BGH Urteil v. - VII ZR 199/06

Leitsatz

[1] a) Der Bürge auf erstes Anfordern kann sich zur Vermeidung seiner Inanspruchnahme auf die fehlende Prüfbarkeit der Rechnung über eine Werklohnforderung nur dann berufen, wenn sich die fehlende Prüfbarkeit aus dem Sachverhalt ohne weiteres ergibt und die Rechtslage eindeutig ist.

b) Ein Bürge ist nicht verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass der Anspruch des Gläubigers fällig gestellt wird, um seine Inanspruchnahme zu rechtfertigen.

Gesetze: BGB § 765

Instanzenzug: LG Flensburg 6 O 18/00 vom OLG Schleswig 5 U 122/05 vom

Tatbestand

Die Klägerin verlangt die Rückzahlung eines Betrags, den sie aufgrund einer Bürgschaft auf erstes Anfordern an die Beklagte gezahlt hat.

Die Grundstücksgesellschaft S. mbH & Co. KG (im Folgenden: Bauherrin) beauftragte die Beklagte im Februar 1998 als Generalunternehmerin mit der Instandsetzung und Modernisierung eines Wohn- und Geschäftshauses in W. Vereinbart waren ein Pauschalpreis von 2.105.400 DM einschließlich 16 % Mehrwertsteuer und die Geltung der VOB/B. Für geänderte oder zusätzliche Leistungen sollte die Beklagte nach § 4 Ziffer 3 des Vertrags eine Vergütung nur aufgrund gesonderter schriftlicher Vereinbarung fordern können.

Während der Bauausführung kam es wegen Planungsänderungen zu verschiedenen Vertragsänderungen mit Mehr- und Minderleistungen.

Am kündigte die Bauherrin den Generalunternehmervertrag, weil die Beklagte nach Differenzen wegen der geschuldeten Zahlungen nicht bereit war, weitere Leistungen zu erbringen.

Die Beklagte erstellte am eine Schlussrechnung, in der unter Einschluss der Vergütung für geänderte und zusätzliche Leistungen von einer Gesamtwerklohnforderung von 2.817.263,22 DM ausgegangen wird. Nach Abzug von Abschlagszahlungen in Höhe von 2.146.000 DM und eines vereinbarten Sicherheitseinbehalts von 140.853,16 DM ermittelte sie einen Restzahlungsanspruch von 530.400,06 DM.

Die Klägerin übernahm am gegenüber der Beklagten für die Bauherrin zur Sicherung von Zahlungsansprüchen der Beklagten eine unwiderrufliche, selbstschuldnerische Bürgschaft bis zu einer Gesamthöhe von 421.080 DM, die an die Beklagte auf erstes Anfordern zu zahlen war. Gesichert werden sollten die Zahlungsansprüche der Beklagten für erbrachte Leistungen aus dem Vertrag vom sowie "Ansprüche des Auftragnehmers gegenüber dem Auftraggeber, die diesem zustehen aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat".

Die Klägerin wurde von der Beklagten aus dieser Bürgschaft in Anspruch genommen und hat am an die Beklagte den verbürgten Betrag bezahlt.

Das Landgericht hat die Klage mit Ausnahme von lediglich 303,23 € abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren restlichen Rückzahlungsanspruch weiter.

Gründe

Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Auf das Schuldverhältnis der Parteien sind die bis geltenden Gesetze anwendbar (Artikel 229 § 5 Satz 1 EGBGB).

I.

Das Berufungsgericht führt aus, es könne dahinstehen, inwieweit die Klägerin der Beklagten nach Abrechnung des Bauvorhabens den gezahlten Bürgschaftsbetrag geschuldet habe. Zwar sei die von der Beklagten der Bauherrin gegenüber erstellte Schlussrechnung vom nicht prüfbar und die Forderung nicht fällig gewesen. Auch könne sich der Bürge grundsätzlich auf die mangelnde Fälligkeit der Hauptforderung berufen. Die zu beurteilende Konstellation unterscheide sich von anderen Fällen mangelnder Fälligkeit jedoch dadurch, dass bei Klagestattgabe wegen einer nicht prüfbaren Schlussrechnung eine erneute Inanspruchnahme der Klägerin nach Erstellung einer prüfbaren Rechnung drohe. Eine solche Situation trete ein, obwohl sich die Klägerin schon gegen die erste Inanspruchnahme mit dem Einwand der fehlenden Prüfbarkeit hätte wehren können, wenn sich dieser aus der Rechnung ergeben hätte. Ungeachtet dessen hätte sie selbst oder über die Bauherrin auf eine prüfbare Abrechnung hinwirken können. Es erscheine in Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprechung zur Bürgschaft auf erstes Anfordern geboten, der Bürgin die Rückforderung wegen mangelnder Prüfbarkeit der Rechnung zu verweigern.

Verhalte es sich so, reiche es nicht aus, dass der Bürge ohne Vorlage einer erneuten und eigenen prüfbaren Gesamtabrechnung die Berechtigung einzelner von der Beklagten abgerechneter Positionen in Zweifel ziehe, solange nicht in dem für den Bürgschaftsgläubiger günstigsten Fall jedenfalls ein vom Bürgen rückforderbarer Mindestbetrag einer rechtsgrundlosen Zahlung zweifelsfrei feststehe.

II.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Der Bürge, der auf eine Bürgschaft auf erstes Anfordern eine Zahlung leistet, kann diese zurückfordern, wenn und soweit der Gläubiger nach materiellem Bürgschaftsrecht keinen Anspruch auf die erhaltene Leistung hat. Im Rückforderungsprozess wird auch geklärt, ob dem Gläubiger ein von der Bürgschaft gesicherter Anspruch gegen seinen Schuldner zusteht (, BGHZ 152, 246, 250 f.). Dort sind alle vom Bürgen erhobenen Einwendungen wie in einem gewöhnlichen Bürgschaftsprozess zu prüfen, wobei den Bürgschaftsgläubiger die Darlegungs- und Beweislast für das Entstehen und die Fälligkeit der gesicherten Forderung trifft (, BGHZ 148, 283, 288). Maßgeblich ist, ob nach dem Sach- und Streitstand der letzten mündlichen Verhandlung der Sicherungsfall eingetreten ist, der Bürgschaftsgläubiger also nunmehr einen fälligen Anspruch auf Verwertung der Bürgschaft besitzt (, BGHZ 153, 311, 316).

2. Nach diesen Grundsätzen obliegt es der Beklagten darzulegen, inwieweit ihr ein fälliger Anspruch zusteht. Gelingt ihr das nicht, weil sie gegenüber der Schuldnerin noch nicht prüfbar abgerechnet hat und dies der Fälligkeit entgegensteht, so ist sie zur Rückzahlung verpflichtet. Die Erwägungen des Berufungsgerichts geben keine Veranlassung, von diesem Grundsatz abzuweichen und einen Ausnahmefall zuzulassen.

a) Das Berufungsgericht geht bereits im Ansatz verfehlt davon aus, dass der Bürge auf erstes Anfordern sich bei seiner Inanspruchnahme mit der fehlenden Prüfbarkeit der Rechnung verteidigen kann, wenn sich diese aus der Rechnung selbst ergibt.

Der Bürge auf erstes Anfordern muss auf Anforderung grundsätzlich sofort zahlen. Alle Streitfragen werden in den Rückforderungsprozess verlagert. Einwände des Bürgen gegen den Anspruch sind jedoch ausnahmsweise schon im Erstprozess beachtlich, sofern sich deren Berechtigung aus dem unstreitigen Sachverhalt oder dem Inhalt der Vertragsurkunden ohne weiteres ergibt. In solchen Fällen missbraucht der Gläubiger, der sich gleichwohl auf die ihm durch die Bürgschaft auf erstes Anfordern eingeräumte formale Stellung beruft, seine vertraglichen Befugnisse. Er verlangt etwas, was er im Rückforderungsprozess sofort erstatten muss. Ein solches Verhalten begründet den Arglisteinwand (, BGHZ 147, 99, 103; Urteil vom - IX ZR 204/00, BauR 2002, 796 = NZBau 2002, 216 = ZfBR 2002, 358).

Der Bürge auf erstes Anfordern kann sich auf die fehlende Prüfbarkeit einer Rechnung danach nur dann berufen, wenn sie sich aus dem Sachverhalt ohne weiteres ergibt und die Rechtslage eindeutig ist (, BGHZ 147, 99, 103; , BGHZ 143, 381, 383). Ist die Prüfbarkeit einer Schlussrechnung nicht ohne weiteres zu beurteilen, so wird der Bürge auf erstes Anfordern mit diesem Einwand nicht gehört. Er muss ihn im Rückforderungsprozess klären lassen. Zu Unrecht beruft sich das Berufungsgericht für seine abweichende Auffassung auf Fischer (WM 2005, 529, 532). Dieser weist lediglich darauf hin, dass dem Gläubiger aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern dann kein Anspruch zusteht, wenn die gesicherte Forderung unstreitig nicht fällig ist, der materielle Bürgschaftsfall also bisher nicht eingetreten sein kann (vgl. auch , NZBau 2002, 669). Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der Beurteilung, ob eine Rechnung prüfbar ist, in aller Regel nicht vor. Auch im vorliegenden Fall sind sie nicht gegeben, wie sich schon daraus ergibt, dass das Landgericht die Rechnung für prüfbar gehalten hat, das Berufungsgericht jedoch nicht.

b) Soweit das Berufungsgericht darüber hinaus die Auffassung vertritt, der Einwand der fehlenden Prüfbarkeit einer Schlussrechnung sei dem Bürgen auch deshalb zu versagen, weil er selbst oder über den Bauherrn auf eine prüfbare Abrechnung hätte hinwirken können, und es reiche nicht aus, ohne Vorlage einer eigenen prüfbaren Gesamtabrechnung die Berechtigung einzelner Positionen in Zweifel zu ziehen, entbehrt das jeglicher rechtlichen Grundlage. Ein Bürge ist nicht verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass der Anspruch des Gläubigers fällig gestellt wird, um seine Inanspruchnahme zu rechtfertigen. Es besteht keine rechtliche Grundlage dafür, vom Bürgen zu seiner Verteidigung gegen den Anspruch die Vorlage einer prüfbaren Rechnung zu verlangen.

III.

Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Eine eigene Entscheidung des Senats kommt nicht in Betracht. Denn in der Revision kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Forderung der Beklagten nicht fällig ist. Dabei kann offen bleiben, ob die Auffassung des Berufungsgerichts zutrifft, die Schlussrechnung der Beklagten sei nicht prüfbar. Es fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, dass die Bauherrin die fehlende Prüfbarkeit der Schlussrechnung innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Erhalt der Schlussrechnung gerügt hat. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Bauherrin und damit auch die Klägerin mit dem Einwand der fehlenden Prüfbarkeit ausgeschlossen ist, so dass die Forderung der Beklagten fällig ist (, BauR 2004, 1937 = ZfBR 2005, 56 = NZBau 2005, 40).

IV.

Für die erneute Verhandlung weist der Senat auf folgendes hin: Die Beklagte hat darzulegen und zu beweisen, dass ihr eine Werklohnforderung zusteht, die durch die Bürgschaft gesichert ist. Soweit zwischen den Parteien streitig ist, ob die Bürgschaft auch die Vergütungsansprüche sichert, die infolge zusätzlicher oder geänderter Leistungen entstanden sind, ist auf die Bürgschaftserklärung hinzuweisen. Danach sind Zahlungsansprüche des Auftragnehmers für erbrachte Leistungen aus dem Vertrag vom gesichert. In diesem Vertrag ist die Möglichkeit angelegt, für zusätzliche und geänderte Leistungen eine Vergütung zu vereinbaren. Entsprechende Vereinbarungen dürften deshalb nicht als Erweiterung der Bürgschaftsverpflichtung anzusehen sein, § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB. Soweit zusätzliche oder geänderte Leistungen erbracht worden sein sollten, ohne dass eine wirksame vertragliche Vereinbarung zustande gekommen ist, wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, inwieweit sich die Bürgenhaftung daraus ergibt, dass auch Ansprüche des Auftragnehmers gegenüber dem Auftraggeber gesichert sind, die diesem aus Gründen zustehen, die er nicht zu vertreten hat.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NJW-RR 2007 S. 1392 Nr. 20
WM 2007 S. 1609 Nr. 34
ZIP 2007 S. 1498 Nr. 32
HAAAC-51432

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja