BSG Urteil v. - B 2 U 14/06 R

Leitsatz

1. Der der Beitragsberechnung zugrunde zulegende Höchstjahresarbeitsverdienst ist bei Versicherten, die nicht ganzjährig beschäftigt sind, nicht zeitanteilig zu kürzen.

2. Die Finanzierung der sog Altlasten-Ost - ebenso wie der Altlasten-West - durch die in der gesetzlichen Unfallversicherung beitragspflichtigen Unternehmen ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.

Gesetze: SGB VII § 152 Abs 1; SGB VII § 153 Abs 1; SGB VII § 153 Abs 2; SGB VII § 153 Abs 3; SGB VII § 157; SGB VII § 215 Abs 9

Instanzenzug: SG Frankfurt/Main S 16 U 3628/02 vom LSG Darmstadt L 3 U 83/05 vom

Gründe

b) Die uneingeschränkte Anwendung des Höchstjahresarbeitsverdienstes nach § 153 Abs 2 SGB VII auch auf die Entgelte von Beschäftigten, die nur während eines Teils eines Jahres beschäftigt sind, ist rechtmäßig.

§ 153 SGB VII über die Berechnungsgrundlagen für die Beiträge regelt in seinem Abs 2, dass dieser Berechnung das Arbeitsentgelt der Versicherten bis zur Höhe des Höchstjahresarbeitsverdienstes zugrunde gelegt wird. Nach seinem Abs 3 kann die Satzung bestimmen, dass der Beitragsberechnung ein Mindestjahresarbeitsverdienst für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, zugrunde gelegt wird und dass bei nicht ganzjährig oder nicht ganztägig beschäftigten Versicherten ein entsprechender Teil des Betrags zugrunde gelegt wird.

Schon aus dem Wortlaut und der Systematik dieser gesetzlichen Regelung folgt, dass zwar der Mindestjahresarbeitsverdienst unter bestimmten Voraussetzungen nur anteilig berücksichtigt werden kann, nicht aber der Höchstjahresarbeitsverdienst, weil es für den Mindestjahresarbeitsverdienst eine entsprechende Regelung für die anteilige Berücksichtigung gibt und für den Höchstjahresarbeitsverdienst gerade nicht. Angesichts der räumlichen Nähe beider Vorschriften zueinander und ihres sachlichen Zusammenhangs kann auch nicht von einem Versehen oder einer Regelungslücke des Gesetzgebers ausgegangen werden. Im Übrigen wollte dieser ausweislich der Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 13/2204 S 111) nur die Regelung aus dem bisherigen Recht übernehmen und weist hinsichtlich der anteiligen Berücksichtigung des Mindestjahresarbeitsverdienstes auf die verringerte Unfallgefahr bei Teilzeitbeschäftigten hin.

Die Vorgängerregelung dieser Vorschriften war § 726 RVO, nach dem das Entgelt im Jahresbetrag nur innerhalb der in § 575 RVO über den Mindest- und den Höchstjahresarbeitsverdienst oder in der Satzung bestimmten Grenzen zur Beitragsberechnung herangezogen werden durfte. In seiner Entscheidung vom 8. Oktober 1981 - 2 RU 35/80 (BSGE 52, 200 = SozR 2200 § 726 Nr 1) hat der Senat ausgeführt, dass die Entgelte eines Versicherten aus zwei Beschäftigungsverhältnissen bei verschiedenen Unternehmen auch dann in jedem Unternehmen unabhängig von dem in dem anderen Unternehmen gezahlten Entgelt zur Beitragsberechnung heranzuziehen sind, wenn sie über dem Höchstbetrag liegen. Dem stehe nicht entgegen, dass auch in einem solchen Fall bei der Leistungsgewährung nur von einem Höchstjahresarbeitsverdienst auszugehen sei. Denn zwischen der Berechnung der Beiträge und der Berechnung der Leistungen bestehe kein derart unmittelbarer Zusammenhang, dass das entsprechende Unternehmen berechtigt sei, nur einen Teil des Entgelts der Beitragsberechnung zugrunde zu legen. So habe ein Unfallversicherungsträger zB die Verletztenrente eines Versicherten nach dem Gesamtbetrag seiner Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Arbeitsunfall eintrat, zu bezahlen (früher § 571 Abs 1 Satz 1 RVO, heute § 82 Abs 1 Satz 1 SGB VII), auch wenn das Entgelt, bei dem sich der Arbeitsunfall ereignete, nur einen geringen Teil seiner Einkünfte ausmachte, zB bei einer Nebentätigkeit. Dem hat sich die Literatur angeschlossen (Verron, BG 1985, 86 ff; Burchardt in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band III, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand September 2006, § 153 RdNr 19 mwN).

An dieser Rechtsauffassung ist festzuhalten und sie ist für die vorliegende, wie die Klägerin zu Recht ausführt, vom damaligen Sachverhalt abweichende Fallgestaltung, dass nicht mehrere diesen Höchstjahresarbeitsverdienst überschreitende Beschäftigungen gleichzeitig, sondern ggf mehrere derartige Beschäftigungen innerhalb eines Kalenderjahres nacheinander ausgeübt werden, wie folgt weiterzuentwickeln: Die Entgelte eines Versicherten aus zwei zeitlich nacheinander liegenden Beschäftigungsverhältnissen bei verschiedenen Unternehmen im Laufe eines Kalenderjahres sind auch dann in jedem Unternehmen unabhängig von dem in dem anderen Unternehmen gezahlten Entgelt zur Beitragsberechnung heranzuziehen, wenn sie über dem Höchstjahresarbeitsverdienst liegen. Hinsichtlich der Begründung kann auch heute auf das im Jahr 1981 vom Senat Gesagte verwiesen werden, weil sich die Rechtslage trotz des Wechsels von der RVO zum SGB VII insofern nicht geändert hat: Zwischen Beitrag und Leistung gibt es nur bei Versicherten, die lediglich aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung Entgelt erzielen, eine gewisse "individuelle Äquivalenz" (Verron, BG 1985, 86, 92). Im Übrigen sind nur ein Teil der Leistungen der Unfallversicherungsträger bei Eintritt eines Versicherungsfalls entgeltabhängig, insbesondere das Verletztengeld und die Verletztenrente, während andere quantitativ und qualitativ relevante Leistungen, wie insbesondere die Heilbehandlung, ohne Bezug zum Entgelt des Versicherten sind.

Daher ist eine vollständige Synchronisation zwischen den Entgelten, die der Beitragsberechnung, und denen, die einem Teil der Leistungen zugrunde gelegt werden, nicht notwendig. Dagegen sprechen auch praktische Probleme in der Abwicklung, weil die verschiedenen Unternehmen, in denen die Beschäftigung ausgeübt werden kann, zu unterschiedlichen Unfallversicherungsträgern gehören können, die ggf unterschiedliche Höchstjahresarbeitsverdienste haben. Die mögliche Überschreitung des jeweiligen Höchstjahresarbeitsverdienstes müsste zudem zunächst ausgerechnet und wohl ein Ausgleich zwischen den Unfallversicherungsträgern durchgeführt werden, was deren jährliche Beitragsberechnung entweder verzögern oder mit gewissen Unsicherheiten belasten würde.

Die Klägerin ihrerseits hat demgegenüber - außer dem schon erörterten Gesichtspunkt des Überschreitens des Höchstjahresarbeitsverdienstes bei dem jeweiligen Versicherten in dem jeweiligen Kalenderjahr - keine Gründe vorgebracht, die für eine bloß anteilige Berücksichtigung des Höchstjahresarbeitsverdienstes gemäß dem zeitlichen Umfang der Beschäftigung sprechen, mit Ausnahme des von ihr behaupteten Verstoßes gegen Art 3 Abs 1 GG. Art 3 Abs 1 GG ist jedoch nur verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen dieser und einer anderen Gruppe keine Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestehen, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten (vgl BVerfGE 55, 72, 88 mwN). Im Verhältnis zu welcher anderen Gruppe von Normadressaten sie gleichheitswidrig benachteiligt wird, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Von Amts wegen ist ein derartiger Verstoß jedoch nicht feststellbar, zumal im Rahmen der Beitragserhebungen gewisse Pauschalierungen praktisch notwendig und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind.

Aus dem Umstand, dass die Beklagte nach Ansicht der Klägerin aufgrund des Wortlautes des § 153 Abs 2 SGB VII in ihrer Satzung eine bloß anteilige Berücksichtigung des Höchstjahresarbeitsverdienstes bei nur zeitweise Beschäftigten vorsehen könnte, folgt nichts anderes. Denn die Beklagte hat keine entsprechende Regelung in ihrer Satzung getroffen und Gründe für einen Verstoß gegen höherrangiges Recht, weil sie keine derartige Regelung getroffen hat, sind nicht zu erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 der Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a SGG iVm §§ 63, 52 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Danach ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen; betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs 1, 3 GKG). Nach dem Inhalt ihres Vortrags tritt die Klägerin aber nicht jeglicher Beitragserhebung durch die Beklagte für die Jahre 2001 und 2004 entgegen, sondern greift diese vor allem hinsichtlich der sog Altlasten-Ost und des Höchstjahresarbeitsverdienstes an. Aufgrund des übereinstimmenden Vortrags der Beteiligten ist davon auszugehen, dass auf die sog Altlasten-Ost circa 12 bis 13 % des Beitragsanteils der Beklagten entfallen. Dies waren im Jahr 2001 ca 9.000 Euro und im Jahr 2004, in dem nur die Hälfte der sog Altlasten-Ost so umgelegt wurde, waren es ca 6.000 Euro des reinen BG-Beitrags. Im Widerspruchsverfahren hat die Klägerin nachvollziehbar geltend gemacht, die Einführung der von ihr begehrten zeitanteiligen Kürzung des Höchstjahresarbeitsverdienstes mindere die zu berücksichtigenden Entgelte um circa 25 %. Für die Jahre 2001 und 2004 ergibt dies zusammen ca 40.000 Euro. Zusammen sind dies 55.000 Euro.

Fundstelle(n):
BAAAC-53576