beamter aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, wenn er das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Dies ist anzunehmen, wenn aufgrund der Gesamtwürdigung aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig nachhaltig gegen Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wieder gutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden. Hat ein Ruhestandsbeamter im aktiven Dienst ein schweres Dienstvergehen begangen, das die Entfernung aus dem Dienst nach sich gezogen hätte, so ist ihm das Ruhegehalt abzuerkennen (§ 13 Abs. 2 Satz 2 BDG). Durch diese Maßnahme wird das Ruhestandsbeamtenverhältnis beendet. Ihr liegen zum einen generalpräventive Erwägungen zugrunde: Es wären Rückwirkungen auf das Vertrauen in die Integrität des Berufsbeamtentums zu erwarten, wenn ein Ruhestandsbeamter, der wegen eines schweren Dienstvergehens als aktiver Beamter nicht mehr tragbar wäre, weiterhin sein Ruhegehalt beziehen könnte und berechtigt bliebe, die Amtsbezeichnung und die im Zusammenhang mit dem früheren Amte verliehenen Titel zu führen. Zum anderen gebietet der Grundsatz der Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG, dass ein Beamter, der nach Begehung eines zur Auflösung des Beamtenverhältnisses führenden Dienstvergehens in den Ruhestand tritt, nicht besser gestellt wird als ein Beamter, der bis zum Abschluss des Disziplinarverfahrens im aktiven Dienst verbleibt ( BVerwG 1 D 1.06 - Rn. 28, ZBR 2007, 94 <95>; BVerwG 2 B 19.05 - a.a.O., m.w.N.).
Ergibt die prognostische Gesamtwürdigung, dass ein endgültiger Vertrauensverlust noch nicht eingetreten ist, haben die Verwaltungsgerichte diejenige Disziplinarmaßnahme zu verhängen, die erforderlich ist, um den Beamten zur Beachtung der Dienstpflichten anzuhalten und der Ansehensbeeinträchtigung entgegenzuwirken.
Als maßgebendes Bemessungskriterium ist die Schwere des Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG richtungsweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies bedeutet, dass das festgestellte Dienstvergehen zunächst nach seiner Schwere einer der im Katalog des § 5 BDG aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen ist. Dabei können die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein (vgl. zum innerdienstlichen Betrug BVerwG 1 D 13.05 - juris Rn. 29; zum Fernbleiben vom Dienst BVerwG 1 D 2.05 - juris Rn. 51; zur Vorteilsannahme BVerwG 1 D 1.06 - a.a.O.). Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist.
Nach dem Urteil des Senats vom (a.a.O. <260 ff.>) gelten die Bemessungsvorgaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG auch für die Fallgruppe der Zugriffsdelikte, d.h. für die Veruntreuung dienstlich anvertrauter Gelder und Güter. Aufgrund der Schwere dieser Dienstvergehen ist hier die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts grundsätzlich Richtschnur für die Maßnahmebestimmung, wenn die veruntreuten Beträge oder Werte insgesamt die Schwelle der Geringwertigkeit deutlich übersteigen. Diese Indizwirkung entfällt jedoch, wenn sich im Einzelfall aufgrund des Persönlichkeitsbildes des Beamten Entlastungsgründe von solchem Gewicht ergeben, dass die prognostische Gesamtwürdigung den Schluss rechtfertigt, der Beamte habe das Vertrauensverhältnis noch nicht endgültig zerstört.
Als durchgreifende Entlastungsgründe kommen vor allem die Milderungsgründe in Betracht, die in der Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts zu den Zugriffsdelikten entwickelt worden sind. Diese Milderungsgründe erfassen typisierend Beweggründe oder Verhaltensweisen des Beamten, die regelmäßig Anlass für eine noch positive Persönlichkeitsprognose geben. Zum einen tragen sie existenziellen wirtschaftlichen Notlagen sowie körperlichen oder psychischen Ausnahmesituationen Rechnung, in denen ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet werden kann. Zum anderen erfassen sie ein tätiges Abrücken von der Tat, insbesondere durch die freiwillige Wiedergutmachung des Schadens oder die Offenbarung des Fehlverhaltens jeweils vor drohender Entdeckung.
Unter der Geltung der Bemessungsvorgaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG ist es jedoch nicht mehr möglich, diese Milderungsgründe als abschließenden Kanon der bei Zugriffsdelikten allein beachtlichen Entlastungsgründe anzusehen (vgl. BVerwG 2 C 12.04 - a.a.O. S. 262 und vom - BVerwG 2 C 9.06 -). Vielmehr gelten auch hier die dargestellten Anforderungen an die prognostische Gesamtwürdigung. Demnach dürfen entlastende Gesichtspunkte bei Zugriffsdelikten nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil sie für das Vorliegen eines solchen Milderungsgrundes ohne Bedeutung sind oder nicht ausreichen, um dessen Voraussetzungen - im Zusammenwirken mit anderen Umständen - zu erfüllen. Die Milderungsgründe bieten jedoch Vergleichsmaßstäbe für die Bewertung, welches Gewicht entlastenden Gesichtspunkten in der Summe zukommen muss, um eine Fortsetzung des Beamtenverhältnisses in Betracht ziehen zu können. Generell gilt, dass deren Gewicht umso größer sein muss, je schwerer das Zugriffsdelikt aufgrund der Höhe des Schadens, der Anzahl und Häufigkeit der Zugriffshandlungen, der Begehung von "Begleitdelikten" und anderer belastender Gesichtspunkte im Einzelfall wiegt.
3. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die sich ihrerseits auf die nicht angegriffenen und daher gemäß § 57 BDG bindenden Feststellungen des Strafgerichts in seinem Urteil vom stützen, hat der Beklagte in neun Fällen Briefsendungen geöffnet, den Inhalt (Leggins im Wert von 14,95 DM, ein Aktfoto, Postwertzeichen im Wert von 5,60 DM, Kurs- und Gedenkmünzen im Gesamtwert von 92,90 DM) an sich genommen und dadurch das Postgeheimnis (§ 206 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StGB) verletzt. Zugleich hat er in diesen Fällen Urkunden unterdrückt, davon in fünf Fällen in Tateinheit mit Diebstahl geringwertiger Sachen, in einem Fall in Tateinheit mit einem Diebstahl. Außerdem fällt ihm ein weiterer Diebstahl zur Last.
Soweit das Berufungsgericht in diesen vorsätzlichen Dienstpflichtverletzungen gemäß § 54 Satz 2 und 3, § 55 Satz 2 BBG zu Recht Zugriffshandlungen gesehen hat, ist seine Rechtsauffassung, die Aberkennung des Ruhegehalts sei bereits deshalb geboten, weil kein anerkannter Milderungsgrund gegeben sei, nicht mit den gesetzlichen Bemessungsvorgaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG vereinbar. Das Berufungsurteil wird insoweit den dargestellten Anforderungen an die prognostische Gesamtwürdigung nicht gerecht. Es hat sich im Wesentlichen darauf beschränkt, das Vorliegen "anerkannter Milderungsgründe" zu prüfen und zu verneinen. Alle vom Beklagten geltend gemachten Milderungsgründe hat es lediglich daraufhin untersucht, ob sie geeignet seien, die Verhängung der Höchstmaßnahme als unverhältnismäßig anzusehen.
Auf dieser unzutreffenden Rechtsauffassung beruht das angefochtene Urteil.
4. Gleichwohl bleibt die Revision des Beklagten erfolglos, weil sich das Berufungsurteil aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig erweist (§ 70 Abs. 2 BDG, § 144 Abs. 4 VwGO).
Das Revisionsgericht hat bei der Anwendung des revisiblen Rechts auf den festgestellten Sachverhalt (§ 137 Abs. 2 VwGO, § 69 BDG) grundsätzlich dieselben Befugnisse und Entscheidungsmöglichkeiten, die das Berufungsgericht im Falle einer Zurückverweisung hätte ( BVerwG 11 C 12.93 - Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 271). Das Bundesdisziplinargesetz enthält insoweit keine Einschränkungen, während gemäß § 82 Abs. 3 Satz 2 DRiG das Revisionsurteil des Dienstgerichts des Bundes in Richterdisziplinarsachen nur auf Zurückweisung der Revision oder Aufhebung des angefochtenen Urteils lauten kann. Vielmehr gilt die Regelung des § 60 Abs. 2 Satz 2 BDG, die den Verwaltungsgerichten die Befugnis zur Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme überträgt, gemäß § 70 Abs. 1, § 65 Abs. 1 Satz 1 BDG auch für das Revisionsverfahren (vgl. Weiß, GKÖD, Disziplinarrecht, M § 70 Rn. 27, 28; Mayer, in: Köhler/ Ratz, BDG, 3. Aufl., § 70 Rn. 2).
Der Senat kann von dieser Befugnis allerdings nur Gebrauch machen, wenn er aufgrund der gemäß § 137 Abs. 2 VwGO, § 69 BDG bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils eine gesetzeskonforme, d.h. den Anforderungen gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG genügende Bemessungsentscheidung treffen kann. Er kann weder Tatsachen berücksichtigen, die nicht festgestellt sind, noch die Richtigkeit der festgestellten Tatsachen nachprüfen. Hingegen kann der Senat über die Disziplinarklage dann abschließend entscheiden, wenn das Berufungsurteil alle wesentlichen bemessungsrelevanten Gesichtspunkte enthält (vgl. BVerwG 2 C 9.06 -).
Das ist hier der Fall. Das äußere Tatgeschehen und der Wert der vom Beklagten angeeigneten fremden Gegenstände sind vom Berufungsgericht festgestellt worden, indem es sich ohne eigene Beweiserhebung die Feststellungen des Strafrichters zu Eigen gemacht hat (§ 65 Abs 1, § 57 BDG). Somit steht fest, dass der Beklagte sich nicht nur an sogenannter "Info-Post", die er öffnen durfte und erforderlichenfalls sogar öffnen musste, um den zu vernichtenden Inhalt stoffmäßig richtig zu sortieren, sondern in neun Fällen auch an Briefsendungen vergriffen hat, die er nicht öffnen durfte. Fest steht ferner, dass er den Inhalt dieser Briefsendungen an sich genommen hat, wobei es sich um Aktfotos, ein Kleidungsstück, Briefmarken und Münzen handelte. Außerdem hat der Beklagte, ohne dass der Strafrichter insoweit von einer unbefugten Brieföffnung ausgegangen ist, widerrechtlich eine Uhr an sich genommen. Den feststellbaren Wert der zugeeigneten Sachen hat der Strafrichter mit 177,95 € ermittelt. Insoweit sind die Ermittlungen des Berufungsgerichts vollständig.
Als entlastenden Umstand hat das Berufungsgericht den vom Beklagten erhobenen Einwand geprüft und verworfen, die Klägerin selbst habe für eine Lockerung des Rechtsgefühls gesorgt, indem sie die Verwendung schwarzschreibender Kugelschreiber geduldet habe. Zum einen betraf diese Duldung nur "Info-Post", die der Beklagte öffnen durfte; zum anderen war die Verwendung nur für den Dienstgebrauch gestattet, eine Zueignung durch Bedienstete der Post also nicht zugelassen.
Hinsichtlich der Tatzeit hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der Beklagte seit 1998 in der Zentralen Anschriftenclearingstelle des Zustellstützpunktes C. die Aufgabe hatte, die richtigen Anschriften der als unzustellbar eingelieferten Sendungen zu ermitteln. Damit engt sich der mögliche Tatzeitraum auf die Zeit zwischen 1998 und dem Zeitpunkt der Entdeckung - Oktober 2002 - und damit auf knapp fünf Jahre ein.
Den Feststellungen des Berufungsgerichts ist schließlich zu entnehmen, dass der Beklagte im Umfang der abgeurteilten Taten ein Geständnis abgelegt hat, nachdem die Ermittlungen gegen ihn auf der Grundlage einer anonymen Anzeige in Gang gekommen waren und zu einer Wohnungsdurchsuchung geführt hatten. Zu den gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die der Beklagte nach der Entdeckung der Tat erlitten hat und die 2003 zu seiner Versetzung in den Ruhestand geführt haben, hat das Berufungsgericht keine bemessungserheblichen Feststellungen getroffen.
5. Auf der Grundlage dieser auch nach Auffassung des Beklagten nicht mehr ergänzungsbedürftigen Feststellungen ist der Senat in der Lage, selbst über die erforderliche Maßnahme zu entscheiden.
Anders als das Berufungsgericht sieht der Senat das Schwergewicht des dem Beklagten zur Last fallenden Dienstvergehens nicht allein oder vorwiegend in den Briefberaubungen (Zugriffsdelikt), sondern mindestens gleichgewichtig in der darin mitenthaltenen Verletzung des Postgeheimnisses. Hiervon ist zwar nicht, wie das Berufungsgericht ohne zureichende Differenzierung angenommen hat, "in einer Vielzahl von Fällen", wohl aber in den neun Fällen auszugehen, in denen der Beklagte nach den bindenden und auch von ihm nicht bestrittenen Feststellungen des Strafgerichts Briefsendungen geöffnet und ihren Inhalt entwendet hat. Die Verletzung des Postgeheimnisses stellt als solche bereits ein schweres Dienstvergehen dar, da von einem Postbeamten erwartet werden muss, dass er dieses grundrechtlich (Art. 10 Abs. 1 GG) und einfachrechtlich (§ 39 PostG, § 206 StGB) geschützte Rechtsgut achtet und mit besonderer Sorgfalt respektiert. Auf den Inhalt der geöffneten Briefsendungen - auch, soweit der Beklagte ihn sich angeeignet hat - kommt es in diesem Zusammenhang weniger an, zumal es eher vom Zufall abhing, ob es sich dabei um wertvolles Gut handelte oder um geringwertige oder gar wertlose Gegenstände. Es kann den Beklagten daher nicht entscheidend entlasten, dass er sich aus den Briefsendungen Waren angeeignet hat, deren materieller Wert in mehreren Fällen gering war.
Die festgestellten Entlastungsgründe sind nicht geeignet, das den Briefberaubungen unter Bruch des Postgeheimnisses zukommende Gewicht zu mindern. Weder kann sich der Beklagte in diesem Zusammenhang auf eine etwaige laxe Praxis im Umgang mit Info-Post berufen, noch kommt ihm bei der Würdigung seines Persönlichkeitsbildes entscheidend zugute, dass er sich insgesamt 28 Jahre lang beanstandungsfrei verhalten hat. Der Beklagte verweist damit lediglich auf den im Grunde selbstverständlichen Umstand, dass ein Postbeamter im Dienst Straf- und Verwaltungsvorschriften normalerweise einhält. Sein Versagen in den neun Fällen der Briefberaubung unter Verletzung des Postgeheimnisses rückt dadurch nicht in ein milderes Licht. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind erst durch das Ermittlungsverfahren ausgelöst worden und fallen deshalb angesichts der Schwere des Vorwurfs weniger ins Gewicht. Dem vom Beklagten geltend gemachten Druck auf die in der Dienststelle der Klägerin tätigen Bediensteten hat das Berufungsgericht mit Recht keine mildernde Wirkung (etwa im Sinne eines entlastenden Motivationsverlustes) beigemessen. Anhaltspunkte, denen in diesem Zusammenhang noch weiter nachzugehen wäre, sind vom Beklagten nicht geltend gemacht worden und auch sonst nicht ersichtlich.
Bei der danach möglichen und gebotenen Gesamtabwägung kommt dem Dienstvergehen des Beklagten - Verletzung des Postgeheimnisses und Unterschlagung dienstlich anvertrauten Gutes - ein so hohes Gewicht zu, dass nach § 13 Abs. 2 Satz 2 BDG die Aberkennung des Ruhegehalts die angemessene Maßnahme ist. Der insgesamt zwar über der Bagatellgrenze liegende, aber letztlich nicht allzu hohe materielle Wert der gestohlenen Gegenstände kann ihn ebenso wenig entlasten wie das Geständnis, das er erst zu einem Zeitpunkt abgegeben hat, als die Taten bereits ihrem wesentlichen Umfang nach entdeckt und nachweisbar belegt waren. Dasselbe gilt von der Dauer des beanstandungsfrei ausgeübten Dienstes. Das Vertrauen des Dienstherrn in die Integrität des Beklagten ist insgesamt zerstört.
Der Verlust der Versorgungsbezüge ist nicht unverhältnismäßig. Der Beklagte unterliegt der Nachversicherung; ob er über die Dienstunfähigkeit hinaus auch erwerbsunfähig ist, ist offen und bedarf in diesem Verfahren keiner Klärung, weil die sich aus der Aberkennung des Ruhegehalts ergebenden wirtschaftlichen Folgen sozialrechtlich und nicht disziplinarrechtlich gelöst werden müssen (vgl. BVerwG 2 B 15.06 - Buchholz 235.1 § 12 BDG Nr. 1 m.w.N.).
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 4 BDG, § 154 Abs 2 VwGO.
Fundstelle(n):
ZAAAC-57654