OFD Hannover - S 7105 - 49 - StO 172

Rechtsfolgen bei Beendigung der Organschaft

1 Ende der Organschaft

1.1 Allgemeines

Eine Organschaft liegt vor, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG). Die Organschaft endet zu dem Zeitpunkt, zu dem eine der Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht mehr erfüllt ist. Das ist z. B. der Fall, wenn

  • sich die Stimmrechtsverhältnisse durch Aufnahme weiterer Gesellschafter in die Organgesellschaft entscheidend ändern (vgl. , UR 1990 S. 355, BFH/NV 1990 S. 741),

  • der Betrieb des Organträgers oder der Organgesellschaft veräußert oder

  • die Organgesellschaft in eine Personengesellschaft umgewandelt wird.

1.2 Liquidation und Vermögenslosigkeit

1.2.1 Die Liquidation der Organgesellschaft hat, solange sie noch nicht abgeschlossen ist, keine Auswirkung auf ihre Eingliederung in das Unternehmen des Organträgers. Der Liquidationsbeschluss führt deshalb nicht zur Beendigung des Organschaftsverhältnisses; die Organgesellschaft rechnet vielmehr so lange zum Unternehmen des Organträgers, bis die Liquidation abgeschlossen und das vorhandene Gesellschaftsvermögen veräußert ist ( –, UR 1991 S. 378, m. w. N.). Das gilt selbst dann, wenn im Rahmen der Liquidation nur noch Umsätze aus der Verwertung sicherungsübereigneter Gegenstände bewirkt werden (, EFG 1990 S. 543).

Dagegen führt die Liquidation des Organträgers regelmäßig zur Beendigung der Organschaft, weil mit der Einstellung der aktiven unternehmerischen Tätigkeit des Organträgers die wirtschaftliche Eingliederung der Organgesellschaft entfällt (vgl.  –, EFG 1976 S. 34, und  –, EFG 1998 S. 971).

1.2.2 Die Vermögenslosigkeit der Organgesellschaft beendet die Organschaft nicht; sie dauert fort, bis alle Rechtsbeziehungen der Organgesellschaft abgewickelt sind (vgl.  –, UR 1992 S. 176, BFH/NV 1992 S. 346, und vom – V R 128/93 –, UR 1996 S. 265, BFH/NV 1996 S. 275). Das gilt auch in Fällen, in denen der Antrag der Organgesellschaft auf Insolvenzeröffnung mangels einer die Kosten deckenden Masse abgelehnt wird.

1.3 Insolvenzverfahren

1.3.1 Wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter für das Vermögen der Organgesellschaft bestellt und wird der Organgesellschaft ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt, so geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Organgesellschaft auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über (§ 22 Abs. 1 InsO). In diesem Fall endet die Organschaft mit Wirksamwerden der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters, weil der Organträger nicht mehr die Möglichkeit hat, seinen Willen in der Organgesellschaft umzusetzen.

Wird hingegen ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, ohne dass der Organgesellschaft ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird (vgl. § 22 Abs. 2 InsO), bleibt die Organschaft regelmäßig bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Tz. 1.3.2) bestehen. Das gilt selbst dann, wenn das Insolvenzgericht anordnet, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind (§ 21 Abs. 2, 2. Alternative InsO). Der Organträger und der vorläufige Insolvenzverwalter haben insoweit eine vergleichbar starke Stellung (, BStBl 2004 II S. 905). Während des vorläufigen Insolvenzverfahrens bei der Organgesellschaft endet die Organschaft nur, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter aufgrund der ihm im Einzelfall übertragenen Pflichten den maßgeblichen Einfluss auf die Organgesellschaft erhält und ihm eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft möglich ist.

1.3.2 Die Organschaft endet regelmäßig spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Organgesellschaft, weil der Organträger den wesentlichen Einfluss auf die Organgesellschaft an den Insolvenzverwalter verliert (§ 80 InsO).

Etwas anderes gilt nur in den folgenden Fällen:

  • Sowohl die Organgesellschaft als auch der Organträger sind in Insolvenz und in beiden Verfahren ist derselbe Insolvenzverwalter tätig. Dann bleibt die Organschaft auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehen, da der Organträger weiterhin wesentlichen Einfluss auf die Organgesellschaft nehmen kann.

  • Das Insolvenzgericht ordnet in dem Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Eigenverwaltung der Insolvenzmasse durch den Schuldner unter Aufsicht eines Sachwalters an (§§ 270 ff. InsO). Hier besteht die Organschaft regelmäßig nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fort, weil die Verfügungs- und Verwertungsbefugnis über das Vermögen der Organgesellschaft im Wesentlichen beim Schuldner und damit beim Organträger verbleibt (§ 270 Abs. 1 InsO; s. auch Vollstreckungskartei – Insolvenzverfahren – Karte 24). Die Organschaft endet jedoch auch in den Fällen der Eigenverwaltung mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, wenn dem Sachwalter derart weit reichende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse eingeräumt werden, dass eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung möglich ist. Ein solcher Fall liegt insbesondere vor, wenn

    • der Sachwalter die Kassenführungsbefugnis an sich zieht (§ 275 Abs. 2 InsO),

    • es der Organgesellschaft verboten ist, ohne Zustimmung des Sachwalters Verbindlichkeiten einzugehen (vgl. § 275 Abs. 1 InsO) und

    • auch die übrigen Rechtsgeschäfte der Organgesellschaft auf Anordnung des Insolvenzgerichts weitgehend der Zustimmung des Sachwalters bedürfen (vgl. § 277 Abs. 1 InsO).

1.3.3 Weder die Beantragung noch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Organträgers führen zur Beendigung der Organschaft. Diese Maßnahmen ändern nichts an der Abhängigkeit der Organgesellschaft, sondern beeinflussen lediglich die personelle Willensbildung beim Organträger, die für die Ausübung der Beherrschung maßgebend ist. Das gilt zumindest solange, wie das Unternehmen des Organträgers trotz des vorläufigen Insolvenzverfahrens oder des Insolvenzverfahrens noch über einen nennenswerten Zeitraum fortgeführt werden soll. Die Organschaft endet regelmäßig erst, wenn der Organträger seine aktive unternehmerische Tätigkeit einstellt und in die Liquidation eintritt.

Die Organschaft endet nur ausnahmsweise mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Organträgers, wenn sich das Insolvenzverfahren nicht auf die Organgesellschaft erstreckt und der Insolvenzverwalter auf ihre laufenden Geschäftsführung keinen Einfluss nimmt (, BStBl 1999 II S. 258).

2. Rechtsfolgen der Beendigung der Organschaft

2.1 Ab dem Zeitpunkt der Beendigung der Organschaft stellen Organträger und Organgesellschaft zwei selbstständige umsatzsteuerliche Rechtssubjekte dar, die zueinander in Leistungsaustauschbeziehungen treten können (vgl.  –, UR 1990 S. 355, BFH/NV 1990 S. 741). Die damit verbundene Trennung des Organkreises in verschiedene Unternehmen beinhaltet keine (Teil-)Geschäftsveräußerung. Im Übrigen gilt Folgendes:

2.2 Umsätze, die von der Organgesellschaft vor Beendigung der Organschaft ausgeführt wurden, sind stets dem Organträger zuzurechnen und von diesem zu versteuern, auch wenn die hierauf entfallende Umsatzsteuer (z. B. in den Fällen der Ist-Besteuerung oder bei Konkurs der Organgesellschaft) erst nach Beendigung der Organschaft entsteht ( –, EFG 1993 S. 747). Entscheidend ist, dass das die Umsatzsteuer auslösende Ereignis (Leistung der Organgesellschaft) vor Beendigung der Organschaft ausgeführt wird (s. aber 2.3). Berichtigungsansprüche nach § 17 UStG, die diese Umsätze betreffen, richten sich nur dann gegen den Organträger wenn der Zeitpunkt des den Berichtigungsanspruch auslösenden Ereignisses vor Beendigung der Organschaft liegt. Tritt das auslösende Ereignis jedoch nach Beendigung der Organschaft ein, richten sich die Berichtigungsansprüche gegen die Organgesellschaft.

2.3 Umsätze, die nach Beendigung der Organschaft von der Organgesellschaft ausgeführt werden, sind dagegen grundsätzlich von der Organgesellschaft als leistendem Unternehmer zu versteuern. Hat jedoch der Organträger An- und Vorauszahlungen auf diese Umsätze bereits der Umsatzbesteuerung unterworfen (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a S. 4, Buchst. b UStG), so bleibt diese Besteuerung auch nach Beendigung der Organschaft bestehen. Von der Organgesellschaft ist dementsprechend nur der im Zeitpunkt der Beendigung der Organschaft noch offene Restpreis zu versteuern ( –, BStBl 2002 II S. 255).

2.4 Vorsteuern aus Leistungen, die die Organgesellschaft vor Beendigung der Organschaft bezieht, stehen auch dann nur dem Organträger zu, wenn die Rechnung erst nach Beendigung der Organschaft bei der Organgesellschaft eingeht und von dieser beglichen wird. Maßgeblich ist, dass der Leistungsbezug als auslösendes Ereignis vor Beendigung der Organschaft erfolgt (s. aber 2.5). Vorsteuerberichtigungsansprüche nach § 17 UStG, die diese Leistungsbezüge betreffen, richten sich nur dann gegen den Organträger, wenn das den Berichtigungsanspruch auslösende Ereignis (Uneinbringlichkeit) vor Beendigung der Organschaft eintritt (, BFH/NV 2002 S. 1352). Tritt das den Berichtigungsanspruch auslösende Ereignis nach Beendigung der Organschaft ein, ist die Berichtigung i. S. des § 17 UStG bei der Organgesellschaft vorzunehmen (, BFH/NV 2007 S. 839 und , BFH/NV 2002 S. 1267).

2.5 Vorsteuern aus Leistungen, die die Organgesellschaft nach Beendigung der Organschaft bezieht, können grundsätzlich nur von der Organgesellschaft abgezogen werden. Hat jedoch der Organträger vor Beendigung der Organschaft An- oder Vorauszahlungen auf diese Leistungen entrichtet und hieraus den (vorgezogenen) Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 UStG vorgenommen, so ist die Organgesellschaft lediglich zum Vorsteuerabzug aus dem im Zeitpunkt der Beendigung der Organschaft noch offenen Restpreis berechtigt; der vorgezogene Vorsteuerabzug aus den An- und Vorauszahlungen steht weiterhin dem Organträger zu (vgl.  –, a. a. O.).

2.6 Durch die Beendigung der Organschaft wird der Berichtigungszeitraum nach § 15a UStG nicht unterbrochen (Abschn. 215 Abs. 2 S. 6 UStR). Vorsteuerberichtigungsansprüche für Wirtschaftsgüter der Organgesellschaft, die noch zu Zeiten der Organschaft angeschafft oder hergestellt wurden, richten sich daher auch dann gegen die Organgesellschaft, wenn der ursprüngliche Vorsteuerabzug nach § 15 UStG dem Organträger zugestanden hat.

2.7 Auch nach Beendigung der Organschaft haftet die Organgesellschaft für die vom Organträger geschuldeten Umsatzsteuer- und Vorsteuerrückforderungsbeträge nach § 73 AO, soweit diese vor Beendigung der Organschaft entstanden sind ( –, EFG 1992 S. 373).

OFD Hannover v. - S 7105 - 49 - StO 172

Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




Fundstelle(n):
UR 2007 S. 867 Nr. 22
UVR 2008 S. 133 Nr. 5
NAAAC-53170