Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StPO § 349 Abs. 2; StPO § 349 Abs. 4; StGB § 64; StGB § 64 Abs. 1; StGB § 67 Abs. 2 n. F.
Instanzenzug: LG Gera vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen Beihilfe hierzu in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln, wegen Besitzes von Betäubungsmitteln, Unterschlagung, Urkundenfälschung und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 28 Fällen, davon in 25 Fällen in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und den Verfall von Wertersatz in Höhe von 35.000 € angeordnet. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision.
Das Rechtsmittel hat in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen erweist es sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den Urteilsfeststellungen begann der Angeklagte in seinem 10. Schuljahr Drogen zu nehmen. Er rauchte Haschisch und Marihuana und probierte nach und nach die verschiedensten Drogen aus. Seit 2001 - unterbrochen durch seine Inhaftierung von September 2002 bis Juni 2005 - konsumiert er Methamphetamin (Crystal) und nimmt außerdem Alkohol zu sich. In den Fällen, in denen er vorliegend wegen tateinheitlichen Erwerbs von Betäubungsmitteln verurteilt worden ist, hatte der Angeklagte von den erworbenen Drogen Teilmengen abgezweigt und selbst konsumiert bzw. war für seine Tätigkeit mit Drogen zum Eigenkonsum entlohnt worden. Nach den Ausführungen des in der Hauptverhandlung gehörten Sachverständigen liegt bei ihm ein Abhängigkeitssyndrom bei multiplem Gebrauch psychotroper Substanzen gemäß F19.2 der ICD-10 (Polytoxikomanie) vor, welches aber noch nicht zu einer starken überdauernden Persönlichkeitsveränderung geführt hat. Die Kammer hat eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt, weil eine Tendenz zum Betäubungsmittelmissbrauch ohne Depravation und erhebliche Persönlichkeitsstörung nicht ausreichend sei, um einen Hang anzunehmen.
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zwar findet sich die vom Landgericht verwendete Formulierung auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NStZ 2004, 494; BGHR StGB § 64 Nichtanordnung 1). "Depravation" und "erhebliche Persönlichkeitsstörung" dürfen jedoch im Zusammenhang mit der Frage des Vorliegens eines Hanges zum übermäßigen Konsum von Betäubungsmitteln nicht gleichgesetzt werden mit den Anforderungen, die die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Annahme einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit wegen Betäubungsmittelabhängigkeit stellt. Danach begründet die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit nur ausnahmsweise, zum Beispiel wenn langjähriger Betäubungsmittelgenuss zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat (vgl. BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 11 und 14 jeweils m.w.N.). Solche schwersten Persönlichkeitsstörungen müssen für die Bejahung eines Hanges zum übermäßigen Konsum von Betäubungsmitteln nicht vorliegen. Die Formulierungen in dem angefochtenen Urteil lassen besorgen, dass die Strafkammer insoweit zu hohe Anforderungen gestellt hat.
Der Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel zu sich zu nehmen (st. Rspr.; vgl. u.a. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 1, 4 und 5). Ein solches Verhalten legen die Urteilsfeststellungen zumindest nahe. Die festgestellten Umstände legen auch nahe, dass der Angeklagte Betäubungsmittel im Übermaß konsumiert. Denn ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH NStZ 2005, 210; Senatsbeschl. vom - 2 StR 416/97 - m.w.N.). Das kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Betroffene Rauschmittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt werden (vgl. BGH NStZ 2004, 384; NStZ-RR 2003, 106 f. jew. m.w.N.), sondern insbesondere auch bei Beschaffungskriminalität. Die Annahme, dass der Angeklagte seine Handelstätigkeit zumindest auch zu dem Zweck durchgeführt hat, seinen eigenen Konsum zu finanzieren, drängt sich angesichts der Urteilsfeststellungen auf.
Da der Angeklagte selbst seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angestrebt hat, dürfte auch eine konkrete Erfolgsaussicht bestehen. Der Senat hat in diesem Fall den Maßregelausspruch aufgehoben und die Sache insoweit zur erneuten Prüfung zurückverwiesen, weil letztlich nicht auszuschließen ist, dass der neue Tatrichter bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung das ihm nach der Änderung des § 64 Abs. 1 StGB durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom (BGBl. I S. 1327) zustehende Ermessen im Sinne des Angeklagten ausübt. In diesem Fall wäre nach § 67 Abs. 2 StGB n. F. auch die Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe zu prüfen.
Einer etwaigen Nachholung der Unterbringung steht nicht entgegen, dass ausschließlich der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; BGHSt 37, 5).
Der Senat schließt aus, dass die Freiheitsstrafe niedriger ausgefallen wäre, wenn das Landgericht zugleich die Unterbringung des Angeklagten angeordnet hätte.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
GAAAC-57604
1Nachschlagewerk: nein