BFH Beschluss v. - III B 37/06

Abmagerungskur als außergewöhnliche Belastung

Leitsatz

Aufwendungen für die Teilnahme an einem sog. Optifast-Programm zur langfristigen Therapie von Übergewicht sind als außergewöhnliche Belastung nur dann abziehbar, wenn sich aus einem vor Behandlungsbeginn ausgestellten amts- oder vertrauensärztlichen Attest zweifelsfrei entnehmen lässt, dass der Steuerpflichtige krank und die den Aufwendungen zugrunde liegende Behandlung medizinisch indiziert ist. Bei dem Krankheitswert der Adipositas handelt es sich nicht um eine Rechts-, sondern um eine Tatfrage, die nur im konkreten Einzelfall und damit nicht vom Revisionsgericht zu entscheiden ist.

Gesetze: EStG § 33

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin ist stark übergewichtig. Vom bis zum sowie vom 6. Oktober bis zum nahm sie am sog. Optifast-52-Programm teil. Dabei handelt es sich um ein in speziellen Therapiezentren unter Betreuung durch Ärzte, Ernährungsfachkräfte, Krankenschwestern, Sport- und Bewegungstherapeuten sowie Psychologen durchgeführtes Programm zur langfristigen Therapie von Übergewicht. Ihre Krankenkasse hatte sich zwar 1996/1997 an den Kosten einer entsprechenden Therapie beteiligt, nicht aber an den Kosten eines Folgeprogramms 1997, eines Optifast-Kern-II-Programms 1999/2000, einer Selbsterfahrungsgruppe 2001 sowie des hier streitigen Optifast-52-Programms in den Jahren 2002 und 2003.

Die Klägerin legte zur Teilnahme am Optifast-52-Programm ärztliche Bescheinigungen eines Orthopäden vom und vom , eines weiteren Facharztes vom , einer praktischen Ärztin vom sowie ein amtsärztliches Attest vom vor.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) hatte die der Klägerin 2002 entstandenen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt. Für das Streitjahr 2003 lehnte er den Abzug der Aufwendungen in Höhe von 3 116,21 € dagegen ab.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, die Aufwendungen könnten nicht berücksichtigt werden, weil vor Behandlungsbeginn kein amts- oder vertrauensärztliches Gutachten eingeholt worden sei. Dieses wäre erforderlich gewesen, weil Maßnahmen zur Gewichtsreduzierung nicht ausschließlich von Kranken aufgrund einer medizinischen Indikation unmittelbar zur Behandlung oder Linderung einer Krankheit ergriffen würden, sondern auch von Menschen, die sich angesichts ihrer Körperfülle nicht mehr wohl fühlten, ohne dass wesentliche Körperfunktionen erheblich beeinträchtigt seien. Die Teilnahme am Programm sei nicht ärztlich verordnet, sondern auf Anraten des behandelnden Orthopäden zur Gewichtsreduzierung von der Klägerin selbst ausgesucht worden. Die medizinische Notwendigkeit der Teilnahme ergebe sich auch nicht daraus, dass sich die Krankenkasse 1996 an den Kosten der Teilnahme am Optifast-Programm beteiligt habe. Nach § 20 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) hätten Krankenkassen seinerzeit Ermessensleistungen zur Erhaltung und Förderung der Gesundheit und zur Verhütung von Krankheiten vorsehen können. Diese Möglichkeit der Unterstützung gesundheitsfördernder Leistungen sei aber ab 1997 weggefallen. Das nachträglich angefertigte amtsärztliche Attest reiche zum Nachweis der Zwangsläufigkeit nicht aus. Die Kläger hätten auch erkennen können, dass aufgrund der bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze eine vorherige amtsärztliche Begutachtung erforderlich sei.

Mit ihrer Beschwerde tragen die Kläger vor, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Die Klägerin leide unter hochgradiger Adipositas. Klärungsbedürftig sei, ob es sich bei hochgradiger Adipositas um eine Krankheit handele, ob deren Behandlung durch das Optifast-Programm ein vorheriges amtsärztliches Attest erfordere oder ein nachträgliches amtsärztliches Attest ausreiche und ob die Kläger nicht aus Vertrauensschutzgesichtspunkten die Anerkennung der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung beanspruchen könnten.

II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 132 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Der Rechtsstreit ist nicht grundsätzlich bedeutsam i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

1. Die Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen Adipositas eine Krankheit ist, rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

Wird der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), muss der Beschwerdebegründung zu entnehmen sein, dass eine bestimmte Rechtsfrage klärungsbedürftig, in dem anhängigen Verfahren klärbar sowie über den Einzelfall hinaus von Interesse ist. Hier fehlt es bereits an der Bezeichnung einer im Revisionsverfahren klärbaren Rechtsfrage, so dass die Begründungserfordernisse des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht erfüllt sind.

Hinsichtlich des Begriffes „Krankheit” bezieht sich der Senat regelmäßig auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), des Bundesgerichthofs (BGH) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG), die über die Berücksichtigung von Heilbehandlungskosten im Rahmen der gesetzlichen bzw. privaten Krankenversicherung bzw. des Beihilferechts zu entscheiden haben (vgl. Senatsurteil vom III R 84/96, BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805, m.w.N.). Eine Krankheit liegt danach nicht bei jeder körperlichen Unregelmäßigkeit vor, sondern nur dann, wenn Körperfunktionen beeinträchtigt sind oder die anatomische Abweichung entstellend wirkt (, BSGE 93, 252). Bei dem Krankheitswert der Adipositas handelt es sich daher nicht um eine Rechts-, sondern um eine Tatfrage, die nur im konkreten Einzelfall und damit nicht vom Revisionsgericht zu entscheiden ist (, juris). Die Kläger hatten dem FG im Übrigen selbst vorgetragen, dass in der Medizin streitig sei, ob der Adipositas als solcher Krankheitswert zukomme oder ob sie lediglich Risikofaktor für andere Erkrankungen sei.

2. Die Frage, ob Aufwendungen für die Teilnahme am Optifast-Programm nur dann als außergewöhnliche Belastung abgezogen werden können, wenn ein vor Behandlungsbeginn erstelltes amtsärztliches Attest vorgelegt wird, hat keine grundsätzliche Bedeutung. Sie ist durch die Rechtsprechung des Senats bereits hinreichend geklärt.

Zum Nachweis der medizinischen Notwendigkeit von Maßnahmen, die nicht stets und eindeutig allein der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen, verlangt der Senat in ständiger Rechtsprechung ein vor Behandlungsbeginn ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Attest, aus dem sich zweifelsfrei entnehmen lässt, dass der Steuerpflichtige krank und die den Aufwendungen zugrunde liegende Behandlung medizinisch indiziert ist (vgl. , BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427, betr. Anonyme Alkoholiker; vom III R 70/88, BFH/NV 1991, 386, betr. Frischzellenbehandlung; vom III R 54/90, BFHE 165, 272, BStBl II 1991, 920, betr. Bett mit motorgetriebener Oberkörperaufrichtung; vom III R 52/93, BFHE 178, 81, BStBl II 1995, 614, betr. Kuraufenthalt; vom III R 25/97, BFH/NV 1999, 300, betr. Anonyme Spieler; vom III R 54/98, BFHE 193, 79, BStBl II 2001, 94, betr. Legasthenie-Behandlung eines Kindes; vom III R 22/00, BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543, betr. Ayurveda-Behandlung; vom III R 6/01, BFHE 196, 492, BStBl II 2002, 240, betr. Asbestsanierung der Außenfassade eines Wohnhauses; vom III R 52/99, BFHE 199, 287, BStBl II 2002, 592, betr. Neuanschaffung von Mobiliar wegen Formaldehydemission; vom III R 45/03, BFHE 209, 365, BStBl II 2005, 602, betr. Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Wohngruppe; Senatsbeschluss vom III B 57/06, BFH/NV 2007, 438, betr. Aufwendungen für Fettabsaugung).

Da Adipositas nicht krankhaft sein muss, durch eine Abmagerung nicht unmittelbar Krankheiten therapiert werden, die infolge von Übergewichtigkeit entstanden sind und sich auch zahlreiche gesunde Menschen mit Übergewicht Diäten, Abmagerungskuren, chirurgischen Fettabsaugungen, Psychotherapien, Sportprogrammen und anderen Maßnahmen zur Gewichtsreduktion unterziehen, setzt die steuerliche Abziehbarkeit der Aufwendungen für derartige Maßnahmen ebenfalls ein vor Behandlungsbeginn erstelltes amts- oder vertrauensärztliches Attest voraus.

3. Soweit die Kläger die Frage für grundsätzlich bedeutsam halten, ob die Anerkennung ihrer Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung nicht aus Vertrauensschutzgesichtspunkten beansprucht werden könne, genügt die Beschwerde den Begründungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht. Ihrem Vortrag ist insoweit weder eine Rechtsfrage zu entnehmen noch in welchem Umfang und aus welchen Gründen diese umstritten ist und worin die über den Streitfall hinausgehende Bedeutung einer Entscheidung zu sehen wäre.

In der Rechtsprechung des Senats ist im Übrigen geklärt, unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise auf ein amts- oder vertrauensärztliches Attest verzichtet werden kann. Dies ist der Fall, wenn ein gleichwertiger Nachweis geführt wird (z.B. Senatsurteil in BFHE 178, 81, BStBl II 1995, 614, zur Prüfung durch eine gesetzliche Krankenkasse) oder die Nachweisanforderungen durch die Rechtsprechung verschärft wurden (Senatsurteil in BFHE 193, 79, BStBl II 2001, 94).

Die rechtsfehlerhafte Berücksichtigung der Aufwendungen im Vorjahr konnte keinen Vertrauensschutz begründen, da das FA die einschlägigen Besteuerungsgrundlagen nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung in jedem Veranlagungszeitraum erneut zu prüfen und rechtlich zu würdigen hat und eine als falsch erkannte Rechtsauffassung zum frühest möglichen Zeitpunkt selbst dann aufgeben muss, wenn der Steuerpflichtige darauf vertraut haben sollte (, BFH/NV 2006, 2028, m.w.N.).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1865 Nr. 10
NWB-Eilnachricht Nr. 43/2007 S. 3757
NWB-Eilnachricht Nr. 44/2007 S. 13
VAAAC-51997